35Unterlassene Aufklärung als Entlassungsgrund
Unterlassene Aufklärung als Entlassungsgrund
Bei Bestellung eines Beschäftigten zum Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft endet das Arbeitsverhältnis des Beschäftigten und ruht nicht bloß. Dabei handelt es sich um eine Zweifelsregel, die der Disposition der Vertragsparteien zugänglich ist.
Der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit kann auch durch eine unterlassene Aufklärungspflicht erfüllt werden.
Durch das Unterlassen der Einsichtnahme in den Personalakt liegt mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs kein Mitverschulden iSd § 32 AngG oder § 1162c ABGB vor.
Der Kl war bei einem Kreditinstitut beschäftigt, das eine betriebsinterne Pensionszuschussregelung vorgesehen hatte. Diese Regelung wurde zunächst im Unternehmen außer Kraft gesetzt und später auch aus dem KollV für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaft gestrichen. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Dienstverhältnisse bereits früher begonnen hatten (darunter jenes des Kl), sollte die Pensionszuschussregelung Inhalt des jeweiligen Einzelarbeitsvertrags werden. [...] 1995 wurde der Kl zum Geschäftsleiter gem § 2 BWG und Vorstandsmitglied bestellt.
In den Jahren darauf wurde der Belegschaft eine Pensionsabfindung der Pensionszusage im Ausmaß von 50 % angeboten. Die übrigen 50 % der Pensionsanwartschaft würden an ein drittes Unternehmen übertragen werden.
Mit 14.9.1998 wurde eine derartige Pensionsabfindung und Übertragung zwischen dem Kl und dem Kreditinstitut vereinbart. Enthalten war dabei die Bestimmung, dass mit dieser Vereinbarung sowohl die kollektivvertraglichen Bestimmungen sowie alle sonstigen auf Einzelvereinbarung oder BV beruhenden Pensionsansprüche gegen die Arbeitgeberin erlöschen und die verbleibenden Leistungen zur Gänze durch die Leistungen des dritten Unternehmens erbracht werden.
Im Rahmen einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung musste 2012 auch das Anstellungsverhältnis des Kl angepasst werden. Hierzu beauftragte der Aufsichtsrat einen externen Rechtsanwalt mit der Führung der Vertragsverhandlung.
Im Zuge der Verhandlungen bat der Rechtsanwalt um Informationen zur Höhe und Ausgestaltung des Pensionszuschusses, da ihm die relevanten Informationen bislang fehlten. Es sei unklar, ob die alte Pensionszuschussregelung oder der KollV Anwendung finden sollen. Der Kl erwähnte die Urkunde und den darin enthaltenen Verzicht nicht. Ebenso widersprach er dem vom Vertragsverhandler erstellten Vertragspassus zum Pensionszuschuss nicht, sondern modifizierte diesen vielmehr in seinem Sinne weiter.
Im September 2013 hätte die Letztfassung des Vertrages vom Aufsichtsrat abgesegnet werden sollen. Ein Mitglied des Aufsichtsrats fragte allerdings nach, warum eine Pensionszuschussregelung enthalten sei, obwohl der Kl doch gar keinen Anspruch mehr habe.
Durch diese Nachfrage des Aufsichtsratsmitglieds erfuhr der beauftragte Verhandler, dass es eine Abfindungsvereinbarung betreffend die Pensionsansprüche des Kl gegeben hatte. Den Personalakt des Kl, in dem diese Urkunde enthalten gewesen wäre, hatte er sich nicht angesehen, sondern sich nur jenen Unterlangen gewidmet, die ihm der Kl zur Verfügung gestellt hatte. [...]
Nach Aufforderung zur Stellungnahme und deren Übermittlung kam der Aufsichtsrat zu dem Entschluss, dass kein Vertrauen mehr in den Kl bestand. Der Kl wurde wegen grober Pflichtverletzung und Vertrauensunwürdigkeit gem § 27 AngG per analogiam entlassen und die Bestellung zum Vorstand gem § 75 Abs 4 AktG widerrufen.
Der Kl klagte daraufhin sein vertraglich vereinbartes Entgelt bis zum Ende seiner vereinbarten Funktionsperiode als Vorstand, Abfertigungsansprüche sowie Bezahlung der Pensionskassenbeiträge durch die Bekl ein, da er unberechtigt entlassen worden sei.
In der Rechtsrüge zur Revision brachte der Kl vor, dass er guten Glaubens davon ausgegangen sei, durch die Vereinbarung nicht auf den einzelvertraglichen Pensionszuschuss verzichtet zu haben. Ebenso wurde eingewendet, dass die Bekl durch die von ihr zu vertretende unterlassene Einsichtnahme in den Personalakt ein Mitverschulden trifft.
Aus den Entscheidungsgründen
[...] I.1. Das Berufungsgericht ging zutreffend davon aus, dass Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft keine AN sind. Sie stehen in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis; soweit ein „Anstellungsvertrag“ (§ 75 Abs 1 AktG) besteht, begründet dieser lediglich ein sogenanntes freies Dienstverhältnis (9 ObA 261/02a; 8 ObS 3/14w; 7 Ob 22/17m; vgl RIS-Justiz RS0027993). Hierin liegt begründet, dass mit der Bestellung eines Angestellten zum Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft sein bisheriges Angestelltenverhältnis – zumindest im Zweifel (Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1151 Rz 239; Schörghofer/Tinhofer in Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch für den Vorstand [2017] Kap 7 Rz 3 mwH) – nicht bloß ruht (so noch 3 Ob 232/53 = HS 2104 = RIS-Justiz RS0026464), sondern erlischt und aufgrund der damit vorliegenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Abfertigungsanspruch fällig geworden ist (9 ObS 5/89; 9 ObS 6/89 = ZAS 1989/28 [Schima]). Nach stRsp ist es aber – wie ebenso bereits vom Berufungsgericht erkannt – zulässig zu vereinbaren, die Abfertigung aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis nicht auszuzahlen, sondern insb auf den Abfertigungsanspruch weiterhin das AngG anzuwenden und die als Angestellter zurückgelegten Zeiten einzubeziehen; eine solche Vereinbarung hält einem Günstigkeitsvergleich iSd § 3 ArbVG stand (RIS-Justiz RS0028466). [...]354
Zur außerordentlichen Revision des Kl: [...]
