64

Konkludente Vereinbarung ständiger Rufbereitschaft einer Sicherheitskraft

MANFREDTINHOF

Musste eine Sicherheitskraft auch außerhalb ihrer Arbeitszeit angesichts ihrer hochsensiblen Tätigkeit und der Verantwortung für Menschenleben ständig erreichbar sein, so ist anzunehmen, dass die Arbeitsvertragsparteien in Ergänzung zum schriftlichen Dienstvertrag konkludent iSd § 863 ABGB die (ständige) Rufbereitschaft des AN vereinbart haben.

Sollten die Parteien keine Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit oder die pauschale Abgeltung der ständigen Rufbereitschaft getroffen haben, hat der AN für diese vom ihm erbrachte Leistung (mangels kollektivvertraglicher Regelung) gem § 1152 ABGB Anspruch auf ein angemessenes ortsübliches Entgelt.

SACHVERHALT

Der AN war bei der bekl AG vom 24.12.2012 bis zur einvernehmlichen Lösung am 7.1.2016 als Sicherheitskraft mit einem Bruttomonatsgehalt von € 2.918,76 Vollzeit beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte kein KollV zur Anwendung.

Die Verantwortlichen der AG informierten den AN bereits vor Vertragsabschluss, aber auch während der Einschulungszeit, dass er als Sicherheitskraft angesichts der hochsensiblen Tätigkeit und der Verantwortung für Menschenleben ständig erreichbar sein müsse. Der AN musste dementsprechend das Diensthandy immer aufgeladen halten, durfte es nicht auf lautlos schalten und hatte regelmäßig darauf zu schauen. In der Praxis bedeutete die ständige Erreichbarkeit, dass die Sicherheitskräfte der Zentrale meldeten, wenn sie zB joggen gingen. An 30 bis 40 Tagen im Jahr waren die Sicherheitskräfte angewiesen, keinen Alkohol zu konsumieren. Wollte ein Mitarbeiter für mehrere Stunden oder gar Tage nicht erreichbar sein oder die Stadt verlassen, musste er eine Erlaubnis einholen.

Über finanzielle Aspekte dieser dauernden Erreichbarkeit wurde nicht gesprochen. Insb erwähnten die Vertreter der AG nie, dass die ständige Erreichbarkeit ohnehin durch das Gehalt oder andere Vergünstigungen abgegolten wäre.

Der AN wurde im Durchschnitt fünf bis sieben Mal im Monat außerhalb der Dienstzeit am Handy kontaktiert, wobei es sich zum weit überwiegenden Teil um Dienstplanänderungen handelte. Im Jahr 2013 erfolgte eine Indienststellung des AN acht Mal, im Jahr 2014 vier Mal, im Jahr 2015 überhaupt nicht.

