FleckerArbeit und Beschäftigung – Eine soziologische Einführung

facultas Verlag, Wien 2017, 266 Seiten, € 23,70

URSULAFILIPIČ (WIEN)

Der renommierte Soziologe und Professor für allgemeine Soziologie an der Universität Wien, Jörg Flecker, hat im Herbst 2017 eine spannende soziologische Einführung in „Arbeit und Beschäftigung“ vorgelegt.

Darin findet sich eine fundierte Analyse zweier Themenbereiche, die oft nur gesondert betrachtet werden, aber doch eng miteinander verwoben sind: „Arbeit“ und „Beschäftigung“. Steht ersteres vor allem im Zentrum der Arbeits- und Industriesoziologie, so ist zweiteres in der Arbeitsmarktforschung und der Ungleichheits- bzw Sozialstrukturforschung (S 9 f) beheimatet.

Das Buch ist eine Fundgrube an (Er-)Klärungen von Begriffen, an soziologischen Konzepten und Theorien, ebenso wie an aktuellen Daten und Zahlen, insb zu Österreich, Deutschland und der Schweiz. Die Lektüre soll LeserInnen Einblick in „die wichtigsten theoretischen Grundlagen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themenbereichen“ geben und sie darüber hinaus „für die vertiefende Lektüre aktueller wissenschaftlicher Publikationen [zu] wappnen“. Ausdrücklich soll es auch „in die internationale Forschung über Arbeit und Beschäftigung ein[zu]führen“, denn damit „wird der internationalen Ausrichtung des Fachs ebenso Rechnung getragen wie der Mobilität der Studierenden und jungen Wissenschafter/innen“ (S 10).

Als Einführungs- und Lehrbuch adressiert das Buch neben Studierenden auch „Praktiker/innen der Arbeitsmarktpolitik, der Arbeitsbeziehungen oder der Unternehmen“ (S 11), weshalb Inhalte „in einer leichter zugänglichen Form, als es bei üblichen Handbuchartikeln der Fall ist“ (S 11), verpackt sind.

In zehn Kapiteln (inklusive den Schlussfolgerungen) widmet sich Flecker verschiedenen Aspekten der beiden zentralen Themen. Wie die Überschriften der einzelnen Kapitel zeigen, ist inhaltlich der Bogen weit gespannt und umfasst: Begriff und Bedeutung der Arbeit; Arbeitsmarkt; Normalarbeit und Prekarität; Arbeitszeit; Arbeit und Geschlecht; Arbeitsorganisation; Betriebliche Herrschaft; Arbeit und Digitalisierung; Transnationalisierung und Arbeit.

Damit werden LeserInnen mit Aspekten der Arbeitsund Lebenswelt konfrontiert, die sie in der Regel tagtäglich berühren. Denn Erwerbsarbeit ist in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften eine zentrale Instanz zur Verteilung von Lebenschancen – nicht nur im Hinblick auf die Sicherung der materiellen Existenz, sondern auch im Hinblick auf soziale Teilhabe und Anerkennung.

Die hohe (individuelle) Bedeutung von Arbeit thematisiert Flecker ausführlich im Kapitel „Arbeitsmarkt“:174 Arbeit „bietet die Chance, tätig zu sein, sich zu ‚entäußern‘, eine Wirkung in der Welt zu erzielen, eigene Vorstellungen zu verwirklichen und den eigenen Selbstwert bestätigt zu bekommen. Arbeit ist in der Regel eine Form der Vergesellschaftung, weil mehrere oder viele Menschen zusammenwirken und durch Arbeit in Beziehung zueinander treten“ (S 29).

In kapitalistischen Gesellschaften wird (Erwerbs-) Arbeit „hoch bewertet und Müßiggang stigmatisiert“ (S 30). Dies nicht nur, weil nur sehr wenige zur Existenzsicherung nicht auf Arbeit angewiesen sind. Sondern auch, so Flecker in Anlehnung an die große Sozialforscherin Marie Jahoda, weil Arbeit den Arbeitenden „bestimmte Kategorien von Erfahrung auf[zwingt]“: Zeitstruktur, soziale Kontakte, das Mitwirken an gemeinsamen Zielen, Regelmäßigkeit und Anerkennung: „über die Erwerbsarbeit erfolgt Zuweisung von Status und Identität“ (S 30).