Zur Rechtsrüge:
II.4. Der Kl vertritt in seiner Rechtsrüge im Wesentlichen die Ansicht, die Feststellungen des Erstgerichts reichten nicht hin, um gegen ihn den Vorwurf zu erheben, er hätte der Bekl die Existenz der Vereinbarung vom 11.9.1998 (vorsätzlich) „verheimlicht“ oder „verschwiegen“. Zu seiner „subjektiven Tatseite“ fehlten Feststellungen. Soweit das Erstgericht hierzu dislozierte Feststellungen getroffen habe, habe das Berufungsgericht die betreffende Tatsachenrüge in der Berufung nicht erledigt, was der Kl hilfsweise als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt.
Der Kl habe bei richtigem Verständnis mit der Vereinbarung vom 14.9.1998 nicht auf den einzelvertraglichen Pensionszuschuss verzichtet, wovon er guten Glaubens ausgegangen sei. Ihm sei nicht vorzuwerfen, fahrlässig die Aufklärungsbedürftigkeit der anderen Seite nicht erkannt zu haben. Beim Verhandeln seines eigenen Vorstandsvertrags habe ihn keine besondere Aufklärungspflicht gegenüber der Bekl getroffen. Die Bekl sei Vertragspartner der Vereinbarung vom 14.9.1998 gewesen; welche Verträge man abgeschlossen habe, müsse jeder sorgfältige Vertragspartner im redlichen Geschäftsverkehr selbst wissen. Der Bekl sei es auch jederzeit möglich gewesen, die Vereinbarung vom 14.9.1998 dem Personalakt zu entnehmen. Das (zumindest seinerzeitige) Wissen einzelner Aufsichtsratsmitglieder von der Vereinbarung sei dem Aufsichtsrat und damit der Bekl selbst zuzurechnen. Dass die Bekl Dr. V* zur Vertragsverfassung eingeschaltet habe, der kein Wissen von der Vereinbarung vom 14.9.1998 gehabt habe, dürfe nicht zu Lasten des Kl gehen. Der Kl habe daher keinen Entlassungsgrund gesetzt. [...]
II.5. Die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts zur „subjektiven Tatseite“ des Kl, insb jene auf S 33 des Ersturteils, klammerte das Berufungsgericht aus dem Sachverhalt aus, zumal es sich sE gerade nicht um (dislozierte) Feststellungen handelte.
Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nicht vom Aufbau des Urteils ab, weshalb auch in der rechtlichen Beurteilung oder in der Beweiswürdigung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als („dislozierte“) Tatsachenfeststellungen zu behandeln sind (RIS-Justiz RS0043110). Die (vom Kl in Pkt 4.7. der Berufung mit Tatsachenrüge bekämpfte) Ausführung des Erstgerichts auf S 33 des Ersturteils, der Kl habe sich bewusst dafür entschieden, die Urkunde über die Vereinbarung vom 14.9.1998 nicht vorzulegen, den seinerzeitigen Verzicht nicht zu erwähnen und dem von Dr. V* im Erstentwurf enthaltenen Passus zum Pensionsanspruch nicht zu widersprechen, sondern ihn vielmehr in seinem Sinne weiter zu modifizieren, hat eindeutig Feststellungscharakter. Es liegt durch die Nichterledigung der Tatsachenrüge gegen diese dislozierte Feststellung eine – in der Revision ordnungsgemäß gerügte – Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor (E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 503 Rz 11).
Ein Verfahrensmangel nach § 503 Z 2 ZPO kann aber nur dann zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts führen, wenn er wesentlich für die Entscheidung war und sich auf diese auswirken konnte (9 ObA 150/15x; RIS-Justiz RS0116273). Die Frage, ob dem Kl Vorsatz zur Last fällt, ist – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – für die Frage der Berechtigung der Entlassung ohne Bedeutung (hierzu sogleich unter Pkt II.6.). Ihre Beantwortung ist auch nicht im Lichte des vom Kl erhobenen Mitverschuldenseinwands erforderlich (hierzu unter Pkt II.7.), sodass sich die Nichterledigung der Tatsachenrüge letztlich nicht als entscheidungsrelevant erweist.
II.6. Die Streitparteien standen seit Eintritt des Kl in den Vorstand in einem freien Dienstverhältnis (vgl Pkt I.1.). Auf ein solches sind jene arbeitsrechtlichen Normen, die nicht vom persönlichen Abhängigkeitsverhältnis des AN ausgehen und den sozial Schwächeren schützen sollen, analog anwendbar (RIS-Justiz RS0021758). Analog anzuwenden sind auch die Entlassungsgründe des § 27 AngG, soweit davon nicht nur ganz arbeitnehmerspezifische Umstände umfasst sind (RIS-Justiz RS0021758 [T15]), daher auch der Entlassungstatbestand der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG (8 Ob 563/89 [unter Pkt 2.]).
II.6.1. Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines AG unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des AG gefährdet sind (RIS-Justiz RS0029547). Die Vertrauensverwirkung kann auch auf Handlungen des Angestellten beruhen, die mit dem Dienstverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0029333; RS0029343). An Angestellte in leitender Stellung sind dabei im Allgemeinen strengere Anforderungen zu stellen (RIS-Justiz RS0029652; RS0029341).
