Zur Problematik der ordnungsgemäßen Kundmachung von Betriebsvereinbarungen
Zur Problematik der ordnungsgemäßen Kundmachung von Betriebsvereinbarungen
Der OGH hatte sich in den letzten Jahren in zahlreichen Entscheidungen mit der ordnungsgemäßen Kundmachung von Betriebsvereinbarungen als Voraussetzung für deren normative Wirkung zu befassen. Auch die Lehre befasste sich bereits intensiv mit gegenständlichem Themenkreis. Zuletzt hat in der Judikatur auch Niederschlag gefunden, dass aufgrund des technischen Fortschritts neue Möglichkeiten der Publikation zu berücksichtigen sind. Folgender Beitrag versucht, im Lichte der ergangenen Judikatur und der Beiträge in der Lehre den aktuellen Stand zu diesem Themenkreis zusammenzufassen.
Gem § 30 Abs 1 ArbVG sind Betriebsvereinbarungen vom Betriebsinhaber (BI) oder vom BR im Betrieb aufzulegen oder an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle anzuschlagen. Die Verpflichtung beider Seiten soll eine Blockade des Inkrafttretens der BV durch einen Abschlusspartner verhindern, ein Unterlassen der Kundmachung im Einvernehmen kann jedoch wohl nicht unterbunden werden. Die BV ist vollständig inklusive der Anhänge oder sonstiger in Bezug genommener Texte zu publizieren. Die ordnungsgemäße Kundmachung muss jedoch nicht unverzüglich erfolgen, sondern kann auch erst geraume Zeit später vorgenommen werden und dann die normative Wirkung hervorrufen.*
§ 30 Abs 2 regelt, dass für den Fall, dass die BV keine Bestimmung über ihren Wirksamkeitsbeginn enthält, ihre Wirkung mit dem auf den Tag der Unterzeichnung folgenden Tag eintritt. § 30 Abs 3 ArbVG bestimmt, dass die BV nach ihrem Wirksamwerden vom BI den für den Betrieb zuständigen Interessenvertretungen der AG und der AN je eine Ausfertigung der BV zu übermitteln ist.
Aus dem Normtext des § 30 Abs 1 ArbVG ergibt sich somit, dass der Gesetzgeber zwei mögliche Kundmachungsformen für Betriebsvereinbarungen unterscheidet. Zum einen kann die Kundmachung durch das Auflegen im Betrieb und zum anderen durch das Anschlagen an sichtbarer und für alle AN zugänglicher Stelle erfolgen. Die damit einhergehenden Problemstellungen werden nunmehr in weiterer Folge konkret dargestellt.
Besonders mit dieser, im Gesetz erstgenannten Möglichkeit der Kundmachung hatten sich die Gerichte in den letzten Jahren recht häufig auseinanderzusetzen, wie sich aus der umfangreich dazu ergangenen Judikatur erkennen lässt. Auch die Lehre beschäftigte sich in zahlreichen Beiträgen mit gegenständlicher Problematik.
Zur Verdeutlichung der Problematik wird ein sehr stark verkürzter Sachverhalt dargestellt, der zahlreiche typische Probleme, die bei der Kundmachung von Betriebsvereinbarungen durch Auflage auftreten können, beinhaltet und in der Praxis tatsächlich zu zahlreichen Entscheidungen führte.
Der Kl unterlag einem auf einer BV beruhenden, beitragsorientierten Pensionskassenmodell. Ursprünglich gab es dazu eine BV, die eine Nachschussverpflichtung des AG für eine Mindestsicherung des Deckungskapitals beinhaltete. Im Hinblick auf die unsichere wirtschaftliche Lage des AG kam es jedoch zu einer Vereinbarung zwischen AG und Belegschaftsvertretung, durch welche die „Performance-Garantie-BV“ mit einem Abfindungsbetrag von 8,5 Mio ATS durch die „Ablöse-BV“ abgefunden wurde.
