71Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen – vor Gericht durchsetzbar, formelle Vollständigkeit ausreichend
Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen – vor Gericht durchsetzbar, formelle Vollständigkeit ausreichend
Bei dem Anspruch auf Herausgabe der Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG ist von einem durchsetzbaren privatrechtlichen, nämlich arbeitsvertraglichen Anspruch auszugehen. Die Regelung findet auch auf bereits vor ihrem Inkrafttreten am 1.1.2015 abgeschlossene Arbeitsverträge Anwendung, allerdings nur für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten. Zur Erfüllung des Anspruchs ist formelle Vollständigkeit hinreichend, mögliche inhaltliche Unrichtigkeit schadet nicht.
Der Kl war bei der Bekl vom 21.8.2012 bis 31.7.2017 beschäftigt. Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses ersuchte der Kl die Bekl um Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen. Die Bekl übermittelte zunächst keine Arbeitszeitaufzeichnungen. Erst in der Tagsatzung vom 15.1.2018 händigte sie die Arbeitszeitaufzeichnungen für die Jahre 2015 bis 2017 aus. Diese seien vollständig und richtig. Im Übrigen wandte sie Verfall ein. Der Kl entgegnete darauf, dass die Arbeitszeitaufzeichnungen im Verfahren teilweise unrichtig, unvollständig und offenkundig nachträglich konstruiert seien.
Erstgericht und Berufungsgericht wiesen das Herausgabebegehren im Wesentlichen mit dem Argument ab, dass im Herausgabeverfahren über Arbeitszeitaufzeichnungen ein Beweisverfahren über die inhaltliche Richtigkeit der übermittelten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht in Betracht komme. Der OGH gab der vom Kl erhobenen ordentlichen Revision keine Folge und bestätigte die Rechtsansicht der Vorinstanzen.
„[…] 3. § 26 Abs 8 AZG gibt dem Arbeitnehmer einen Anspruch. Dieser richtet sich – wie aus dem Zusammenhang mit § 26 Abs 1 Satz 1 AZG abzuleiten ist, wonach der Arbeitgeber ‚zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstun-125den zu führen [hat]‘ – gegen den Arbeitgeber. Die Erläuterungen sprechen (im Allgemeinen Teil) von einem ‚Recht der Arbeitnehmer/innen, diese Arbeitszeitaufzeichnungen übermittelt zu bekommen‘. Bei § 26 Abs 8 AZG ist von einem durchsetzbaren privatrechtlichen, nämlich arbeitsvertraglichen Anspruch auszugehen (so auch Schrank, Arbeitszeit Kommentar5 § 26 Rz 28, 29b, 30; Pfeil in ZellKomm3 §§ 24–29 AZG Rz 4/1: ‚beanspruchbaren Aufzeichnungen‘).
Die Stellung der Vorschrift außerhalb des Abschnitts 6a des AZG über ‚Vertragsrechtliche Bestimmungen‘ (§§ 19b bis 19g) spricht nicht dagegen. Da sich § 26 im mit ‚Gemeinsame Vorschriften‘ überschriebenen Abschnitt 8 des AZG findet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser allein öffentlich-rechtliche Vorschriften beinhaltet.
Für die privatrechtliche Qualifikation spricht auch, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Übermittlung seiner Arbeitszeitaufzeichnungen – worauf Schrank (Arbeitszeit – Kommentar5 § 26 Rz 30) hinweist – keiner verwaltungsrechtlichen Strafbarkeit nach § 28 AZG unterliegt. Die privatrechtliche Qualifikation folgt auch aus einem Vergleich mit § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG, wonach dem Arbeitnehmer bei Fälligkeit des Entgelts eine schriftliche, übersichtliche, nachvollziehbare und vollständige Abrechnung von Entgelt und Aufwandsentschädigungen zu übermitteln ist. Für jene Vorschrift wurde in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 3 f) ausdrücklich festgehalten, dass es sich um einen ‚zivilrechtlichen Anspruch‘ handelt (s dazu 8 ObA 41/18i [in Punkt 2.3.]).