Für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 letzter Fall AngG genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder Schadenseintritt sind nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0029531). Die Begehungshandlung muss pflichtwidrig und schuldhaft sein (RIS-Justiz RS0029531 [T10]). Das essentielle Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung dient der Abgrenzung zu einer auf einem nur geringfügigen Verschulden (etwa einem unbedeutenden Versehen) beruhenden, vergleichsweise geringfügigen Verfehlung (RIS-Justiz RS0029531 [T9]).
Je weniger intensiv die Schuld ist, umso eher ist dem AG die Weiterbeschäftigung zumutbar (RISJustiz RS0029531 [T12]).
II.6.2. Während des freien Dienstverhältnisses verhandelten die Parteien über den Abschluss eines schriftlichen Anstellungsvertrags (§ 75 Abs 1 letzter Satz AktG). Mit diesem wären ua das neue (freie) Dienstverhältnis des Kl, das Schicksal von dessen vorherigem Angestelltenverhältnis und die noch offenen Ansprüche des Kl aus demselben genauer355 geregelt worden. Dass das Aushandeln des eigenen Anstellungsvertrags ein außerdienstliches Verhalten des Kl war, steht der Heranziehung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit nicht entgegen, zumal die Vertrauensverwirkung auch auf Handlungen des Angestellten beruhen kann, die mit dem Dienstverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen.
II.6.3. Dem Kl wird von der Bekl vorgeworfen, ihr bzw dem von ihr für die Vertragsverhandlungen beauftragten Rechtsanwalt Dr. V* gegenüber die Vereinbarung vom 14.9.1998 „verheimlicht“, „verschwiegen“ oder trotz ihrer Aufklärungsbedürftigkeit zumindest unerwähnt gelassen zu haben. Es wird damit ein Unterlassen des Kl geltend gemacht. Die Qualifizierung einer Unterlassung unter den Tatbestand des § 27 Z 1 letzter Fall AngG setzt voraus, dass eine Rechtspflicht zum Handeln bestand (Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG [2005] § 27 Rz 73).
Jeder Geschäftspartner muss grundsätzlich die eigenen Interessen selbst wahrnehmen (RIS-Justiz RS0014811 [T6]; RS0016390 [T7]; RS0014820 [T1]). Deshalb besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entschließung einen Einfluss haben können (RIS-Justiz RS0014811 [T10]; RS0016390 [T4, T11]; RS0014820 [T4]). Eine Aufklärungspflicht ist aber dann zu bejahen, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RIS-Justiz RS0016390 [T3]), so etwa, wenn diesem ein Schaden droht (RIS-Justiz RS0014811 [T1, T5]) oder der andere aus besonderen Gründen verpflichtet ist, den Irrenden aufzuklären (RIS-Justiz RS0014811 [T9]). Entscheidend ist, ob nach Lage des Falles eine Aufklärungsnotwendigkeit besteht (RIS-Justiz RS0016390 [T5]) und der andere Teil eine Aufklärung erwarten durfte (RIS-Justiz RS0016390 [T7]), somit ob ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners vorliegt (RIS-Justiz RS0016390 [T16]).
„Besondere Umstände“, die eine Verpflichtung zur Information des anderen nach sich ziehen, können vorliegen, wenn der andere Auskünfte oder Belehrungen verlangt (vgl RIS-Justiz RS0014811 [T18]; RS0016207). Verweigert der Gefragte die Informationserteilung, kann hierin eine Einschränkung der berechtigten Erwartung des Fragenden, vom anderen informiert zu werden, liegen (siehe A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten vor Vertragsabschluss unter besonderer Berücksichtigung des Unternehmenskaufs [2015] 246). Antwortet der Gefragte, kann der andere hingegen grundsätzlich von der Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Information ausgehen (A. Reich-Rohrwig, aaO 223).
„Besondere Umstände“ liegen auch – abseits von Umsatzgeschäften und ähnlichen Geschäften, in welchen die Ausnützung eines Informationsvorsprungs grundsätzlich unbedenklich ist (vgl 3 Ob 111/09h) – in einer Situation vor, in der sich der andere zwar grundsätzlich selbst informieren könnte und müsste, seinem Gegenüber aber der Umstand, dessen Relevanz für die Entscheidungsfindung des anderen und dessen aktuelles Nichtwissen vom Umstand bekannt ist. Hier wäre es unbillig, dürfte der Wissende den anderen in Unkenntnis lassen. In einem solchen Fall liegt eine subsidiäre Informationspflicht des Wissenden vor, mag die Verletzung der Obliegenheit zur Selbstinformation dem anderen auch zum Mitverschulden gereichen (siehe A. Reich-Rohrwig, aaO 156, 326 f, 601).
II.6.4. In 9 ObA 192/02d wurde der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit als verwirklicht beurteilt, weil ein Geschäftsführer einer GmbH, der ohne entsprechende Rechtsgrundlage eine Urlaubsablöse für 14 Tage in der Höhe von 57.000 ATS in Anspruch nahm, obwohl ihm bewusst war, dass Gespräche über eine einvernehmliche Auflösung seines Dienstverhältnisses unmittelbar bevorstanden, im Gespräch mit einem Mitglied des Aufsichtsrates die erhaltene Zahlung mit keinem Wort erwähnte, obwohl er nicht damit rechnen konnte, dass seinem Gesprächspartner dieser Umstand bekannt sein musste.
In 9 ObA 103/15k wurde in einem Fall, in dem der AN seine Nebenbeschäftigungen bereits dem Vorgänger des Direktors schriftlich gemeldet hatte, nicht aber abermals dem neuen Direktor, die Verneinung des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit durch das Berufungsgericht nicht als korrekturbedürftig qualifiziert und die außerordentliche Revision zurückgewiesen. Es sei nicht ersichtlich, warum es dem neuen Direktor nicht zumutbar gewesen sein soll, die Informationen etwa den in der Direktion aufliegenden Unterlagen zu entnehmen.
