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Verlängerung der Verjährungsfrist für Widerruf und Rückforderung des Arbeitslosengeldes

REGINAZECHNER

Mit dem angefochtenen Erk gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Widerruf und die Rückforderung des im Zeitraum 1.2. bis 4.9.2014 und 9.9. bis 17.9.2014 bezogenen Arbeitslosengeldes statt. Der Überbezug war entstanden, weil sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 nachträglich ergeben hatte, dass das durchschnittliche Monatseinkommen aus der – dem Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldeten – selbständigen Erwerbstätigkeit im Jahr 2014 die Geringfügigkeitsgrenze überstiegen hatte. Die Einkommensteuerdaten lagen dem AMS nach dessen Angaben am 8.8.2017, nach den Behauptungen des Mitbeteiligten schon am 9.3.2017 vor; der Widerrufs- und Rückforderungsbescheid wurde am 19.9.2017 zugestellt. Das BVwG begründete die Entscheidung auf Basis der Feststellung, dass das AMS „spätestens ab 8.8.2017“ Kenntnis vom Einkommensteuerbescheid 2014 hatte, damit, dass sich der „Widerrufs- und Rückforderungszeitraum“ vom 19.9.2014 bis 19.9.2017 „beläuft“. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung seien der Widerruf und die Rückforderung somit verjährt gewesen. Zu einer Verlängerung der dreijährigen Verjährungsfrist komme es im gegenständlichen Fall nicht, weil der Einkommensteuerbescheid bereits am 30.1.2017 erlassen worden sei und das AMS die Pflicht gehabt habe, diesen abzufragen. Eine Revision wurde für unzulässig erklärt, da es nicht an Rsp des VwGH fehle und auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen sei.

Das AMS erhob dagegen eine außerordentliche Revision. Der VwGH erklärte diese für zulässig, da es bisher keine Rsp zur mit 1.5.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG gab und stellte eingangs klar, dass das AMS – entgegen der Ansicht des BVwG – nicht dazu verpflichtet ist, regelmäßig Einkommensteuerdaten abzufragen. Im Gegensatz dazu trifft die LeistungsbezieherInnen jedoch gem § 36c Abs 1 AlVG die Verpflichtung, diese vorzulegen. Der Umstand, dass das AMS die Einkommensteuerdaten nicht zu einem früheren Zeitpunkt abgefragt hat, ist daher für die Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist unbeachtlich.

Gem § 24 Abs 2 AlVG ist der Widerruf oder die Berichtigung nach Ablauf von drei Jahren nach dem jeweiligen Anspruchs- oder Leistungszeitraum nicht mehr zulässig. Die Frist von drei Jahren verlängert sich, wenn die zur Beurteilung des Leistungsanspruches erforderlichen Nachweise nicht vor Ablauf von drei Jahren vorgelegt werden (können), bis längstens drei Monate nach dem Vorliegen der Nachweise. Selbiges gilt gem § 25 Abs 6 AlVG für die Verfügung einer Rückforderung. Zu klären war aus Sicht des VwGH, ob einerseits eine Auslegung der §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG geboten ist, wonach eine Verlängerung der Frist von „drei Jahren nach dem Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ auch dann stattfindet, wenn die Vorlage der Nachweise innerhalb der letzten drei Monate der Dreijahresfrist erfolgt, und was andererseits unter dem „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ zu verstehen ist.

Durch die Neuregelung soll die Vereitelung von Widerruf und Rückforderung durch Verzögerung der Vorlage von Nachweisen verhindert werden. Der Gesetzgeber hat offenbar eine Frist von drei Monaten ab Vorliegen der Nachweise als grundsätzlich ausreichend, aber auch als erforderlich angesehen, um dem AMS die nötigen (Verfahrens-) Schritte für den Widerruf bzw die Rückforderung zu ermöglichen. Werden nun aber Nachweise etwa erst am letzten Tag der Dreijahresfrist vorgelegt, so führt das nach dem vom Gesetzeswortlaut zunächst nahegelegten Verständnis zu keiner Verlängerung der Frist, obwohl das AMS keine realistische Chance hat, rechtzeitig den Widerrufs- und Rückforderungsbescheid zu erlassen. Dieses – Missbrauch ermöglichende und sachlich nicht zu rechtfertigende – Ergebnis kann dem Gesetzgeber jedoch nicht unterstellt werden. Vielmehr deutet auch die Formulierung „längstens drei Monate“ darauf hin, dass dem AMS auch im dargestellten Fall ab Vorlage der Nachweise drei Monate für die Erlassung des Bescheides in Bezug auf den Leistungszeitraum zur Verfügung stehen soll.

Die zweite Rechtsfrage hat der VwGH dahingehend beantwortet, dass der „Anspruchs- oder Leistungszeitraum“ iSd §§ 24 Abs 2 und 25 Abs 6 AlVG der (Kalender-)Monat ist. Eine jahresweise Betrachtung bei selbständig Erwerbstätigen ist nicht erforderlich, weil sich – bei verspäteter Vorlage eines Nachweises, der sich auf ein ganzes Jahr bezieht – die ab jedem einzelnen Kalendermonat zu berechnende Frist um die drei Monate nach Vorliegen der Nachweise verlängert. Im Ergebnis kann daher die Leistung im gesamten betroffenen Zeitraum widerrufen und zurückgefordert werden.

Von entscheidender Bedeutung ist folglich, wann dem AMS die Einkommensdaten vorlagen. Das AMS hatte im Verfahren angegeben, dass die Nachweise am 8.8.2017 vorlagen, laut dem Beschwerdeführer lagen sie jedoch bereits am 9.3.2017 vor. Unter der Annahme, dass die Einkommensteuerdaten für das Jahr 2014 dem AMS am 8.8.2017 vorlagen, wären der Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengeldes mit Zustellung des Beschei-133des am 19.9.2017 daher rechtzeitig erfolgt. Das BVwG ist hingegen auf Grund seiner falschen Rechtsansicht davon ausgegangen, dass das Widerrufs- und Rückforderungsrecht jedenfalls verjährt war, und hat in der Folge auch keine Feststellungen zum Zeitpunkt des tatsächlichen Vorliegens der Einkommensteuerdaten beim AMS getroffen. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

ANMERKUNG DER BEARBEITERIN:
Im fortgesetzten Verfahren hat das BVwG festgestellt, dass das AMS die Einkommensteuerdaten der Beschwerdeführerin für das Jahr 2014 am 9.3.2017 abgefragt hat. Der Beschwerde wurde daher insoweit stattgegeben, als nur im Zeitraum 1. bis 4.9.2014 sowie 9. bis 17.9.2017 die Leistung zu widerrufen und zurückzufordern war (BVwG 9.1.2019, W141 2184936-1).