Probleme des Anwendungsbereiches des LSD-BG

MICHAELAWINDISCH-GRAETZ (WIEN)
Der vorliegende Beitrag widmet sich ausgewählten Frage des Anwendungsbereiches des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG*). Das LSD-BG dient in weiten Bereichen der Umsetzung von Unionsrecht. Einige Regelungen des Anwendungsbereiches scheinen auf den ersten Blick dem in den verschiedenen Richtlinien geregelten Unionsrecht zu widersprechen.Dieser Verdacht bezieht sich auf die Regelungen des
  • § 2 Abs 2 LSD-BG, wonach für die Frage, ob (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, auf § 4 Abs 2 AÜG verwiesen wird;

  • § 1 Abs 1 Z 2 LSD-BG, wonach sich der persönliche Geltungsbereich des LSD-BG auf die Beschäftigung von Arbeitskräften iSd § 3 Abs 4 AÜG bezieht und somit arbeitnehmerähnliche Personen mitumfassen soll;

  • § 2 Abs 3 LSD-BG, wonach das Vorliegen einer Entsendung nicht den Abschluss eines Dienstleistungsvertrages zwischen einem AG ohne Sitz in Österreich und einem im Inland tätigen Dienstleistungsempfänger voraussetzt.

  1. Entstehungsgeschichte und Regelungszweck des LSD-BG

  2. Vorgaben des Unionsrechts

  3. Problembereiche

    1. Arbeitskräfteüberlassung

    2. Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen in das LSD-BG?

    3. Mangel eines Dienstleistungsvertrages mit einem Dienstleistungsempfänger im Inland

  4. Zusammenfassung

1.
Entstehungsgeschichte und Regelungszweck des LSD-BG

Die erste ausdrücklich auch so bezeichnete Regelung zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen wurde im Jahr 2011 eingeführt (LSDB-G*) und in das AVRAG sowie in das AÜG eingearbeitet. Das LSDB-G wurde in dem Jahr erlassen, in dem die Übergangsfrist aus den Beitrittsabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten abgelaufen ist und die grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit unbeschränkt eröffnet war. Es wurden insb Maßnahmen zur Kontrolle der den AN zustehenden Löhne sowie das Bereithalten von Lohnunterlagen in deutscher Sprache vorgeschrieben und Verwaltungsstrafen bei Zuwiderhandeln eingeführt.

Das derzeit geltende LSD-BG wurde im Jahr 2016 erlassen.* Die Materialien halten ausdrücklich fest, dass das LSD-BG der Umsetzung der RL 2014/67/EU zur Durchsetzung der Entsende-RL 96/71/EG dient. Art 9 Durchsetzungs-RL 2014/67/EU ermächtigt die Mitgliedstaaten, in einem bestimmten Umfang Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen vorzusehen, die notwendig sind, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Pflichten, die aus der Durchsetzungs-RL und der Entsende-RL 96/71/EG erwachsen, zu ermöglichen. Außerdem wurden in das LSD-BG Regelungen des AVRAG und des AÜG übernommen, die ausdrücklich der Umsetzung der Entsende-RL, teilweise aber auch der Leiharbeits-RL, gegolten hatten.

Das LSD-BG dient primär der Hintanhaltung von Lohn- und Sozialdumping bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Ein Großteil der Regelungen des LSD-BG ist daher ausschließlich auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar (zB §§ 6, 8 ff, 19 LSD-BG). Wegen des Diskriminierungsverbots von UnionsbürgerInnen bzw von Unternehmen mit Sitz in einem anderen EWR-Staat war es allerdings notwendig, manche Regelungen des LSD-BG – allen voran die Normierung von Verwaltungsstrafen bei Unterentlohnung – auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte auszudehnen.