Der AN begehrte € 26.607,- brutto als Abgeltung der von ihm in den Jahren 2013 bis 2015 geleisteten Rufbereitschaft, wobei er dieser einen Stundensatz von € 3,- zugrunde legte. Er sei, soweit er nicht ohnehin Dienste für die AG verrichtet habe, 24 Stunden am Tag bei einer Sieben-Tage-Woche stets in Rufbereitschaft gewesen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren des AN statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der OGH gab der außerordentlichen Revision der AG Folge und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück, da dieses keine Feststellungen getroffen hatte, die eine Beurteilung der Ortsüblichkeit des vom AN begehrten Stundensatzes erlauben würden.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.1 Rufbereitschaft besteht darin, dass der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber lediglich erreichbar und zum Arbeitsantritt bereit sein muss. Dabei kann der Dienstnehmer (im Unterschied zur sogenannten Arbeitsbereitschaft) seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden (RIS-Justiz RS0051403; 9 ObA 71/04p). Bei der Rufbereitschaft handelt es sich nicht um die Arbeitsleistung selbst, sondern um eine andere Leistung, die der Dienstnehmer nicht schon aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Treuepflicht (Interessenwahrungspflicht) zu erbringen hat, sondern die ausdrücklich vereinbart und abgegolten werden muss (RIS-Justiz RS0021696). Auch während vereinbarter ‚Erreichbarkeit per Handy‘ ist der Arbeitnehmer hier in der Bestimmung seines Aufenthalts beschränkt, weil ihn die Verpflichtung trifft, Aufenthaltsorte zu wählen, an denen er über ein von ihm ständig betriebsbereit und empfangsbereit zu haltendes Funktelefon erreicht werden kann und einsatzbe-118reit ist. Auch diese Form angeordneter Bereitschaft des Arbeitnehmers erfüllt nach Sinn und Zweck den Begriff der Rufbereitschaft. Der Arbeitnehmer muss sein Verhalten während der Rufbereitschaft darauf einrichten, im Falle eines Anrufs seine Pflichten ohne besondere Beeinträchtigung wahrnehmen zu können (RIS-Justiz RS0051403 [T3]). Auch bloßes Warten bindet den Dienstnehmer; jede zeitliche Bindung für Zwecke eines anderen ist so gesehen eine Leistung. Maßgeblich ist dabei der Umstand, dass der Dienstnehmer – wenngleich in geringerer Intensität – fremdbestimmt ist (RIS-Justiz RS0021688 [T2]). Die Zahlung eines Entgelts bei Rufbereitschaft kann ihm daher nicht schon mit der bloßen Begründung versagt werden, dass er ohnehin keine Arbeitsleistung erbringe, weil auch diese Zeit nicht völlig zu seiner freien Verfügung steht. Der Dienstgeber, der Rufbereitschaft verlangt, macht wenigstens zum Teil von der Arbeitskraft des Dienstnehmers Gebrauch (9 ObA 71/04p mwN). […]

1.3 Diesen Sachverhalt haben die Vorinstanzen zutreffend dahin beurteilt, dass die Streitteile in Ergänzung zum schriftlichen Dienstvertrag konkludent (§ 863 ABGB) die (ständige) Rufbereitschaft des Klägers vereinbart haben. Die Ausführungen in der Revision setzten sich insoweit großteils über die getroffenen Feststellungen hinweg. So übergab die Beklagte dem Kläger eben nicht bloß ein Smartphone, sondern verlangte von ihm auch, er habe immer erreichbar zu sein und müsse jederzeit (vor allem im Notfall) mit einer Indienstsetzung rechnen. Das hatte sehr wohl spürbare Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Klägers, der im Fall eines Rufs eine substanzielle Arbeitsleistung zu erbringen und sich dafür geistig und körperlich bereit zu halten hatte. Es kommt nicht darauf an, wie oft die Arbeitsleistung des Klägers tatsächlich abgerufen wurde, weil daraus, dass er nur gelegentlich in Anspruch genommen wurde, nicht folgt, dass er der Beklagten nicht jederzeit zur Verfügung stand. […]

2.3 Damit erweist sich auch die Beurteilung der Vorinstanzen als richtig, dass die Parteien keine (auch nur konkludente) Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit oder die pauschale Abgeltung der ständigen Rufbereitschaft getroffen haben. Der Kläger hat daher für diese von ihm erbrachte (andere als Arbeits-)Leistung (mangels kollektivvertraglicher Regelung) gemäß § 1152 ABGB Anspruch auf ein angemessenes ortsübliches Entgelt (RIS-Justiz RS0027969). […]

3.2 Angemessen iSd § 1152 ABGB ist jenes Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das ergibt, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird oder wurde (Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1152 ABGB Rz 67; Krejci in Rummel3 § 1152 ABGB Rz 24, jeweils mwN). Ortsüblich ist das Entgelt, das in dem relevanten einheitlichen Arbeitsmarkt üblich ist (Rebhahn, aaO Rz 68). Als Richtschnur kommen kollektivvertragliche Löhne für vergleichbare Arbeiten oder bestehende Tarife in Betracht, sofern diese unter ähnlichen Umständen auch tatsächlich bezahlt werden (Krejci, aaO Rz 24 ff). Zu prüfen ist daher vor allem, welches Entgelt für Leistungen dieser Art ortsüblich geleistet wird (9 ObA 53/92).

