38Verhältnis des ASG Wien zu anderen Wiener Gerichten
Verhältnis des ASG Wien zu anderen Wiener Gerichten
Gem § 45 JN ist eine nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidung, mit der ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar. Spricht es hingegen seine sachliche Unzuständigkeit aus, besteht eine Anfechtungsmöglichkeit nur, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz in einer anderen Gemeinde hat.
In der Entscheidung über die Zuständigkeit kann gleichzeitig eine (implizite) Entscheidung über die Gerichtsbesetzung nach § 37 Abs 3 ASGG und über die Behandlung einer Rechtssache im arbeitsund sozialrechtlichen Verfahren liegen. Dadurch wird über die Anwendbarkeit der Verfahrensbesonderheiten des ASGG mitentschieden: Dazu zählen insb Belehrungspflichten, die Pflicht zur Ermittlung des Inhalts von Kollektivverträgen oder eigene Rechtsmittel- und Neuerungsmöglichkeiten sowie Aufwandersatzbestimmungen.
Wird mit der Entscheidung über die Zuständigkeit bindend über die Gerichtsbesetzung und die Anwendung des ASGG entschieden, kommt die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN nicht zur Anwendung. Vielmehr ist in dieser Situation ein Rechtsmittel nach § 37 ASGG möglich.
Die Kl begehrte vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen (LGZ) Wien vom Bekl die Zahlung von 19.966,28 € sA und die Feststellung von dessen Haftung für alle zukünftigen Schäden aus den von ihm vorgenommenen kieferchirurgischen Behandlungen ihrer Patienten. Der Bekl sei als selbständiger Kieferchirurg vom 24.10.2013 bis 27.1.2016 in ihrer Ordination tätig gewesen. Durch die vom Bekl an Patienten durchgeführten mangelhaften Behandlungen sei ihr ein Schaden entstanden. Auf Wunsch des Bekl seien zwei „Rahmen-Werkverträge“ abgeschlossen worden, im Rahmen derer er sich zur selbständigen Durchführung von kieferchirurgischen Leistungen verpflichtet habe. Die Patienten hätten mit der Kl einen Behandlungsvertrag abgeschlossen und der Bekl sei für die Kl bei der Erbringung von kieferchirurgischen Leistungen als Erfüllungsgehilfe iSd § 1313a ABGB tätig geworden. Die Kl habe dem Bekl bei den Behandlungen assistiert. Die Setzung eines Implantats durch den Bekl sei mit rund 1.000 € in bar honoriert worden. Für Leerzeiten sei der Bekl nicht entlohnt worden. Die Arbeitszeiten habe sich der Bekl selbständig einteilen können; sie hätten sich ausschließlich nach der Nachfrage nach kieferchirurgischen Leistungen gerichtet. Die Betriebsmittel und Materialien seien anfangs gemeinsam besorgt worden und später von der Kl alleine. Der Bekl habe weder unter ihrer Anleitung noch unter ihrer Aufsicht gearbeitet.
Der Bekl wandte die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein und führte dazu aus, die Kl habe damals einen Mediziner in Ausbildung gesucht, der sie für einen relativ geringen Lohn in ihrer Ordination unterstütze. Er sei daraufhin im Rahmen eines Dienst- und Ausbildungsverhältnisses bei der Kl tätig gewesen. Die Kl sei bei jedem Eingriff des Bekl, der selbständiger Kieferchirurg gewesen sei, dabei gewesen, habe diesen überwacht, kontrolliert und angeleitet. Er habe jeden Mittwoch anwesend sein müssen und im Bedarfsfall an einem weiteren von der Kl bestimmten Tag. Den Arbeitsablauf habe er nicht selbst gestalten und sich entgegen der in den „Rahmen-Werkverträgen“ enthaltenen Bestimmungen nicht vertreten lassen können. Die Materialien und Betriebsmittel seien von der Kl auf deren Kosten beigestellt worden. Er habe für seine Tätigkeit eine von Patienten und Eingriffen unabhängige Entlohnung erhalten, dies auch in Leerzeiten.
