Die Änderung der Entsende-Richtlinie
Die Änderung der Entsende-Richtlinie
Einleitung
Unterschiedliches In-Kraft-Treten
Neue Erwägungsgründe
Erweiterung der Präambel der Entsende-RL
Verhältnis zum Kollisionsrecht der Rom I-VO
Schutz der entsandten AN
Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften
Nationale Arbeitsbedingungen
Die normativen Änderungen
Artikel 1
Artikel 3
Artikel 4 und 5
Anwendbarkeit
Anpassungsbedarf des LSD-BG
Bewertung der Revidierung der Entsende-RL
Zusammenfassung
In Zusammenhang mit Entsendungen treten durchaus vielschichtige und unterschiedliche Problemlagen auf. Sei es, dass sich der Vollzug und die Beachtung der unionsrechtlichen und nationalen Regelungen in manchen Mitgliedstaaten nicht auf dem Standard befinden, welchen man sich bei funktionierenden Rechtsordnungen wünscht, und so ein unfairer Wettbewerb zwischen ortsansässigen und entsendenden Unternehmen stattfindet, sei es, dass durch Arbeitskostenunterschiede* innerhalb der Union auf legaler Basis am Ort der Entsendung Lohn- und Sozialdumping durch Entsendungen betrieben wird. Bereits im Vorfeld der ursprünglichen Entsenderichtlinie* (Entsende-RL) verliefen die Interessenkonflikte (in den alten Mitgliedstaaten) an der Bruchlinie der Hochlohnstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland etc) und den Niedriglohnstaaten (Portugal, Irland, Italien etc).* Gerade die Einhaltung des Mindestschutzes der Entsende-RL erwies sich in den folgenden Jahren als Problem. Um zumindest die Einhaltung des gesicherten Niveaus sowie das Niveau der Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Behörden zu verbessern, wurde 2014 die Durchsetzungs-RL beschlossen.* Weiters verordnete sich die EU in den Arbeitsprogrammen 2015/16 ein Mobilitätspaket, um die Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern, Freizügigkeitshürden zu reduzieren und den Schutz der mobilen Arbeitskräfte zu gewährleisten.* Als dringlich sind notwendige Änderungen der Entsende-RL deshalb einzustufen, da aus Sicht des Empfangsstaates (Österreich steht hier an vierter Stelle hinter Deutschland, Frankreich und Belgien mit 120.000 Entsendungen im Jahr 2016)* Entsendungen mittlerweile ein beachtenswertes Ausmaß erreicht haben und bei Stattfinden eines unfairen Wettbewerbs, Unternehmen vor Ort sowie deren Arbeitsplätze und in der Folge die Lohn- und Sozialniveaus stark unter Druck geraten.110
Die Änderungen der Entsende-RL* treten mit 30.7.2018 für alle Bereiche außer dem Straßenverkehrssektor in Kraft. Für diesen ist weiterhin die bisherige Entsende-RL vom 16.12.1996 maßgeblich. Dies wird in Erwägungsgrund (ErwGr) 15 damit begründet, dass durch die hohe (internationale) Mobilität im Straßenverkehrssektor besondere rechtliche Fragen und Schwierigkeiten auftreten, die auch unter dem Gesichtspunkt der verstärkten Bekämpfung von Betrug und Missbrauch gesondert werden müssen. Das In-Kraft-Treten für den Straßenverkehrssektor wird daher von der Änderung der RL 2006/22/EG, der Erlassung spezifischer Regelungen der Entsende-RL sowie der RL 2014/67/EU bezüglich Entsendung von KraftfahrerInnen im Straßenverkehrssektor abhängig gemacht (Art 3 Abs 3). Dass gerade einer der am stärksten betroffenen Bereiche von der Novellierung ausgenommen wurde, ist eine Niederlage bezüglich AN-Schutz und dem Anliegen des Schutzes nationaler Lohn- und Sozialsysteme.
Positiver Effekt dieser Ausnahme von der Anwendung gegenständlicher Änderungen ist aber, dass der Unionsgesetzgeber damit ausdrücklich festhält, dass die bisherigen Bestimmungen der Entsende-RL auf den Straßenverkehrssektor anzuwenden sind.*
Festzuhalten ist daher, dass die Änderungen der Entsende-RL jedenfalls für die Arbeitsverhältnisse im Schienenverkehr gelten.
Nicht unwesentlich sind neben dem Normtext einer Richtlinie auch die vorangestellten Erwägungsgründe, die Motivation, Zweck und Ziel der gegenständlichen Rechtssetzung erörtern und so für eine Normenauslegung notwendig sind, da im Rahmen der Interpretation von EU-Recht die Gewichtung nicht so stark auf der Wortinterpretation liegt wie im österreichischen Recht.* So enthielt bereits die ursprüngliche Entsende-RL 25 Erwägungsgründe. Die Änderung der Entsende-RL ist mit 30 Erwägungsgründen versehen. Fraglich ist nun, ob die neuen Erwägungsgründe die alten Gründe zur Gänze ersetzen oder diese nebeneinander stehen bleiben. Da die Entsende-RL vollständig überarbeitet wurde, kann sich mE diese Frage nur dort stellen, wo Inhalte (nicht nur Faktenfeststellungen) durch die neuen Erwägungsgründe nicht abgedeckt sind und in der revidierten Rechtslage noch wesentliche Bedeutung besitzen.
So ergibt sich aus ErwGr 4 der Änderungs-RL, dass die Erwägungsgründe 1* und 5* jedenfalls weiterhin beachtlich sind, aber zu prüfen ist, ob die vorhandene Gewichtung das richtige (aus meiner Sicht: vielmehr das gewollte) Gleichgewicht darstellt. So ergänzt und konkretisiert ErwGr 16 (neu) den gewollten Wettbewerb mittlerweile näher und erteilt durch das Abstellen auf Qualität und Innovation sowie Effizienz, Produktivität und Bildungs- und Qualifikationsniveau einem Wettbewerb, der lediglich über Lohn-, Sozial und/oder Steuerdumping geführt wird, eine deutliche Absage. Dieser Grundsatz muss aber in Zusammenhang damit gesehen werden, dass das Schutzniveau, welches die Entsende-RL bietet, im nationalen Recht ohne Ermächtigung nicht überschritten werden darf,* da die Entsende-RL immer noch eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt.
Die neuen Erwägungsgründe 1 bis 3 ergänzen quasi als Präambel, dass die AN-Freizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit als Grundprinzipien weiterentwickelt werden sollen, dies aber unter Beachtung von gleichen Bedingungen für alle Unternehmen und die Achtung der AN-Rechte erfolgen soll. Ebenfalls festgehalten wird, dass jegliche Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit unter Einschluss des Entsenderechts der Unternehmen verboten sind. Überdies wird betont, dass die Union soziale Gerechtigkeit, sozialen Schutz und ein hohes Beschäftigungsniveau fördert, soziale Ausgrenzung bekämpft und einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie des Gesundheitsschutzes Rechnung trägt. Vorschlägen im Schrifttum, wie jenem von Rebhahn, die Entsende-RL auch auf Art 45 AEUV, die AN-Freizügigkeit, zu stützen und so dieses Schutzregime ebenfalls nützen zu können, wurde aber nicht gefolgt.*
Aus Sicht des Autors ist an dieser sich gewaltigen Herausforderungen stellenden ergänzten Präambel jedenfalls zu kritisieren, dass die jeweiligen Ziele überwiegend monolithisch nebeneinandergestellt wurden, ohne dass bereits in der Präambel die Vornahme einer Gewichtung zwischen diesen ambivalenten Zielen überhaupt versucht wird. Da bisher lediglich die Entsende-RL einer Revidierung unterzogen wurde, ohne eine Angleichung an die Kollisionsnormen im Rahmen der sozialen Sicherheit der VO 883/2004 vorzunehmen, ist zumindest bei Entsendungen gem Art 12 VO 883/2004 24 Monate lang das Sozialversicherungsrecht des Entsendestaates anzuwenden. In diesem Zeitraum ist bei unterschiedlichen Sozialversicherungsabgaben jedenfalls nicht von gleichen Bedingungen von ortsansässigen und dorthin entsendenden Unternehmen die Rede. Ob das Nebeneinanderstellen genannter Ziele dazu auf eine Gleichwertigkeit111 aller Ziele und somit auf eine Zurücknahme der Dominanz der Dienstleistungsfreiheit hindeutet, ist fraglich. Dass eine Änderung der Abwägung beabsichtigt ist, kann durch die Formulierung weiterer Erwägungsgründe (neu) durchaus angenommen werden, dies ist positiv.
Erwägungsgründe 7 ff (alt) beschäftigen sich mit dem Verhältnis der Entsende-RL zum damals gültigen Kollisionsrecht des EVÜ, insb mit den Grundsätzen des anwendbaren Rechts sowie der Rechtswahl.