2.
Vorgaben des Unionsrechts

Das Entsende-/Überlassungsrecht der EU ist maßgeblich durch die Dienstleistungsfreiheit geprägt.122 Die Dienstleistungsfreiheit gibt nach stRsp des EuGH dem Unternehmer das Recht, sowohl AN grenzüberschreitend zu überlassen als auch diese grenzüberschreitend zur Erbringung von Dienstleistungen zu entsenden.* Für die innerstaatliche Gestaltung von Entsende-/Überlassungsrecht ist daher zu beachten, dass die Dienstleistungsfreiheit durch innerstaatliche Gesetzgebungs- und Kontrollmaßnahmen nicht unverhältnismäßig beschränkt werden darf. Außerdem ist die Entsende-RL 96/71/EG insofern umzusetzen, als entsandten und überlassenen AN bestimmte Mindestarbeitsbedingungen („harter Kern“) im Empfangsstaat zu garantieren sind. Die Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL 2014/67/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte Maßnahmen zur Hintanhaltung von Lohn- und Sozialdumping und zur Förderung eines fairen Wettbewerbs zu treffen. Die Leiharbeits-RL 2008/104/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Leih-AN im Beschäftigerbetrieb zu treffen. Die genannten Richtlinien machen den Mitgliedstaaten weitreichende Vorgaben für die Gestaltung des Überlassungs-/Entsenderechts. Mangels Vollharmonisierung dieser Materie bleibt den Mitgliedstaaten aber teilweise ein Gestaltungsspielraum. Soweit das LSD-BG in Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien ergangen ist, ist es richtlinienkonform auszulegen. Soweit Regelungen des LSD-BG unmittelbar anwendbares Unionsrecht, dh insb die primärrechtliche Regelung der Dienstleistungsfreiheit, entgegensteht, sind diese schlicht unangewendet zu lassen.

3.
Problembereiche
3.1.
Arbeitskräfteüberlassung

Gem § 2 Abs 1 LSD-BG ist für die Beurteilung, ob in einem konkreten Anlassfall eine grenzüberschreitende Entsendung oder Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend. Abs 2 leg cit bestimmt darüber hinaus, dass für die Beurteilung, ob eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt, insb § 4 Abs 2 AÜG maßgebend ist.

Die Entsende-RL 96/71/EG regelt sowohl Entsendungen zur Dienstleistungs-/Werkvertragserbringung (im Folgenden als „Entsendungen ieS“ bezeichnet) als auch die Arbeitskräfteüberlassung. Sie differenziert allerdings teilweise zwischen diesen beiden Entsendetypen. Für beide Entsendetypen gilt, dass die Mitgliedstaaten gem Art 3 Abs 1 den entsandten AN für den Zeitraum, in dem sie auf ihrem Territorium Arbeit leisten, einen harten Kern an Mindestarbeitsbedingungen garantieren müssen, soweit sich dieser aus gesetzlichen Bestimmungen oder Kollektivverträgen für die Bauwirtschaft* ergibt. Dazu gehören insb Mindestentgelt, Höchstarbeitszeit und Urlaub. Im Gegensatz zum Fall einer bloßen Dienstleistungsentsendung ermächtigt Art 3 Abs 9 RL 96/71/EG die Mitgliedstaaten für den Fall von Arbeitskräfteüberlassung darüber hinaus, den überlassenen AN im Empfangsstaat diejenigen Bedingungen zu garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, für Leih-AN gelten. Diese Regelung bedeutet, dass für Arbeitskräfteüberlassungen aus dem Ausland nach Österreich das gesamte innerstaatlich geltende Arbeitskräfteüberlassungsrecht anwendbar gemacht werden darf. Da die Entsende-RL 96/71/EG zwischen Dienstleistungsentsendungen und Arbeitskräfteüberlassung differenziert, ist zur Auslegung des LSD-BG, soweit es die Entsende-RL umsetzt, das Begriffsverständnis der Entsende-RL zugrunde zu legen.

Die Entsende-RL selbst enthält keine umfassende Definition von Arbeitskräfteüberlassung. Art 1 Abs 3 lit c RL 96/71/EG definiert lediglich, dass „Leiharbeitsunternehmen oder Arbeitnehmer zur Verfügung stellende Unternehmen einen Arbeitnehmer in ein verwendendes Unternehmen entsenden, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitsunternehmen oder dem einen Arbeitnehmer zur Verfügung stellenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht“. Im Gegensatz zum Begriff des AN iSd Entsende-RL (Art 2 Abs 2 RL 96/71/EG) ist der Begriff der Arbeitskräfteüberlassung autonom iSd Unionsrechts auszulegen.

