Scherger/Vogel (Hrsg)Arbeit im Alter – Zur Bedeutung bezahlter und unbezahlter Tätigkeiten in der Lebensphase Ruhestand

Springer Verlag, Heidelberg 2018, 304 Seiten, € 51,39

ANDREASRAFFEINER (BOZEN/INNSBRUCK)

Das zu rezensierende Werk bietet dem Lesepublikum Interessantes zu bedeutsamen Fragen einer tagesaktuellen Thematik. Die heutige Rentnergeneration ist in der Tat sehr vielfältig aktiv. RentnerInnen engagieren sich ehrenamtlich oder gehen weiterhin einem Broterwerb nach. Das Herausgeberinnenduo hat in seinem Buch Abhandlungen gesammelt, welche verschiedene Fragestellungen und Aspekte unbezahlter und bezahlter Tätigkeiten im Ruhestand zum Inhalt haben. Dabei muss man die Zielsetzung der unterschiedlichen AutorInnen genauer unter die Lupe nehmen. Es geht primär um die gesellschaftlichen Debatten um Erwerbstätigkeit, aber auch um das freiwillige Engagement im fortgeschrittenen Alter. Individuelle Forschungsbefunde dienen dem Lesepublikum dazu, Impulse für die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen zu erkennen und in der weiteren Folge abzustecken. Es ist keinesfalls falsch zu behaupten, dass das rund 300 Seiten starke Werk einen kompakten Einblick in den (Forschungs-)Stand der Diskussion des verhältnismäßig jungen Themenkomplexes bietet.

Das Buch beinhaltet Beiträge der Frühjahrs- und Herbsttagung 2015 der Sektion Alter(n) und Gesellschaft in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Ferner muss man wissen, dass die TeilnehmerInnen dieser Tagungen die facettenreichen Aspekte der Debatte um Produktivität und Potenziale im Alter und um Arbeit jenseits der Rentenalter durchleuchtet haben. Alle haben wesentlich dazu beigetragen, den Trend der zunehmenden Arbeit nach dem Eintritt ins Rentenalter sozialwissenschaftlich kritisch und dennoch fundiert zu reflektieren.

Die beiden Herausgeberinnen betonen in ihrer sehr ausführlichen Einleitung die unterschiedlichen und in der gleichen Art vielfältigen Aspekte der Forschungsthematik und umreißen kurze Inhalte der einzelnen Aufsätze. Dessen ungeachtet weisen Simone Scherger und Claudia Vogel darauf hin, dass ein erwerbsarbeitsfreier Ruhestand eine relativ junge Errungenschaft des Wohlfahrtsstaates ist. Erst nach 1945 wuchs die Möglichkeit der Menschen, einen arbeitsfreien Ruhestand zu erhalten. Im Unterkapitel Alter und Arbeit werden die Veränderungen im Rentensystem des letzten und vorletzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts thematisiert. Ähnlich verhält es sich mit der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Die vergleichsweise kurzen Ausführungen zur bezahlten Arbeit jenseits der Rentengrenze gewähren dem Lesepublikum einen Einblick in die Ist-Situation.

Das kompakte Buch wurde so verfasst, dass es für schnelle LeserInnen thematisch gegliedert wurde. Die ersten vier Abhandlungen befassen sich mit der Reflexion gesellschaftlicher Debatten um Erwerbstätigkeit und Aktivitäten im Rentenalter. Zwei Aufsätze haben Gemeinsamkeiten und Besonderheiten des Themas im Ländervergleich Deutschland und Großbritannien zum Inhalt. Die letzten Abhandlungen setzen sich mit verschiedenartigen Aspekten der ehrenamtlichen Tätigkeit in der nachberuflichen Lebensphase auseinander.