II.6.5. Im vorliegenden Fall musste der Kl damit rechnen, dass seinem Gesprächspartner – dem vom Aufsichtsrat mit dem Aushandeln eines Anstellungsvertrags beauftragten Rechtsanwalt Dr. V* – die Vereinbarung vom 14.9.1998 unbekannt war, zumal diese während der Vertragsverhandlungen und in den Vertragsentwürfen niemals Erwähnung fand. Da in der Vereinbarung vorgesehen war, dass mit Erhalt einer Pensionsabfindung in Höhe von 50 %, nämlich von 1.680.326 ATS, und der Übertragung des Restbetrags in Höhe von 50 %, nämlich weiterer 1.680.326 ATS in die V* Pensionskassen AG „sämtliche“ Pensionsansprüche des Kl gegen die Genossenschaft abgegolten seien und solche nunmehr „ausschließlich“ gegenüber der V* Pensionskassen AG bestünden, war dem Kl auch erkennbar, dass es sich bei der Vereinbarung um einen Umstand handelte, der auf die Entscheidungsfindung der Bekl jedenfalls einen großen Einfluss haben könnte. Aufgrund der langen verstrichenen Zeit musste der Kl davon ausgehen, dass das Aufsichtsratsmitglied Mag. P*, der die Vereinbarung vom 14.9.1998 namens der Genossenschaft mitunterfertigt hatte, diese bereits vergessen hatte. Da Dr. V* die Vereinbarung vom 14.9.1998 monatelang niemals thematisierte, musste der Kl auch annehmen, dass sich am offenkundigen Informationsdefizit der anderen Seite auch nichts ändern werde. Hinzu kommt (und dies unterscheidet den Fall wesentlich von jenem zu 9 ObA 103/15k), dass Dr. V* den Kl anfänglich der Übermittlung des Erstentwurfs gerade um die Erteilung relevanter Informationen zur Höhe und356 Ausgestaltung seiner Pensionszuschussregelungen ersucht hatte und er in der Folge diesem Ersuchen zumindest insofern entsprach, dass er (auch) in Hinsicht auf die angesprochene Thematik Formulierungsvorschläge machte, bei welchen auf diverse Details hingewiesen wurde, nämlich auf ganz bestimmte Sitzungen des Aufsichtsrates und des Vorstandes. Dadurch konnte – wovon der Kl ausgehen musste – bei Dr. V* der Eindruck entstehen, ihm seien sämtliche Eckpunkte des bisherigen Geschehens bereits bekannt.
Der OGH vermag daher dem Berufungsgericht nicht entgegenzutreten, wenn es von einer Rechtspflicht des Kl zur Information der Bekl bzw Dris. V* über die Vereinbarung vom 14.9.1998 ausging.
II.6.6. Dem Kl war nach den Feststellungen die Vereinbarung vom 14.9.1998 aufgrund von von ihm getätigter Einsichtnahmen in seinen eigenen Personalakt während der Vertragsverhandlungen mit Dr. V* bewusst. Damit ist dem Kl in Bezug auf die unterlassene Unterrichtung der anderen Seite über die Vereinbarung zumindest eine – jedenfalls nicht bloß geringfügige (vgl RIS-Justiz RS0029531 [T9]) – Fahrlässigkeit anzulasten. Die Entlassung des Kl war damit – auch angesichts dessen, dass an leitende Mitarbeiter strengere Maßstäbe anzulegen sind (RIS-Justiz RS0029652) und der Kl sogar als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft fungierte – berechtigt.
II.6.7. Die Frage, was der Kl mit seiner – vermeintlich – absichtlichen Unterlassung der Information von Dr. V* über die Existenz der Vereinbarung vom 14.9.1998 erreichen wollte, gehört dem Tatsachenbereich an. Da es für die Frage der Berechtigung der Entlassung gerade nicht darauf ankommt, ob der Kl mit Absicht handelte und – wie noch zu zeigen sein wird – mangels eines Mitverschuldens der Bekl iSd § 1162c ABGB bzw § 32 AngG diese Frage auch für die betreffende Mitverschuldensregel nicht von Relevanz ist, bedarf sie keiner Klärung; ein sekundärer Feststellungsmangel liegt nicht vor.
II.6.8. Dem deutlichen Wortlaut der Vereinbarung vom 14.9.1998 nach verzichtete der Kl auf sämtliche Pensionsansprüche gegen die Genossenschaft gegen Auszahlung von 1.680.326 ATS an ihn und Übertragung weiterer 1.680.326 ATS an die Vi* Pensionskassen AG. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vereinbarung entgegen dem deutlichen Wortlaut womöglich dahingehend ausgelegt werden könnte, keinen gänzlichen Verzicht auf Pensionsansprüche zu enthalten. Jedenfalls hatte der von der Bekl hinzugezogene Vertragsverhandler ein offenkundiges Interesse, von der Vereinbarung in Kenntnis zu sein. Der Frage der „richtigen“ Auslegung der Vereinbarung vom 14.9.1998 kommt daher keine Entscheidungsrelevanz zu. Ob der Kl durch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einer vermeintlichen, für ihn günstigeren Auslegung des Pktes 4 der Vereinbarung vom 14.9.1998 überrascht wurde, was der Kl in der außerordentlichen Revision als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt, erweist sich demnach als irrelevant.
II.7.1. Der Kl erhob einen Mitverschuldenseinwand. Er hält in der außerordentlichen Revision seine Ansicht aufrecht, dass die Bekl, indem sie nicht selbst in den Personalakt Einsicht nahm, in welcher die Vereinbarung vom 14.9.1998 auflag, ein sorgfaltswidriges Verhalten gesetzt habe, das für seine Entlassung adäquat-kausal gewesen sei. Ohne die Sorgfaltspflichtverletzungen der Bekl bzw des ihr zuzurechnenden Rechtsanwalts Dr. V* hätte keine wie auch immer geartete Aufklärungspflicht seinerseits bestanden. Eine etwaige fahrlässige Nichtaufklärung seinerseits sei nur durch das von der Bekl selbst zu vertretende fahrlässige Verhalten, insb die fahrlässige Unwissenheit der Bekl bzw ihres Anwalts, bedingt. Folglich habe es jedenfalls zur Anwendung des § 1162c ABGB zu kommen.
