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Frage der Zuständigkeit Österreichs für das Kinderbetreuungsgeld und behauptete „Scheinkarenz“

KRISZTINAJUHASZ

Gegenstand des Revisionsverfahrens war der Anspruch der Kl auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 19.8.2015 bis 22.6.2016 iHv € 64,63 täglich, anlässlich der am 23.6.2015 erfolgten Geburt ihrer Tochter.

Die Kl war bereits Ende Februar 2015 zum Vater ihres Kindes nach Belgien gezogen. Dieser war von seinem deutschen AG bis Dezember 2017 dorthin entsendet. Die Mietwohnung in Wien wurde Ende Februar aufgelöst und das Mobiliar nach Brüssel versendet. Die Kl hatte mit ihrem AG am 7.8.2015 eine Karenzvereinbarung gem § 15 MSchG vom 19.8.2015 bis zum 22.6.2017, bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes, getroffen. Nachdem ihr AG ihren Wunsch nach (unbezahltem) Urlaub bis Dezember 2017 abgelehnt hatte, kündigte sie am 1.4.2017 das Beschäftigungsverhältnis zum 22.6.2017. Mittlerweile ist die Kl wieder beim selben Unternehmen – in einer in Deutschland gelegenen Niederlassung – beschäftigt.

Strittig war die Zuständigkeit Österreichs für das Kinderbetreuungsgeld. Nach der Rsp ist im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 von einer Fiktion der weiteren Ausübung der Erwerbstätigkeit insb dann auszugehen, wenn ein Beschäftigungsverhältnis lediglich vorübergehend – für die Zeit der Karenz – unterbrochen wird. Strittig war, ob im vorliegenden Fall eine vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit oder eine „Scheinkarenz“, also das Beschäftigungsverhältnis realiter beendet war, vorlag, mit der die Gleichstellungsvoraussetzungen des § 24 Abs 2 KBGG nicht erfüllt seien und die Zuständigkeit Österreichs für Familienleistungen iSd VO (EG) 883/2004 nicht begründet werden.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht ist zum Schluss gekommen, dass die Karenzvereinbarung nicht nur zum Schein getroffen wurde, die vorübergehende Unterbrechung der Erwerbstätigkeit nicht nur vorgetäuscht war und die Kl nach Ende der Karenz in den Beruf zurückkehren wollte. Dagegen sprach auch nicht der Umstand, dass die Mietwohnung in Wien bereits 2015 aufgelöst worden war, da die Karenzzeit bis Mitte 2017 zu erwarten war.

Das Berufungsgericht ließ eine Revision nicht zu.

Die außerordentliche Revision der Bekl wurde vom OGH mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückgewiesen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts war nach Ansicht des OGH nicht korrekturbedürftig.

Ebenso wenig wurde mit dem Eventualvorbringen, dass die Vorinstanzen von Amts wegen hätten ermitteln müssen, ob die in Belgien lebende Kl Anspruch auf belgische Familienleistungen gehabt hätte, die auf das österreichische Kinderbetreuungsgeld anzurechnen wären, eine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

Die Anfrage der Bekl bei den zuständigen Behörden in Belgien hat das Ergebnis erbracht, dass die Kl in Belgien Anspruch auf eine anlässlich der Geburt geleistete Einmalzahlung sowie auf eine monatliche Familienunterstützungsleistung, entsprechend der österreichischen Familienbeihilfe, hat-150te. Dieses Vorbringen der Bekl wurde von der Kl außer Streit gestellt. Dass diese Leistungen mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld nicht vergleichbar und nicht anrechenbar sind, stand nicht mehr in Frage. Dass die Kl Anspruch auch auf andere, dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare und daher anrechenbare belgische Familienleistungen gehabt hätte, wurde von der Bekl im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet.

Das Revisionsvorbringen, es habe sich nachträglich herausgestellt, dass die Kl Anspruch auch auf die dem Kinderbetreuungsgeld ähnliche Leistung des belgischen „Erziehungsgeldes“ gehabt hätte, weshalb ihr nach fiktiver Anrechnung dieser Leistung nur eine Ausgleichszahlung iHv € 54,65 täglich gebühre, verstößt gegen das auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot.