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Verbot des Pflegeregresses gilt auch für stationäre Behinderteneinrichtungen

MONIKAWEISSENSTEINER
§ 330a ASVG; § 17 Abs 2 Salzburger Behindertengesetz

Gegenstand des vorliegenden Beschlusses des VfGH war ein Antrag des LVwG Salzburg, jenen Passus in § 17 Abs 2 Salzburger Behindertengesetz als verfassungswidrig aufzuheben, wonach Kostenbeiträge aus dem verwertbaren Vermögen für stationäre Pflegeleistungen, die Menschen mit Behinderung erbracht werden, vorgesehen waren. Das LVwG begehrte die Aufhebung wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz, weil das Verbot des Pflegeregresses des § 330a ASVG nur Personen, die alters- oder krankheitsbedingt in stationären Alten- oder Pflegeeinrichtungen nach den Sozialhilfegesetzen untergebracht sind, nicht aber Menschen mit Behinderungen erfasse.

Der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens bezieht eine Invaliditätspension mit Ausgleichszulage und Pflegegeld der Stufe 2. Er leidet an einer schweren psychiatrischen Krankheit und lebt in einer Betreuungseinrichtung, in der eine engmaschige Begleitung der Bewohner und ein Betreuungskonzept in familiärer Begleitung im Vordergrund stehen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Maßnahme nach dem Salzburger Behindertengesetz wurde von der Bezirkshauptmannschaft abgewiesen, weil er über ausreichend Vermögen (ein Wertpapierdepot) verfüge. Aus Anlass der Beschwerde gegen diese Entscheidung, stellte das LVwG den Gesetzesprüfungsantrag gem Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG.

Der Verfassungsdienst hat im Verfahren vor dem VfGH die Auffassung vertreten, dass stationäre Einrichtungen, die primär der Betreuung von Menschen mit Behinderung dienen, von den Bestimmungen über das Verbot des Pflegeregresses erfasst sind.

Der VfGH weist den Antrag des LVwG zurück, weil die angefochtene Wortfolge seit 1.1.2018 nicht mehr dem Rechtsbestand angehört und führt dazu aus:

„Der Verfassungsgesetzgeber hat den Begriff ,Sozialhilfe‘ (§ 330a ASVG) nicht definiert und auch nicht andernorts als verfassungsrechtlichen Begriff vorgefunden. Auch kompetenzrechtliche Überlegungen führen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar wird die einfachgesetzliche Sozialhilfe-( Mindestsicherungs-)gesetzgebung der Länder im Wesentlichen dem Kompetenztatbestand ,Armenwesen‘ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG) und die einfachgesetzliche Gesetzgebung auf dem Gebiet der Behindertenhilfe herkömmlich Art 15 Abs 1141 B-VG zugeordnet. Es kann jedoch nicht übersehen werden, dass § 330a ASVG gerade nicht an den verfassungsrechtlichen Begriff des ,Armenwesens‘ anknüpft, sondern einen eigenständigen, in den Kompetenzartikeln der Bundesverfassung nicht vorhandenen Begriff der ,Sozialhilfe‘ verwendet. Der VfGH geht von folgendem Begriffsverständnis aus: Das – ehedem auch im Wesentlichen als solches bezeichnete – Sozialhilferecht der Länder, das älter ist als die spezifische Behindertengesetzgebung, kennt seit langem auch Sozialhilfemaßnahmen der Pflege von pflegebedürftigen Menschen. Diese Leistungen wurden unabhängig davon gewährt, welche Ursache eine Pflegebedürftigkeit hatte, gleichgültig insb, ob alters- oder behinderungsbedingt. Erst in jüngerer Zeit wurden spezielle Gesetze für Menschen mit Behinderung geschaffen (Behinderten-, Chancengleichheitsgesetze oder ähnliche).“

Der VfGH kommt daher zum Schluss, dass entsprechende öffentliche Pflegeleistungen unabhängig davon „im Rahmen der Sozialhilfe“ iSv § 330a ASVG erbracht werden, ob sie gegenüber altersbedingt oder behinderungsbedingt Pflegebedürftigen erbracht werden. Das „Verbot des Pflegeregresses“ nach § 330a ASVG bezieht sich sohin auch auf stationäre Pflegeleistungen, die Menschen mit Behinderung erbracht werden, ein diesbezüglicher Zugriff auf das Vermögen der gepflegten Person (ihrer Angehörigen, Erben und Geschenknehmer) ist somit durch § 330a ASVG ausgeschlossen. Die §§ 330a iVm 707a Abs 2 ASVG haben daher die angefochtene Bestimmung des § 17 Abs 2 Z 3 Salzburger Behindertengesetz mit Wirkung 1.1.2018 außer Kraft gesetzt, weshalb der Antrag des LVwG mangels Präjudizialität als unzulässig zurückzuweisen war.