3.3 Da das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung der Ortsüblichkeit des vom Kläger begehrten Stundensatzes in diesem Sinne erlauben würden, war ihm die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage bietet sich hier – nach Erörterung mit den Parteien – in erster Linie die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens an.“

ERLÄUTERUNG

Rufbereitschaft besteht darin, dass der AN – im Gegensatz zur Arbeitsbereitschaft – nicht an der Arbeitsstätte selbst oder in deren unmittelbarer Nähe anwesend zu sein hat, sondern seinen jeweiligen Aufenthaltsort wählen kann und den AG nur davon unterrichten muss, wo bzw wie er erreichbar ist. Es handelt sich dabei nicht um eine Leistung aus dem Arbeitsvertrag selbst, sondern um eine andere Leistung, die der AN nicht schon aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Treuepflicht zu erbringen hat, sondern die vereinbart werden muss. Auch wenn es sich bei der Rufbereitschaft – wiederum im Gegensatz zur Arbeitsbereitschaft – nicht um Arbeitszeit handelt, ist sie – mangels anderslautender Vereinbarung – zu entlohnen. Die Zahlung kann dem AN nicht mit der Begründung verwehrt werden, dass er keine Arbeit leistet, weil auch diese Zeit nicht völlig zu seiner freien Verfügung steht und der AG wenigstens zum Teil von der Arbeitskraft des AN Gebrauch macht.

Um Anspruch auf Entlohnung von Rufbereitschaft zu haben, muss somit vorweg eine Vereinbarung über deren Leistung vorhanden sein. Da es im vorliegenden Fall weder eine schriftliche Vereinbarung darüber noch eine mündliche Absprache gegeben hat, wurde von den Gerichten eine stillschweigende Vereinbarung iSd § 863 ABGB angenommen: Die AG forderte die ständige Rufbereitschaft durch ihre im Sachverhalt erwähnten Anweisungen, der AN kam der Aufforderung nach. In der Folge stellt sich freilich die Frage der Entlohnung der Rufbereitschaft. Da deren Höhe gesetzlich nicht geregelt ist, kommt es in der Praxis diesbezüglich immer wieder zu Konflikten zwischen AG und AN. Nur eine beschränkte Anzahl von Kollektivverträgen sieht Regelungen über die Entlohnung von Rufbereitschaft vor: So wird etwa im IT-KollV ein bestimmter Stundensatz für Rufbereitschaft festgelegt, während zB im KollV für Elektrizitätsversorgungsunternehmen ein Prozentsatz des monatlichen Entgelts veranschlagt wird.

Im Anlassfall kam kein KollV zur Anwendung. Mangels vertraglicher Vereinbarung klagte der119 AN einen Betrag von € 3,- pro Stunde Rufbereitschaft für die gesamte außerhalb seiner Arbeitszeit gelegene Restzeit des Dienstverhältnisses (unter Abzug von Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankenstand, des Urlaubs und von sieben Stunden Nächtigungszeit täglich) ein. Dieser Stundensatz macht weniger als ein Fünftel des Stundenlohnes des AN aus. Dennoch erachtete die AG in der Revision diesen Betrag für überzogen und nannte den Betrag von € 1,- als gerechtfertigt. Der OGH hob mangels Erörterung dieser Frage durch das Erstgericht die vorinstanzlichen Entscheidungen auf. Nun wird das Erstgericht entsprechend einem zu erstellenden Sachverständigengutachten die Höhe des Stundensatzes für die Rufbereitschaft anhand der Kriterien der Angemessenheit und Ortsüblichkeit gem § 1152 ABGB festlegen müssen.