54. Wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht

STELLAWEBER

Der Präsident der Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler, eröffnete die 54. Tagung der Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht am 11. April im Ferry Porsche Congress Center, Zell am See. Auch dieses Jahr wurde ein neuer Rekord von ca 550 TeilnehmerInnen aufgestellt. Diese Tagung und eine Gedenkschrift, die am Donnerstagabend präsentiert wurde, sind Univ.-Prof. Dr. Robert Rebhahn gewidmet. Er gehörte zu den aktivsten Mitgliedern und hielt zahlreiche spannende Vorträge.

Gemeindevertreter von Zell am See, Alexander Radlwimmer, begrüßt alle in Zell am See und bringt seine Freude zum Ausdruck, dass durch eine derartige Tagung aktuelle Herausforderungen aufgrund von Veränderungen in der Gesellschaft angenommen werden.

Durch den ersten Tag der Veranstaltung führte Univ.-Prof. Dr. Franz Marhold. Mag. Dr. Rolf Gleißner (WKÖ) und Hon.-Prof. Dr. Christoph Klein (Direktor der Bundesarbeitskammer) be-164gannen mit ihren Vorträgen zu den aktuellen Entwicklungen im Arbeitszeitrecht. Gleißner stellte einige Thesen zur Novelle zum Arbeitszeitgesetz, zum Arbeitsruhegesetz und zur Neuregelung des persönlichen Feiertags auf, wobei seine Erläuterungen zum Ablehnungsrecht und jene zur Karfreitagsregelung im Publikum auf regen Diskussionsbedarf stießen: Die elfte und zwölfte Arbeitsstunde dürfen abgelehnt werden, genauere Umstände wurden jedoch nicht geregelt. Hier sei nach der Treuepflicht und nach Treu und Glauben vorzugehen. Demnach könne ein AN, der einmal einer nach Zeitraum und Umfang überschaubaren Überstundenvereinbarung zugestimmt hat, diese später ohne Angabe von Gründen nicht mehr ablehnen. In Bezug auf den persönlichen Feiertag führte Gleißner aus, dass der Gesetzgeber zwar grundsätzlich nicht in Kollektivverträge eingreifen soll, hier sei es aber zulässig gewesen, um die Unionrechtskonformität herzustellen. Die AN sind in ihrer Wahl des individuellen Feiertags völlig uneingeschränkt, allerdings würden kollektive Aktionen, wonach sich alle AN an dem gleichen Tag frei nehmen, dieser Regelung widersprechen.

Aus Zeitgründen begrenzte Klein seinen Vortrag zu den aktuellen Entwicklungen im Arbeitszeitrecht auf die Änderungen der Gleitzeit. Er schlägt vor, die Abgrenzung der durchgerechneten Normalarbeitszeit von Überstunden anhand von vier Parametern vorzunehmen. Der erste Parameter grenze die Überstunden von der Normalarbeitszeit pro Tag ab, wobei nach dem neuen Modell die tägliche Normalarbeitszeit zwölf Stunden beträgt. Die Obergrenze der Normalarbeitszeit pro Woche beträgt nun 60 Stunden, das ist der zweite Parameter. Beim dritten Parameter sind nicht-rechnerische Bedingungen maßgeblich, wie die Gleitbefugnis der AN, dessen Verletzung zu Überstunden führt. Bestimmte Kernzeiten seien zulässig, ansonsten sollen AN selbst bestimmen können, wann sie gleiten. Nach dem vierten Parameter ist die Länge der Gleitzeitperiode entscheidend. Alle Plusstunden am Ende einer Gleitzeitperiode sind Überstunden.