Zu den Aufsätzen im Einzelnen: Der erste Beitrag stammt aus der Feder von Steffen Hagemann und Simone Scherger. Dabei wird eine Reihe von Interviews mit sozialpolitischen AkteurInnen ergebnisorientiert aufgearbeitet. Es geht dabei um die Erwerbstätigkeit in Deutschland und Großbritannien, aber auch um die Bewertung zunehmender Erwerbstätigkeit im Ruhestand. Das Muster der Argumentation der BefürworterInnen der Rentenreform, so Hagemann und Scherger, ähnelt sich in den untersuchten Staaten stark. Die zukünftige Gestaltung der Renten- und Alterspolitik spielt in der sozialen Auseinandersetzung eine keinesfalls unwesentliche Rolle. Die deutschen Verhältnisse nähern sich relativ jenen Großbritanniens an. Die Arbeit im Rentenalter wird in diesem Entwurf als zusätzliche Alterssicherungsform angesehen.

Reinhard Messerschmidt charakterisiert in seinem Aufsatz die Resultate seiner Medienuntersuchung von 2000 bis 2013. Der Titel „Altersaktivität in den deutschen Massenmedien – auf dem Weg zur Abschaffung des Alter(n)s“ ist treffend gewählt und macht Appetit auf mehr, wenn es darum geht, soziale Verantwortung zu individualisieren und produktive Ältere in den Arbeitsmarkt zu integrieren und deren Fähigkeiten in Form des ehrenamtlichen Engagements zur Verfügung zu stellen.

Harald Künemund und Claudia Vogel untersuchen kritisch die verschiedenen Funktionen von Altersgrenzen und bringen theoretische Überlegungen und empirische Befunde zur Beendigung von Erwerbstätigkeit 470 und Ehrenamt ins Spiel. Dabei kommen die VerfasserInnen zum Schluss, dass jede Veränderung, Abschaffung oder Einführung einer Altersgrenze zu hinterfragen sei. Sozialen Ungleichheiten sollten in dieser Hinsicht eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Simone Schergen, Steffen Hagemann, Anna Hokema und Thomas Lux charakterisieren in ihren sehr gut recherchierten Aufsätzen die Resultate der Emmy-Noether- Nachwuchsforschungsgruppe „Erwerbstätigkeit jenseits der Rentengrenze in Deutschland und Großbritannien“. Diese Gruppe war im Zeitraum zwischen 2010 und 2017 am SORICUM-Forschungszentrum für Ungleichheit und Sozialpolitik an der Bremer Universität angesiedelt.

Jutta Schmitz versucht die Ergebnisse ihres drei Jahre andauernden Projektes „Erwerbstätigkeit trotz Rente? Beschäftigte, Betriebe und Alterssicherung“ am Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg/ Essen anschaulich zu dokumentieren und anhand einer adäquaten Leseform zu präsentieren. Trotzdem muss man betonen, dass dieser Aufsatz eine Fülle von empirischem Material zu Umfang, Struktur und Motivlage der Erwerbstätigkeit von RentnerInnen bietet. Die Verfasserin weist darauf hin, dass die Beschäftigten gewisse Anforderungen an die Jobs nach der Rente stellen. Dabei werden immaterielle und materielle Motive differenziert beschrieben. Nicht unwichtig ist der Hinweis, dass eindimensionale Annahmen, wie etwa „höher Qualifizierte arbeiten aus Spaß an der Arbeit“, eindeutig zu kurz greifen. Wer sich für eine Arbeit nach der Rente entscheidet, möchte ein begrenztes Arbeitsvolumen vorfinden und im Idealfall eine eigene Zeiteinteilung vornehmen. Dass Mini- und Teilzeitjobs auf reges Interesse und in Verknüpfung mit der Vereinbarkeit mit der Freizeit auf eine große Verbreitung stoßen, liegt auf der Hand. Die Autorin hat auch Unternehmen und deren Perspektiven unter die Lupe genommen. Dabei hat sie festgestellt, dass Personen im Rentneralter als zuverlässige Gelegenheitsarbeitskräfte geschätzt werden. Trotzdem wird das soziale Ungleichgewicht verstärkt, denn die erwerbstätigen RentnerInnen sorgen für eine Tendenz zur sozialen Polarisierung im Alter. Die Gefahr von Lohndumping durch die freie Mitarbeit von Personen im Ruhestand könnte aufkeimen.