Die Erwägungsgründe 8 ff (neu) präzisieren nunmehr Ansprüche, die entsandte AN im Empfangsstaat haben und betonen den vorübergehenden Charakter der Entsendung, welcher mittels einer Einteilung in eine kurzfristige und langfristige Entsendung konkretisiert wird. Auch wird bereits in ErwGr 11 (neu) die Rechtsfolge dargestellt, die bei Überschreiten der Zeiträume eintreten, nämlich die Erweiterung des harten Kerns der Ansprüche der entsandten AN. An den kollisionsrechtlichen Grundsätzen der Rom I-VO wird aber auch im Normtext nichts verändert, im Ergebnis führt die neue Rechtslage zu einer erweiterten Günstigkeitsprüfung nach 18 Monaten.
Sind in den ursprünglichen Erwägungsgründen zum Schutz der entsandten AN ein „harter Kern“ von Arbeitsbedingungen festgelegt, der aufgrund der EuGH-Rsp aufgrund des Beschränkungsverbotes der Dienstleistungsfreiheit nicht erweitert werden konnte sowie auch verbindliche Ausnahmen vom Vor-Ort-Prinzip festgelegt, präzisieren und bauen die neuen Erwägungsgründe den Schutz der entsandten AN aus.
So wird ausdrücklich festgelegt, dass ein besserer AN-Schutz für eine faire Grundlage des freien Dienstleistungsverkehrs notwendig ist, aber die Einschränkung vorgenommen, dass der verbesserte AN-Schutz nur innerhalb der Grenzen einer Missbrauchsbekämpfung stattzufinden hat. Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind wie bisher nur in den Fällen des Allgemeininteresses zulässig, solange diese verhältnismäßig und erforderlich (und zweckmäßig) sind.
Innerhalb dieser Grenzen halten die Erwägungsgründe aber fest, dass nationale Vorschriften für Unterkünfte bzw Kostenerstattungen bei Arbeiten außerhalb des bei Entsendung üblichen Arbeitsortes (ErwGr 8) anzuwenden sind, außerdem wird die Behandlung von Entsendungszulagen im Zusammenhang mit nationalen Mindestlohnvorschriften erläutert. Ebenfalls werden nun Leiharbeitsverhältnisse im Rahmen der Entsendung gesondert erwähnt, insb wenn im Rahmen der grenzüberschreitenden Überlassung der Beschäftiger weitere grenzüberschreitende Einsätze mit diesen Leih-AN vornimmt.
Im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwägungsgründen (Thematisierung lediglich in ErwGr 23 und 24 in allgemeiner Form) nimmt die Missbrauchskontrolle und Betrugsbekämpfung (mit gesonderter Erwähnung von Unteraufträgen, ErwGr [neu] 25) breiten Raum ein. Insb wird der Finger auf die Wunde der (teilweise mangelhaften) Koordination der zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten sowie die Zusammenarbeit auf Unionsebene bei der Bekämpfung von Betrug in Zusammenhang mit der Entsendung von AN gelegt (ErwGr [neu] 26 ff). Weiters wird festgehalten, dass ausreichend Mittel durch die Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden müssen, um effektiv (zusammen)arbeiten zu können. Dieser Erwägungsgrund betrifft aber nur die Regelung der Entsende-RL. Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit dem Missbrauch (sowohl bei Erstellung als auch willkürlicher Nicht-Zurückziehung von A1-Formularen gem Art 19 Abs 2 Durchführungs-VO 987/2009 durch nationale AusstellerInnen) von Entsendebestätigungen im Rahmen der Bestätigung der Versicherung im Entsendestaat ergeben, werden durch diesen Erwägungsgrund aber nicht berührt. Da eine generelle Bindung an A1-Formulare besteht, an welchen der EuGH unverbrüchlich festhält,* kann sich für kontrollierende Behörden durchaus ein Rechtschutzdefizit ergeben, das auch durch die auf die Entsende-RL beschränkten Änderungen nicht behoben werden konnte.
Die neuen Erwägungsgründe (17) halten ausdrücklich fest, dass es in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bzw deren Sozialpartner fällt, Entlohnungsvorschriften gemäß nationaler Gepflogenheiten bzw Rechtsvorschriften festzulegen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die nationalen Systeme für die Festlegung der Entgelte und die Freiheit der beteiligten Partner nicht untergraben werden.
Hier manifestiert sich besonders stark (aus zumindest österreichischer Sicht) der Paradigmenwechsel durch die Änderung der Entsende-RL. In der ursprünglichen RL war nur festgehalten, dass ua von den Sozialpartnern abgeschlossene Tarifverträge auch auf entsandte AN angewendet werden können (ErwGr [alt] 12).