In der abschließenden Diskussion wurde der Eingriff des Gesetzgebers in die Kollektivverträge kritisiert. Diese seien verfassungsrechtlich stark geschützt, für einen Eingriff bedürfe es einer sachlichen Rechtfertigung. Zu dieser Regelung merkte Klein an, dass die Arbeiterkammer 2015, noch unter der alten Regierung, dieses Verfahren anstrengte und er erstaunt sei, dass diese Angleichung nach unten hin ohne jegliche Gespräche mit den Sozialpartnern erfolgte. Der Ansicht Gleißners zum Ablehnungsrecht wurde insofern Zuspruch zuteil, als der AG auf die Überstundenleistung der AN vertrauen können müsse. Die Grenze sei hier jedoch beim Rechtsmissbrauch zu ziehen, wobei auch festzustellen sei, unter welchen Umständen die Zusage zu den Überstunden ergangen ist. Ergänzend führte Klein dazu aus, dass durch die Novelle der Kreis der leitenden Angestellten – entgegen der Absicht des Gesetzgebers – massiv eingeschränkt wurde.

Im zweiten Teil des Vormittags begann Prof.in Dr.inClaudia Schubert (Universität Hamburg) mit einem Vortrag zu „Konzernstrukturen und Arbeitsrecht – Arbeitsrecht in Konzernen mit Matrixorganisation“. Eingangs beschrieb Schubert die Grundlagen zu Matrixorganisationen als nicht hierarchisch organisierte Strukturen für Unternehmen. Untergliederungen erfolgen zum einen nach Funktionseinheiten, also nach unternehmensrelevanten Funktionen und zum anderen nach Geschäftsbereichen, die mit dem operativen Geschäft befasst sind. Probleme ergeben sich im Individualarbeitsrecht vor allem daraus, dass AN ein Arbeitsverhältnis zum Konzernunternehmen haben, wobei sie oft nicht nur ihrem Vertragsarbeitgeber gegenüberstehen. Daraus ergeben sich weisungsrechtliche Probleme. Arbeitsabläufe werden durch die betriebs- und unternehmensübergreifenden Arbeitseinsätze flexibilisiert, was aber nicht automatisch zu einer Erweiterung der Ausnahme vom Kündigungsschutz durch betriebliche Erfordernisse nach § 105 Abs 2 Z 2 lit b ArbVG führt. Auch in Bezug auf betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen kann die Einführung einer Matrixorganisation zu Schwierigkeiten führen: So kann es aus unterschiedlichen Gründen dazu kommen, dass AN eine doppelte Betriebszugehörigkeit haben. Daraus resultieren auch Probleme bei der Wahl und der Zuständigkeit des BR. Außerdem benötigen Betriebsräte zusätzliche Informationen über sich ändernde Verhältnisse im Betrieb. Besonders bei grenzüberschreitenden Matrixorganisationen fehlen Betriebsräten aufgrund einschränkender Regelungen, wie das Territorialitätsprinzip, notwendige Informationen zur Wahrnehmung ihrer Pflichten zur AN-Vertretung.

Diese grenzüberschreitende Problematik wurde in der Diskussion zugleich aufgegriffen und die Befürchtung in den Raum gestellt, dass es durch die unterschiedlichen Rechtsordnungen unmöglich sei, im Arbeitsrecht die Abläufe für GeschäftsführerInnen zufriedenstellend zu organisieren. Schließlich zeigten sich bereits im Vortrag die Schwierigkeiten zwischen den Rechtslagen von Österreich und Deutschland. Fraglich sei auch, ob neben dem Kündigungsschutz auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene nicht auch ein individueller Kündigungsschutz zusteht. Schubert meinte dazu, dass sich AG unabhängig von der individual- oder kollektivvertraglichen Einordnung zu bemühen haben, für AN eine zumutbare Weiterbeschäftigung zu finden.165

