PfalzSelbständige in der Arbeitslosenversicherung

Verlag Österreich, Wien 2018 209 Seiten, broschiert, € 59,–

ANGELAJULCHER (WIEN/SALZBURG)

Das vorliegende Werk beruht auf einer 2017 an der Universität Wien angenommenen Dissertation. Es widmet sich dem in der Praxis quantitativ (noch) nicht allzu bedeutenden Phänomen der Selbständigen in der AlV. Dabei wird einerseits die Frage behandelt, ob und inwieweit das – im Wesentlichen durch die Novelle BGBl I 2007/104BGBl I 2007/104 rund um die zentrale Norm des § 3 AlVG geschaffene – gesetzliche Regelwerk überhaupt verfassungskonform ist; andererseits werden – teilweise auch rechtsvergleichend – verschiedene Spezialprobleme in Zusammenhang mit dieser besonderen Versichertengruppe und bestimmte Rückwirkungen der Einbeziehung der Selbständigen auf das gesamte Arbeitslosenversicherungsrecht beleuchtet.

Zunächst geht es darum, ob sich das Modell einer gemeinsamen AlV von pflichtversicherten Unselbständigen und – auf Grund des in § 3 AlVG vorgesehenen Opting in – freiwillig (und mit nicht notwendig einkommensproportionalen Beiträgen) versicherten Selbständigen auf die Kompetenzgrundlage des Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG stützen kann. Die diesbezügliche Analyse des Autors könnte nicht fundierter sein: Beginnend mit einer mE zutreffenden Antwort auf die sehr subtile Kritik Wiederins an der Bildung des Begriffs „Sozialversicherungswesen“ (der im Kompetenztatbestand wörtlich gar nicht vorkommt) gelangt er über eine umfassende Auseinandersetzung mit verschiedenen versteinerungstheoretischen Ansätzen zum Zwischenergebnis, dass dem Sozialversicherungswesen als Kompetenzbegriff eine gewisse „Weite und Offenheit“ zugestanden werden muss. Im Anschluss daran befasst er sich durchaus kritisch mit den von der hM angenommenen Wesensmerkmalen der SV – dem Versicherungsprinzip, dem Prinzip des sozialen Ausgleichs, dem Zwangscharakter, dem Bezug zu einer Erwerbstätigkeit und der Homogenität der Versichertengemeinschaften – und behandelt auch die – nicht nur die Selbständigen betreffende – Frage, ob das Risiko der Arbeitslosigkeit bzw Erwerbslosigkeit überhaupt versicherbar ist. Das Ergebnis ist – ausgehend von einer großzügigen, aber methodisch gut begründeten intrasystematischen Fortentwicklung – die grundsätzliche Vereinbarkeit der AlV der Selbständigen nach § 3 AlVG mit dem Kompetenztatbestand „Sozialversicherungswesen“. Zur Abrundung wird dann noch geprüft, ob es sich bei den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen nicht in Wahrheit um Abgaben iSd Finanz-Verfassungsgesetzes (F-VG) handelt; dies wird letztlich – mE zutreffend – ebenso verneint wie die am Schluss aufgeworfene Frage, ob für das Arbeitslosenversicherungsrecht (aus sonstigen Gründen) generell andere kompetenzrechtliche Vorgaben zu gelten hätten als für das sonstige Sozialversicherungsrecht.