[…]
4.1. Nach § 5 ABGB sind nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (RIS-Justiz RS0008715). Bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Fall einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in den zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestands nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (RIS-Justiz RS0008695 [T18]). Hiervon ausgehend wurde in 4 Ob 188/06k (siehe insb Punkte 8.3. und 8.4.) entschieden, dass die (durch BGBl I 2004/12 eingeführte) Bestimmung des § 27d Abs 1 Z 6 KSchG, womit (zwecks Schaffung eines klaren und transparenten Rechtsverhältnisses) eine Aufschlüsselung des Entgelts erforderlich ist, zwar auch auf aus der Zeit davor stammende Altverträge anzuwenden ist, aber nur für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten der Bestimmung.
4.2. Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. § 26 Abs 8 AZG idF ASRÄG 2014 findet auch auf den bereits vor Inkrafttreten des ASRÄG 2014 am 1.1.2015 abgeschlossenen Arbeitsvertrag des Klägers Anwendung, dies aber allein für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten.
4.3. Für die Zeit vor dem 1.1.2015 kann das Klagebegehren damit entgegen der Annahme des Klägers nicht auf § 26 Abs 8 AZG gestützt werden. Die Klagsabweisung ist daher in Hinsicht auf diesen Zeitraum im Ergebnis jedenfalls richtig. […]
5. Hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1.1.2015 hält der Kläger der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen, die Beklagte habe insofern ihre Verpflichtung nach § 26 Abs 8 AZG durch Vorlage von Arbeitszeitaufzeichnungen erfüllt (§ 1412 ABGB), auch in der Revision entgegen, dass die von der Beklagten ausgehändigten Arbeitszeitaufzeichnungen unrichtig bzw unvollständig gewesen seien.
5.1. Richtig ist, dass es Zweck des § 26 Abs 8 AZG ist, dem Arbeitnehmer die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des Arbeitgebers sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl Peschek/Unterrieder, Arbeitszeitaufzeichnungen und Verfall seit dem ASRÄG 2014, ecolex 2015, 228 [229]; Schrank, Die Neuerungen bei den Arbeitszeitaufzeichnungen – Überlegungen zur Neufassung von § 26 AZG durch das ASRÄG 2014, ZAS 2015, 169 [173]; Schrank, Arbeitszeit – Kommentar5 § 26 Rz 29b; Wolf in Mazal/Risak, Arbeitsrecht II Kap XI Rz 149h). Der Zweck ähnelt damit jenem des bereits erwähnten § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG, zumal auch jene Vorschrift dazu dient, dem Arbeitnehmer den Nachvollzug der Abrechnung der Bezüge zu ermöglichen (ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 4).
5.2. Zu § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG hielt der 8. Senat jüngst in der Entscheidung 8 ObA 41/18i fest, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Übermittlung einer ‚vollständigen‘ Abrechnung von Entgelt und Aufwandsentschädigungen bereits dann entsprochen hat, wenn die Abrechnung formell vollständig ist, sodass eine inhaltliche Unrichtigkeit der Abrechnung nicht schadet (Punkt 2.6.7.). Dies wurde unter anderem damit begründet, dass im Bereich der (einklagbaren) Verpflichtung zu einer Rechnungslegung oder Abrechnung regelmäßig bloß formelle Vollständigkeit verlangt wird (Punkt 2.6.3.) und es Doppelgleisigkeit zu vermeiden gilt.
