LuArbeitskämpfe in Chinas Autofabriken

Mandelbaum Verlag, Wien 2018, 436 Seiten, broschiert, € 20,–

MARTINRISAK (WIEN)

Seit den späten 1970er-Jahren hat sich die Volksrepublik China von einem geschlossenen, zentral geplanten zu einem stärker marktorientierten Wirtschaftssystem entwickelt, das nunmehr eine bedeutende globale Rolle spielt. Auf der Grundlage von Kaufkraftparitäten war China 2017 die weltgrößte Volkswirtschaft, die von 2013 bis 2017 ein reales Wachstum von etwas mehr als 7 % pro Jahr aufwies. Dies ist wesentlich auf die schrittweisen zentral gelenkten Reformen zurückzuführen, die in einer allmählichen Liberalisierung der Preise, der Dezentralisierung der öffentlichen Finanzen, mehr Autonomie für staatliche Unternehmen, dem Wachstum des Privatsektors sowie der Öffnung für Außenhandel und Investitionen resultierten. Weiterhin verfolgt China als Einparteienstaat aber auch eine politisch determinierte Industriepolitik, die staatliche Unterstützung für Schlüsselsektoren und ein restriktives Investitionsregime.

Besonders interessant in diesem wirtschaftlichen und politischen Umfeld sind die Arbeitsbeziehungen auf betrieblicher Ebene, die in China dadurch geprägt sind, dass alle Gewerkschaften dem einzigen offiziellen Gewerkschaftsverband ACFTU (All-China Federation of Trade Unions) angehören, welcher der Führung der Kommunistischen Partei untersteht. Diese Einheit von Staat und Gewerkschaften in sozialistischen Ländern war durch eine Doppelfunktion geprägt, die diese Gewerkschaften von jenen in pluralistischen, marktwirtschaftlich ausgerichteten Demokratien unterschieden: Gewerkschaften gaben hier die Anweisungen des Staates von oben an die ArbeiterInnen weiter und mobilisierten diese für die Produktion; andererseits leiteten sie die Forderungen der Arbeitenden nach oben weiter und versuchten deren Interessen und Wohlergehen zu wahren. Seit Beginn der Marktreformen in China wurden die Widersprüche dieser beiden Funktionen immer sichtbarer, insb, da sich der Staat vom sozialistischen Staatsvertrag und seinen Verpflichtungen zur Wahrung der ArbeiterInneninteressen doch wesentlich losgesagt hatte. Konflikte zwischen ArbeiterInnen und ManagerInnen nahmen somit weiter zu und verstärkten sich weiter als es zur zunehmenden Zweiteilung der Belegschaften durch den Einsatz von Leit-AN und PraktikantInnen kam. Gewerkschaften wurden hier in weiten Bereichen nicht als in der Lage angesehen, die Interessen der AN ausreichend zu vertreten, sondern eher als systemstabilisierend wahrgenommen (vgl S 198 ff). In die-177sem Vertretungsvakuum entwickelten sich nun, abseits der offiziellen Gewerkschaften, alternative Formen des Widerstandes zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die in zahlreichen, aber örtlich begrenzten und unpolitischen ArbeiterInnenprotesten mündeten.

Im vorliegenden Buch untersucht Zhang Lu, nunmehr Professorin für Soziologie und Internationale Beziehungen an der Temple University in den USA, die Arbeitsbedingungen und kollektives Agieren in der Automobilindustrie Chinas. Sie baut dabei auf insgesamt zwanzig Monaten Feldarbeit im Zeitraum von 2004 bis 2011 in sieben großen Montagewerken in sechs chinesischen Städten auf (S 380). Dadurch bietet sich einerseits ein detail- und kenntnisreicher Einblick in die dortigen Arbeitsrealitäten, andererseits werden diese empirischen Befunde aber auch mit einer Analyse der chinesischen Industriepolitik und der globalen Entwicklung der Automobilindustrie verknüpft. Die Autorin kommt dabei zu dem Schluss, dass die massiven ausländischen Investitionen in die chinesische Kfz-Industrie sowie ihre Ausweitung und Konzentration in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine neue Generation von AutomobilarbeiterInnen hervorbrachte, die über zunehmende Produktionsmacht verfügt und die häufiger ihren Unmut äußert. Die Verbindung mit dem schlanken und hoch integrierten Produktionssystem „ohne Puffer“ erhöht dabei die Anfälligkeit des Kapitals für Störungen im Produktionsablauf und somit auch die Verhandlungsmacht der in der chinesischen Kfz-Industrie Arbeitenden. Auf der anderen Seite stehen auch die großen HerstellerInnen unter Druck und müssen sich wegen des verschärften Wettbewerbs um eine Erhöhung der Profitabilität bemühen, wobei sie auf ein „schlankeres und gemeineres“ Fabriksregime und durchgreifende Sparmaßnahmen setzen. Das löst wiederum eine Gegenbewegung der in den Fabriken Arbeitenden aus und führt zu Arbeitskonflikten (S 357).

Der Staat ist dabei ein wesentlicher Akteur und muss eine schwierige Balance zwischen der Steigerung der Profitabilität (und damit des Wirtschaftswachstums) und der Legitimität des Politik- und Wirtschaftssystems bewerkstelligen. Dabei spielt die Zweiteilung der Belegschaften in direkt Beschäftigte und LeiharbeiterInnen eine ebenso wesentliche Rolle wie auch der Einsatz von Zulieferfirmen. Es ist daher kein Zufall, dass die meisten Arbeitskämpfe von ArbeiterInnen der Zulieferunternehmen und LeiharbeiterInnen in den Montagewerken ausgingen und gerade wegen des hochintegrierten just-in-time Produktionssystems auch zT massive Auswirkungen bis hin zum Stillstand ganzer Produktionsketten bringen konnten (S 359). Der Staat musste deshalb auf die weitverbreiteten, wenn auch lokal begrenzten ArbeiterInnenproteste antworten, ist doch der Erhalt von Stabilität ebenso wie von Legitimität von entscheidender Bedeutung. Dies wurde dann insb auch mit dem Arbeitsvertragsgesetz aus 2007 unternommen, das eine klare Regulierung der Leiharbeit enthält und auf offensichtliche Missstände reagiert (S 338 ff). Zhang Lu betont in diesem Zusammenhang auch, dass es streikenden AN vor allem gelang, die Legitimität als Druckmittel einzusetzen, um Zugeständnisse ihrer AG durchzusetzen. ArbeiterInnenunruhe an der Basis und Druck von unten sind dieser Untersuchung zufolge die eigentlichen Kräfte, die in China bedeutsame Veränderungen in den Betrieben und Reformen von oben vorantreiben. Daher sollte die Wirkung verbreiteter, örtlich begrenzter und unpolitischer ArbeiterInnenproteste nicht unterschätzt werden.