Aus dieser neuen Erwägung kann indirekt darauf geschlossen werden, dass es die Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen kann, nationale Entgeltsysteme zu zerstören und somit Regelungen, die solchen Auswirkungen entgegenwirken sollen jedenfalls im Allgemeininteresse liegen und solange diese erforderlich, verhältnismäßig und zweckmäßig sind, als unionsrechtskonform anzusehen sind.112
Soweit im Normtext lediglich Umformulierungen ohne Inhaltsveränderungen vorgenommen wurden bzw Umstellungen in den Absätzen ohne rechtliche Auswirkungen vorgenommen wurden, wird im Folgenden nicht auf diese Änderungen eingegangen.
Art 1 der Entsende-RL wird dahingehend ergänzt, dass neben der ursprünglichen Normierung des Geltungsbereichs für Unternehmen, die im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit länderübergreifend AN entsenden, die Sicherstellung des Schutzes der entsandten AN während der Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit und die Schaffung von zwingenden Mindestniveaus Ziel der RL ist (Art 1 Abs 1 [neu]). Der Aufnahme eines direkten Schutzes eines vor Ort-Niveaus wurde damit eine Absage erteilt, dieser findet nur auf dem Umweg des Schutzes der entsandten Arbeitskraft statt. Wie problematisch es ist, die Rechtsdurchsetzung vom Engagement einzelner AN abhängig zu machen, die im Regelfall trotz eines Lohn- und Sozialdumpings vor Ort im Heimatland durchaus über Mindestniveau verdienen, zeigt die Praxis, in der arbeitsgerichtliche Prozesse auf Nachzahlung der Differenz auf die Mindestentlohnung von entsandten AN kaum geführt werden.*
Ebenfalls in Art 1 wird aufgrund der Erfahrungen aus der Rsp des EuGH zu Viking* und Laval* ausdrücklich festgehalten,* dass die in den Mitgliedstaaten und der Union anerkannten Grundrechte nicht eingeschränkt werden sollen; dies unter ausdrücklicher Nennung des Rechts auf Streik bzw anderer Maßnahmen gemäß nationaler Vorschriften und Gepflogenheiten. Dies schließt nunmehr ausdrücklich auch das Recht ein, Tarifverträge auszuhandeln sowie diese durchzusetzen und auch im Rahmen der Tarifverhandlungen und Durchsetzung kollektive Maßnahmen zu ergreifen. Insofern versucht der Unionsgesetzgeber, die erwähnten Tendenzen der Rsp in Zukunft zurückzudrängen, indem er die Gewichtung vom hauptsächlichen Fokus auf die Dienstleistungsfreiheit hin zum individuellen Schutz entsandter AN sowie auf den Schutz und die Durchsetzung der nationalen kollektiven Verhandlungs- und Tarifsysteme verlagert. Der Gerichtshof wird daher in Zukunft bei der Bewertung, ob nationale Rechtsvorschriften bezüglich Entsendungen iSd Entsende-RL mit Unionsrecht übereinstimmen müssen, gebührend auf diese zusätzlichen Schutzbereiche Rücksicht nehmen müssen.
Die Definition der Arbeitskräfteüberlassung wird insofern geändert, dass diese allgemeiner gefasst wird und nun zusätzlich auf die tatsächliche Überlassung abstellt. Weiters wird die bisherige Norm um den Fall ergänzt, dass das Beschäftigerunternehmen seinerseits die Leih-AN grenzüberschreitend iSd Entsende-RL (also im Rahmen einer Dienstleistungs-, Konzernentsendung oder Arbeitskräfteüberlassung) einsetzt. Es liegt also auch in diesem Fall eine Entsendung iSd RL vor. Als entsendendes Unternehmen gilt aber weiterhin der ursprüngliche Überlasser, der aber vom ersten Beschäftiger rechtzeitig informiert werden muss. An dieser Maßnahme ist jedenfalls positiv zu bemerken, dass die ohnehin in einer Arbeitskräfteüberlassung bestehende Aufteilung der AG-Pflichten zwischen ÜberlasserIn und BeschäftigerIn nicht noch ausgeweitet wird, sondern, dass diese, was internationale Entsendungen betrifft, beim Überlasser zentriert bleiben.