II.7.2. Auf freie Dienstverhältnisse ist im Wege der Analogie die in § 1162c ABGB sowie § 32 AngG enthaltene Mitverschuldensregel anzuwenden (Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 32 AngG Rz 3 und §§ 1162-1162d Rz 10; Neumayr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1162c Rz 1).
II.7.2.1. Nach dieser Mitverschuldensregel hat der Richter, wenn beide Teile ein Verschulden an dem Rücktritt oder der vorzeitigen Lösung des Dienstverhältnisses trifft, nach freiem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Ersatz gebührt. An der Berechtigung der Entlassung ändert ein Mitverschulden des AG jedoch nichts. Das pflichtwidrige und schuldhafte Verhalten des entlassenen AN wird dadurch zwar nicht beseitigt, aber es erscheint in einem anderen abgeschwächten Licht (4 Ob 17/83 = Arb 10.222; RIS-Justiz RS0028217; Pfeil in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1162c ABGB Rz 2 mwN).
II.7.2.2. Die Mitverschuldensregel des § 1162c ABGB bzw des § 32 AngG ist grundsätzlich nur bei berechtigter vorzeitiger Auflösung anwendbar, insb dann, wenn beide Teile ein Verschulden trifft, das als so schwerwiegend zu beurteilen ist, dass auf beiden Seiten jeweils ein Austrittsgrund bzw ein Entlassungsgrund verwirklicht wird, und zwar unabhängig davon, ob der Erklärende AG oder AN ist (RIS Justiz RS0116864 [T1]). Das Mitverschulden des Auflösenden muss aber nicht unbedingt so weit gehen, dass es als Auflösungsgrund beurteilt werden müsste; es muss aber doch ein Verschulden des Auflösenden an der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses und nicht etwa ein Verschulden des Auflösenden schlechthin vorliegen (vgl RISJustiz RS0028220; Neumayr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1162c Rz 3). Das als Mitverschulden gewertete Fehlverhalten muss für die Auflösung des Dienstverhältnisses adäquat kausal gewesen sein (Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 32 Rz 8; Pfeil in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 32 AngG Rz 6). Kommt den eigenen „Verschuldensbeiträgen“ des die Auflösung Erklärenden nicht das Gewicht von berechtigten Auflösungsgründen zu, ist eine unmittelbare Kausalität für das Fehlverhalten des Erklärungsempfängers – das iSd ständigen Judikatur sein Fehlverhalten in einem anderen Licht erscheinen lässt – erforderlich (Kuras in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 32 Rz 9). Ein typischer Anwendungsfall des Mitverschuldenseinwands bei berechtigter Entlassung ist, dass der AN gegenüber357 dem AG einen Entlassungsgrund setzte, indem er diesen schlug, er zuvor jedoch vom AG provoziert worden war (8 ObA 202/95).
II.7.2.3. Bloße Aufsichtsverletzungen seitens des DG führen nach Lehre (Krejci in Rummel, ABGB3 § 1162c Rz 3) und Rsp nicht schon zu einem Mitverschulden des DG iSd § 32 AngG bzw § 1162c ABGB. So wurde bereits im Plenarbeschluss des OGH vom 22.6.1927, Präs 554/26 (= SZ 9/82 = JB 28 neu = Arb 3687) entschieden, dass der Fall eines wegen Untreue berechtigt entlassenen DN, der den DG im Gerichtsverfahren vorwarf, er habe es an seiner erforderlichen Kontrolle und Beaufsichtigung fehlen lassen, „nicht [...] angetan ist, ein brauchbares Beispiel des Mitverschuldens des Dienstgebers an der vom Dienstnehmer verschuldeten vorzeitigen Entlassung des letzteren darzustellen
“. In 9 ObA 94/14k bezeichnete der erkennende Senat – in der Terminologie des für außerordentliche Revisionen geltenden Prüfungsmaßstabs (vgl 6 Ob 46/14d) – es in einem Beschluss auf Zurückweisung einer außerordentlichen Revision als „nicht unvertretbar“, dass das Berufungsgericht in den von der AN behaupteten fehlenden organisatorischen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen der AG, die einen Befugnismissbrauch der AN überhaupt verhindern hätten sollen, kein schuldhaftes Verhalten der AG iSd zu beurteilenden Mitverschuldenseinwands nach § 1162c ABGB bzw § 32 AngG gesehen hatte.
II.7.2.4. Eine parallele Wertung lässt die Rsp zur schadenersatzrechtlichen Mitverschuldensbestimmung des § 1304 ABGB erkennen. So wird judiziert, dass der auf Schadenersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer nicht als Mitverschulden der Gesellschaft einwenden kann, die Gesellschafter hätten ihrer Kontrollbefugnis nach § 35 Abs 1 Z 5 GmbHG nicht entsprochen (6 Ob 183/13z = RWZ 2014/26 [Wenger]). Als Grund hierfür ist anzusehen, dass die Sorgfaltspflicht des zur Geschäftsführung berufenen Organs gerade auch dann besteht, wenn die Gesellschafter ihre Kontrollbefugnisse nicht oder nur ungenügend wahrnehmen (Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG § 35 Rz 74; vgl ferner Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1304 Rz 7a).
II.7.2.5. Auch in den in Pkt II.7.2.3. zitierten Fällen Präs 554/26 und 9 ObA 94/14k ist als Grund dafür, dass der AN mangelnde Überwachung und Kontrolle nicht als Mitverschulden des AG iSd § 32 AngG bzw § 1162c ABGB einwenden konnte, anzusehen, dass es einem AN auch dann und gerade dann nicht gestattet ist, sich als untreu oder vertrauensunwürdig zu erweisen, wenn der AG ihn nicht ohnehin beaufsichtigt, kontrolliert und überwacht. Auch hat eine Überwachung (Kontrolle, Beaufsichtigung) des AN nicht den Sinn, ihn vor den Nachteilen einer von ihm gesetzten Untreue oder Vertrauensunwürdigkeit zu schützen; vielmehr erfolgt die Überwachung (Kontrolle, Beaufsichtigung) einzig im Eigeninteresse des AG.
