Sozialhilfe neu – die Reform der Mindestsicherung
Sozialhilfe neu – die Reform der Mindestsicherung
Der Ministerratsbeschluss vom 13.3.2019 hat das seit längerem absehbare Ende der Ära der Mindestsicherung gebracht. Mit der Vorlage des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes tritt wieder die alte Sozialhilfe an ihre Stelle. Die Namensänderung war ein ganz bewusster Schritt, mit dem gleichzeitig eine Reihe anderer gesetzt wurden, durch die das sogenannte unterste soziale Netz stark umgebaut werden soll. Einiges wird jedoch von den Bundesländern abhängen, denen es obliegt, die Ausführungsgesetze zu erlassen.
Die Sozialhilfe ist gleichzeitig die Vorgängerin wie auch die Nachfolgerin der gem Art 15a B-VG geregelten Vereinbarung zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung zwischen Bund und Ländern. Die Mindestsicherung wurde im Jahr 2010 von der damaligen Bundesregierung eingeführt, um das System der sozialen Sicherheit in größerem Ausmaß armutsfest zu machen. Nachdem im Herbst 2016 die notwendig gewordenen Verhandlungen über eine Verlängerung gescheitert waren, lief die Vereinbarung aus. Sie wurde durch eigene, letztlich voneinander unabhängige Mindestsicherungsregime der Länder ersetzt, die nun ihrerseits (wieder) von der Sozialhilfe ersetzt werden sollen.
Eine über alle Bundesländer hinweg einheitliche Regelung wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft nicht geben, da das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz den Ländern Spielraum zur Umsetzung gewähren muss, den voraussichtlich jedes Land anders nutzen wird.
Die Sozialhilfe soll jene Personen unterstützen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Erwerbseinkommen, ihren Ersparnissen, durch Leistungen der SV (bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Alter usw) oder durch die Versorgung seitens unterhaltspflichtiger Angehöriger sichern können. Sie gilt subsidiär, dh, dass sie lediglich dann ausbezahlt wird, wenn und soweit alle anderen Möglichkeiten, die eigene Existenz zu sichern, ausgeschöpft sind. Mit Hilfe der Sozi-162alhilfe soll es Menschen möglich sein, die laufenden Ausgaben zur Sicherung des Lebensunterhalts aufzubringen, genauso wie jene für das Wohnen. Die Höhe der Leistung orientiert sich am Ausgleichszulagenrichtsatz der PV (für Alleinstehende 2019: € 885,47 netto). Menschen, die über ein niedriges Erwerbseinkommen oder eine geringe Leistung aus der AlV verfügen, können eine Aufstockung aus der Sozialhilfe beantragen. Ergänzend haben die Länder die Möglichkeit, in besonderen Situationen im Rahmen ihres eigenen Ermessens zusätzliche Leistungen zu gewähren. Das kann zB finanzielle Unterstützung bei der Neubeschaffung eines kaputtgegangenen Haushaltsgeräts betreffen. Alle unterstützten Personen sind in die gesetzliche KV einbezogen.
Menschen, die eine Leistung aus der Sozialhilfe beziehen, sind grundsätzlich verpflichtet, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, sofern sie arbeitsfähig sind. Ausnahmen gibt es, neben Kindern, Minderjährigen in Ausbildung und Menschen, die das Pensionsantrittsalter bereits erreicht haben, für Menschen mit Betreuungspflichten für Kleinkinder und für pflegende Angehörige. Ebenso notwendig ist es, vorhandene Ersparnisse aufzubrauchen, bis zu einer Höhe von etwa € 5.200,- (bisher: € 4.300,-), bevor ein Leistungsbezug möglich ist. Bei vorhandenem Eigentum (Haus, Wohnung), das als Hauptwohnsitz genutzt wird, können die Sozialhilfeträger, nach Ablauf einer Frist, eine Sicherstellung im Grundbuch vornehmen, um ihre Ansprüche zu wahren.