Die Aufzählung des harten Kerns von Ansprüchen des entsandten AN auf (günstigeren) Vor-Ort-Ansprüchen wird um den Punkt der Zulagen bzw Kostenerstattung zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegskosten für AN, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen, ergänzt.
Eine Präzisierung erfolgt dergestalt, dass dies nur für jene Dienstreisen gilt, die vom typischen Arbeitsort im Empfangsstaat der Entsendung erfolgen.
Präzisiert wird nun ebenfalls iSd Judikatur des EuGH,* dass Entlohnung alle jene Entgeltbestandteile umfasst, die in zwingend verbindlichen nationalen Vorschriften festgelegt sind. Weiters wird nun festgelegt, wie mit Entsendungszulagen und deren Anrechnung auf das zwingende Mindestentgelt umzugehen ist: Diese sind dann auf das Mindestentgelt anrechenbar, wenn sie keinen Aufwandsersatz darstellen (Abs 7 neu). Für die Einordnung maßgeblich sind die für das jeweilige Arbeitsverhältnis geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.
Gerade was die Entgeltbestandteile betrifft, geht die Richtlinie nicht über das vom EuGH zugestandene Niveau hinaus.* Sie hebt aber das Niveau der Reisekostenaufwandsersätze von vor Ort-Reisen auf das vor Ort-Niveau an. Was durchaus, wenn keine kollektivvertraglichen Regelungen bestehen, zu einer Anwendung von § 1014 analog ABGB als Eingriffsnorm iSd Entsende-RL führen muss, da § 1014 ABGB aufgrund Art 8 Abs 2 Rom I-VO bei einer Entsendung nicht unmittelbar zur Anwendung kommt.
Ebenso wird das Erfordernis der Transparenz der nationalen Vorschriften verstärkt, so dass die Mitgliedstaaten auf einer offiziellen Website die aktuellen und korrekten Informationen zur Verfügung stellen müssen. Entspricht die Website nicht den Anforderungen einer aktuellen bzw richtigen Information, ist dieser Umstand bei einer Sanktionsbemessung, wenn gegen die zwingenden Mindest-113 vorschriften verstoßen wurde, zu berücksichtigen (Abs 1 Unterabs 4 bis 6).
Im neu eingefügten Abs 1a wird zwischen einer kurzfristigen Entsendungsdauer (bis 12 Monate, im Verlängerungsfall bis 18 Monate) und langfristigen Entsendungen unterschieden. ME wird in diesem Punkt zusätzlich zum Normtext, der eine Zusammenrechnung von Zeiten einander abwechselnder AN vorsieht, die Judikatur des EuGH zu beachten sein, dass auch Entsendungen von anderen Unternehmen auf den selben Arbeitsplatz für die Berechnung der Laufzeit der Entsendung zu berücksichtigen sein werden, auch wenn diese Entscheidung zu der Rechtslage der VO 883/2004 ergangen ist,* da der Telos der Norm „fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen, Schutz der betroffenen AN sowie der sozialen Systeme der Mitgliedstaaten“ gleichgelagert ist. In diesem Zusammenhang ist auch der Normtext allgemein formuliert, der nicht vom entsendenden Unternehmen, sondern von einem Unternehmen spricht (Unterabs 4). Überdies ist die Beurteilung der gleichen Tätigkeit am gleichen Ort hinsichtlich der Eigenart der durchzuführenden Arbeit, also nach österreichischer Diktion, nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen.
Fraglich ist, ob aus der Formulierung des Unterabs 3, der nur auf den Dienstleistungserbringer Bezug nimmt (auch die englische Fassung stellt auf den service-provider ab, die französische Sprachfassung spricht von lorsque le prestataire de services), darauf schließen lässt, dass Konzernentsendungen bzw Arbeitskräfteüberlassungen von der Verlängerungsmöglichkeit der Entsendung ausgenommen sind, mE sprechen die vergleichbaren verschiedensprachigen Normtexte für diese Auslegungsvariante.
Der zukünftigen Herausbildung einer Linie in der Rsp wird überlassen, wie stark die Gründe sein müssen, die zu einer Verlängerung einer kurzfristigen Entsendung auf 18 Monate führen. Hier lassen sich aus dem Normtext keine Hinweise auf eine erhöhte Anforderung an die vorgebrachten Gründe entnehmen. Es wird daher ein verzögerter Abschluss eines Projektes, egal aus welchem Grund bzw unabhängig davon, wer die Verzögerung zu vertreten hat, ausreichen.
