88Keine Verpflichtung zu Wochenendbereitschaftsdienst aufgrund „gelebter Praxis“
Keine Verpflichtung zu Wochenendbereitschaftsdienst aufgrund „gelebter Praxis“
Der Antragsteller ist Arzt für Allgemeinmedizin und hat ein Einzelvertragsverhältnis mit einer Gebietskrankenkasse. Am 6.10.2016 beantragte er bei der Paritätischen Schiedskommission die Feststellung, dass er auf Grund seines Einzelvertrags zu keinem Wochenendbereitschaftsdienst verpflichtet sei, in eventu, dass er nur in einem „Vierer-Rad“ oder einem höheren Dienstrad dazu verpflichtet sei. Er begründete dies damit, dass laut § 16 des maßgeblichen Gesamtvertrages die Vertragsärzte zur Teilnahme an einem durch die Ärztekammer errichteten Bereitschaftsdienst verpflichtet seien, welcher aber nie errichtet worden sei.
Die belangte Behörde wies das Begehren ab und begründet dies damit, dass sehr wohl ein Bereitschaftsdienst iSd § 16 des Gesamtvertrags errichtet worden sei, woraus sich auch die verpflichtende Teilnahme des Antragstellers ergebe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Beschwerde, welche das BVwG als unbegründet abwies. Es stellte fest, dass die Absolvierung des Bereitschaftsdienstes zwar gelebte Praxis sei, ein solcher aber nicht durch die Ärztekammer errichtet wurde. Im Erk vom 10.12.2014, B 967/2012, habe der VfGH bereits festgestellt, dass schon der Gesamtvertrag alleine zur Teilnahme an notärztlichen Diensten dem Grunde nach verpflichte. Dementsprechend sei auch der Antragsteller schon auf Grund des Gesamtvertrags zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst verpflichtet. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.
Der VwGH stellte fest, dass die Revision zulässig ist, da einer Auslegung einer Bestimmung eines Gesamtvertrags wegen des größeren betroffenen Personenkreises nur dann keine grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zukomme, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rsp des VwGH geklärt oder die Auslegung klar und eindeutig ist.
Aus § 16 des Gesamtvertrages ergibt sich, dass der Vertragsarzt zur Teilnahme an einem Bereitschaftsdienst verpflichtet ist, den die Kammer im Einvernehmen mit den Versicherungsträgern errichtet. Gem § 84 Abs 4 Z 7 ÄrzteG obliegt der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte ua die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes. Im vorliegenden Fall ist es unstrittig zu keiner förmlichen Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes durch die Ärztekammer gekommen. Dies wäre aber notwendig gewesen, damit der Arzt iSd § 16 des Gesamtvertrages zur Teilnahme verpflichtet ist. Zwar hat der VfGH im angeführten Erk zu vergleichbaren Gesamtvertragsbestimmungen ausgeführt, dass keine Bedenken dagegen bestünden, wenn der Gesamtvertrag zur Teilnahme an notärztlichen Diensten dem Grunde nach verpflichte und die Konkretisierung der einzelnen Dienste der Erstellung eines Dienstplans durch die zuständige Ärztekammer überlasse. Allerdings setzt dies ein Vorgehen der zuständigen Ärztekammer in der nach den standes- und organisationsrechtlichen Regelungen vorgesehenen Form voraus, konkret also eine Beschlussfassung der Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte gem § 84 Abs 4 Z 7 ÄrzteG 1998, die – soweit dadurch Pflichten der Ku-142rienmitglieder begründet werden – in die Erlassung einer Verordnung zu münden hat. Zusätzlich bedarf es nach § 16 des Gesamtvertrages des Einvernehmens mit dem jeweiligen Versicherungsträger, um die entsprechende gesamtvertragliche Verpflichtung auszulösen. Aus einer bloß „gelebten Praxis“ kann dagegen keine Verpflichtung abgeleitet werden, zumal das konkrete Ausmaß der Verpflichtung nicht bestimmbar bzw von jederzeit möglichen faktischen Änderungen der jeweiligen „gelebten Praxis“ abhängig wäre.