Der EuGH nimmt im Urteil Vicoplus* unter Bezugnahme auf die RL 91/383/EWG* Arbeitskräfteüberlassung iSv Art 1 Abs 3 lit c RL 96/71/EG an, wenn der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist. Außerdem muss der AN im Rahmen einer solchen Überlassung seine Aufgaben unter der Aufsicht und Leitung des verwendenden Unternehmens wahrnehmen. In der Rs Martin Meat* präzisiert der EuGH: Bei der Analyse des eigentlichen Gegenstands der Dienstleistung des erbringenden Unternehmens ist jeder Anhaltspunkt zu berücksichtigen, ob der Wechsel des AN in den Aufnahmemitgliedstaat den Gegenstand der betreffenden Dienstleistung darstellt oder nicht darstellt.* Insb ist zu berücksichtigen, wer für eine mangelhafte Ausführung der Arbeiten haftet.* Außerdem kann der Umstand, dass es dem Dienstleistungserbringer freisteht, die Zahl der AN zu bestimmen, dafür sprechen, dass es sich um eine123Entsendung ieS iSv Art 1 Abs 3 lit a RL 96/71/EG und nicht um Arbeitskräfteüberlassung handelt. Das Mieten von Betriebsmitteln des Dienstleistungsempfängers durch den Dienstleistungserbringer besitzt dagegen für die Abgrenzung von Werkvertragsentsendung von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung für den EuGH keine Aussagekraft.

Werden Umsetzungsnormen wie das LSD-BG in Bezug auf grenzüberschreitende Entsendungen ieS und grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung erlassen, sind diese richtlinienkonform, insb auf der Grundlage der EuGH-Urteile in den Rs Vicoplus und Martin Meat, auszulegen. Die umfassende Erstreckung des österreichischen Arbeitskräfteüberlassungsrechts auf grenzüberschreitend entsandte AN darf sich somit nur auf Arbeitskräfteüberlassungen im unionsrechtlichen Sinn beziehen. In jenen Bereichen, in denen für Arbeitskräfteüberlassungen strengere Regelungen angewendet werden dürfen als für Entsendungen ieS, ist zwingend nach unionsrechtlichem Verständnis abzugrenzen.

Der VwGH reagierte auf die E des EuGH und änderte mit dem Erk vom 22.8.2017, Ra 2017/11/0068, seine bisherige Judikatur für grenzüberschreitende Fälle von Arbeitskräfteüberlassung ab.* Er ist nunmehr der Auffassung, dass die Kriterien, die für die Arbeitskräfteüberlassung iSd Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG entscheidend sind, insofern auch maßgebend für die Beurteilung sind, ob (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung iSd §§ 3 und 4 AÜG vorliegt, als nur bei Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben eine uneingeschränkte Anwendung des AÜG in Betracht komme. In der Literatur wurde in der Folge der EuGH-Urteile Vicoplus und Martin Meat großteils bestätigend festgehalten, dass die frühere Rsp der österreichischen Höchstgerichte, wonach schon das Erfüllen einer einzigen Ziffer des § 4 Abs 2 AÜG zum Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung führen soll, mit der Rsp des EuGH nicht vereinbar sei. § 4 Abs 2 AÜG ist – selbst wenn er zu einem Zeitpunkt erlassen worden ist, als Österreich der EU noch nicht beigetreten war – (auch) als Umsetzungsnorm der Entsende-RL und auch der Leiharbeits-RL zu verstehen. § 4 Abs 2 AÜG sei somit für grenzüberschreitende Fälle der Entsendung bzw Überlassung von AN stets richtlinienkonform auszulegen.*