Hier ist kritisch anzumerken, dass die Kollisionsnormen der VO 883/2004 einen Rechtswechsel im System der sozialen Sicherheit erst nach Ablauf von 24 Monaten vorsehen. Gerade durch das große Lohnkostengefälle zwischen typischen Entsendeländern und Empfangsstaaten ist an dem problematischen Aspekt, dass in diesem Zwei-Jahres-Zeitraum typischerweise ein wirtschaftlicher Vorteil für entsendende Unternehmen besteht, nichts geändert worden. Eine Abmilderung dieses Effekts wurde nur bei langfristigen Entsendung iSd Entsende-RL vorgenommen.
Liegt eine langfristige Entsendung vor, sind sämtliche zwingende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auf das Arbeitsverhältnis der entsandten AN anzuwenden, die in (relativ) zwingenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder Tarifverträgen etc festgelegt sind.
Davon ausgenommen sind – die Entsende-RL ändert nichts am Kollisionsnormensystem der Rom I-VO – Systeme der zusätzlichen betrieblichen Altersversorgung sowie Verfahren, Formalitäten und Bedingungen für den Abschluss und die Beendigung des Arbeitsvertrages einschließlich der Wettbewerbsverbote.
Im Ergebnis führt dies (bis auf die Ausnahmen) zum Erfordernis eines Günstigkeitsvergleichs, wie anhand einer von den Arbeitsvertragsparteien getätigten Rechtswahl, da Art 8 Abs 1 Rom I-VO, dass AN nicht dem Schutz des grundsätzlichen Vertragsstatuts entzogen werden dürfen.* An diesem kollisionsrechtlichen Grundsatz wurde durch die Entsende-RL, die ja vielmehr auch den Schutz der entsandten AN bezweckt, nichts geändert.* Dieser Günstigkeitsvergleich wird für die entsendenden Unternehmen und auch für die kontrollierenden Behörden durchaus eine Herausforderung darstellen, da ausgehend vom Normenkanon vor Ort ein Gruppenvergleich mit der nationalen Rechtsordnung des Entsendestaates vorgenommen werden muss.* Dabei ist dann noch nicht berücksichtigt, wenn der Arbeitsvertrag des entsandten AN eine Rechtswahl enthält.
Für Leih-AN wird das in der Leiharbeits-RL* normierte Niveau des Art 5 auch auf grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung übertragen sowie eine Unterrichtspflicht über die Arbeits- und Beschäftigungsmodalitäten für das entleihende Unternehmen begründet.
Darüber hinaus besteht für die Mitgliedstaaten die Option, weitere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für entsandte Leih-AN zu garantieren (Abs 9).
Die Zusammenarbeitsverpflichtung der Behörden der Mitgliedstaaten bei grenzüberschreitenden Entsendungsfällen wird nun ausdrücklich auch hinsichtlich der Überwachung der Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit dem Ziel aufgenommen, unzulässige Tätigkeiten, wie nicht angemeldete Erwerbstätigkeiten und Scheinselbständigkeit sowie offenkundige Verstöße gegen Rechtsvorschriften, wirksam bekämpfen zu können. Mittlerweile wurde auch die Verpflichtung in den Normtext aufgenommen, bei anhaltenden Verstößen von Mitgliedstaaten gegen die Zusammenarbeitsverpflichtungen der Behörden die Kommission selbst einzuschalten. Damit ist zu hoffen, dass auch der politische Druck auf jene Staaten, für die die Entsendung einen starken Wirtschaftsfaktor darstellt, und die durch eine mangelnde Zusammenarbeitsbereitschaft der nationalen Behörden bei der Durchsetzung der Entsenderegelungen protektiv wirken, verstärkt wird.
Überdies wird auch die Verpflichtung eines wirksamen Rechtsschutzsystems für Verstöße bei grenz-114überschreitenden Entsendungen im Richtlinientext verankert. Dadurch wurde eine inhaltlich-thematische Angleichung an die Durchsetzungs-RL* vorgenommen und der Fokus somit deutlich auch auf die Effektivität der Normen für den Schutz des fairen Wettbewerbs und der entsandten AN gelegt. Da der Bausektor ein „Problemkind“ bei grenzüberschreitenden Entsendungen darstellt, wurde die Anführung der Bautätigkeiten im Anhang der Entsende-RL nun nicht mehr taxativ, sondern demonstrativ gefasst, um auch in diesem Bereich wirksamen Wettbewerbs- und AN-Schutz den wandelnden Gegebenheiten anpassen zu können.
Wie bereits unter Pkt 1. behandelt, gilt die revidierte Entsende-RL nicht für Unternehmen des Straßenverkehrssektors.
