Amtswegige Stornierung von Anmeldungen zur Sozialversicherung bei Scheinunternehmen

WOLFGANGKOZAK

Aufgrund des Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes (SBBG) besteht die Möglichkeit für die Finanzbehörden, bei Vorliegen bestimmter Kriterien festzustellen, dass ein Unternehmen ein Scheinunternehmen iSd SBBG darstellt. Eine solche Feststellung hat nicht nur Folgen für das betroffene Unternehmen, sondern hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Stellung auch Folgen für die in dem betroffenen Unternehmen gemeldeten DN. Deren Anmeldungen zur KV werden oftmals auch ohne vorherige Anhörung der betroffenen Personen zur Gänze storniert. Auch nach „Stornierung“ erfolgt keine gesonderte Verständigung durch den Krankenversicherungsträger. Da an die grundlegende Beseitigung der Versicherung weitreichende Rechtsfolgen, wie der rückwirkende Verlust einer Kranken-Pensionsversicherung, geknüpft sind, führt geschilderte Vorgangsweise zu einem Rechtsschutzdefizit für die betroffenen Personen. In diesem Beitrag wird daher das Verfahren in Folge einer rechtskräftigen Feststellung eines Scheinunternehmens behandelt.

Eine vergleichbare Problemstellung findet sich bei der Feststellung von Scheinselbständigkeit, bei der die Begründung einer Versicherungspflicht nach ASVG und die „Stornierung“ jener nach GSVG mit Bescheid festgestellt werden muss.*

1.
Arten von Scheinunternehmen

Das SBBG definiert zwei Arten von Scheinunternehmen: Im ersten Fall tritt das Unternehmen tatsächlich am Markt auf, hat aber auch als Ziel Lohnabgaben, Beiträge zur SV, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgelt der AN nicht vollständig zu bezahlen bzw abzuführen (§ 8 Abs 1 Z 1 SBBG); im zweiten Fall ist nicht einmal ein Marktauftritt gegeben und es wird daher kein unternehmerisches Ziel verfolgt. Ziel dieses eigentlichen Scheinunternehmens* ist lediglich die Anmeldung von Personen zur SV, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, ohne überhaupt eine Tätigkeit im Rahmen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zu verrichten.

Findet sich also im ersten Fall (von Wiesinger als Scheinunternehmen im formellen Sinn bezeichnet) eine Vielzahl von Sachverhalten bis zur klassischen Schwarzarbeit wieder* – so sind hier auch Fälle von Scheinanmeldungen neben schlichten Falschanmeldungen möglich; umfasst der zweite Fall (von Wiesinger als Scheinunternehmen im materiellen Sinn bezeichnet) lediglich den Fall, dass Anmeldungen ohne Absicht der Verrichtung von Tätigkeiten vorgenommen wurden.

Muss im ersten Fall neben der unternehmerischen Tätigkeit vorrangig Ziel des Unternehmens, Entgelt oder Abgaben zu verkürzen, sein, ist im zweiten Fall das Ziel die Erschleichung von Sozialleistungen. Hier wird zwar die Nichtabführung von Abgaben regeltypisch sein, ist aber nicht Teil der Definition des materiellen Scheinunternehmens.

1.1.
Verfahren zur Feststellung eines Scheinunternehmens

Für das Verfahren zur Feststellung eines Scheinunternehmens ist das Finanzamt der Betriebsstätte bzw der scheinbaren Betriebsstätte von materiellen Scheinunternehmen zuständig. Verfahrensordnung ist die BAO.* Dies hat aber zur Folge, dass AN des in einem Verfahren nach § 8 SBBG stehenden Unternehmens, da ihr Interesse an der Beteiligung am Verfahren „lediglich“ in Vermeidung negativer sozialversicherungsrechtlicher Rechtsfolgen besteht und nach der Judikatur sogar bestehende Bürgschaften oder159 sonstige zivilrechtliche Haftungen keinerlei Parteistellung gem § 78 BAO begründen, in diesem Feststellungsverfahren keine Parteistellung haben.* Es ist daher vom Zufall abhängig, ob betroffene AN über ein solches Verfahren informiert werden, auch die Information über den Ausgang des Verfahrens an diese ist nicht vorgesehen.