Die dazu unterzeichnete BV wurde sowohl im Personalbüro als auch im Betriebsratsbüro hinterlegt, jedoch erfolgte kein Aushang, in welchem auf die Existenz der „Ablösevereinbarung“ oder deren Inhalt hingewiesen wurde. Auch im bestehenden Mitarbeiterhandbuch des Betriebes fand die BV keinen Eingang.
In den einzelnen Abteilungen der Bekl fanden etwa alle ein bis vier Wochen Jour fixes statt, bei denen es zu den Pflichten eines Bereichsleiters zählte, dass er seine MitarbeiterInnen in den Abteilungen vom Abschluss einer BV in Kenntnis setzt. Dies war auch bei der vorliegenden BV der Fall, doch konnte nicht festgestellt werden, dass der Kl an einem dieser Jour fixes teilgenommen hat oder teilnehmen hätte müssen. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass anlässlich eines Jour fixe auf die Hinterlegung der BV im Per-156sonalbüro bzw im Betriebsratsbüro hingewiesen wurde.
Im Betrieb der Bekl war es üblich, dass anlässlich der Betriebsweihnachtsfeier auch ein Vertreter des BR über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen Bericht erstattet. Am 12.12.2000 fand die Weihnachtsfeier statt und ein Mitglied des BR berichtete über den Abschluss der Änderungs-BV. An dieser Weihnachtsfeier nahm der Kl allerdings nicht teil, die Teilnahme war auch nicht verpflichtend.
Der Kl begehrte zusammengefasst Zahlung seiner sich aus der ursprünglichen Vereinbarung ergebenden Betriebspension bzw die Verpflichtung der Bekl, Nachschuss zu leisten, mit der Begründung, dass die „Ablöse-BV“ mangels ordnungsgemäßer Kundmachung keine normative Wirkung entfaltet hat.
In der rechtlichen Beurteilung der ersten E* zu diesem Sachverhalt stellt der OGH umfassend die zuvor ergangene Judikatur sowie die vorhandenen Lehrmeinungen dar, hervorzuheben sind aus Sicht der Autorin besonders folgende Ausführungen und Verweise:
Verwiesen wird zunächst auf eine E* des OGH aus dem Jahr 1991, in welcher ausgesprochen wurde, dass eine BV durch bloßes Auflegen im Personalbüro ohne sonstige Hinweise auf die Einsichtmöglichkeit nicht gehörig iSd § 30 Abs 1 ArbVG kundgemacht ist.
Angeführt wird eine weitere E des OGH,* in welcher auf die Lehrmeinung von Strasser* Bezug genommen wird, dass – entgegen dem Normtext – nicht das alleinige „Auflegen“ im Betrieb ausreicht, sondern die AN auch durch Anschlag darauf hingewiesen werden müssen, dass überhaupt eine solche BV aufliegt. Dies entspreche auch den allgemeinen Publikationserfordernissen für generell wirkende Normen, die Anforderungen an die Formerfordernisse dürfen jedoch nicht überspannt werden.
Das Auflegen der BV führt prima facie den – widerlegbaren – Beweis dafür, dass der Inhalt der BV der Belegschaft seinerzeit auch zur Kenntnis gelangt ist, trotzdem bleibt es beim Erfordernis des zusätzlichen Anschlags.
In seiner E zur Ablöse-BV verweist der OGH weiters auf Reissner,* welcher verlangt, wenn die Kundmachungsform des Auflegens im Betrieb gewählt wird, dass durch Anschlag an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle auf den Ort der Aufstellung (zB Betriebsratszimmer) und die Zeiten, an denen die Einsichtnahme möglich ist, hinzuweisen ist. Ausgeführt wird weiters, dass Reissner und Löschnigg* auch die Auflage in einer Datenbank eines unternehmensinternen Intranets für möglich halten, sofern dieses für alle AN leicht zugänglich ist und die AN diesbezüglich entsprechend informiert sind.
Hingewiesen wird weiters darauf, dass es ein Wertungswiderspruch wäre, wollte man eine hinweislose Hinterlegung einer BV dem Anschlag an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle gleichsetzen.