Nach Klärung der Kompetenzlage widmet sich Thomas Pfalz dem nächsten großen verfassungsrechtlichen Problem, nämlich der Frage der Vereinbarkeit des in § 3 AlVG grundgelegten Konzepts mit dem Gleichheitssatz. Ähnlich wie bei der Kompetenzfrage werden zunächst die Grundlagen geklärt, wobei vor allem die gleichheitsrechtliche Judikatur des VfGH im Bereich des Sozialversicherungsrechts umfangreich dargestellt und bewertet wird. In diesem Zusammenhang wird etwa auch die hypothetische Frage aufgeworfen, ob es zulässig wäre, iS einer Bevorzugung guter Risiken, die in der Ingerenz der Versicherten liegen, Beitragssätze in der AlV vom Ausbildungsniveau abhängig zu machen. Bei der Prüfung der AlV der Selbständigen am Maßstab des Gleichheitssatzes kommt der Autor dann zum Ergebnis, dass zwar eine gemeinsame Versicherung von Selbständigen und Unselbständigen nicht per se problematisch ist, die konkrete Ausgestaltung im AlVG aber deswegen auf Bedenken stoßen muss, weil die Kombination aus einer verpflichtenden Versicherung der Unselbständigen mit einer freiwilligen Versicherung der Selbständigen zu einer Umverteilung zu Gunsten der Gruppe der Selbständigen führt, in der – wie auch durch Zahlen belegt wird – überwiegend schlechte 479 Risiken in die Versichertengemeinschaft gelangen. Diese Umverteilung wäre dann gerechtfertigt, wenn zwischen den beiden Gruppen ein ausreichender persönlicher Zusammenhang bestünde; ein solcher ist aber, wie der Autor herausarbeitet, als Folge der – ihrerseits problematischen – Rahmenfrist erstreckung für Selbständige nach § 15 Abs 15 AlVG iVm den Übergangsbestimmungen der §§ 80 Abs 10 und 81 Abs 10 AlVG nicht gegeben: Diese Rahmenfristerstreckung führt nämlich dazu, dass idR nur jene Selbständigen der freiwilligen Versicherung bedürfen, die nicht bereits als Unselbständige arbeitslosenversichert waren (was einen persönlichen Zusammenhang begründen würde).

Im Anschluss an diese gleichheitsrechtliche Untersuchung wird – relativ kurz – auf die Eigentumsgarantie eingegangen; dabei sind vor allem die Überlegungen zur Möglichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung der Beitragsverwendung interessant.

Als Abschluss des verfassungsrechtlichen Teils der Arbeit wird schließlich ausführlich ein Aspekt behandelt, der sowohl für die kompetenzrechtliche als auch für die gleichheitsrechtliche Beurteilung eine Rolle spielt, nämlich die Frage, ob Selbständige und Unselbständige in der AlV durch gleichartige Risiken bedroht sind. Dieses Kapitel ist aus zwei Gründen besonders lesenswert: Zum einen werden hier die gesetzlichen Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit in den Blick genommen, die auch in der AlV der Unselbständigen nach wie vor viele durch die Rsp nicht restlos bzw nicht in jeder Hinsicht zufriedenstellend geklärte Fragen aufwerfen; zum anderen handelt es sich um eine kluge Auseinandersetzung mit den (insb ökonomischen) Gründen der Arbeitslosigkeit. Ausgehend von diesen Betrachtungen gelangt Pfalz zu der Einschätzung, dass Selbständige und Unselbständige gleichartigen Gefahren in Bezug auf den Verlust ihrer Beschäftigung ausgesetzt sind, was unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eine gemeinsame Versicherung von unselbständig und selbständig Erwerbstätigen gegen dieses Risiko als prinzipiell zulässig erscheinen lässt.

Nach einem aufschlussreichen Kapitel zum Rechtsvergleich mit Deutschland widmet sich der Autor im Kapitel „Einzelfragen“ ausgewählten Problemen der Versicherung der Selbständigen auf einfachgesetzlicher Ebene. Die relative „Knappheit“ dieses Abschnitts erklärt er damit, dass im Vergleich zu den verfassungsrechtlichen Kapiteln nur spärliche Literatur und Rsp aufzuarbeiten war. Umso mehr finden sich hier – zu den Themen Arbeitslosigkeit, Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit, Leistungsberechnung und Verfahren – zahlreiche eigene Gedanken und Thesen des Autors.

