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Keine Parteistellung der Abgabebehörden des Bundes in Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG ohne Betretung durch die Finanzbehörden

MURATIZGI

Im vorliegenden Fall hatte der VwGH darüber zu entscheiden, ob den Abgabenbehörden des Bundes auch dann Parteistellung in einem Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG zukommt, wenn deren Prüforgane die nicht gemeldete Person zwar nicht bei einer Kontrolle angetroffen, aber Ermittlungen durchgeführt haben, im Zuge welcher sich der Verdacht einer entsprechenden Verwaltungsübertretung erhärtete.

Im Konkreten hatte eine Polizeiinspektion die Finanzpolizei davon informiert, auf der Baustelle des Mitbeteiligten den (dort erwerbstätigen) K.F. angetroffen zu haben. Wie eine Abfrage bei der Sozialversicherungsdatenbank ergeben hatte, war K.F. nicht zur SV angemeldet. Daher beantragte die Finanzpolizei mit Strafantrag vom 5.10.2017 für das Finanzamt die Bestrafung der mitbeteiligten Partei gem § 33 Abs 1 ASVG iVm § 111 ASVG. Gleichzeitig wurde im Strafantrag darauf hingewiesen, dass die Finanzpolizei (das revisionswerbende Finanzamt) gem § 111a ASVG Partei des Verwaltungsstrafverfahrens und an diesem zu beteiligen sei.

Die belangte Behörde verhängte mit Straferkenntnis vom 12.2.2018 wegen Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht gem § 33 Abs 1 ASVG eine Geldstrafe von € 730,-. Die daraufhin vom Finanzamt beantragte Feststellung, dass ihr im Verfahren Parteistellung gem § 11a ASVG zukomme, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 12.4.2018 als unzulässig zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass § 111a ASVG keine Ermächtigung zur Ausfertigung eines Feststellungsbescheides enthalte.

Das Finanzamt erhob dagegen Beschwerde. Das Verwaltungsgericht wies diese Beschwerde als unbegründet ab. § 111a ASVG räume den Abgabenbehörden des Bundes eine eingeschränkte Parteistellung in „Betretungsfällen“ ein, in denen sie Personen im Rahmen einer Kontrolle angetroffen (betreten) hätten, die nicht vor Arbeitsantritt zur SV gemeldet worden seien. Für ein „Betreten“ iSd genannten Gesetzesbestimmung sei nicht nur erforderlich, dass die entsprechende Person „persönlich“ angetroffen werde, das persönliche Antreffen müsse zudem im Rahmen einer Kontrolle entweder bei der Tätigkeit oder zumindest im Betrieb und damit in einem gewissen Naheverhältnis mit deren (nicht gemeldeter) Tätigkeit erfolgen. Die bloße Durchführung von Ermittlungen (nachträgliche Befragungen des AN, Datenbankabfragen) würden kein „Betreten“ iSd § 111a ASVG darstellen und keine Parteistellung begründen.

Das Verwaltungsgericht ließ die Revision zu, weil Rsp des VwGH zur der hier aufgeworfenen Frage fehle. Der VwGH hält die Revision zwar für zulässig, erachtet sie jedoch für nicht berechtigt.

In weitgehender Übereinstimmung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts führt der VwGH zu § 111a Abs 1 ASVG aus, dass diese Bestimmung die Parteistellung der Abgabenbehörden des Bundes und deren Beschwerde- und Revisionslegitimation in Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG davon abhängig macht, dass „deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden“. In seiner ausführlichen (Wort-)Interpretation hinsichtlich der Wendung „deren Prüforgane Personen betreten haben“, gelangt der VwGH zum Ergebnis, dass die Vornahme von Ermittlungen durch die Finanzpolizei bzw die Erstattung einer Anzeige durch die Finanzpolizei nicht zur Parteistellung der Abgabenbehörde für Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 ASVG führt, zumal § 111a Abs 2 ASVG eine aus der Anzeigenerstattung resultierende Parteistellung dem Versicherungsträger vorbehalte.

Die Beurteilung der aus dem (behaupteten) Arbeitsantritt resultierenden Verwaltungsstrafsache,139nämlich, ob die betretene Person tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt bzw eine Arbeit angetreten hat, ob sie bei einem DG als DN beschäftigt war, ob sie deswegen der Krankenversicherungspflicht unterlag, ob der DG gegen seine Meldepflichten verstoßen hat etc, sieht der VwGH für die Parteistellung nach § 111a Abs 1 ASVG als irrelevant an. Vielmehr schaffe allein die durch die Betretung iSd § 111a Abs 1 ASVG bewirkte Parteistellung der Abgabenbehörde des Bundes die Voraussetzung dafür, bei der Klärung eben dieser Fragen mitzuwirken und die prozessualen Rechte wahrzunehmen.

Im vorliegenden Fall steht für den VwGH unstreitig fest, dass keine Betretung in diesem Sinn stattgefunden hat. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob sich die Parteistellung der Abgabenbehörde des Bundes nur auf jenes ununterbrochene Beschäftigungsverhältnis (und die diesbezüglichen Meldepflichtverletzungen) bezieht, in dessen Verlauf die Betretung erfolgte, oder auch auf abgetrennte Beschäftigungsverhältnisse zwischen denselben Personen, die allenfalls davor oder danach bestanden haben.