Kozak (Hrsg)Globales Arbeiten – Wiener Arbeitsrechtsforum 2017
Manz Verlag, Wien 2018 XII, 90 Seiten, broschiert, € 29,90
Kozak (Hrsg)Globales Arbeiten – Wiener Arbeitsrechtsforum 2017
Am 8. Juni 2017 fand das 3. Wiener Arbeitsrechtsforum unter dem Generalthema „Globales Arbeiten“ statt. Der vorliegende Tagungsband enthält die schriftlichen Abfassungen der vier Referate.
Am Beginn steht der Beitrag von Stefan Kühteubl/Karin Pusch zu Normen mit Lohnschutzcharakter (S 1-22). Die AutorInnen gehen darin der Frage nach, inwieweit die Verletzung bestimmter Normen mit Entgeltschutzfunktion eine strafbare Unterentlohnung nach § 29 LSD-BG (Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz) bewirkt. Es geht also um die Auslegung von § 29 LSD-BG („das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien
“) im Hinblick auf konkrete gesetzliche Anspruchsgrundlagen. Behandelt werden der Anspruch auf angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, der Entgeltanspruch bei Unterbleiben der Arbeitsleistung nach § 1155 ABGB, Ansprüche überlassener AN nach § 10 AÜG, der Anspruch auf aliquote Remuneration nach § 16 AngG, der Anspruch auf Grund entgelt vergleichbarer AN inklusive branchen- und ortsüblicher Überzahlung nach § 2g AVRAG sowie die Abgeltung von Zeitguthaben nach § 19e AZG.
Zunächst werden die einzelnen Normen kurz erläutert, indem ihr verbreitetes Verständnis in Judikatur und Lehre wiedergegeben wird. Dadurch wird dem Leser der Einstieg in den jeweiligen Problembereich erleichtert und ein Überblick geboten. Die Knappheit der Ausführungen führt allerdings (notgedrungen) zu Unschärfen. So sind etwa die Aussagen zu einer möglichen Strafbarkeit des AG nach § 29 LSD-BG wegen ausbleibender Leistungen Dritter (S 5) mangels Erörterung des (uU fehlenden) Vertragsverhältnisses des Dritten zu den Arbeitsvertragsparteien nicht vollständig nachvollziehbar. Zu § 16 AngG wird darauf hingewiesen, dass die Bestimmung auf ArbeiterInnen analog anzuwenden sei (S 12), obwohl der OGH eine Analogie bisher nicht bejaht hat und die Judikatur vor allem im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von einzel- oder kollektivvertraglichen Klauseln, die einen (aliquoten) Anspruch auf Sonderzahlungen bei gerechtfertigter Entlassung oder ungerechtfertigtem Austritt ausschließen, zwischen ArbeiterInnen und Angestellten differenziert (vgl OGH 26.11.2013, 9 ObA 82/13v; OGH 4.8.2009, 9 ObA 97/08t; Preiss in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 16 AngG Rz 10, 40).