Neben der namentlichen Änderung – deren Symbolwert nicht unterschätzt werden sollte – gab es eine Reihe von weiteren Neuerungen, mit teilweise weitreichenden Folgen.
Als Zielvorgabe – und ebenfalls nicht ohne symbolische Bedeutung – wurde die Verringerung von Armut in der Neuregelung gestrichen. Im Gegenzug werden integrationspolitische und fremdenpolizeiliche Ziele genannt. Dahinter steht wahrscheinlich der Versuch, diese Zielbestimmung dafür zu nutzen, erwartete unions- oder verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ausgestaltung der Sozialhilfe zu entkräften.
An die Stelle von Mindestsätzen für die Leistungen der Mindestsicherung treten nun Maximalhöhen. Damit wird es künftig den für die Umsetzung zuständigen Bundesländern möglich sein, Leistungen auszuzahlen, die unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegen. Bisher war dieser Richtsatz der Minimalbetrag, den sie überschreiten konnten. Darüber hinaus war es den Ländern bisher möglich, überall dort – freiwillig – Zusatzleistungen zu gewähren, wo es ihnen erforderlich erschien. Künftig können sie das nur mehr für AlleinerzieherInnen und bei hohen Wohnkosten tun – und auch dies nur bis zu bestimmten Obergrenzen. Lediglich auf die Zusatzleistungen für Menschen mit Behinderung besteht ein Rechtsanspruch. Auch in Bezug auf die Leistungshöhe sind Veränderungen vorgesehen. Zwar wird der Richtsatz für Alleinstehende grundsätzlich nicht verändert, sehr wohl aber die Leistungen größerer Haushalte. (Ehe-)Paare erhalten künftig maximal das 1,4-fache des Einzelrichtsatzes (bisher das 1,5-fache). Das bedeutet aktuell eine Kürzung um € 88,50 im Monat. Auch die Leistungen für Kinder wurden reduziert. Zwar ist für das erste Kind eine großzügigere Leistung als bisher vorgesehen (0,25 % des Richtsatzes, statt bisher 0,18 %, € 221,- statt bisher € 159,-), dadurch kann aber die beschriebene Schlechterstellung der Eltern nicht ausgeglichen werden. Für jedes weitere Kind ist weniger Geld vorgesehen: Ab dem dritten Kind sind es nur mehr (maximal) € 44,- im Monat. Bei einer sechsköpfigen Familie bedeutet das eine monetäre Verschlechterung von zumindest € 283,- monatlich im Vergleich zu bisher. Auch bei Wohngemeinschaften wurden weitreichende Leistungskürzungen vorgenommen.
Eine weitere wichtige Änderung stellt die Einführung des sogenannten „Arbeitsqualifizierungsbonus“ dar. Er besagt, dass es nötig ist, einen Pflichtschulabschluss mit Deutsch als primärer Unterrichtssprache nachzuweisen, um Sozialhilfe in voller Höhe beziehen zu können. Ist dies nicht der Fall, muss ein Nachweis des Sprachniveaus Deutsch als Zweitsprache auf B1-Niveau oder Englisch auf C1-Niveau erbracht werden. Zusätzlich ist vorgesehen, dass jenen Anspruchsberechtigten, die weder das eine noch das andere vorweisen, die Möglichkeit eingeräumt wird, bei der Behörde vorzusprechen, um ein ausreichendes Sprachniveau nachzuweisen. Ist keine dieser Bedingungen erfüllt, wird die Sozialhilfe um zumindest 35 % (2019: € 309,- pro Monat) reduziert. Alleinstehenden stehen dann statt € 885,- nur mehr maximal € 576,- im Monat zu. Dem Nachweis entsprechender Sprachkenntnisse wurden jedoch bedeutende Hürden in den Weg gelegt. Zum einen wurde das Arbeitsmarktservice-Budget seitens des Bundes stark gekürzt und damit dessen Möglichkeit, Sprachkurse anzubieten. Zum anderen werden künftig nur mehr Deutschkurse, die beim Österreichischen Integrationsfonds innerhalb von sechs Monaten vor der Sozialhilfe-Antragstellung abgelegt wurden, für den Nachweis der Deutschkenntnisse anerkannt.