Gagawczuk kritisiert in diesem Zusammenhang, dass eine richtlinienkonforme Interpretation des § 17 Abs 2 AÜG nicht geboten gewesen wäre, da es in Bezug auf Meldeverpflichtungen zum damaligen Zeitpunkt keinerlei über die grundlegenden Schranken der Dienstleistungsfreiheit hinaus gehenden Vorgaben des Unionsrechts gegeben hat.* Diese Kritik ist aus dogmatischer Sicht durchaus berechtigt; umso bedeutungsvoller ist aber das Erk des VwGH: Der VwGH will bei grenzüberschreitenden Entsendungen für die Frage der Anwendbarkeit österreichischer Normen wie des AÜG oder des AVRAG* offenbar generell die Definition des EuGH von Arbeitskräfteüberlassung zugrunde legen, selbst wenn das Unionsrecht keine zwingende Abgrenzung der Arbeitskräfteüberlassung von Entsendungen ieS verlangt und der österreichische Gesetzgeber somit diesbezüglich einen Regelungsspielraum hätte.

3.2.
Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen in das LSD-BG?*

§ 1 Abs 1 Z 2 erstreckt den persönlichen Geltungsbereich des LSD-BG durch die Verweisung auf § 3 Abs 4 AÜG auf arbeitnehmerähnliche Personen, sofern diese im Rahmen von Arbeitskräfteüberlassung grenzüberschreitend tätig werden. Arbeitnehmerähnliche Personen sind gem § 3 Abs 4 AÜG Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind. Es stellt sich somit die Frage, ob die Melde-, Entgelt- und Haftungsbestimmungen des LSD-BG anzuwenden sind, wenn Personen, die formal selbständig sind, aber nach österreichischem Recht als arbeitnehmerähnlich eingestuft würden, grenzüberschreitend nach Österreich überlassen werden.

Arbeitnehmerähnliche Personen können aufgrund eines freien Dienstvertrags oder eines Werkvertrags, aber auch zB aufgrund eines Pacht- oder Franchise-Vertrags beschäftigt sein. Nach der österreichischen Rsp sind arbeitnehmerähnliche Personen einerseits durch ihre wirtschaftliche Unselbständigkeit und andererseits durch die gegenüber einem Arbeitsvertrag fehlende persönliche Abhängigkeit gekennzeichnet.* Zur AN-Ähnlichkeit gem § 2 Abs 2 AuslBG hält der VwGH fest: „Der Arbeitnehmerähnliche ist jedenfalls nicht persönlich vom Empfänger der Arbeitsleistung abhängig. Die wirtschaftliche Unselbständigkeit, derentwegen er als arbeitnehmerähnlich zu qualifizieren ist, muss eher darin erblickt werden, dass er unter ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wie ein AN tätig und daher insofern vom Empfänger der Arbeitsleistung wirtschaftlich abhängig ist.* Weiters spricht für AN-Ähnlichkeit, wenn zwar die für ein echtes Arbeitsverhältnis charakteristische persönliche Abhängigkeit fehlt, die Rechtsbeziehung zum Auftraggeber einem solchen aber wegen der wirtschaftlichen Unselbständigkeit ähnlich ist, weil die Kriterien fremdbestimmter Arbeit in einem gewissen Umfang gegeben sind. Entscheidende Bedeutung habe der Umstand, dass die betreffende Person in ihrer Entschlussfähigkeit bezüg-124lich ihrer Tätigkeit auf ein Minimum beschränkt ist.* Als typisch für eine arbeitnehmerähnliche Stellung nennt der VwGH etwa die Tätigkeit im Betrieb des Auftraggebers, Regelmäßigkeit und längere Dauer der Tätigkeit, persönliche Leistungspflicht, Beschränkung der Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Verrichtung der Tätigkeit, Berichterstattungspflicht, Arbeit mit Arbeitsmitteln des Auftraggebers, Arbeit nur für einen oder nur eine geringe Zahl von AuftraggeberInnen, Unternehmensbindung, Entgeltlichkeit oder direkter Nutzen der Arbeitsleistung für den Auftraggeber.*