Der zweite Abschnitt des Beitrages ist § 29 LSDBG gewidmet. Zur Frage, welche Entgeltbestandteile der Schutzbereich dieser Norm umfasst, wäre eine nähere Auseinandersetzung mit ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Zweck wünschenswert gewesen. Der Fokus liegt auf dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip (vgl Art 7 EMRK, Art 49 GRC, § 1 VStG). Aus diesem werden für Strafnormen – zu denen auch das Verwaltungsstrafrecht zählt – besondere Anforderungen in Bezug auf ihre Bestimmtheit und die Vorhersehbarkeit strafbaren Verhaltens abgeleitet. Kühteubl/Pusch referieren in diesem Zusammenhang die Ansicht Unterrieders (ecolex 2017, 283), der den Anwendungsbereich von § 29 LSD-BG auf Fälle einschränken möchte, in denen Gesetz, Verordnung oder KollV das jeweilige Entgelt betragsmäßig fixieren. So weit gehen Kühteubl/Pusch jedoch nicht. Aufgrund der notwendigen Vorhersehbarkeit strafbaren Verhaltens kommen sie zu folgenden Ergebnissen: Eine Verletzung von § 1152 ABGB könne nicht zur Strafbarkeit nach § 29 LSD-BG führen, weil der Begriff des angemessenen Entgelts zu unbestimmt sei. Gleiches gelte, wenn der AG den Entgeltanspruch des AN nach § 1155 ABGB nicht erfüllt habe, außer die Verhinderung der Arbeitsleistung sei eindeutig der Sphäre des AG zuzurechnen. Bei Ansprüchen überlassener AN auf ein „angemessenes, ortsübliches Entgelt“ nach § 10 AÜG sei danach zu differenzieren, ob das Arbeitsverhältnis einem KollV unterliege. Sei dies nicht der Fall, könne eine allfällige Verletzung von § 10 AÜG keine strafbare Unterentlohnung bewirken, weil es wiederum an der Bestimmtheit mangle. Auch ein Verstoß gegen § 2g AVRAG könne keine Strafbarkeit nach LSD-BG begründen. Auch wenn die Bedeutung des strafrechtlichen Legalitätsprinzips außer Frage steht, ist bei der soeben dargestellten Argumentation Vorsicht geboten, weil dahinter zumindest teilweise die doch etwas fragwürdige Ansicht steht, dass AG nicht wissen können, wieviel Entgelt sie ihren AN schulden. Diese Ansicht ist besonders problematisch, wenn die Unklarheiten auf eine Initiative oder ein Fehlverhalten des AG zurückgehen (vgl § 2g AVRAG).
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der Rsp des EGMR, an dem sich EuGH und VfGH orientieren, die Anforderungen an die Bestimmtheit von Strafgesetzen auch von der Materie und vom Adressatenkreis abhängen. Eine strafrechtliche Norm erfüllt die Voraussetzung der Vorhersehbarkeit demnach auch dann, wenn die betroffene Person geeignete Rechtsberatung in Anspruch nehmen muss, um die Konsequenzen ihrer Handlungen abschätzen zu können. Dies trifft nach der Judikatur des EGMR vor allem auf Personen zu, die eine Geschäftstätigkeit („professional activity468 “) ausüben (EGMR 11.11.1996, 17862/91 [Cantoni] Rz 32 ff). Härtefälle können wohl auch über das Verschulden des AG gelöst werden. § 29 Abs 3 LSD-BG sieht ausdrücklich den Entfall der Strafbarkeit vor, wenn der AG nur leicht fahrlässig gehandelt hat und das dem AN nach Gesetz, Verordnung oder KollV gebührende Entgelt nachzahlt. Eine erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs durch Reduktion auf in allgemeinen Normen betraglich ausgewiesene Entgeltbestandteile oder der pauschale Ausschluss von Verstößen gegen bestimmte Entgeltschutznormen erscheinen daher aus Sicht des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots für Strafnormen nicht zwingend erforderlich.
Der zweite Beitrag von Edoardo Ales behandelt aktuelle Fragen zum Arbeitsrecht in Italien (S 23-38). Der Autor bietet darin einen kurzweiligen Überblick über Grundlagen und Entwicklungen einiger Bereiche des italienischen Rechts, in denen aktuell Reformen diskutiert werden oder kürzlich stattgefunden haben. Zu Beginn erfolgt eine instruktive und für den „gelernten Österreicher“ bemerkenswerte Einführung in die italienische Verfassung, die ua ein Recht auf Arbeit und eine Pflicht zur Arbeit für alle StaatsbürgerInnen vorsieht, woraus im Ergebnis eine verfassungshohe Verpflichtung zu aktiver Arbeitsmarktpolitik abgeleitet wird. Auch der Anspruch auf angemessenen Lohn ist verfassungsrechtlich abgesichert. Die begrenzte Wirkungsmacht derartiger Verbürgungen zeigt sich freilich bspw darin, dass das italienische Arbeitsrecht trotz entsprechender verfassungsrechtlicher Vorgabe keine Beteiligung der AN an der Führung der Betriebe vorsieht; auch ein gesetzlicher Mindestlohn fehlt.