Vizepräsidentin RAin Hon.-Prof.in Dr.inSieglinde Gahleitner (Mitglied des VfGH) beschäftigte sich in ihrem bewegenden Vortrag mit den Ergebnissen von „40 Jahre Gleichbehandlung und europäische Impulse bei der Gleichstellung der Geschlechter“. Vor zwei Jahren betrug die Gender Pay Gap 37,7 % – das bedeutet eine Minderung um nur 1 % innerhalb von 20 Jahren. Selbst wenn man diesen um Faktoren wie Teilzeit, Branche, Beruf, Bildungsniveau, Alter usw bereinigt, besteht noch immer ein Lohnunterschied von 13,6 % zwischen Männern und Frauen. Ebenso ist die Quote der in Teilzeit arbeitenden Frauen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren mit Kindern unter 15 Jahren mit 75,1 % ungleich höher als jene der Männer mit den gleichen Eigenschaften, von denen nur 6,9 % teilzeitbeschäftigt sind. Um die Gender Pay Gap zu überwinden, schlägt Gahleitner zahlreiche Maßnahmen vor, wie die Einrichtung von Schulen mit Ganztagsbetreuung, Ganztagsbetreuungseinrichtungen für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, Begrenzung der Elternteilzeit auf maximal zwei Jahre und Beschränkung auf einen gleichteiligen Konsum durch Mann und Frau, zwingendes Pensions-Splitting usw. Außerdem fordert sie mehr Einkommenstransparenz, schließlich handelt es sich bei Gehaltsdaten nicht um sensible, sondern um personenbezogene Daten. Betriebsräte sind sogar im Rahmen der Vertretung der AN-Interessen verpflichtet, die korrekte Entlohnung der AN zu prüfen. Weiters müssten Quotenregelungen eine Frauenquote in sämtlichen Führungsebenen eines Unternehmens vorsehen, damit sie effektiv sind. Die positiven Maßnahmen der EU und die innerstaatliche Umsetzung greifen nicht, da die strukturelle Benachteiligung der Frau durch diesen formellen Gleichbehandlungsbegriff nicht ausgeglichen werden kann. Außerdem erleichtert die Beweislastregelung nach § 12 Abs 12 GlBG die Durchsetzung der Ansprüche nur unzureichend und die Schadenersatzbeträge für sexuelle Belästigungen sind keineswegs abschreckend.

In der anschließenden Diskussion wurde angemerkt, dass das Obsorge- und Unterhaltsrecht hier eine wichtige Rolle spielen. Aus der Praxis kamen Ausführungen, dass bei gleicher Qualifikation von Männern und Frauen andere Argumente, wie Persönlichkeitserwägungen, gefunden werden, die dazu führen, dass letztendlich die männlichen Bewerber genommen werden. Außerdem sei den betroffenen Frauen aufgrund des hohen Prozessrisikos und den geringen Erfolgen kaum eine individuelle Durchsetzung zumutbar. Die Teilzeitarbeit relativierend wurde ausgeführt, dass der Teilzeitbegriff zu einseitig gesehen werde. Teilzeitarbeit sollte attraktiver gestaltet werden, so könnte es zu einer Win-Win-Situation für viele Menschen werden. Gahleitner entgegnete, dass das Problem der Teilzeitarbeit in der ungleichen Verteilung zwischen Männern und Frauen liege. Auch wenn viele Frauen in einer Teilzeitbeschäftigung zufrieden sind, muss trotzdem die Gender Pay Gap geschlossen werden und Frauen bewusst gemacht werden, dass die durchschnittliche Scheidungsrate bei 43 % liege und sie sich somit nicht auf die männliche Unterstützung verlassen können.