Unabhängig von diesem mE rechtspolitisch nicht wünschbaren Informationsdefizit zeigt der Verfahrensgegenstand und die fehlende Parteistellung auf, dass trotz Bindung der Sozialversicherungsträger an das Ergebnis des rechtskräftigen Feststellungsbescheides* der Abgabenbehörden (§ 35a Abs 1 ASVG) dieser keine Bindung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Schicksals der Anmeldungen der einzeln in diesem (Schein-)Unternehmen gemeldeten AN hat. Ein eigenes durch den jeweiligen Krankenversicherungsträger durchgeführtes Verfahren ist daher notwendig und in den §§ 43 Abs 4, 11 Abs 7 und 35a ASVG vorgesehen.

Diese rechtliche Situation ist aus DN-Sicht mit jener vergleichbar, bei der im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung der lohnabhängigen Abgaben eine Scheinselbständigkeit festgestellt wurde.* Nach Müller kann nämlich das sozialversicherungsrechtliche Verfahren nach der Schlussbesprechung (wenn die Zuordnung zwischen DG und den beteiligten Sozialversicherungsträgern geklärt ist) insofern bereits beendet sein, da nicht in jedem Fall eine Bescheiderlassung gem § 410 ASVG verpflichtend ist.*

Im Unterschied der falschen Einordnung eines Vertragsverhältnisses knüpft aber das ASVG im Rahmen der Bekämpfung von Scheinunternehmen an Spezialnormen für Scheinunternehmen zugeordneten Personen an.

2.
Folgeverfahren des ASVG nach Scheinunternehmensfeststellung durch die Abgabenbehörden

Der grundsätzliche Auftrag zur Sozialbetrugsbekämpfung befindet sich in § 3 Abs 1 und 2 Z 2 SBBG für die Krankenversicherungsträger. Diese begründen die Pflicht zur Aufnahme eines amtswegigen Verfahrens, wenn der Krankenversicherungsträger von der Abgabenbehörde über das Bestehen eines Feststellungsbescheides bezüglich eines Scheinunternehmens informiert wird. Es besteht daher keine Möglichkeit für den Krankenversicherungsträger, in einem solchen Fall von einer Ermittlungstätigkeit abzusehen. Fraglich ist, welche Verfahrensbestimmungen neben den durch das SBBG eingeführten Spezialnormen noch zur Anwendung kommen.

2.1.
Ladungspflicht des Krankenversicherungsträgers

Gem § 355 Z 1 ASVG gehören die Feststellung der Versicherungspflicht sowie die Feststellung des Beginns und Endes der Versicherung zu den Verwaltungssachen. Es sind daher die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) anzuwenden, soweit dem keine Sonderbestimmungen, insb jene des 7. Teils des ASVG, entgegenstehen.* Da § 43 Abs 4 keine Bestimmung über die Zustellung der Aufforderung zum persönlichen Erscheinen enthält, sind die allgemeinen Bestimmungen über die Ladung, die eine einfache Ladung aufgrund des Gesetzestextes darstellt, des AVG (§ 19 ff AVG) und des Zustellgesetzes anzuwenden.* Die Befolgung der Ladung ist gem § 43 Abs 4 ASVG Pflicht des Versicherten. Diese Aufforderung hat, da die Rechtsfolge der Nichtbefolgung der Verlust des Versicherungsverhältnisses darstellt, gem § 22 AVG mit Zustellnachweis bzw mit Zustellung zu eigenen Handen, wenn auch Kostenfolgen für den betroffenen DN zu erwarten sind, zu erfolgen.*

§ 35a Abs 1 iVm § 43 Abs 4 iVm § 11 Abs 7 Z 1 ASVG regeln, dass der Sozialversicherungsträger betroffene DN schriftlich auffordern muss,* binnen sechs Wochen persönlich zu einer Sachverhaltsfeststellung zu erscheinen. Die Verpflichtung ergibt sich aus den Rechtsfolgen des § 11 Abs 7 ASVG, der generell bei Verletzung der Auskunftspflicht bzw einer nicht gelungenen Glaubhaftmachung von erbrachten Arbeitsleistungen das Erlöschen der Versicherungspflicht anordnet und eine solch gravierende Rechtsfolge nur nach Abwicklung eines ordnungsgemäßen Verfahrens eintreten kann.