Im Anschluss werden einzelne Reformvorhaben sowie die grundlegende Ausgestaltung der von ihnen betroffenen Rechtsbereiche angesprochen, darunter Erweiterung des Anwendungsbereichs bestehender Schutzvorschriften auf (nach österreichischer Terminologie wohl) arbeitnehmerähnliche Personen, Regelung von zeitlich und örtlich entgrenzter Arbeit unter Einsatz moderner Kommunikationsformen – „Smart Working“, Berufsschutz und Kündigungsschutz. Insgesamt kann wohl ein Trend zur Flexibilisierung des italienischen Arbeitsrechts erkannt werden. Als interessantes Beispiel ist der Umstand zu nennen, dass öffentliche Jobcenter und private ArbeitsvermittlerInnen in Italien nunmehr auch gegenüber Selbständigen Informations- und Beratungsleistungen erbringen. Die jeweils knappe Darstellung bietet zwar spannende Einblicke und manche Anregung, nicht mit dem italienischen Arbeitsrecht Vertraute müssen ihr gewecktes Interesse jedoch durch eigene Recherchen weiterverfolgen, um den genauen Inhalt und die Folgen der angesprochenen Reformen abschätzen zu können. Bei der Diskussion über den Anwendungsbereich arbeitsrechtlicher Vorschriften wird etwa die vom Autor vorgenommene Unterscheidung zwischen UnternehmerInnen und Selbständigen nicht ganz klar (S 27 f). Auch der internationale Bezug des Beitrages und damit die Verbindung zum Generalthema ist auf den ersten Blick nur schwach ausgeprägt.
Rüdiger Krause widmet seinen Beitrag verschiedenen Ausprägungen des Lohnschutzes in Deutschland (S 39-65). Zu Beginn zeichnet der Autor die 2015 erfolgte Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns nach und erläutert dabei auch die Einbettung des gesetzlichen Mindestlohns in das Tarifvertragssystem. Auch empirische Daten zu den Auswirkungen des Mindestlohngesetzes (MiloG) auf den Arbeitsmarkt werden erörtert, bspw zum Rückgang geringfügiger Beschäftigung, zur (sehr geringen) dämpfenden Wirkung auf das Beschäftigungswachstum und zu Lohnsteigerungen in angrenzenden Einkommenssegmenten. Ferner werden auch die Grenzen des Schutzbereichs des MiloG dargestellt, die etwa bei Entgeltfortzahlungsansprüchen oder Entgeltbestandteilen mit besonderer gesetzlicher Zweckwidmung (genannt werden Nachtarbeitszuschläge) bereits überschritten sind.
Nach dem gesetzlichen Mindestlohn werden tarifvertraglich vereinbarte Mindestentgelte behandelt, wobei die Erstreckung des Anwendungsbereichs durch Allgemeinverbindlicherklärung und Rechtsverordnung im Fokus steht (vgl § 5 Tarifvertragsgesetz [TVG], §§ 7 f Arbeitnehmer-Entsendegesetz [AEntG]).
Daran knüpft eine Analyse der arbeitsrechtlichen Schutzmechanismen gegen (für die AN) verschlechternde Vereinbarungen über den Entgeltanspruch. Unabdingbarkeit, Verzichtsverbot, Verwirkungsverbot und Beschränkung von Ausschlussfristen werden in dogmatisch fundierter Weise erörtert. Auch die (mögliche) Rechtfertigung der damit verbundenen Eingriffe in die Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien wird dargestellt. Besonders interessant und für österreichische ArbeitsrechtswissenschaftlerInnen uU horizont erweiternd sind die Erläuterungen zu gesetzlichen Verzichtsverboten, die auch für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam bleiben. Gleiches gilt für die Ausführungen über das Verhältnis des Anspruchs auf gesetzlichen Mindestlohn zu tarif- und einzelvertraglichen Verfallsfristen (S 55, vgl § 3 S 1 MiloG).