II.7.2.6. Diese Wertungen sind auf den vorliegenden Fall übertragbar: Vergleichbar den Fällen von AG, die Überwachungsmaßnahmen unterlassen und damit eine Situation schaffen, die fahrlässige oder vorsätzliche schädliche Handlungen der AN begünstigen, schuf die Bekl hier durch das Unterlassen der Einsichtnahme in den Personalakt bloß eine Lage, die es dem Kl ermöglichte, durch Aushandeln eines neuen Vertrags beinahe (nämlich verhindert bloß durch die unterbliebene Vertragsunterfertigung) ein Recht zu erlangen, auf welches er bereits vor Jahren zumindest nach dem Wortlaut der damaligen Verzichtsvereinbarung umfassend verzichtet hatte. Es liegt hierin mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs kein Mitverschulden der Bekl iSd § 32 AngG oder § 1162c ABGB. Auf die Mitverschuldensbestimmung kann sich der Kl damit nicht berufen. [...]
Die vorliegende E ist für mein Dafürhalten sehr gut gelungen. Sie ist nicht nur im Ergebnis nachvollziehbar, sie ist insgesamt auch gut begründet und im Verlauf der Rsp stimmig, sodass ich im Weiteren nur auf drei Einzelheiten näher eingehen möchte.
Durch die vorliegende E setzt der OGH seine bisherige Rsp fort und bestätigt damit seine vollzogene Trendwende, wonach bei Bestellung eines AN einer Aktiengesellschaft zu deren Vorstandsmitglied das Arbeitsverhältnis im Zweifel endet und nicht bloß ruht (anders eben noch OGH3 Ob 232/53 HS 2104). Mit der stRsp (vgl nur OGH9 ObS 5/98 wbl 1989, 377; OGH9 ObS 6/89 ZAS 1989/28 [Schima]) und der Lehre (vgl zB Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1151 Rz 239) handelt es sich dabei aber nur um eine Zweifelsregel. Eine Vereinbarung, die Abfertigung aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis nicht auszuzahlen, sondern weiterhin das AngG anzuwenden und damit die als Angestellter zurückgelegten Zeiten einzubeziehen, ist zulässig und hält auch einem Günstigkeitsvergleich iSd § 3 ArbVG stand (so schon OGH9 ObS 5/89 wbl 1989, 377).
Den Einwand des Kl, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hätte, erledigt der OGH dahingehend, dass er darauf hinweist, dass auch ein fahrlässiges Verhalten für den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG genügt. Schädigungsabsicht oder Schadenseintritt seien nicht erforderlich.
Aus dem vom OGH vorgenommenen Schluss könnte zunächst abgeleitet werden, dass es auf die Unterscheidung „Vorsatz oder Fahrlässigkeit“ grundsätzlich gar nicht ankomme. Diese Schlussfolgerung wäre natürlich insoweit verfehlt, als zwar (auch) fahrlässiges Verhalten den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit begründen kann, allerdings nicht jede Fahrlässigkeit eine358 Vertrauensunwürdigkeit herbeiführt. Der Gesetzgeber hat nämlich die beiden Entlassungsgründe des § 27 Z 1 AngG (Untreue und Vertrauenswürdigkeit) systematisch auf eine Stufe gestellt. (Auch) aus diesem Grund haben sowohl die Rsp als auch die Literatur zutreffend festgestellt, dass bloß fahrlässiges gesetztes Verhalten besonders schwerwiegend sein muss. Nur dann steht eine hinsichtlich der Rechtsfolge gerechtfertigte Entlassung auf einer Stufe mit (zB vorsätzlichen, gegen unmittelbare dienstliche Interessen gerichtete und gegebenenfalls auch eine Schädigung des AG billigend in Kauf nehmende!) Handlungen oder Unterlassungen, die als Untreue zu werten sind (so schon Pfeil,
; vgl auch OGH4 Ob 56/57 Arb 6677; OGH9 ObA 394/97dDiese Klarstellung ist auch für die in der E darauffolgende Aussage von Interesse, nämlich, dass an AN in leitenden Positionen strengere Anforderungen zu stellen seien (vgl RIS-Justiz RS0029652; RS0029341). Dem ist zu widersprechen, denn aufgrund der obigen systematischen Überlegungen kann auch bei AN in leitenden Positionen nur ein schwerwiegendes Vergehen einen Entlassungsgrund darstellen. Die Stellung als AN in einer leitenden Position allein rechtfertigt ein Absenken des Fahrlässigkeitsniveaus (von schweren auf leichte Vergehen) nicht.
Die stRsp der strengeren Anforderungen bei AN in leitenden Positionen kann deshalb allein die Rechtswidrigkeitsebene betreffen. Das Verhalten eines maßgerechten, wertverbundenen Durchschnittsmenschen mit gewöhnlichen Fähigkeiten, der sich in der konkreten Lage (Situation) befindet, ist für die Beurteilung, ob ein Verhalten als rechtmäßig oder rechtswidrig anzusehen ist, maßgeblich (vgl Reischauer in Rummel, ABGB II3 § 1297 Rz 2, § 1294 Rz 11; nach Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht [1974] 55, ist die Maßfigur eine „Personifizierung der Rechtsordnung“). Beim hypothetischen Verhalten der Referenzperson handelt es sich somit um einen normativen Maßstab.
