SteinackerDer Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers – Die adäquate Lösung des Konflikts zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit

Nomos Verlag, Baden-Baden 2017, 403 Seiten, kartoniert, € 104,–

MATTHIASNEUMAYR (SALZBURG)

Ein in Österreich ausgebildeter und dadurch (offenbar doch ausreichend) positivistisch geprägter Jurist ist zuweilen überrascht, welche Rechtsfiguren die Rsp in Deutschland – zum Teil unter Rückgriff auf grundgesetzliche Verankerungen sowie auf Treu und Glauben (§ 242 BGB [Bürgerliches Gesetzbuch]) – kreiert hat, in durchaus phantasievoller Rechtsfortbildung. Zu einem individuellen Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten AN kann es dann kommen, wenn sich nach wirksamer Kündigung die das Motiv für die Kündigung bildenden Umstände bis zum Ablauf der Kündigungsfrist so ändern, dass der Kündigungsgrund praktisch „entfällt“, und zwar unabhängig davon, ob ein Kündigungsschutzprozess geführt wurde oder nicht. Bspw kann sich bei einer betriebsbedingten Kündigung die wirtschaftliche Situation des Unternehmens aufgrund eines unerwarteten Großauftrags aus dem Ausland schlagartig verbessern oder eine geplante und bereits eingeleitete Betriebsstilllegung wird durch die Möglichkeit einer Betriebsveräußerung nicht durchgeführt. Bei einer „Verdachtskündigung“ kann sich der anfänglich begründete Verdacht später als haltlos erweisen. Grundlegend war eine Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 27.2.1997, der eine an sich wirksame Kündigung eines Konkursverwalters zugrunde lag. Das Bundesarbeitsgericht stützte damals den Wiedereinstellungsanspruch – als notwendiges Korrektiv der ex post unrichtigen Prognose – auf den Gedanken des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) und die verfassungsrechtliche Verankerung des Arbeitsplatzschutzes in Art 12 Abs 1 GG.

In ihrer 2012 an der Universität Bremen vorgelegten, bei Wolfgang Däubler verfassten Dissertation unternimmt die Autorin den Versuch, eine tragfähige dogmatische Grundlage für den Anspruch zu finden. Diese sieht sie „unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts“ (S 160) in der – selbständig einklagbaren – Nebenpflicht des AG, die Interessen des AN zu wahren, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. An diese Analyse schließt sich die Behandlung zahlreicher Folgefragen an (zB Voraussetzungen und Grenzen des Anspruchs; Auswahl aus mehreren betroffenen AN; Wiedereinstellungsanspruch bei Betriebsübergang und Insolvenz; Klagebegehren und prozessuale Behandlung; Wiedereinstellungsanspruch nach anderen Beendigungsarten).

In zwei jüngeren Entscheidungen aus 2016 und 2017 hat das BAG den Wiedereinstellungsanspruch bekräftigt und dessen Grundlage ebenfalls aus einer vertraglichen Nebenpflicht gem § 242 BGB abgeleitet (näher vom Stein, Aktuelles aus Erfurt zum Wiedereinstellungsanspruch, NZA 2018, 766).

Für den eingangs erwähnten Österreicher ist vor allem interessant, was – abgesehen vom aufschlussreichen Blick auf eine andere Rechtsordnung – aus dem Werk für das österreichische Arbeitsrecht zu gewinnen ist. Insoweit ist der Befund eher dürftig: Zu groß sind die Unterschiede im Verständnis der Kündigung, beginnend mit dem in Deutschland stärker ausgeprägten individuellen Kündigungsschutz (aufschlussreich Rebhahn, Inwieweit können aus österreichischen Regelungen zum Arbeitsmarkt Anregungen für Deutschland gewonnen werden? EuZA 2009, 447 ff) bis hin zu dem im österreichischen Arbeitsrecht ganz herrschend vertretenen Schadenersatzprinzip. Eine große Rolle spielt auch das von der deutschen Rsp hochgehaltene Prognoseprinzip: Im Vordergrund steht weniger das Vorhandensein eines Kündigungsgrundes im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung als die Prognose, ob der Kündigungsgrund auch in Zukunft gegeben sein wird.

Auch wenn man die der Arbeit zugrunde liegende Prämisse nicht teilt, ist die differenzierende Sicht auf Folgefragen (wie zB die Beteiligung des BR) gedanklich durchaus anregend.

Im österreichischen Recht ist ein derartiger Anspruch kaum begründbar. Das würde wohl auch für den deutschen Rechtsbereich gelten, in dem vielleicht der judicial restraint weniger ausgeprägt ist als in Österreich. Kritik an der Konstruktion wird (wurde?) aber auch in Deutschland geübt. So schrieben Klemens Dörner und Reinhard Vossen in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht4 (2012) § 1 KSchG Rz 77 f, dass die „Vielzahl der in Betracht gezogenen Begründungsansätze, aus denen sich ein Fortsetzungs- bzw. ein Wiedereinstellungsanspruch ergeben soll ..., deutlich [belegt], dass der in Betracht gezogene Anspruch weniger auf einem tragfähigen dogmatischen Fundament als vielmehr auf allgemeinen Billigkeitserwägungen beruht. Es soll die Möglichkeit eröffnet werden, ein als unbillig empfundenes Ergebnis zu korrigieren. Freilich werden dadurch mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet. ... Dies belegt, dass weder ein Fortsetzungs- noch ein Wiedereinstellungsanspruch besteht, da neben der fehlenden dogmatischen Begründbarkeit die praktischen Konsequenzen für den Arbeitgeber kaum überschaubar und mit dem Gebot der Rechtssicherheit, dh der Voraussehbarkeit der Konsequenzen einer einmal erklärten Kündigung unvereinbar sind“. In der aktuellen, von Reinhard Vossen bearbeiteten fünften Auflage sind diese kritischen Ausführungen allerdings nicht mehr enthalten.