76Anforderungen an neues Beweismittel im Zuge einer Wiederaufnahmsklage
Anforderungen an neues Beweismittel im Zuge einer Wiederaufnahmsklage
Der Kl bewarb sich auf eine Stellenausschreibung einer Personalvermittlerin, die ihre schriftliche Absage damit begründete, dass die Bekl bezüglich des Aussehens der Mitarbeiter strenge Auflagen habe und es für Burschen nicht möglich sei, langes Haar zu tragen. Der Kl begehrte darauf gegenüber der Bekl einen immateriellen Schadenersatz in Höhe von € 1.000,- wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil vom 9.10.2017 ab und stellte fest, dass das Ablehnungsschreiben von einer Mitarbeiterin der Personalvermittlerin missverständlich verfasst worden sei und die Bekl darauf auch keinen Einfluss genommen habe. Die Bekl beschäftige vielmehr durchaus männliche Mitarbeiter, die langes Haar tragen.
Am 16.11.2017 erhielt der Kl erstmals Kenntnis von einem Mitarbeiterhandbuch der Bekl, demzufolge Frauen das Haar „stets gewaschen, gut frisiert und ohne sichtbaren Nachwuchs“, Männer das Haar „stets gewaschen, kurz geschnitten und frisiert“ zu tragen haben.
Am 27.11.2017 brachte der Kl eine auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Wiederaufnahmsklage ein und begehrte, die abweisende Entscheidung wegen eines Fehlers bei der Gewinnung der Entscheidungsgrundlagen aufzuheben. Die Vorinstanzen billigten dem Mitarbeiterhandbuch die Eignung zu, den Diskriminierungsvorwurf des Kl zu stützen und gaben der Wiederaufnahmsklage statt. Der OGH wies die dagegen seitens der Bekl erhobene außerordentliche Revision der Bekl zurück.
Begründend führt der OGH aus, dass im abweisenden Urteil des (erstinstanzlichen) Hauptverfahrens die getroffenen Feststellungen in der Beweiswürdigung mit der Glaubwürdigkeit von vor dem Gericht abgelegten Aussagen begründet wurden. Das Mitarbeiterhandbuch ist jedenfalls eine Hilfstatsache, deren Eignung, im Hauptverfahren zu einer anderen Beweiswürdigung zu führen, nicht vollständig ausgeschlossen ist.
Sinn und Zweck der Wiederaufnahmsklage ist es, eine unrichtige Tatsachengrundlage des angefochtenen Urteils zu beseitigen. Es genügt dabei, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen. Zu einer abweichenden Entscheidung können auch Beweismittel zur Dartuung oder Widerlegung von Hilfstatsachen ausreichen, die möglicherweise bei einer Verwendung im Vorprozess zu einer anderen Würdigung der Beweismittel geführt hätten.
Der OGH enthielt sich freilich einer Beurteilung, ob das neue vom Kl vorgelegte Beweismittel (Mitarbeiterhandbuch) beweiskräftig genug ist, eine für diesen günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen, da eine solche Beurteilung dem OGH, der nicht Tatsacheninstanz ist, entzogen ist. Die Klärung dieser Frage, ob sich durch die Verwertung des Inhalts des Mitarbeiterhandbuchs eine anderslautende Sachentscheidung ergibt, ist Aufgabe des wiederaufzunehmenden Prozesses.
ANMERKUNG DES BEARBEITERS: Der aus dem Zurückweisungsbeschluss naturgemäß nur knapp wiedergegebene Sachverhalt zeugt vom spannenden Verlauf eines Gleichbehandlungsverfahrens, in dem der Kl zunächst am Nachweis einer Diskriminierung gescheitert ist und das nun durch die erfolgreiche Wiederaufnahmeklage in die nächste Runde geht. Konnte der bekl AG vorerst noch – trotz unverhohlen diskriminierenden Ablehnungsschreibens seines Personalvermittlers – aufgrund der Beweiswürdigung von Zeugenaussagen seinen Kopf aus der „Verurteilungsschlinge“ ziehen, dürfte nun nach Vorliegen des Mitarbeiterhandbuchs, das (nur) männlichen Mitarbeitern kurze Haartracht vorschreibt, die prozessuale Situation für den bekl AG noch enger werden. Für die Beratungs- und Rechtsvertretungspraxis bedeutsam ist jedenfalls, die Möglichkeiten des Einsatzes sonst meist wenig genützter prozessualer Instrumentarien wie die der Wiederaufnahmsklage in Diskriminierungsverfahren nach dem GlBG zu kennen. Findet die sich als diskriminiert erachtete Partei nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz neue Beweismittel vor, muss sie nicht in allen Fällen am Neuerungsverbot (bei qualifizierter Vertretung) scheitern. Handelt es sich – wie hier beim sogenannten „Mitarbeiterhandbuch“ – um ein Beweismittel, das schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung vorhanden, aber der Partei unverschuldetermaßen nicht bekannt war („novum repertum“), ist ein Aufrollen einer erledigenden (negativen) Sachentscheidung – auch noch vor deren Rechtskraft – möglich und kann einem vorerst an der Beweislage oder -würdigung gescheiterten Anspruch uU doch noch zum Durchbruch verhelfen.130 |