GrohDie Haftung von Einigungsstellenmitgliedern

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2017, 403 Seiten, € 109,90

THOMASMATHY (LINZ)

Naemi Groh hat mit dem vorliegenden Werk, welches auf ihrer 2016 approbierten Dissertation beruht, die haftungsrechtliche Verantwortung von Mitgliedern der Einigungsstelle einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Gleich zu Beginn der Rezension gilt es klarzustellen, dass sich eine unreflektierte Übernahme der Ergebnisse dieser Arbeit für das österreichische Recht verbietet: Zwar kennt auch das ArbVG mit der Schlichtungsstelle eine Einrichtung, welche dazu dient, bei Regelungsstreitigkeiten zwischen BR und Betriebsinhaber eine Lösung zu vermitteln bzw zu treffen. Jedoch haben ArbVG und dBetrVG in organisationsrechtlicher Hinsicht unterschiedliche Wege beschritten. Während es sich bei der Schlichtungsstelle um eine Verwaltungsbehörde, maW einen Teil der „gesetzesvollziehenden staatlichen Verwaltung“ (VfGHB 2410/94 VfSlg 15.177), handelt, ist die Einigungsstelle ein innerbetriebliches, privatrechtliches Schlichtungsorgan. Dieser Unterschied bezüglich der Rechtsnatur zeitigt ua im Hinblick auf die haftungsrechtliche Situation maßgebliche Auswirkungen (vgl Art 23 Bundes- Verfassungsgesetz [B-VG], Amtshaftungsgesetz [AHG], Organhaftpflichtgesetz [OrgHG]).

Im Zuge ihrer Untersuchung setzt sich Groh ausführlich mit dem Rechtsverhältnis des Einigungsstellenmitgliedes auseinander (S 103 ff). Dies ist auch aus zweierlei Gründen geboten: Einerseits setzt die Beurteilung169 von Grund und Grenzen der Sekundärpflicht (Schadenersatz) Kenntnis von Art und Umfang der Primärpflicht (Haupt- bzw Nebenleistungspflicht) voraus. Andererseits besteht gerade über die Einordnung des Rechtsverhältnisses des Einigungsstellenmitgliedes beträchtliche Uneinigkeit. Es divergieren nicht nur die Ansichten hinsichtlich der Qualifikation als gesetzliches oder vertragliches Schuldverhältnis, sondern auch bezüglich der an diesem Schuldverhältnis beteiligten Parteien. Groh lehnt die von einem gesetzlichen Schuldverhältnis ausgehende hA ab und tritt für die Qualifikation als vertragliches Schuldverhältnis ein. Dies stützt sie insb darauf, dass sich die Leistungspflichten der Einigungsstellenmitglieder dem dBetrVG selbst nicht entnehmen lassen (S 140 ff). Soweit sie dieses Ergebnis auch mit den Materialien zu § 76a dBetrVG zu untermauern versucht, bedarf dies mE einer Relativierung: Da § 76 dBetrVG von der Novelle, mit der § 76a dBetrVG eingefügt wurde (BGBl I S 2312), gänzlich unberührt blieb, sind diese für die Auslegung des § 76 dBetrVG nur von untergeordneter Bedeutung (vgl Kodek in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 6 Rz 99). Insgesamt muss festgehalten werden, dass nicht nur die Qualifikation als gesetzliches Schuldverhältnis Ungereimtheiten aufweist, sondern dass auch die von Groh vertretene Einordnung als vertragliches Schuldverhältnis ihre Tücken birgt. Besonders die Herleitung eines Vertragsschlusses zwischen Einigungsstellenmitglied und AG wirft hinsichtlich der vom BR ausgewählten Beisitzer sowie hinsichtlich eines gerichtlich bestellten Einigungsstellenvorsitzenden Schwierigkeiten auf. So greift Groh für den Fall, dass das Einigungsstellenmitglied zwar erklärt, mit dem AG keinen Vertrag schließen zu wollen, aber dennoch beim Einigungsstellenverfahren als Beisitzer tätig wird, auf den alles andere als unumstrittenen Satz „protestatio facto contraria non valet“ zurück (gegen diesen insb F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes [1967] 94 ff; zum Meinungsstand Rummel in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 863 Rz 51). Nicht minder problematisch ist auch jener Fall, bei dem der AG sich weigert, in den Vertrag einzuwilligen. Gestützt auf einen aus allgemeinen Erwägungen für diese Konstellation abgeleiteten Kontrahierungszwang kann – so Groh – das Einigungsstellenmitglied den AG auf Abschluss des „Einigungsstellenvertrages“ klagen.

Größere Beachtung hätte wohl die Argumentation bezüglich der Einordnung als zweipersonales Schuldverhältnis zwischen AG und Einigungsstellenmitglied verdient: Die Annahme eines dreipersonalen Schuldverhältnisses unter Beteiligung des BR scheitert nach Groh daran, dass diesem die Fähigkeit, diesbezüglich Träger von Rechten und Pflichten zu sein, fehle. Der Umfang der Rechtsfähigkeit des BR gegenüber Dritten werde nämlich durch den Umfang seiner Vermögensfähigkeit (Freistellungsanspruch nach § 40 dBetrVG) bestimmt (S 127 ff). Mit dieser Deckungsgleichheit zwischen Rechtsfähigkeit und Freistellungsanspruch folgt Groh zwar der hA. Eine solche Begrenzung des Umfangs der Rechtsfähigkeit des BR gegenüber Dritten, welche den Umfang der Verpflichtungsfähigkeit durch jenen der Vermögensfähigkeit bestimmt, ist jedoch nicht zwingend (dazu ausführlich jüngst Schmitt, Die Haftung betriebsverfassungsrechtlicher Gremien und ihrer Mitglieder [2016] 174 ff). Gerade weil Groh eingesteht, dass es „durchaus nachvollziehbare Argumente“ für eine Beteiligung des BR am Schuldverhältnis gibt (S 133 f), wäre eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Deckungsgleichheit von Rechtsfähigkeit des BR gegenüber Dritten und Umfang des Freistellungsanspruchs tatsächlich (immer?) geboten ist bzw inwieweit die Auslegung einzelner Tatbestände anderes ergeben kann, wünschenswert gewesen.