2.2.
Verpflichtung zur Durchführung eines Verfahrens

Fraglich ist nun, ob § 11 Abs 7 ASVG im Verhältnis der Spezialität zu § 10 ASVG steht.

10 begründet bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Versicherungspflicht ex lege; hingegen regelt § 11 Abs 7 ASVG das Erlöschen der Versicherungspflicht bei Vorliegen der Tatbestandselemente im Ermittlungsverfahren in Folge der Feststellung eines Scheinunternehmens. § 11 Abs 7 ASVG scheint also das Vorliegen einer160 Versicherungspflicht gem § 10 ASVG vorauszusetzen und wenn diese nicht gegeben ist, ohne Anwendungsbereich zu sein.* Die Klärung des Verhältnisses dieser Normen ist dort relevant, wo in einem Scheinunternehmen eine Person zwar zur SV angemeldet wurde, aber tatsächlich überhaupt kein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis iS von § 10 ASVG vorlag (typischerweise die Fallkonstellation bei einem materiellen Scheinunternehmen). Wertete man das Vorliegen einer Versicherungspflicht gem § 10 ASVG als Grundvoraussetzung für den Anwendungsbereich von § 11 ASVG aus, würden in einem solchen Fall die besonderen Verfahrensbestimmungen nicht zur Anwendung kommen. Es würden also die allgemeinen Bestimmungen hinsichtlich eines durchzuführenden Verfahrens mit einer eventuellen Bescheiderlassungspflicht zu beachten sein.

So sieht § 410 ASVG die zwingende Erlassung eines Bescheides vor, wenn Inhalt des Verfahrens nicht nur die Feststellung, sondern auch die Gestaltung der Rechte und Pflichten des (vermeintlich) Versicherten betreffen.* § 410 Abs 1 Z 1 enthält nicht den Fall, dass die nicht ordnungsgemäße Meldung eines DN (da keine Versicherungspflicht gem § 10 ASVG) vom Sozialversicherungsträger storniert wird, die Aufzählung ist aber demonstrativ gehalten, wodurch aufgrund des Gleichlaufs des Interesses an Rechtssicherheit der Betroffenen auch in diesem Fall eine Bescheidpflicht des Sozialversicherungsträgers statuiert ist.* Diese Anordnung stellt die Pflicht zur Durchführung eines Feststellungsverfahrens zusätzlich zu dem durch § 10 ASVG normierten Eintreten bzw Erlöschen der Versicherungspflicht ex lege dar.*

Dieses Verständnis will der Gesetzgeber auch bei den Verfahren in der Folge einer Scheinunternehmensfeststellung gewahrt wissen, aber mit Rücksicht einer effektiven Bekämpfung von Sozialbetrug mit einem abweichenden, für die Behörden erleichterten Verfahren. So sprechen die Erläuterungen zum SBBG davon, dass beim Erlöschen der Versicherungspflicht iS von § 11 Abs 7 ASVG ebenfalls ein Bescheid zu erlassen sei.* Es ist also davon auszugehen, dass § 11 Abs 7 ASVG also eine Spezialnorm im Verhältnis zu § 410 ASVG darstellt. § 35a Abs 3 und § 11 Abs 7 ASVG stellen somit ergänzende bzw klarstellende Anordnungen über die Vornahme des Ermittlungsverfahrens dar.