Univ.-Ass. Dr. Thomas Bernhard Pfalz (Universität Klagenfurt) hielt dieses Jahr das Seminar zum Thema „Kündigung und Krankheit“. Im ersten Block erklärte Pfalz die Kündigung während Krankheit. Anhand mehrerer Entscheidungen wurden im zweiten Themenblock die Kriterien, die zur Rechtfertigung einer Kündigung wegen Krankheit als Beurteilungsmaßstab heranzuziehen sind, herausgearbeitet. Diskutiert wurde die Reichweite der sozialen Gestaltungspflicht des AG, wonach er alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen hat, wie bspw ältere AN zu schonen oder die Möglichkeit zur Umschulung und Einarbeitung zu geben. Der AG hat in Bezug auf den Gesundheitszustand des AN außerdem eine Zukunftsprognose anzustellen, wobei der OGH-E vom 26.6.2014, 8 ObA 37/14w, zufolge eine Gesamtbetrachtung anzustellen sei und so auch mehrfach schuldhaft verspätete Dienstantritte miteinzubeziehen sind. Eine Diskussion entfachte die OGH-E vom 5.11.2003, 9 ObA 119/03w, in der ein LKW-Fahrer aufgrund einer Dienstunfähigkeit wegen eines dreimonatigen Führerscheinentzugs infolge Alkoholisierung auf einer Privatfahrt im eigenen PKW entlassen wurde. Der OGH führte zwar aus, dass AG besonders bei länger andauernden Arbeitsverhältnissen verpflichtet sind – nach Möglichkeit und Zumutbarkeit –, eine andere Arbeit für den AN zu finden. Auch ein Arbeitsvertrag, der auf Kraftfahrerleistungen ausgerichtet ist, schließt eine andere Beschäftigung noch nicht aus. Im konkreten Fall gab es jedoch keinerlei andere Möglichkeit zur Beschäftigung. Dazu wurde kritisiert, dass hier eine dreimonatige Dienstunfähigkeit für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses ausreiche, wogegen bei krankheitsbedingten Kündigungen das Dauerelement vorzuliegen habe und damit ein wesentlich strengerer Maßstab anzulegen sei. Im dritten Teil machte Pfalz einen Exkurs zur Frage der Zulässigkeit, die Leistungsfähigkeit der AN beim Entgelt zu berücksichtigen.

Traditionellerweise hatte der Freitag wieder einen sozialrechtlichen Schwerpunkt und wurde mit einem Vortrag von PDin Dr.inElisabeth Brameshuber (WU Wien) zur „Strukturreform in der Sozialversicherung: Folgen für die Selbstverwaltung“ eröffnet. Die verfassungsrechtlichen Regelungen der Art 120a bis 120b B-VG spielen hier eine zentrale Rolle. Sie regeln die Selbstver-166waltung – in diesem Fall – der Sozialversicherungsträger. Brameshuber misst die, mit dem Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SVOG) beschlossenen, Organisationsstrukturen an diesen Bestimmungen: Den Art 120a bis 120b B-VG ist jedoch kein organisatorischer Mindestbestand zu entnehmen, diesbezüglich gelten lediglich die äußersten Grenzen des Sachlichkeitsgebots und des Gebots der sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Aufgabengestaltung. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger zeichnet sich durch eine weisungsfreie Erfüllung der in seinem ausschließlichen oder überwiegenden Interesse liegenden Aufgaben aus. Zu klären gilt es, ob das durch das SV-OG beschlossene staatliche Aufsichtsrecht das Recht der Sozialversicherungsträger auf weisungsfreie Besorgung der öffentlichen Aufgaben verletzt. Brameshuber erläutert, dass die soziale Selbstverwaltung auch als gemeinsame Selbstverwaltung der Sozialpartner bezeichnet werden könne und daher eine Beteiligung der DG und DN als grundsätzlich berechtigt und sachlich vertretbar betrachtet wird.

Zu diesem Grundsatz der Parität, in Form der für den Verwaltungsrat und die Hauptversammlung der Österreichischen Gesundheitskasse vorgesehenen Hälfteparität, entstand die größte Diskussion. Das Argument, dass DG KostenträgerInnen seien und auch Interesse an der Gesundheit der DN hätten und deshalb mitzureden hätten, überzeugt einige Zuhörer nur wenig. Schließlich würde ein großer Teil der Kosten in der KV durch PensionistInnen verursacht, woran AG wohl kaum Interesse hätten. Allerdings komme dem Gesetzgeber ein relativ weiter Gestaltungsspielraum zu, weshalb die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit so schwerfällt. Mehrfach wurde das Fehlen historischer Ausführungen zur Entwicklung und Zusammensetzung der Selbstverwaltung festgestellt, um die Relevanz der partizipativen Selbstverwaltung verdeutlichen zu können.