Das Erstgericht sprach mit Beschluss vom 22.9.2017 seine sachliche Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache an das ASG Wien. Der Bekl sei eine arbeitnehmerähnliche Person iSd § 51 Abs 3 ASGG, die einem AN gleichstünde, sodass gem § 50 ASGG das Arbeits- und Sozialgericht (ASG) Wien zur Entscheidung berufen und die Rechtssache gem § 38 Abs 2 ASGG an dieses zu überweisen sei.
Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Kl zurück. Der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN gelte nach nunmehr einhelliger Rsp auch für das Verhältnis ordentliches Gericht – ASG Wien. Der Rekurs sei daher unzulässig. [...]
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den OGH nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und auch berechtigt.
1. Gem § 45 JN sind nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar, solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat. Hintergrund für die Neufassung des § 45 JN durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983 war die Zurückdrängung von Zuständigkeitsstreitigkeiten. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass für die Parteien meist von geringerer Bedeutung sei, welche Art von Gericht zu entscheiden hat. Von größerer wirtschaftlicher Bedeutung sei der Ort, an dem das Verfahren abläuft (ErlRV 669 BlgNR 15. GP 32). Die Anfechtbarkeit wurde daher davon abhängig gemacht, ob es zu einer Verschiebung der Zuständigkeit zu einem Gericht außerhalb der Gemeinde kommt (Schneider in Fasching/Konecny3 § 45 JN Rz 2). Die Anfechtungsbeschränkung des § 45 JN soll den Verlust bereits geschehenen Verfahrensaufwands verhindern; ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass ein berücksichtigungswürdiges Parteiinteresse nicht verletzt werden kann, wenn in einer Sache statt des Bezirksgerichts der Gerichtshof erster Instanz entscheidet (RIS-Justiz RS0046364).
2. Es trifft zu, dass der OGH – beginnend mit der E 4 Ob 145/85 – bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN auch421für das Verhältnis ordentliches Gericht – Arbeitsgericht gilt (RIS-Justiz RS0046314). Der Wortlaut des § 45 JN in der Fassung der Zivilverfahrens-Novelle 1983 umfasse auch die – heilbar gewordene – Unzuständigkeit eines Arbeitsgerichts. Nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejahe, seien somit auch im Verhältnis zwischen den Arbeitsgerichten und den allgemeinen Zivilgerichten nicht mehr anfechtbar (4 Ob 145/85, 14 Ob 25/86 ua). An dieser Rsp wurde auch nach der Einführung des ASGG mit 1.1.1987 festgehalten (9 ObA 8/95 uva), und zwar auch dann, wenn die sachliche Zuständigkeit des ASG verneint wurde (9 ObA 135/91 ua).
3. Demgegenüber ist nach stRsp die Frage, ob ein bestimmter Gerichtshof in einer Rechtssache als Arbeitsgericht oder in anderer Funktion zu entscheiden hat, nicht eine Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern eine solche der Gerichtsbesetzung des jeweiligen Spruchkörpers (1 Ob 542/94; 9 ObA 5/01b; RIS-Justiz RS0085489). Wird die Richtigkeit der Gerichtsbesetzung von einer Partei bezweifelt, hat das Gericht, sofern nicht eine Heilung nach § 37 Abs 1 ASGG eingetreten ist, gem § 37 Abs 3 ASGG mit Beschluss auszusprechen, in welcher Gerichtsbesetzung das Verfahren fortzuführen ist. Ein solcher Beschluss unterliegt, weil er sich auf die Besetzung und nicht auf die Zuständigkeit bezieht, nicht den Anfechtungsbeschränkungen des § 45 JN (RIS-Justiz RS0046274, zuletzt 1 Ob 88/13t).