Andreas Mergenthaler richtet den Fokus seines Interesses auf Resultate der Lebensphasen-Survey „Transitions and Old Age Potential: Übergänge und Alternspotenziale“. Diese werden seit nunmehr neun Jahren am bundesdeutschen Institut für Bevölkerungsforschung durchgeführt. Der Autor fragt nach den Gründen, weshalb man im Rentenalter erwerbstätig sein möchte. Dazu werden Merkmale der früheren Erwerbskarriere als Prädiktor einer fortgeführten Beteiligung am Arbeitsmarkt im Alter zwischen 65 und 70 Jahren berücksichtigt. Beschäftigungsverhältnisse instabiler Natur können demzufolge zu einer De-Standardisierung von Erwerbsbiografien führen. Auch ist die Gefahr einer kontinuierlichen Diskontinuität nicht von der Hand zu weisen.

Von Wichtigkeit ist auch die Abhandlung von Susanne Maurer, die den Einfluss der früheren Erwerbstätigkeit skizziert und dabei das freiwillige Ehrenamt in der nachberuflichen Lebensphase verarbeitet.

Die Autorinnen Julia Simonson und Claudia Vogel legen in ihrem Aufsatz Wert auf den Einfluss regionaler und sozialstruktureller Aspekte des freiwilligen Engagements im Alter und präsentieren ihre Ergebnisse der Allgemeinheit.

Von Interesse ist der wissenschaftliche Beitrag von Belit Şaka, die sich mit dem Einfluss der Kohortenzugehörigkeit auf das ehrenamtliche Engagement beschäftigt.

Das an der Fuldaer Hochschule aktive AutorInnenquartett, bestehend aus Monika Alisch, Martina Ritter, Roger Glaser und Yvonne Rubin, hat Ergebnisse zusammengetragen, die anlässlich des drei Jahre andauernden Projektes BUSLAR (Bürgerhilfevereine und Sozialgenossenschaften als Partner der Daseinsvorsorge) gesammelt wurden und einer eigenen Abhandlung zugrunde liegen. Dabei wird deutlich, dass das freiwillige Engagement Spannungslinien mit sich bringt. Des Weiteren ist es bedeutsam, diese zu balancieren. Zudem werden die Interessen der verschiedensten AkteurInnen durchleuchtet. So kommen die drei Autorinnen und der Autor zum Ergebnis, dass Bürgerhilfeangebote aufgrund der Abhängigkeit der Leistungen von Zeit, Bereitschaft, Lebenslage und Wünsche der ehrenamtlich Tätigen kaum in Zusammenhang mit den verpflichtenden Aufgabenfeldern der gemeindlichen Daseinsvorsorge gebracht werden können.

Das Buch beinhaltet viele Denkanstöße für die gesellschaftspolitische, soziale und wissenschaftliche Debatte. Viele Menschen arbeiten im Rentenalter immer noch und die Gründe dafür sind unterschiedlich. Einige Gemeinden haben sich dieses individuelle Thema auf ihre Fahnen geschrieben und es darf kein Problem daraus werden, wenn es um demografiepolitische Aspekte geht. Ohne Zweifel ist das Thema sensibel, doch die Beiträge des zu besprechenden Buches zeigen einmal mehr auf, dass man sich diesem Thema stellen und dieser Forschungsgegenstand eine Aufgabe aller sein muss, vor allem, wenn es um die Teilhabe an politischen Gestaltungsfeldern geht.

Das Thema ist zu wichtig, um es links liegen zu lassen. Das Herausgeberinnenduo hat die immer wichtiger werdende Angelegenheit durch kritische Textbeiträge zu einem lesenswerten Buch gemacht. Die Menge an empirischen Daten mag vielleicht den einen oder anderen erschrecken, doch durch sie ist es ansatzweise möglich, den Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland leichter zu begreifen. Auf jeden Fall müssen neue Chancen vielfältiger Natur erkannt werden und erwerbsbiografisch, sozialstrukturell und regional wahrgenommen werden. Dabei kommt einmal mehr zur Aussprache, dass das Arbeiten im Rentenalter auf freiwilliger Basis geschehen und nicht als Zwang angesehen werden soll. Dadurch wird die Vielfalt der Thematik einmal mehr als nur deutlich gemacht.