Anschließend behandelte Univ.-Prof. Dr. Christoph Kietaibl (Universität Klagenfurt) „Beitragsrechtliche Fragen der Neuzuordnung von Versicherten“. Einleitend beschreibt Kietaibl die zwei Stoßrichtungen des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes 2017 (SV-ZG): Einerseits soll durch die Vorabprüfung die korrekte Versicherungszuordnung geklärt werden. Andererseits werden aber teilweise beitragsrechtliche Regelungen für (weiterhin) mögliche Fehleinordnungen geschaffen. In der Folge wurden verschiedene Varianten der Fehleinordnung unterschieden, wobei aufgrund der praktischen Relevanz der Fokus auf jenen Fall gelegt wird, in dem ein Dienstverhältnis nach ASVG fälschlicherweise als selbständige Tätigkeit nach GSVG behandelt wird. Sofern später eine rückwirkende Zuordnung in das ASVG erfolgt, ergeben sich zahlreiche beitragsrechtliche Schwierigkeiten bei der Rückabwicklung. Die sich dabei ergebenden Unklarheiten können in zwei Komplexe geteilt werden. Zum einen in die Frage, wie mit den Modalitäten der Beitragszahlung nach ASVG umzugehen ist und zum anderen, was mit den fälschlich entrichteten GSVG-Beiträgen passiert. Im SV-ZG wird lediglich letztere geregelt. Eine Rückforderung von ASVG-Beiträgen von DG könne gem § 68 ASVG für maximal die letzten fünf Jahre erfolgen. Beitragsgrundlage für die Nachzahlung, sowohl sozialversicherungsrechtlicher Anteile als auch arbeitsrechtlicher Ansprüche, ist nach der Rsp das Bruttohonorar des Scheinselbständigen. Ein Regress des DG gegen den DN auf zivilrechtlicher Ebene bezüglich der nachzuzahlenden DN-Anteile ist nicht möglich. Dieser komme ausnahmsweise in Frage, wenn der scheinselbständige DN keine Beiträge entrichtet hat. Die fälschlich bezahlten GSVG-Beiträge werden von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft an die Gebietskrankenkasse überwiesen. Diese Beträge sind mit der Beitragsschuld nach ASVG inklusive der Schulden durch DG-Anteile gegenzurechnen.

In der Diskussion wurden Zweifel an der Verwaltungspraxis geäußert, die Versicherung lediglich hinsichtlich der letzten fünf Jahre festzustellen, obwohl es keine gesetzliche Grundlage dafür gebe. Schließlich blieben so die Beiträge in der gewerblichen SV, obwohl das ASVG gelte. Kietaibl schätzt diese fünfjährige Verjährungsfrist jedoch als sehr sinnvoll ein, da ansonsten bei der Neuzuordnung Pensionsschäden verursacht würden, für deren Ausgleich wieder eine Lösung gefunden werden müsste. Kritisiert wurden auch die Ausführungen zum ausnahmsweisen Anspruch des DG gegenüber dem Scheinselbständigen, wenn dieser keine GSVG-Beiträge abgeführt hat. Im Lichte der Judikatur des OGH sei dies fraglich, da betont wurde, dass der gutgläubige Verbrauch der DN keine Rolle spiele, da in dem gegebenen Fall der DN das Geld noch zur Verfügung hatte. Außerdem betonte der OGH, dass es an einer Rechtsgrundlage fehle. Dazu erläuterte Kietaibl, dass die betreffende E des OGH (28.11.2017, 9 ObA 36/17k)zur alten Rechtslage erging. Es bleibe damit zu hoffen, dass der OGH die Überlegungen aus dieser E in Bezug auf die neue Rechtslage reflektiert.

Im letzten Vortrag dieser Tagung beschäftigte sich ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Friedrich (Universität Graz) mit der „Beitragsschuld und Beitragshaftung“. Zu Beginn wurde klargestellt, dass hier lediglich eine Auswahl an Haftungstatbeständen präsentiert wird. Beitragsschuldner der DG- und DN-Anteile am Sozialversicherungsbeitrag ist gem § 58 Abs 2 ASVG der DG.167