Um allerdings den richtigen und passenden Maßstab für die Beurteilung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit (Rechtswidrigkeit) feststellen zu können, wird zusätzlich eine Spezifizierung auf typische Personengruppen – sogenannte Verkehrskreise – vorgenommen, denen der Schädiger angehört (etwa auf den Durchschnittsmenschen als Arzt, Kraftfahrer oder eben als AN in leitender Position), weil an diese Positionen von der Gesellschaft typische Rollenerwartungen geknüpft werden (so Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht 56 f; Lewisch, Sorgfaltsmaßstäbe im Schadenersatz- und Strafrecht, ÖJZ 2000, 489 [498], spricht von differenzierter gruppenspezifischer Festlegung von Sorgfaltsstandards).
Aber auch auf Rechtswidrigkeitsebene sind auf AN in leitenden Positionen keine strengeren Regeln anzuwenden, da sich eine Spezifizierung der typisierten Personengruppe (des Verkehrskreises) schon aus diesen allgemeinen Regeln ergibt. Die bestehende stRsp kann deshalb nur dahingehend verstanden werden, dass es aufgrund der Spezifizierung auf den Durchschnittsmenschen als AN in leitender Position im Ergebnis zu strengeren Anforderungen kommt.
Zusammenfassend können auch bei AN in leitenden Positionen leichte Fahrlässigkeiten bzw geringfügige Verfehlungen nicht den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit rechtfertigen. Vielmehr muss es auch hier zu einer schweren, wenn auch fahrlässigen, Verfehlung kommen, die eine Weiterbeschäftigung unzumutbar macht. „Strengere“ Anforderungen ergeben sich im Ergebnis aus der Spezifizierung der Referenzperson als AN in leitender Position, die genau genommen aber bereits aufgrund allgemeiner Regeln vorzunehmen ist.
Wie der OGH in der E unter Verweis auf die Lehre (konkret Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG [2005] § 27 Rz 73) richtig festhält, kann eine Unterlassung nur dann als Vertrauensunwürdigkeit qualifiziert werden, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand, im vorliegenden Fall eine Aufklärungspflicht.
Der österreichische Meinungsstand in der Judikatur und Literatur zur Aufklärungspflicht gleicht einem Mosaik, dessen Gesamtbild sich aus vielen einzelfallbezogenen Entscheidungen und Literaturmeinungen zusammensetzt. Gleichwohl hat die Judikatur mehrere Rechtssätze entwickelt, die regelmäßig zur Begründung oder Ablehnung von Aufklärungspflichten herangezogen werden (so A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten vor Vertragsabschluss [2015] 117 ff).
Sehr umfassend hat sich kürzlich A. Reich-Rohrwig mit dem Thema der vorvertraglichen Aufklärungspflichten auseinandergesetzt und die bestehenden Begründungsansätze der Literatur und Judikatur in ein in sich geschlossenes System an Sorgfaltsanforderungen gegossen (siehe A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten vor Vertragsabschluss). Nachdem der OGH in der vorliegenden E wiederholt auf die genannte Arbeit referenziert, lohnt es sich möglicherweise, den OGH nicht nur an einzelnen Argumenten, sondern an der entwickelten grundlegenden Dogmatik des Autors zu messen und so Schwachstellen oder Begründungsdefizite zu finden.
A. Reich-Rohrwig leitet aus den bisherigen Begründungsansätzen zwei ihrer Natur nach unterschied-359liche Formen an Aufklärungspflichten ab und gießt sie in eine eigene Systematik:
Grundsätzlich ist jede Vertragspartei verpflichtet sich selbst zu informieren. Darf eine Vertragspartei aber aufgrund bestimmter Umstände (berechtigte Verkehrserwartungen) eine Information erwarten, so muss sich die Person nicht selbst informieren und das Gegenüber ist zur Aufklärung verpflichtet. Dies bezeichnet er als Informationspflicht aufgrund der Tragung der Informationslast.
Bestehen keine berechtigten Verkehrserwartungen, können hingegen auch subsidiäre Aufklärungspflichten bestehen, wenn ein Vertragsteil positives Wissen besitzt und das Verschweigen dieses Wissens unbillig wäre. Diese Variante bezeichnet er als Informationspflicht aufgrund positiven Wissens (vgl A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten vor Vertragsabschluss 150 ff; A. Reich-Rohrwig, Unternehmenskauf, Due Diligence und Aufklärungspflichten, ecolex 2016, 4 [7 f]).
In der vorliegenden E finden sich beide der oben beschriebenen Kategorien an Aufklärungspflichten, auf die nachfolgend im Einzelnen näher eingegangen werden soll.
Problematisch ist dabei vor allem die Argumentation des OGH, dass die Frage, ob dem Kl Vorsatz zur Last fällt, für die Berechtigung der Entlassung ohne Bedeutung sei (da ja auch ein fahrlässiges Verhalten einen Entlassungsgrund darstellen kann).
Bei dieser Argumentation verkennt das Gericht aber, dass das Bestehen einer fahrlässigen Verletzung von Aufklärungspflichten umstritten ist. Eine solche Aufklärungspflicht inkriminiert nämlich nicht bloß das Verschweigen positiven Wissens, sondern schafft darüber hinaus eine Pflicht, etwas im Fremdinteresse zu wissen. Dies kann aber nur in besonderen Fällen gefordert werden (vgl A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 149, 325). Verneint man aber das Bestehen einer fahrlässigen Verletzung einer Aufklärungspflicht (siehe dazu sogleich), liegt gar keine Sorgfaltswidrigkeit, und damit kein rechtswidriges Verhalten, vor. Die Begehungshandlung einer Entlassung muss allerdings pflichtwidrig und schuldhaft sein (vgl schon RIS-Justiz RS0029531 [T10]), weshalb die Entlassung dann zu Unrecht erfolgt wäre.