Hinsichtlich der Unterscheidung kurzfristige/langfristige Entsendung ist das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) jedenfalls den Bestimmungen von § 3 Abs 2f LSD-BG und § 29 LSD-BG anzupassen. Die revidierte Entsende-RL hat mE jedenfalls Regierungsplänen, die Strafbarkeit von Unterentlohnung – ausgenommen solche im Bausektor – wieder auf das Grundgehalt zu reduzieren, den rechtlichen Boden entzogen. Inwieweit dies aber – siehe Indexierung von Familienleistungen – die handelnden Personen an solchen Novellen hindert, ist aber fraglich. Jedenfalls sind die Regeln im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung hinsichtlich Informationsverpflichtungen des beschäftigenden Unternehmens zu ergänzen.
Weiters müsste mE im 1. Abschnitt des 3. Hauptstücks eine Meldeverpflichtung der zuständigen Behörde bei mangelnder Zusammenarbeit mit Behörden anderer Mitgliedstaaten an die Kommission vorgesehen werden, um dieses nunmehr in der RL vorgesehene Rückmeldesystem effektiv zu gestalten.
Überdies müssen die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich der Entscheidung über die Verhängung von Sicherheitsleistungen des EuGH in das LSD-BG eingearbeitet werden.*
Grundsätzlich kann positiv vermerkt werden, dass die Probleme, die in machen Bereichen grenzüberschreitende Entsendungen verursachen, mittlerweile wahrgenommen wurden. Aus österreichischer Sicht ist natürlich offenzulegen, dass die Sichtweise der Normenlage als Empfangsstaat geprägt ist, in dem zusätzlich eine gut entwickelte Sozialpartnerschaft besteht, die auf einen hohen Abdeckungsgrad durch verbindliche Kollektivverträge blicken kann. Damit ein solches System weiterhin auch bei einem durchlässigen Binnenmarkt bestehen kann, ist natürlich unabdingbar, dass sich im Rahmen eines fairen und gleichen Wettbewerbs alle Unternehmen und AN an die festgelegten Mindeststandards halten und der Wettbewerb nicht über Lohn- und Sozialdumping stattfindet. Solange aber nicht die Kollisionsbestimmungen der VO 883/2004 angepasst werden, ist bei den vorhandenen Lohnkostenunterschieden zwischen den alten und neuen Mitgliedstaaten ein fairer Wettbewerb innerhalb von 24 Monaten auf die jeweilige Entsendung gesehen nicht möglich; eine Vereinheitlichung, wie geplant,* konnte nicht umgesetzt werden. Die unterschiedlichen Besteuerungssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten sind in diese Betrachtung noch gar nicht miteinbezogen.
Eine wichtige, dritte Interessenlage, die sich so ausdrücklich auch in den Änderungen der Entsende-RL nicht findet, ist der Schutz des vor Ort-Systems der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und somit der fairen Wettbewerbsteilnahme aller vor Ort. Diesen Schritt konnte oder wollte die Union so explizit nicht gehen.
Es finden sich zwar mittlerweile im Richtlinientext auch der Telos des Schutzes des fairen Wettbewerbs und, dass die nationalen Systeme der Entgeltfestlegung nicht untergraben werden dürfen. Auch wird mittlerweile, um den fairen Wettbewerb zu stärken, in kurzfristige und langfristige Entsendungen mit unterschiedlichen Mindestniveaus unterschieden;* weitergehende Zugeständnisse erfolgen aber nicht. Vielmehr wird auf indirekte Effekte durch die Verstärkung des Schutzes und Erhöhung der Ansprüche insb bei langfristigen Entsendungen der entsandten AN gesetzt. Aus österreichischer Sicht wird diese Maßnahme jedenfalls nicht entscheidend im Kampf für einen fairen Wettbewerb sein, da die durchschnittliche Entsendedauer 2016 unter drei Monaten betrug* und nicht von einer signifikanten Änderung in der Zukunft auszugehen sein wird. Das System der Entsende-RL als Einschränkung von einer allumfassenden Dienstleistungsfreiheit wird beibehalten, aber ausgebaut. Dass dies einigen bereits zu weit geht, zeigt sich in der Beurteilung von Franzen, der von einer erheblichen Erschwerung der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen spricht, und die ansteigende Regelungsdichte, die im Zielstaat zu beachten ist, anführt.*Franzen kritisiert, dass die Neuregelung bei langfristigen Entsendungen zu einer die Dienstleistungsfreiheit beschränkenden Doppelregelung führen würde, da die Schutzzwecke der Heimatrechtsordnung dadurch nicht beachtet würden.* ME ist das Argument aber insofern verfehlt, da die Entsende-RL die Regelungstechnik des Kollisionsrechts bei Rechtswahl anwendet und somit keine systemfremden Elemente verwendet. Franzen ist aber zuzu-115stimmen, dass die Regelung insgesamt zu einem schwer durchschaubaren Regelungsgeflecht aus Heimatstaatsnormen und Normen des Entsendestaates führt. Es ist aber nicht einzusehen, warum Unternehmen, die die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen, besser gestellt sein sollen als Unternehmen, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit zukünftigen AN Rechtswahlklauseln vereinbaren.