Auf Grundlage der soeben erörterten Einordnung des Rechtsverhältnisses des Einigungsstellenmitgliedes gelangt Groh zur Auffassung, dass dieses dem AG für falsche Zuständigkeitsentscheidungen, Verfahrensfehler, rechts- oder ermessensfehlerhafte Einigungsstellensprüche und bestimmte Nebenpflichtverletzungen (zB Geheimhaltung) gem §§ 280 ff dBGB haftet. Dabei erscheint es jedoch nicht einsichtig, dass Groh eine Pflicht der einfachen Einigungsstellenmitglieder, Verfahrensfehler zu verhindern, verneint, sondern diese Pflicht allein dem Einigungsstellenvorsitzenden auferlegt (S 264). Die Verfahrensleitung obliegt zwar tatsächlich weitgehend dem Einigungsstellenvorsitzenden, jedoch folgt Groh der hA, wonach über wesentliche Verfahrensfragen (zB eine Vertagung) nicht der Vorsitzende, sondern das Kollegium zu entscheiden hat (S 58, 263).

Eine (scheinbare) Imbalance, welche dem von Groh präsentierten Ergebnis innewohnt, soll Anlass für einige abschließende Überlegungen geben: Der AG kann reine Vermögensschäden, die dieser durch eine Überschreitung des der Einigungsstelle eingeräumten Ermessens erleidet – zB zu hohe Dotierung eines Sozialplans –, im Wege des Schadensersatzes einklagen. Demgegenüber können die einzelnen AN bei einer Ermessensüberschreitung zu ihren Lasten keinen solchen Anspruch geltend machen, da es sich bei dem „Einigungsstellenvertrag“ zwischen AG und Einigungsstellenmitglied nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (= der AN) handelt (zu den dogmatischen Problemen dieser Rechtsfigur insb Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1295 Rz 30 ff). Zu Recht erörtert Groh dabei, ob die Leistung des Einigungsstellenmitgliedes „auch gegenüber den Arbeitnehmern erbracht werden soll oder letztlich ihren Interessen dient“ (S 246). Diesbezüglich erwägt sie eine Differenzierung danach, ob der Beisitzer vom AG oder vom BR bestellt wurde. Ohne sich in der Frage nach den zu verfolgenden Interessen endgültig festzulegen, stützt Groh ihre Ablehnung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter insb auf die aus ihrer Sicht unzureichende Leistungs- und Gläubigernähe der AN sowie darauf, dass den AN idR ohnehin „ein ausreichender und gleichwertiger Schutz über vertragliche Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag“ zukommt (S 244 ff). Es wäre aber durchaus lohnenswert gewesen, der Frage nach den zu vertretenden Interessen weiter nachzugehen: Eine Unterscheidung zwischen den Einigungsstellenmitgliedern danach, wessen Interessen sie zu vertreten haben, ist mE nicht geboten. § 76 Abs 5 dBetrVG sieht vor, dass die Einigungsstelle „unter angemessener Berücksichtigung der Belange [...] der betroffenen Arbeitnehmer“ ihre Beschlüsse fasst. Einerseits wird dies wohl das Rechtsverhältnis jedes Einigungsstellenmitgliedes determinieren. Andererseits scheint es aufgrund dieses Wortlautes zunächst alles andere als ausgeschlossen, dass die Einigungsstellenmitglieder verpflichtet sind, die Individualinteressen der AN zu wahren. Folgt man jedoch dem Bundesarbeitsgericht (BAG) darin, dass der BR nicht „Vertreter einzelner Arbeitnehmer oder Wahrer von170 deren Individualinteressen“ ist (BAG 24.8.2006, 8 AZR 414/05), dieser also verpflichtet ist, das Kollektivinteresse zu verfolgen, erscheint es durchaus konsequent, dies auch für die Einigungsstelle zu vertreten. An den maßgeblichen Interessen ändert sich durch die Anrufung der Einigungsstelle auf „Arbeitnehmerseite“ grundsätzlich nichts. Insofern scheint die Ablehnung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter folgerichtig. Im Übrigen ist das ArbVG, welches den BR verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmerschaft, dh des Kollektivs, zu vertreten (vgl mwN Mathy, Haftung des Betriebsratsmitgliedes? [2016] 38 ff), in diesem Punkt deutlicher als das dBetrVG. Bereits der Wortlaut des § 144 Abs 2 Satz 1 ArbVG („[...] die Entscheidung [...] unter Abwägung der Interessen des Betriebs einerseits und der Belegschaft andererseits zu fällen.“) bringt die Verpflichtung, das Kollektivinteresse zu verfolgen, zum Ausdruck.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass es – trotz zahlreicher, dem Lesefluss nicht immer zuträglicher Einschübe langer, wörtlich zitierter Passagen – Groh gelungen ist, eine wohldurchdachte Untersuchung zu einem bislang eher spärlich beachteten Bereich des Betriebsverfassungsrechtes vorzulegen, die gemeinsam mit der ebenfalls jüngst erschienenen Arbeit von Pfrogner (Haftung von Einigungsstellenmitgliedern [2016]) die wissenschaftliche Diskussion zweifellos beleben wird.