Dass Exklusion bzw nur lückenhafte Inklusion unter diesen Bedingungen weitreichende Folgen – auf individueller und gesellschaftlicher Ebene – hat, führt Flecker an vielen Stellen stringent vor Augen, so etwa:

– dass segmentierte Arbeitsmärkte mit teils gravierenden Unterschieden für die Beschäftigten im Hinblick auf Entlohnung, Form und Dauer der Beschäftigung, sozialer Absicherung, Arbeitsbedingungen, Qualifikationserfordernissen, Verwirklichungschancen etc verbunden sind (S 61 ff);

– dass nach dem Geschlecht segregierte Arbeitsmärkte (S 125 ff) Frauen im Vergleich zu Männern nicht nur (deutlich) schlechtere Erwerbs-, Entlohnungs- und Karrieremöglichkeiten bieten, sondern dass „Weiblichkeit und Männlichkeit selbst [...] sich zu einem Gutteil über die Arbeit“ definieren (S 125);

– dass Erwerbslosigkeit, die zwar „ökonomische Ursachen [hat], sozial konstruiert und daher durch und durch ein gesellschaftliches Phänomen [ist]“, aber „dennoch häufig als individuelles Problem wahrgenommen [wird]“ (S 66). Auch die Betroffenen selbst machen sich häufig selbst für Arbeitslosigkeit verantwortlich. Dies, so Flecker, „ist ein Musterbeispiel dafür, was Bourdieu (2005) als ‚symbolische Gewalt‘ bezeichnet hat, nämlich die Übernahme von Sichtweisen und Deutungen der Herrschenden durch die Beherrschten“ (S 67);

– dass die zunehmende Verbreitung von atypischen Beschäftigungsformen (S 82 ff) seit den 1980ern, wie etwa befristeter Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung und Leiharbeit, ungeachtet unterschiedlicher Niveaus je nach Beschäftigungsform und Land zwar „auf einen Bedeutungsverlust des Normalarbeitsverhältnisses hinweist“, absolute Zahlen aber belegen, dass noch nicht von „einer ‚Erosion‘ dieser Beschäftigungsform“ (S 85) gesprochen werden könne.

Obwohl das Buch so strukturiert ist, dass die einzelnen Kapitel aufeinander aufbauen (mit hilfreichen Querverweisen zwischen den Kapiteln), ermöglicht es auch den Einstieg in einzelne interessierende Themen, ohne Lektüre der vorangehenden Kapitel. Jedes einzelne Kapitel zeichnet sich zudem durch eine pointierte Zusammenfassung der diskutierten Inhalte aus.

In allen Kapiteln nimmt Flecker eine dezidiert historiographische Perspektive ein. Dies ist außerordentlich nützlich, denn damit kann mehreres offengelegt werden: zum einen, dass und wie gesellschaftliche Phänomene und Institutionen geworden sind.

So etwa – um ein Thema exemplarisch aufzugreifen – Fleckers historischer Abriss über den „Begriff der Arbeit“: Beginnend beim Marx‘schen und Weber‘schen Verständnis von Arbeit, bis hin zur Erweiterung des Arbeitsbegriffs durch die feministische Forschung, die die bis dato vernachlässigten Sachverhalte – dass die unbezahlte, primär von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit unabdingbare Voraussetzung für die (Produktions-)Arbeit ist, Stichwort: doppelte Vergesellschaftung von Frauen (Becker-Schmidt et al [1982]) – erst sichtbar machte. Damit kann verdeutlicht werden, wie eng Arbeits- und Lebenswelten verwoben und wie prägend Machtverhältnisse sind: Die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen am Arbeitsmarkt sind untrennbar damit verbunden (vgl ausführlich Kapitel 5, Arbeit und Geschlecht, S 125 ff).

Zum anderen zeigt die historiographische Perspektive auch, dass gesellschaftliche Bedingungen gestaltbar sind und der Gestaltung bedürfen. Und sie macht auch deutlich, dass so manche gesellschaftspolitische Forderung auch nach vielen Jahrzehnten nichts an Aktualität und Brisanz verloren hat: so etwa die Forderungen nach einer Verkürzung der Arbeitszeit, nach gleichem Lohn für gleich(wertig)e Arbeit, nach guten, humanen Arbeitsplätzen etc. Dass diese Themen nach wie vor gesellschaftlich umkämpft sind, zeigt ein Blick auf die aktuellen arbeits- und sozialpolitischen öffentlichen Debatten und Auseinandersetzungen.

Insgesamt hat Flecker ein sprachlich sehr gut lesbares und inhaltlich dichtes Buch vorgelegt, aufschluss- und lehrreich nicht nur für Studierende, sondern auch für „PraktikerInnen des Alltags“ ganz allgemein.