Die Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen in das AÜG und LSD-BG könnte unionsrechtliche Vorgaben verletzen. Immerhin sind arbeitnehmerähnliche Personen schon aus nationalrechtlicher Sicht keine AN.* Sind sie auch aus unionsrechtlicher Sicht keine AN und daher im Umkehrschluss als Selbständige zu qualifizieren,* dürfen sie in der Ausübung der ihnen durch den AEUV garantierten Grundfreiheiten – insb der Dienstleistungsfreiheit – nicht beschränkt werden.* Sowohl die Regelungen des AÜG als auch jene des LSD-BG (zB Meldepflichten) bedeuten je nach NormadressatIn Beschränkungen der aktiven oder passiven Dienstleistungsfreiheit. Sie sind als unzulässige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu betrachten, wenn sie auf unionsrechtlich betrachtet „Selbständige“ angewendet werden und es dafür keine sachliche Rechtfertigung gibt.*

Das Unionsrecht kennt keinen einheitlichen Begriff des AN, vielmehr hängt die Bedeutung dieses Begriffes vom jeweiligen Anwendungsbereich ab.* Der EuGH hat sein Verständnis des AN-Begriffes in einer Vielzahl von Verfahren ua zu den Grundfreiheiten, der Entgeltgleichheit gem Art 157 AEUV und dem Wettbewerbsrecht, aber auch aus verschiedenen Richtlinien gebildet.* Nach stRsp des EuGH besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.* Ist eine Person nicht in Unterordnung gegenüber einer anderen Person tätig, ist sie nicht als AN, sondern als Selbständiger zu qualifizieren.* Es ist darauf zu achten, selbständig tätigen Personen, die sich auf die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit berufen können, nicht arbeitsrechtlichen Regelungen zu unterwerfen, die sie in der Ausübung ihrer unternehmerischen Grundfreiheiten beschränken könnten. Werden einschränkende Regelungen auf Personen angewendet, die aus Sicht des Unionsrechts selbständig erwerbstätig sind (zB vermittelte SolounternehmerInnen*), liegt eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten vor – allen voran der Dienstleistungsfreiheit –, die einer Rechtfertigung bedürften.*

Während die AN-Begriffe des Art 45 AEUV (AN-Freizügigkeit), des Art 157 AEUV oder des Wettbewerbsrechts autonom zu bestimmen sind und sich nicht an nationalen Begrifflichkeiten ausrichten,* verweisen die Leiharbeits-RL 2008/104/EG und die Entsende-RL 96/71/EG auf die AN-Begriffe der jeweiligen Mitgliedstaaten. Sowohl die Entsende-RL als auch die Leiharbeits-RL erfassen in ihrem Geltungsbereich „Arbeitnehmer“. Gem Art 2 Entsende-RL 96/71/EG wird der Begriff des AN in dem Sinn verwendet, in dem er im Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der AN entsandt wird, gebraucht wird. Art 3 Abs 1 lit a Leiharbeits-RL 2008/104/EG definiert „Arbeitnehmer“ als eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als AN geschützt ist. Gem Art 3 Abs 1 lit c Leiharbeits-RL 2008/104/EG bezeichnet der Begriff „Leiharbeitnehmer“ einen AN, der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten. Gem Art 3 Abs 2 Leiharbeits-RL 2008/104/EG lässt die Richtlinie das nationale Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmungen von ‚Arbeitsentgelt‘, ‚Arbeitsvertrag‘, ‚Beschäftigungsverhältnis‘ oder ‚Arbeitnehmer‘ unberührt.