Unter der Überschrift „Lohnschutz durch Dritthaftung“ wird die Haftung des Generalunternehmers für Ansprüche der bei einem Nachunternehmer beschäftigten AN auf den gesetzlichen Mindestlohn bzw das tarifvertragliche Mindestentgelt vorgestellt (§ 13 MiloG iVm § 14 AEntG). Dabei werden auch die verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Regelung und die einschlägige Judikatur des BVerfG und EuGH angesprochen. Das österreichische Recht sieht eine ähnliche Haftung für Sozialversicherungsbeiträge in der Baubranche vor (§ 67a ASVG).
In der Folge behandelt Krause einen Bereich, der in den letzten Jahren auch in Österreich im Fokus der Arbeitsrechtswissenschaft gestanden ist, nämlich die öffentlich-rechtliche Absicherung arbeitsvertraglicher Entgeltansprüche. Hier zeigt sich, dass die Entwicklungen in Deutschland weniger weit gegangen sind als in Österreich im Rahmen des LSD-BG. Von Behörden wird in Deutschland nur die Zahlung von Mindestentgelten nach dem MiloG, dem AEntG und dem AÜG kontrolliert. Darüberhinausgehende (insb tarifvertraglich begründete) Entgeltbestandteile sind von der behördlichen Kontrolle nicht erfasst. Bemerkenswert ist, dass für diese eingeschränkte Kontrolltätigkeit für das Jahr 2017 7.200 Planstellen bei der zuständigen Zollbehörde (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) vorgesehen waren.
Den Abschluss bilden Ausführungen zur Klauselkontrolle bei Verwendung vorformulierter Vertragstexte (Allgemeine Arbeitsbedingungen), wobei der Schwerpunkt auf der Inhaltskontrolle von Verzichtsvereinbarungen, Ausschlussfristen und von Widerrufs- bzw Freiwilligkeitsvorbehalten liegt.469
Im letzten Beitrag setzt sich Bettina Nunner-Krautgasser mit der Internationalen Zuständigkeit in Arbeitsrechtssachen auseinander. Die Autorin gibt darin einen instruktiven Überblick über die europäische und innerstaatliche Rechtslage zur Internationalen Zuständigkeit in individualarbeitsrechtlichen Streitfällen. Zurecht weist Nunner-Krautgasser darauf hin, dass dieser Fragenkomplex trotz seiner immensen praktischen Bedeutung in der Rechtswissenschaft nach wie vor nur wenig berücksichtigt wird. Bei der Erörterung der unionalen Rechtslage (insb der Brüssel Ia-VO) werden auch die Wechselbeziehungen mit dem nationalen Arbeitsrecht behandelt, etwa die Frage der Einordnung des kollektivrechtliche wie individualrechtliche Aspekte aufweisenden allgemeinen Bestandschutzes in das auf Individualarbeitsverträge ausgerichtete System des europäischen Prozessrechts. Auf den ersten Blick wenig überzeugend erscheint die Auffassung, dass der gewöhnliche Arbeitsort iSv Art 21 Brüssel Ia-VO uU dort sein soll, wo der AN noch nie tätig geworden ist, wenn an anderer Stelle zur selben Norm der Vorrang der tatsächlichen Leistungserbringung gegenüber der vertraglichen Festlegung betont wird (S 78 f). Auch für mit der Materie bereits Vertraute gewinnbringend sind die Ausführungen zur Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung im arbeitsgerichtlichen Verfahren und zur einschlägigen Judikatur des OGH.
Zusammenfassend liegt ein Tagungsband vor, der eine Vielzahl von Fragen von hoher Aktualität anspricht und reichliche Anregungen für Gesetzgebung, Kollektivvertragsparteien und Rechtswissenschaft liefert. Nach der Lektüre dieses Bandes bleibt zu wünschen, dass das noch junge Wiener Arbeitsrechtsforum sich langfristig als eine die Arbeitsrechtswissenschaft bereichernde Veranstaltung etabliert.