Da nicht festgestellt werden konnte, dass die Anwesenheit der AN bei den Abteilungsbesprechungen (Jours fixes) oder bei der Weihnachtsfeier verpflichtend war und auch nicht feststeht, dass bei diesen Gelegenheiten auf die Einsichtsmöglichkeiten hingewiesen wurde, kann diese Vorgangsweise das sich aus § 30 Abs 1 ArbVG hervorgehende Publizitätserfordernis nicht ersetzen. Für die normative Wirkung ist es erforderlich, die Ablöse-BV nicht nur aufzulegen, sondern auch in einer geeigneten, den AN bekannten Verlautbarungsmethode auf den Abschluss und die Einsichtsmöglichkeiten hinzuweisen. Es reicht nicht hin, wenn AN diese Information zufällig von einem Kollegen erfahren, zumal auch dann nicht die notwendige objektive Publikation ersehen werden kann. Anders wird dies aber eventuell dann zu beurteilen sein, wenn die Tagesordnung einer Betriebsversammlung einen eigenen Tagesordnungspunkt enthält, der auf neue bzw geänderte Betriebsvereinbarungen hinweist.
Auch die zweite E* des OGH zu oben dargestelltem Sachverhalt (mit geringfügiger Abwandlung dahingehend, dass die Kl zwar an der Weihnachtsfeier teilnahm, die Verkündung der Ablöse-BV aber nicht wahrnahm) führt – was die ordnungsgemäße Kundmachung der BV betrifft – zum selben Ergebnis, nämlich, dass eine ordnungsgemäße Kundmachung der BV nicht erfolgte.
Es erging eine weitere, dritte E* des OLG Wien zum dargestellten (Grund-)Sachverhalt. In diesem Fall wurden zusätzliche Feststellungen dahingehend getroffen, dass die „Ablöse-BV“ in schriftlicher Form im Personalbüro des AG auflag und beim BR zur Einsichtnahme und ebenso darüber hinaus ab dem 21.10.2003 auch im Intranet der Bekl abrufbar war, und zwar unter einer „Kachel“ mit der Bezeichnung „Besitzstandspension-Änderung“ bzw „Ablauf Performance-Garantie“. Ebenso wurde festgestellt, dass der Betriebsratsvorsitzende an alle Mitarbeiter eine E-Mail übersandte, mit welcher auf die kürzlich verteilten Leistungsausweise der Pensionskasse hingewiesen wurde und ua darauf, dass in die-157sen Summen auch Beiträge hinsichtlich der Ablöse-BV enthalten waren.
Das OLG übernahm die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, welches zunächst auf die beiden Vorentscheidungen verwies und führte hinsichtlich der „Kachel“ im Intranet aus, dass durch diese nicht die erforderliche Publizität gewährleistet sei, ebenso wenig wie die angeführte E-Mail an alle. Es sei dies kein ausdrücklicher, auf den Abschluss in die Einsichtsmöglichkeit gerichteter Hinweis auf die BV.
Anzuraten wäre in diesem Zusammenhang daher, ins Intranet einen eigenen Inhaltspunkt „Betriebsvereinbarungen“ aufzunehmen.
Ausdrücklich Bezug genommen wurde auf eine weitere E* des OGH, wonach die Veröffentlichung in einem internen Computernetz mit einem entsprechenden Link zum maßgebenden Text jedenfalls dann eine ausreichende Kundmachung darstellen könne, wenn der Text der BV auch in gesicherter Form beim BR oder beim BI eingesehen werden könne – in dieser E war die geänderte Fassung der BV im Intranet abrufbar und die Kl zuvor per E-Mail auf die Änderung hingewiesen worden. Dies lag aber im Fall zur „Ablöse-BV“ nicht vor, weswegen auch hier keine ordnungsgemäße Kundmachung der BV vorlag.