Der EuGH hat in der Rs Ruhrlandklinik zum AN-Begriff gem Art 3 Abs 1 lit a Leiharbeits-RL 2008/104/EG Stellung genommen. Dabei hält er zunächst fest, dass unter den AN-Begriff iSd Richtlinie jede Person fällt, die eine Arbeitsleistung erbringt und die in dieser Eigenschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist.* Methodisch fragwürdigerweise nimmt der EuGH unmittelbar darauf auf seine Judikatur zur unions-125rechtlich autonomen Auslegung des AN-Begriffes Bezug:* Nach stRsp des Gerichtshofs bestehe das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei die rechtliche Einordnung dieses Verhältnisses nach nationalem Recht und seine Ausgestaltung ebenso wie die Art der zwischen beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung insoweit nicht ausschlaggebend sind.* Der EuGH schließt weiters aus der Definition des Begriffes „Leiharbeitnehmer“ in Art 3 Abs 1 lit c Leiharbeits-RL 2008/104/EG, dass die Richtlinie nicht nur auf jene AN Anwendung findet, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern auch auf diejenigen, die mit einem solchen Unternehmen ein „Beschäftigungsverhältnis“ eingegangen sind.* Daraus folgert er, dass weder die rechtliche Einordnung des zwischen der betreffenden Person und dem Leiharbeitsunternehmen bestehenden Verhältnisses nach nationalem Recht noch die Art ihrer Rechtsbeziehungen, noch die Ausgestaltung dieses Verhältnisses für die Bezeichnung dieser Person als AN iSd Leiharbeits-RL 2008/104/EG ausschlaggebend ist.* Eine Person, die Arbeitsleistungen als Vereinsmitglied erbringt und nach nationalem Recht nicht AN ist, kann somit durchaus aufgrund eines unionsrechtlichen Verständnisses des AN-Begriffes geschützt sein. Der EuGH kommt am Ende seiner mäandernden Argumentationskette zum Schluss, dass der AN-Begriff iSd Leiharbeits-RL 2008/104/EG dahingehend auszulegen ist, dass er jede Person erfasst, die ein Beschäftigungsverhältnis iSd Judikatur zum unionsrechtlichen AN-Begriff hat, und die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringt, geschützt ist. Mit letzterem Satz schränkt der EuGH den Vorrang des unionalen AN-Begriffes offenbar doch wieder ein, da man prüfen muss, ob die arbeitende Person in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringt, geschützt ist.* Der EuGH betont den Zweck der Richtlinie, Leih-AN zu schützen.* Den Mitgliedstaaten soll die Möglichkeit genommen werden, Personen Schutz zu verweigern, wenn sich das zwischen diesen Personen und dem Leiharbeitsunternehmen bestehende Beschäftigungsverhältnis von einem Arbeitsverhältnis nach nationalem Recht nicht wesentlich unterscheiden würde.

Die wesentliche Überlegung hinter dieser E ist, dass ein Mitgliedstaat den von der Leiharbeits-RL intendierten Schutz nicht durch eine einengende Definition des AN-Begriffs einschränken können soll (etwa durch die Definition von Pflegekräften als Vereinsmitglieder), obwohl diese Personen sowohl in ihrer Arbeitsverpflichtung (auf Weisung) als auch in ihren Ansprüchen (laufendes Entgelt, Urlaub, Entgeltfortzahlung) AN im Wesentlichen gleichgestellt sind. Ähnliche Entscheidungen des EuGH gehen dahin, dass die formale Einstufung als Selbständiger nach innerstaatlichem Recht nicht ausschließt, dass eine Person als Arbeitnehmerin etwa iSd Mutterschutz-RL 92/85/EWG einzustufen ist, wenn ihre Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein Arbeitsverhältnis iS dieser Richtlinie verschleiert.*

Wie die Leiharbeits-RL stellt auch die Entsende-RL auf den AN-Begriff nach dem Verständnis der Mitgliedstaaten ab. Die Judikatur des EuGH in der Rs Ruhrlandklinik ist grundsätzlich auf die Entsende-RL übertragbar. Die Frage, ob jemand im Empfangsstaat selbständig oder unselbständig tätig ist, ist nach dem Recht des Empfangsstaates zu beurteilen. Der Empfangsstaat darf allerdings weder den AN-Begriff gegenüber dem üblicherweise in diesem Staat geltenden Recht einschränken noch ausdehnen. Eine gegenüber der üblichen Definition des AN-Begriffes im Empfangsstaat allein für Zwecke der Entsendung erweiterte Definition wäre eine unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit.* Dies gilt insb für jene Arbeitskräftekategorie, die in Österreich als arbeitnehmerähnlich tätige Personen verstanden werden. Kennt der Empfangsstaat – etwa Österreich – neben der Kategorie der AN jene der arbeitnehmerähnlichen Personen, auf die der Großteil der arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht anwendbar ist, so dürfen arbeitnehmerähnliche Personen für die Zwecke der Entsende-RL nicht als AN qualifiziert werden.*

Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit wäre nur zulässig, wenn die Beschränkung sachlich gerechtfertigt werden könnte und das Verhältnismäßigkeitsgebot nicht verletzt wäre. Der EuGH anerkennt im Zusammenhang mit Entsendefällen vor allem den Schutz der entsandten AN und das Interesse an einem fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen als Rechtfertigungsgründe. In der Judikatur ging es regelmäßig um die Erstreckung und Kontrolle von Mindestlöhnen. Nun gibt es in Österreich keine gesetzlich oder kollektivvertraglich geregelten Entgelte für arbeitnehmerähnliche Personen, womit ein sachlicher Grund für Beschränkungen im Zusammenhang damit nicht zu sehen ist.

Arbeitnehmerähnliche Personen sind somit Personen, die weder unter den unionsrechtlichen AN-Begriff fallen,* der insb im Zusammenhang mit der AN-Freizügigkeit gebildet worden ist, noch ist ein ausweitendes Begriffsverständnis iSd AN-Schutzes auf der Grundlage von Richtlinienrecht notwendig. Grenzüberschreitend tätige Selbständige, mögen sie auch nach innerstaatlichem Recht126als arbeitnehmerähnliche Personen qualifiziert werden, dürfen daher nicht in den Anwendungsbereich des AÜG und LSD-BG einbezogen werden. Die verschiedenen Leiharbeit regulierenden sowie Leih-AN schützenden Regelungen des AÜG und LSD-BG müssen als die Dienstleistungsfreiheit beschränkend betrachtet werden, soweit sie arbeitnehmerähnliche Personen einbeziehen. Eine sachliche Rechtfertigung für solche Beschränkungen von Selbständigen ist nicht zu sehen.*

3.3.
Mangel eines Dienstleistungsvertrages mit einem Dienstleistungsempfänger im Inland

Die letzte Norm, die hier auf ihre Unionsrechtskonformität geprüft werden soll, ist § 2 Abs 3 LSD-BG, wonach das Vorliegen einer Entsendung nicht den Abschluss eines Dienstleistungsvertrages zwischen einem AG ohne Sitz in Österreich und einem im Inland tätigen Dienstleistungsempfänger voraussetzt.

Die Entsende-RL 96/71/EG beschränkt ihren Anwendungsbereich auf bestimmte Typen von Entsendesachverhalten. Gem Art 1 Abs 3 lit a ist sie – abgesehen von den Fällen der Arbeitskräfteüberlassung und der Konzernentsendung – nur anwendbar, wenn ein Unternehmen mit Sitz im Ausland einen AN in seinem Namen und unter seiner Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsendet, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und einem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem AN besteht.

§ 2 Abs 3 LSD-BG widerspricht in diesem Punkt diametral der Entsende-RL. Die Materialien zum LSD-BG halten fest, dass „eine Entsendung, welche auf die vorübergehende Erbringung einer Arbeitsleistung in Österreich durch den Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort außerhalb von Österreich an dessen Arbeitgeber gerichtet ist, nicht zwingend einen vom Arbeitgeber mit einem im Inland tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossenen Dienstleistungsvertrag voraussetzt“. Sie stellen weiters klar, dass andererseits „jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs der Entsende-Richtlinie trotz Erbringung einer Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer keine Entsendung iSd LSD-BG vorliegt, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers keine bzw kaum Auswirkungen auf den inländischen Arbeitsmarkt hat und somit weder in Konkurrenz zu im Inland tätigen Arbeitnehmern noch zu inländischen Unternehmen steht“.*