Dies gilt auch für den Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG auf kostenfreie Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen. Der Kläger vermengt seinen (im vorliegenden Verfahren geltend gemachten) Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen der Arbeitgeberin gemäß § 26 Abs 8 AZG mit seinem im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemachten Anspruch auf Zahlung aus der Zugrundelegung eigener (‚besserer‘) Arbeitszeitaufzeichnungen. Deshalb bezeichnet er die Aufzeichnungen der Beklagten als unrichtig, unvollständig und ‚nachträglich konstruiert‘. Im Verfahren auf bloße Übermittlung der Aufzeichnungen kann es aber (nach erfolgter Übermittlung) nur um deren formelle Vollständigkeit gehen. Das heißt, die Aufzeichnungen haben sich auf den Kläger und den (zurecht) geltend gemachten Zeitraum zu beziehen.126
Nur darauf hin sind die übermittelten Aufzeichnungen vom Gericht zu überprüfen. […]
Darüber hinausgehende Überlegungen des Klägers, wonach er beispielsweise an näher bestimmten Tagen in diesem Zeitraum in näher bestimmter Weise mehr Arbeit geleistet hat, als die Beklagte in ihren Aufzeichnungen zugesteht, haben im bloßen Verfahren auf Übermittlung der Aufzeichnungen keinen Raum und hindern damit auch nicht den Eintritt der Erfüllung des Übermittlungsanspruchs, wenn die übermittelten Aufzeichnungen, wie vorstehend ausgeführt, formell vollständig sind. Letzteres ist hier aber nicht weiter strittig. Im (allenfalls weiteren) Verfahren auf Geldleistung bleibt es dem Kläger natürlich unbenommen, darzutun, dass er über die Aufzeichnungen der Arbeitgeberin hinaus Arbeit erbracht hat, die bisher von der Arbeitgeberin nicht entgolten wurde.
Aufgrund der im vorliegenden Fall erfolgten Übermittlung der formell vollständigen Arbeitszeitaufzeichnungen für den Zeitraum 1.1.2015 (Inkrafttreten des § 26 Abs 8 AZG) bis 31.7.2017 (Ende des Arbeitsverhältnisses) erweist sich die Abweisung des Klagebegehrens im Ergebnis auch für diesen Zeitraum als richtig. Auf darüber hinausgehende Fragen eines allfälligen Verfalls ist damit nicht mehr einzugehen. […]“
§ 26 Abs 8 AZG gibt den Beschäftigten, wenn sie das nachweislich verlangen, einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen. Dieser Anspruch ist gerichtlich einklagbar, wenn der AG diesem Verlangen nicht nachkommt. Damit soll den AN ermöglicht werden, die Richtigkeit der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch der Entgeltabrechnung zu überprüfen und gegebenenfalls mit dem AG Unstimmigkeiten zu klären.
Solange der AG den AN die Übermittlung gem Abs 8 verwehrt, werden die Verfallsfristen von aus diesen Arbeitszeitaufzeichnungen resultierenden Ansprüchen gehemmt. Dies macht Sinn, da etwa Kollektivverträge häufig vergleichsweise kurze Verfallsfristen für Überstunden vorsehen. Allerdings gilt diese Hemmung von Verfallsfristen nur, wenn keine vollständigen Arbeitszeitaufzeichnungen übermittelt werden. Lässt der AG dem AN Arbeitszeitaufzeichnungen zukommen, die nach Ansicht des AN unrichtig sind, so hindert dies den Verfall der damit verbundenen Ansprüche nicht und der AN hat Ansprüche daraus innerhalb der ab Übermittlung laufenden Verfallsfrist geltend zu machen.
Der Anspruch auf die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG und die daran geknüpfte Verfallshemmung gelten auch für bei Inkrafttreten (1.1.2015) bereits bestehende Arbeitsverhältnisse, aber erst für Abrechnungsperioden ab diesem Zeitpunkt.
Der OGH zieht in seinen Überlegungen wiederholt die Parallele zum Anspruch auf die Lohnabrechnung. So stellte das Höchstgericht in OGH vom 28.8.2018, 8 ObA 41/18i, fest, dass der AG seiner Verpflichtung zur Übermittlung einer vollständigen Abrechnung von Entgelt und Aufwandentschädigungen gem § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG bereits dann entsprochen hat, wenn die Abrechnung formell vollständig ist (siehe dazu DRdA-infas 2019/13).