Diese im Gesetz zweitgenannte Option der Kundmachung scheint für sich betrachtet in der Praxis deutlich weniger relevant zu sein. In der Lehre sind zwar Ausführungen dazu, welche Voraussetzungen der Anschlag einer BV für die ordnungsgemäße Kundmachung zu erfüllen hat, vorhanden. Die Judikatur hatte sich jedoch – soweit ersichtlich – bis dato ausschließlich deshalb mit diesem Thema auseinanderzusetzen, weil – wie sich aus den Ausführungen unter Pkt 2. dieses Beitrags ergibt – der Anschlag die Zusatzvoraussetzung für die ordnungsgemäße Kundmachung durch Auflage darstellt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher zur Judikatur auf die Ausführungen unter Pkt 2. verwiesen.
Die darüber hinausgehenden Ausführungen in der Lehre lassen sich wie folgt zusammenfassen: Wörtlich bedeutet „Anschlag“ die schriftliche Bekanntmachung durch Aushang (Plakatierung) eines Textes, wobei hier bspw von Pfeil* der klassische Aushang am „Schwarzen Brett“ eines Betriebes erwähnt wird.
Nach Reissner* ist als modernere Form einer derartigen Anschlagtafel auch ein an sichtbarer, für alle AN zugänglicher Stelle postiertes elektronisches Medium geeignet, also ein Bildschirm mit Tastatur, welcher jedem/jeder AN einen einfachen und problemlosen Einstieg in die Texte der BV, etwa den diese enthaltenden Teil des Intranets, ermöglicht.
Auch daraus ergibt sich – wie bereits oben angemerkt – dass der erforderlichen Publizität einer BV wohl jedenfalls dann gedient ist, wenn im Intranet ausdrücklich auf neu abgeschlossene oder geänderte Betriebsvereinbarungen hingewiesen wird.
Jedenfalls muss gewährleistet sein, dass alle AN ohne besonderen Aufwand Kenntnis erlangen können. Es muss sich daher um eine Stelle handeln, zu der alle AN des Betriebes im Zusammenhang mit der Erbringung ihrer Arbeitsleistung, also zB unmittelbar vor oder nach der Arbeit oder in einer Arbeitspause, leicht und ohne Barrieren (Schlüssel, limitierte Öffnungszeiten) Zugang haben.*
Strasser* führt aus, dass dem Erfordernis der Zugänglichkeit für alle bei größeren Betrieben und solchen mit mehreren Betriebsstätten nur entsprochen wird, wenn der Aushang an mehreren Stellen erfolgt.
Reissner* fasst die Rechtsfolgen wie folgt zusammen: Nach herrschender Auffassung kann eine BV bei Verletzung der Kundmachungsvorschriften nur schuldrechtliche Wirkung entfalten, sie begründet in diesem Fall nur vertragliche Rechte und Pflichten zwischen den Abschlussparteien. Der Eintritt der normativen Wirkung, also der unmittelbaren Rechtsverbindlichkeit für AG und AN wird durch den Mangel der Kundmachung behindert. Die nicht gehörige Kundmachung einer BV schließt nicht aus, dass sie Grundlage für die Ergänzung der einzelnen Arbeitsverträge der betroffenen AN nach Maßgabe des § 863 ABGB werden kann. Zu beachten ist auch, dass auch die Abänderung einer bestehenden BV gem § 30 Abs 1 im Betrieb kundzumachen ist, zumal diese eine „BV“ iSd Bestimmung darstellt.
Abschließend kann festgehalten werden, dass die intensive Beschäftigung der Lehre und der Judikatur mit dem Thema der Publizitätserfordernisse158 von Betriebsvereinbarungen dazu geführt hat, dass sich eine gesicherte Rsp dahingehend entwickelt hat, dass bei bloßem Auflegen von Betriebsvereinbarungen ohne zusätzliche Information an die Betroffenen jedenfalls nicht von einer ordnungsgemäßen Kundmachung auszugehen ist. Im Hinblick auf die rasante technische Entwicklung und den immer alltäglicher werdenden Gebrauch elektronischer Medien ist jedoch davon auszugehen, dass es auch in Zukunft in der Praxis zu vielfältigen Problemstellungen kommen wird, bei deren Lösung Rsp und Lehre auch weiter gefordert sein werden.