Der VwGH* hatte zuvor in einem Verfahren im Zusammenhang mit AN, die von einem deutschen Unternehmen auf einen Messestand nach Salzburg entsandt waren, die Rechtsansicht des LVwG Salzburg bestätigt, dass es sich bei den damals anzuwendenden §§ 7b und 7d AVRAG um Ausführungsbestimmungen zur Entsende-RL handle. Voraussetzung einer Entsendung sei die Arbeitserbringung im Rahmen eines Vertrages zwischen zwei Unternehmen. Eine Entsendung liege hingegen nicht vor, wenn der AN nur im Interesse des eigenen Unternehmens ohne Leistungserbringung für ein ansässiges Unternehmen tätig werde. Das bloße Aufsuchen eines anderen Mitgliedstaates zur Vertragsanbahnung (um ein Produkt oder die Fähigkeit, Dienstleistungen zu erbringen, zu präsentieren oder um die örtlichen Gegebenheiten zur Anbotserstellung zu erkunden) sei noch keine Entsendung. Der VwGH begründet anhand der Materialien, dass § 7b AVRAG einen inländischen Auftraggeber voraussetzte.*

Mit der Novelle ASRÄG 2015* zu § 7b AVRAG sollte diese Rechtslage nach dem Willen des Gesetzgebers geändert werden. Die Regelung eines partiellen Ausnahmekataloges für Entsendungen in § 7b Abs 1a AVRAG, die keinen Vertragspartner des entsendenden Unternehmens in Österreich voraussetzen, bedeutete implizit, dass der Entsendebegriff des § 7b AVRAG idF BGBl I 2014/94 ausdrücklich weiter sein sollte als jener der Entsende-RL 96/71/EG. § 7b AVRAG erfasste ab dieser Novelle auch Fälle, in denen ein AN eines ausländischen AG in Österreich ohne Vorliegen eines grenzüberschreitenden Dienstleistungsvertrages tätig wurde.*

§ 2 Abs 3 LSD-BG schließt an diese Rechtslage an und normiert nunmehr ausdrücklich, dass das Vorliegen einer Entsendung nicht den Abschluss eines Dienstleistungsvertrages zwischen einem AG ohne Sitz in Österreich und einem im Inland tätigen Dienstleistungsempfänger voraussetzt. Soweit § 2 Abs 3 LSD-BG über den Anwendungsbereich der Entsende-RL hinausgeht, ist er als Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO* zu qualifizieren und ist in jedem Einzelfall Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit dem Primärrecht der Europäischen Union, insb auf die Dienstleistungsfreiheit und die Warenverkehrsfreiheit, zu prüfen.* Aktuell ist diesbezüglich ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH in der Rs Dobersberger anhängig, dessen Ausgang mit Spannung erwartet werden darf.127

4.
Zusammenfassung
  • Die Kriterien, die für die Arbeitskräfteüberlassung iSd Art 1 Abs 3 lit c der RL 96/71/EG entscheidend sind, sind insofern auch maßgebend für die Beurteilung, ob grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung iSd §§ 3 und 4 AÜG vorliegt, als nur bei Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben eine uneingeschränkte Anwendung des AÜG in Betracht kommt. Für grenzüberschreitende Sachverhalte ist somit § 4 Abs 2 AÜG iVm § 2 LSD-BG stets nach der Definition von Arbeitskräfteüberlassung des EuGH auszulegen.

  • Grenzüberschreitend tätige Selbständige, mögen sie auch nach innerstaatlichem Recht als arbeitnehmerähnliche Personen qualifiziert werden, dürfen nicht in den Anwendungsbereich des LSD-BG einbezogen werden. Die Regelung des § 1 Abs 1 Z 2 LSD-BG ist daher unionsrechtskonform einschränkend zu interpretieren.

  • Soweit § 2 Abs 3 LSD-BG über den Anwendungsbereich der Entsende-RL hinausgeht, ist er als Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO zu qualifizieren, und ist in jedem Einzelfall Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten, insb im Hinblick auf die Dienstleis tungsfreiheit und die Warenverkehrsfreiheit, zu prüfen.