Positiv zu werten ist, dass neben der Dienstleistungsfreiheit nunmehr die Achtung der AN-Rechte, der Schutz bzw die Förderung der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Schutzes als Ziel der Richtlinie gestellt wird. Dies wird in Zukunft vom EuGH in seinen Entscheidungen zu beachten sein. Es besteht mE auch die Hoffnung einer „Vorwirkung“ auf bereits anhängige Rechtssachen, insb der Gedanke der Erwägungsgründe, da sich das grundsätzliche System der Entsende-RL nicht geändert hat.
Ebenfalls zu begrüßen ist der Schwerpunkt, der im Richtlinientext auf Zusammenarbeit der Behörden, ausreichende Kontrolle und ein abschreckendes funktionierendes Straf- und Durchsetzungssystem gelegt wird. Da vielfach AN der entsendenden Staaten trotz Lohndumpings vor Ort mehr verdienen als in ihrem Heimatland, also aus AN-Sicht sowie aus Sicht der nationalen Behörden des Entsendestaates national kein Lohndumping vorliegt,* ist ein abschreckendes Straf- und Kontrollsystem vor Ort unabdingbar für die Erhaltung eines fairen Wettbewerbs. Gerade in Hinblick auf die aktuelle E bezüglich der Unionskonformität der Erlegung einer Sicherheitsleistung bei Verstößen gegen das LSD-BG in der Rs Čepelnik* sieht man die Herausforderungen, so ein System zu gestalten. Es muss aber allen in diesem Rechtsgebiet tätigen Personen klar sein, dass – für Österreich gesehen – bei 900.522 entsandten AN (inkl Transportbereich)*allein 2017 flächendeckende Kontrollen nicht möglich sind. Die Mitgliedstaaten (insb die Empfangsstaaten) sind daher darauf angewiesen, dass die Einhaltung der Rechtsnormen freiwillig geschieht, und somit Rechtsbruch keine lohnende Wirtschaftsstrategie – die im schlechtesten Fall noch von staatlichen Behörden bzw staatsnahen Organisation unterstützt wird – sein darf. Ob bei der derzeitigen politischen Entwicklung mit immer mehr unionskritischen, nationalen Regierungen in den Mitgliedstaaten ein solches solidarisches Ziel erreicht wird, wird vom Autor dieser Zeilen aber schwer bezweifelt. Das Erreichen des Ziels eines fairen Wettbewerbs, ausreichenden AN-Schutzes und dem Schutz der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vor Ort gerade im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Entsendungen wird aber als ein nicht unwesentlicher Faktor über eine weitere Akzeptanz der Union mitentscheiden.
Die Änderungen der Entsende-RL beinhalten durchaus das Potential, die Problembereiche grenzüberschreitender Entsendung zu minimieren. Dazu bedarf es aber auch bei der Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten der Einsicht, dass nur ein funktionierendes Sanktionssystem eine Rechtsordnung effektiv gestaltet und dazu führt, dass die betroffenen Rechtsunterworfenen sich freiwillig an die Rechtsordnung halten wollen. Dazu müssen aber die beteiligten Höchstgerichte ihre Verantwortung wahrnehmen und die Effizienz der jeweiligen Durchsetzungssysteme stärken, anstatt solche durch die Rsp geradezu ad absurdum zu führen. Dem Verlangen, durch einen Schutz des vor Ort-Niveaus einen „closed-Shop“ zu erzeugen, wurde (erwartungsgemäß) auch bei dieser Novelle (zu Recht) nicht nachgegeben. Weiterhin muss auf eine Abstimmung der Regelungen der Entsende-RL mit den Kollisionsnormen der VO 883/2004 gewartet werden. Man sieht den Nachteil, dass die Union keine vollständige Rechtsordnung schaffen kann/darf.116