Ebenfalls neu ist, dass die Länder künftig die Möglichkeit erhalten, ihre Gesetze so auszuge-163stalten, dass die zur Sicherstellung ihrer Ansprüche vorgenommene Grundbucheintragung erst nach bis zu drei Jahren erfolgt. Bislang war dies nach sechs Monaten vorgeschrieben. Zusätzlich wird die Höhe des Schonvermögens, das dem Anspruch auf Sozialhilfe nicht widerspricht, wie erwähnt, von etwa € 4.300,- auf € 5.200,- angehoben. Vieles deutet darauf hin, dass diese beiden Maßnahmen in Zusammenhang mit einer möglichen Abschaffung der Notstandshilfe stehen.
Die konkreten Änderungen ergänzend ergeben sich aus der Neuregelung eine Reihe von naheliegenden Interpretationen in Bezug auf die eigentlichen Ziele der Sozialhilfe.
Die Abkehr von der Armutsbekämpfung hin zu integrationspolitischen und fremdenpolizeilichen Zielen instrumentalisiert die Sozialhilfe als Werkzeug einer rechtsgerichteten Politik, mit der eine rechtlich möglichst nicht angreifbare Form der Diskriminierung von Menschen ausländischer Herkunft erreicht oder zumindest unterstützt werden soll. Neuerungen wie der Arbeitsqualifizierungsbonus sollen der konkreten Umsetzung dieses Vorhabens dienen. Gleichzeitig offenbart das bewusst reduzierte Angebot anrechenbarer Deutschkurse, dass eine Integration dieser Menschen nicht gewünscht ist.
Höchstsätze und regressive Leistungshöhen sollen Härte gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft zeigen und damit mehr Druck auf die Betroffenen machen, jedwede Art von Beschäftigung akzeptieren zu müssen. Dieser Ansatz geht parallel mit der Haltung, dass Arbeitslosigkeit eine Folge „zu hoher“ sozialer Absicherung ist und bei entsprechender Leistungssenkung verschwindet.
Eine Ausweitung der Arbeitspflicht für SoziahilfebezieherInnen abseits kollektivvertraglich entlohnter und sozialversicherungsrechtlich abgesicherter Beschäftigung kann derzeit nicht ausgeschlossen werden. Abhängig von der Ausgestaltung der Ausführungsgesetze der Länder könnte eine Form von unentgeltlicher Tätigkeit in den Gemeinden verpflichtend werden. In der niederösterreichischen Mindestsicherung existiert eine entsprechende Regelung bereits, und § 3 Abs 4 lässt eine entsprechende Interpretation des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes zu. Zusätzlich zu dem bereits angekündigten Arbeitslosengeld neu, das eine Abschaffung der Notstandshilfe und die Zusammenführung mit der Sozialhilfe vorsieht, könnte so zusätzlicher Druck auf Beschäftigte ausgeübt werden, schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, um nicht in (langfristige) Arbeitslosigkeit abzurutschen.
Die Sozialhilfe ist das unterste soziale Netz in Österreich. Im Vergleich zu ihrer Vorgängerin, der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, gibt es wesentliche Unterschiede. Maximalhöhen statt Mindestsätze, Leistungskürzungen für Familien und Wohngemeinschaften sowie die Schlechterstellung von Menschen ausländischer Herkunft sind die wahrscheinlich offenkundigsten davon. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass darüber hinaus gesellschaftspolitische Veränderungen befördert werden sollen. Auch eine Verschlechterung der Verhandlungsposition der Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt gehört dazu.