Legt man den Fokus auf die Wirkung von § 11 Abs 7 ASVG, so wird ersichtlich, dass diese Norm im Verhältnis der Spezialität zu § 10 ASVG steht, da das Erlöschen der Versicherung an die Voraussetzungen des Vorliegens der verletzten Auskunftspflicht (Z 1) oder der Nicht-Glaubhaftmachung der Verrichtung der Arbeitsleistung knüpft. Diese Logik (des Versicherungserlöschens) setzt aber auch voraus, dass im Bereich des § 11 Abs 7 ASVG das Versicherungsverhältnis durch die Anmeldung einstweilen zustande kommt.

Grundsätzlich stellt eine solche Auslegung keinen Systembruch und Wertungswiderspruch zum ex lege-Eintritt der Versicherungspflicht dar, weil sich bereits in der Formalversicherung gem § 21 ASVG – hier unter der Bedingung, dass Beiträge geflossen sind und vom Versicherer unwidersprochen angenommen wurden* – ein von den Normwirkungen des § 10 ASVG unabhängiges Versicherungsverhältnis findet. Als weitere Argumentation kann herangezogen werden, dass für die eingeführten Verfahrenserleichterungen jedenfalls die vorläufige Versicherung der betroffenen Personen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in Kauf genommen wird, zumal beim gänzlichen Erlöschen der Versicherung eventuelle Ausgaben des Versicherungsträgers zu erstatten sind, dem Krankenversicherungsträger daher keine unbilligen Kosten aufgetragen werden.

Wurde also ein Scheinunternehmen rechtskräftig durch Bescheid festgestellt, sichert § 11 Abs 7 ASVG (im Extremfall, dass eine Anmeldung zur SV vom Scheinunternehmen vorgenommen wurde und keine Beiträge gezahlt wurden) die Existenz einer Versicherung bis zur rechtskräftig festgestellten ex lege-Beendigung in Folge Verletzung der Auskunftspflicht oder einer mangelnden Glaubhaftmachung der Verrichtung von Arbeitsleistungen.

Erfüllt der AN seine Auskunftspflicht und gelingt ihm die Glaubhaftmachung der Arbeitsleistung und des Vorliegens eines Dienstverhältnisses ist gem § 35a Abs 3 ASVG der DG zu ermitteln.* Scheitert der Krankenversicherungsträger, so gilt der Auftraggeber ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens als DG, wenn er zumindest mit bedingtem Vorsatz ein Scheinunternehmen beauftragt hat.* In diesem Verfahren hat der DN jedenfalls Parteistellung, da DG und Zeitraum der Versicherungspflicht festgestellt werden; § 410 ASVG kommt zur Anwendung.161

3.
Stornierung ohne Verfahren

Wie kann nun gegen eine amtswegige Stornierung ohne Einhaltung des gebotenen Verfahrens in Folge der Feststellung eines Scheinunternehmens von den betroffenen DN vorgegangen werden? Da das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten wurde, besteht für die DN die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Feststellung der (vermeintlichen) Versicherungspflicht in einem bestimmten Zeitraum gem § 410 Abs 1 Z 7 ASVG.* Durch die amtswegige Stornierung liegt jedenfalls ein strittiger Fall iSd Judikatur vor, der zu einer Bescheiderlassungspflicht führt.* Dieses Recht besteht ohne zeitliche Begrenzung.*

In gegenständlichem Antrag wird es tunlich sein, dem Versicherungsträger in Erfüllung der Auskunftspflicht gem § 43 Abs 4 ASVG alle vorhandenen Informationen zu geben sowie vorzubringen, dass es sich bei den vom Antrag umfassten Zeiten um jene zu einem Scheinunternehmen handelt. Das weitere Verfahren ist dann nach den Bestimmungen für Scheinunternehmen abzuwickeln.

4.
Zusammenfassung

Auch im Zusammenhang mit der Feststellung von Scheinunternehmen haben die Krankenversicherungsträger über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Versicherung der betroffenen DN förmliche Verfahren durchzuführen, an deren Abschluss ein Feststellungsbescheid zu erlassen ist.