In Bezug auf die Arbeitslosigkeit geht es zunächst um die Frage der analogen Anwendbarkeit des § 12 Abs 3 lit h AlVG (Ausschluss der Arbeitslosigkeit bei Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben DG innerhalb von einem Monat nach Beendigung einer vollversicherten Beschäftigung) auf Selbständige; Pfalz bejaht sie mit guten Gründen und weist zutreffend darauf hin, dass die gegenteilige Ansicht des VwGH ( 23.5.2012, 2011/08/0138; 23.5.2012, 2011/08/0192) bisher nur in Fällen geäußert wurde, in denen die Anwendung des § 12 Abs 3 lit h AlVG schon deswegen nicht in Betracht gekommen wäre, weil die selbständige Tätigkeit der betreffenden Arbeitslosen vor Eintritt des Versicherungsfalls (durch Beendigung der versicherten unselbständigen Tätigkeit) bereits jahrelang nur auf geringfügiger Basis ausgeübt worden war. Die zweite Frage im Themenbereich „Arbeitslosigkeit“ betrifft den durch die Novelle BGBl I 2007/104BGBl I 2007/104 neu geschaffenen (auf Selbständige und Unselbständige gleichermaßen anwendbaren) Tatbestand des § 12 Abs 1 Z 2 AlVG, wonach arbeitslos nur ist, wer nicht mehr der Pflichtversicherung in der PV unterliegt. Der VwGH hat diesen Tatbestand von Anfang an so ausgelegt, dass jede PV – und nicht nur eine solche auf Grund der anwartschaftsbegründenden Tätigkeit – Arbeitslosigkeit ausschließt; um ungewollte Konsequenzen aus dieser Rsp zu vermeiden, wurde daraufhin mit dem ASRÄG 2014, BGBl I 94, eine Ausnahme für nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) pflichtversicherte Personen mit nur geringfügigem Einkommen geschaffen. Der Autor kritisiert diese Ausnahme (wohl zu Recht) als unsachlich (es sei kein Grund ersichtlich, warum BetriebsführerInnen einer kleinen Landwirtschaft schutzwürdiger seien als kleine Gewerbetreibende) und spricht sich – entgegen der Rsp des VwGH – für eine einschränkende Auslegung des § 12 Abs 1 Z 2 AlVG aus.

Zum Thema „Arbeitsfähigkeit“ weist Pfalz ua auf eine Versorgungslücke hin, die sich daraus ergibt, dass § 8 Abs 1 AlVG Arbeitsfähigkeit iSd Verneinung von Invalidität bzw Berufsunfähigkeit nach dem ASVG definiert, die Pensionsberechtigung für Selbständige sich aber nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) richtet und damit von einem größeren Verweisungsfeld abhängt; es kann also – jedenfalls bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung – dazu kommen, dass eine selbständige Person zwar arbeitsunfähig iSd AlVG ist, aber dennoch als erwerbsfähig iSd GSVG gilt, sodass aus keinem der beiden Versicherungssysteme ein Leistungsanspruch gebührt.

In Zusammenhang mit der Arbeitswilligkeit wird erörtert, ob zur Beendigung der Arbeitslosigkeit auch die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit verlangt werden kann; dies wird letztendlich – sowohl für Selbständige als auch für Unselbständige – verneint. Die Anwendbarkeit des Berufsschutzes iSd § 9 Abs 3 S 1 AlVG auf Selbständige wird ausgehend vom Wortlaut und Zweck der Bestimmung bejaht, die Geltung des individuellen Entgeltschutzes iSd § 9 Abs 3 S 2 bis 5 hingegen verneint.

Bei der Leistungsberechnung wird kritisiert, dass auch bei Selbständigen – ohne ersichtliche verwaltungsökonomische Notwendigkeit – mitunter auf lange zurückliegende Beitragsgrundlagen zurückgegriffen werden muss; die auf Grund der Novellen BGBl I 2015/79BGBl I 2015/79, 2015/118, 2015/162 und 2018/100 ab 1.7.2020 geltende Änderung des § 21 AlVG, die das Problem wesentlich entschärfen wird, wurde dabei noch nicht berücksichtigt.

Zum Abschluss des Kapitels über Einzelfragen der AlV der Selbständigen werden schließlich noch einige verfahrensrechtliche Besonderheiten dargestellt.

Das gesamte Werk schließt sodann mit einer übersichtlichen Wiedergabe der wichtigsten Thesen.

Mir selbst bleibt zusammenfassend zu sagen, dass ich das Buch mit Gewinn und Genuss gelesen habe. Robert Rebhahn, dessen Andenken das Werk gewidmet ist, wäre mit Sicherheit sehr stolz.480