Dazu wurde auch grundlegend erklärt, wer DG ist und was ein Beschäftigungsverhältnis iSd § 35 ASVG ausmacht. Demnach muss ein DG als Träger von Rechten und Pflichten des Sozialversicherungsrechts zumindest teilrechtsfähig sein. Friedrich kritisierte die sogenannte Bäderentscheidung des VwGH (7.9.2017, Ro 2014/08/0046), die Auslöser für die Neufassung des § 35 Abs 2 ASVG war. Dabei führte der VwGH aus, dass neben dem Überlasser (hier die Gemeinde), bei dem der DN Amtsleiter war, auch der Beschäftiger (in diesem Fall eine GmbH zum Betrieb von Bädern) DG nach § 35 ASVG sein kann. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass der DN Geschäftsführer der Beschäftiger GmbH war und gleichzeitig noch 30 % seiner Arbeitszeit bei der Gemeinde ableistete. Diese Geschäftsführertätigkeit sei mit der klassischen Arbeitskräfteüberlassung nicht zu vergleichen, da aufgrund des Bestellungsaktes zum Geschäftsführer der Beschäftigergesellschaft ein direktes Recht auf die Arbeitsleistung zukomme. Auch in der Literatur stieß diese E auf massive Kritik, da dies der gesellschaftsrechtlich zulässigen Praxis widerspreche, innerhalb eines Konzerns AN an Tochterunternehmungen als Geschäftsführer zu überlassen, wofür außerdem kein Anstellungsvertrag notwendig sei. § 35 Abs 2 ASVG stellt nun klar, dass in derartigen Fällen der Beschäftiger nicht als DG gelte. Friedrich sprach sich dafür aus, unabhängig von der Position des überlassenen AN, immer die Bürgenhaftung des Beschäftigers nach § 14 AÜG gelten zu lassen. Neben der Haftung von Dritten nach § 67 Abs 1 bis 3 ASVG, die ein wirtschaftliches Interesse am Unternehmenserfolg haben, beschäftigte sich Friedrich auch mit der Haftung des Erwerbers für Beitragsschulden gem § 67 Abs 4 ASVG bei einem Betriebsübergang und mit der Vertreterhaftung nach § 67 Abs 10 ASVG.

Die abschließende Diskussion drehte sich im Kern um die Bäderentscheidung des VwGH. Es wurde Verwunderung über die dadurch entstandene Aufregung ausgesprochen. Schließlich wurde mit dieser E nur eine ältere Rsp aus den 90er-Jahren konkretisiert. Der VwGH habe damit nicht gemeint, dass durch die Geschäftsführerbestellung in diesen Überlassungskonstellationen ein Arbeitsvertrag zur Gesellschaft entsteht, sondern nur, dass die Gesellschaft einen eigenen Leistungsanspruch erwerbe, auf dessen Basis letztendlich (aber nicht zwangsläufig) ein Arbeitsverhältnis entstehen könnte.

Am Mittwochnachmittag, den 10. April, fand das Nachwuchsforum statt. Dieses dient dazu, jungen WissenschaftlerInnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Forschungsprojekte oder sogar schon -ergebnisse einem breiten Fachpublikum zu präsentieren und sich im Anschluss einer Diskussion zu stellen. Univ.-Ass. Mag. Fabian Schaup (Universität Salzburg) begann mit seinem Vortrag zu „Verfall und Verjährung iZm der Umqualifizierung von Mitarbeitern“. Im Anschluss stellte Univ.-Ass.in Mag.aChristina Schnittler (Universität Graz) ihr Dissertationsprojekt zu dem Thema „Ausbildungsverhältnisse aus arbeits- und sozialrechtlicher Perspektive“ vor. Abschließend hielt Univ.-Ass.in Mag.aVerena Zwinger (Wirtschaftsuniversität Wien) einen Vortrag mit dem Titel „Die Verwaltungskommission für die Koordinierung der sozialen Sicherheit nach der VO 883/2004“.

Der Präsident, Univ.-Prof. Rudolf Mosler, schloss die 54. Zeller Tagung mit einem Dank an die zahlreichen spannenden Vorträge und Diskussionsbeiträge. Die nächste (55.) Tagung wird von 1. bis 3. April 2020 stattfinden.168