Sehr ausführlich behandelt der OGH die zweite Kategorie an Aufklärungspflichten, die Informationspflicht aufgrund positiven Wissens. Der Kl führte in seiner Rechtsrüge aus, dass er guten Glaubens davon ausgegangen sei, mit der Vereinbarung vom 14.9.1998 nicht auf seinen Pensionszuschuss verzichtet zu haben. Ihm könne deshalb nicht (auch nicht fahrlässig) vorgeworfen werden, die Aufklärungsbedürftigkeit der anderen Seite erkannt zu haben.
Nähme man also den Einwand des Kl ernst (in Wahrheit handelt es sich wohl um eine Schutzbehauptung), so hatte er niemals positives Wissen, ging er doch stets gutgläubig davon aus, auf seine Pensionszuschüsse nicht verzichtet zu haben. Positives Wissen bedeutet nämlich die subjektive geistige Verfügbarkeit und Abrufbarkeit von Informationen (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 332). Demnach könnte dem Kl – der Kategorisierung von A. Reich-Rohrwig folgend – aber auch keine Informationspflicht aufgrund positiven Wissens zukommen. Notwendige Voraussetzung einer derartigen Verpflichtung ist nämlich ein tatsächlich vorhandenes (positives) Wissen (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 325). Ein (auch fahrlässiges) „Nicht-Wissen“ kann in dieser zweiten Kategorie der Systematik mangels Pflicht, im Fremdinteresse etwas zu wissen, niemals sorgfaltswidrig und damit auch nicht rechtswidrig sein (siehe zur näheren dogmatischen Begründung A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 148 f, 325).
Der OGH geht in seiner Begründung wohl von der Vorstellung aus, dass der Kl zwar positives Wissen hatte, aber lediglich die Weitergabe der Informationen fahrlässig nicht durchführte. In diesem Fall wäre eine Aufklärungspflicht aufgrund positiven Wissens möglich. Diese Vorstellung stimmt mE aber nicht mit der vom Kl vorgebrachten Rechtsrüge überein.
Eher kurz behandelt der OGH die Frage nach Aufklärungspflichten nach der ersten Kategorie, der Aufklärungspflicht aufgrund der Tragung der Informationslast. Berechtigte Erwartungen werden jedenfalls dadurch begründet, dass der andere Vertragsteil ausdrücklich bei seinem Gegenüber nachfragt (vgl auch RIS-Justiz RS0016390 [T3]; A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 223). Dem ist auch nach der Systematik von A. Reich-Rohrwig zuzustimmen. Indem also der Vertragsverhandler im vorliegenden Fall ausdrücklich den Kl anfragt und um Übermittlung von Informationen zur Höhe und Ausgestaltung des Pensionszuschusses bittet, da die relevanten Informationen bislang fehlten, trifft den Kl eine Aufklärungspflicht. Bei der ersten Kategorie, der Tragung der Informationslast, und nur dort, können nach A. Reich-Rohrwig Aufklärungspflichten auch fahrlässig verletzt werden. Es besteht also die Pflicht, etwas im Fremdinteresse zu wissen (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 508 f).
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der OGH in der vorliegenden E zwei Argumentationsstränge verfolgt. Entsprechend der systematischen Einordnung nach A. Reich-Rohrwig besteht dabei jedenfalls eine Aufklärungspflicht aufgrund berechtigter Verkehrserwartungen (in concreto aufgrund des ausdrücklichen Nachfragens des Vertragsverhandlers). Eine Aufklärungspflicht aufgrund positiven Wissens wäre nur dann möglich, wenn der Kl auch tatsächlich positives Wissen hatte, was im Parteivorbringen allerdings bestritten wird.
Konträre Ergebnisse der beiden Aufklärungspflichtkategorien zeigen sich auch beim Mitverschulden. Bei der Aufklärungspflicht aufgrund der360 Tragung der Informationslast liegt eine Ausnahme zur grundlegenden Obliegenheit zur Selbstinformation vor. Die Anerkennung und der normative Schutz berechtigter Erwartungen beeinflussen die wechselseitige Informationsverantwortlichkeit der Partei vor Vertragsabschluss: Der Aufklärungsberechtigte muss sich über jene Umstände, die er erwarten darf, nicht selbst informieren, sondern vielmehr Aufklärung von seinem Gegenüber erwarten. Aus diesem Grund kann eine Verletzung der Obliegenheit zur Selbstinformation hier auch kein Mitverschulden darstellen (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 322 f).
Bei der subsidiären Aufklärungspflicht aufgrund positiven Wissens sei hingegen die dogmatische Grundlage nicht der Bestand berechtigter Erwartungen des Aufklärungsberechtigten, sondern die Unbilligkeit des Verschweigens positiven Wissens des Aufklärungspflichtigen. Dort kommt aber der Obliegenheit eines Vertragsteils zur Selbstinformation (weiterhin) besondere Bedeutung zu, was in der Regel durch die Berücksichtigung und Anrechnung der Verletzung der Verpflichtung zur Selbstinformation als Mitverschulden geschieht (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 601). Eine wie vom OGH vorgenommene Versagung eines Mitverschuldens aufgrund eines fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhangs lässt sich iS dieser Dogmatik nicht begründen, da weiterhin eine Verpflichtung zur Selbstinformation vorliegt und nur aufgrund der Unbilligkeit des Verschweigens eine Aufklärungspflicht besteht. Ein Mitverschulden aufgrund einer unterlassenen Selbstinformation kann zwar allenfalls bei Vorsatz oder besonderes grobem Verschulden des Schädigers (auch gänzlich) in den Hintergrund treten (A. Reich-Rohrwig, Aufklärungspflichten 607), allerdings handelt es sich dabei um eine Sache des Verschuldens und nicht um eine der Rechtswidrigkeit.
Da dem Kl aber auch eine Aufklärungspflicht aufgrund Informationslast zukam, bei der auch fahrlässiges Verhalten genügt und eine Verletzung der Selbstinformation keine Sorgfaltswidrigkeit und damit kein Mitverschulden darstellt, lag tatsächlich kein entscheidungsrelevanter Verfahrensmangel vor.