4.1 Ballon (Die Gerichtsorganisation der Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 349, 352) hat verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet, weil die §§ 37 und 38 ASGG eine unterschiedliche Betrachtungsweise für Verfahren in Wien und außerhalb der Bundeshauptstadt bedingen. Die Parteien eines in Wien geführten Prozesses seien schlechter gestellt als in einem Verfahren außerhalb Wiens, da sie keine Möglichkeit der Bekämpfung eines – im Verhältnis zum ASG Wien – die Zuständigkeit bejahenden bzw die sachliche Unzuständigkeit verneinenden Beschlusses eines Wiener Gerichts hätten. Stelle hingegen ein Gerichtshof außerhalb Wiens fest, dass er in der richtigen Besetzung verhandle, könne dieser Beschluss gem § 37 ASGG angefochten werden. Es werde daher Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt, sodass eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vorliege und eine Regelung des ASGG, nämlich entweder § 37 oder § 38 im Zusammenhang mit § 45 JN, verfassungswidrig sei.
4.2 Auch nach Ansicht von Fasching (Die Bedeutung des Gleichheitssatzes, FG Fasching 8) hat das ASGG durch die Schaffung eines selbständigen ASG Wien im Zusammenhang mit den §§ 37, 38 ASGG zu einer offensichtlichen Verletzung des Gleichheitssatzes geführt. Während überall dort, wo außerhalb Wiens ein Gerichtshof erster Instanz als ASG einschreitet, die Frage, ob es sich um eine Arbeits- und Sozialrechtssache oder eine allgemeine Zivilrechtssache handelt, gem § 37 ASGG als Frage der Gerichtsbesetzung zu behandeln sei, führe das in Wien zu einer Zuständigkeitsprüfung.
4.3 Kuderna (Die Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Österreich, DRdA 1997, 341, 345) spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von einem verfassungsrechtlichen Problem und schlägt als Lösung vor, für Besetzungsstreitigkeiten eine dem § 45 JN ähnliche Rechtsmittelbeschränkung zu schaffen.
4.4 Zuletzt hat sich Kohlbacher (Wien ist anders – Das Rechtsschutzbedürfnis der Bevölkerung hingegen nicht; ASoK 2014, 95) ausführlich mit der Thematik auseinandergesetzt. Ihrer Ansicht nach verstößt die fehlende Rekursmöglichkeit gegen einen Unzuständigkeitsbeschluss des ASG Wien gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, das eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes sei. [...]
4.5 Kodek (in Fasching/Konecny3 III/1 § 260 ZPO Rz 36) sieht für eine verfassungskonforme Interpretation des § 45 JN dahingehend, dass der Rechtsmittelausschluss auf das Verhältnis zwischen dem ASG Wien und anderen Wiener Gerichten nicht anzuwenden ist, keine zwingende Notwendigkeit. Der unleugbare Wertungswiderspruch sei hinzunehmende Folge der notwendig generalisierenden Regelungstechnik des Gesetzes, zumal auch sonst das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren im Vergleich zum ordentlichen Verfahren großzügigere Anfechtungsmöglichkeiten eröffne. Im Übrigen könnte das Spannungsverhältnis zu § 45 JN auch dadurch beseitigt werden, dass man diese Bestimmung auch auf Besetzungsfragen analog anwende und damit die Anfechtbarkeit des Beschlusses nach § 37 Abs 3 ASGG überhaupt verneine.
5.1 Auch in der Judikatur wurde [...] der Wertungswiderspruch erkannt, der sich aus der Anwendung des § 45 JN auf das Verhältnis zwischen dem ASG Wien und den anderen ordentlichen Gerichten in Wien daraus ergibt, dass die in Wien getroffenen Entscheidungen über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 ASGG unanfechtbar sind. In den Entscheidungen 4 Ob 1/03f und 1 Ob 88/13t erwog der OGH, dieser Wertungswiderspruch könnte zwar vom Gesetzgeber dahin gelöst werden, dass er auch für Besetzungsstreitigkeiten eine Rechtsmittelbeschränkung schafft, führe aber nicht zur Verfassungswidrigkeit der für den Rechtsschutz großzügigeren Regelung des § 37 Abs 3 ASGG. Obiter wies der vierte Senat des OGH darauf hin, dass sich die Frage stelle, ob nicht § 45 JN verfassungskonform dahin auszulegen sei, dass er im Verhältnis zwischen dem ASG Wien und anderen Wiener Gerichten nicht heranzuziehen sei. In der E 1 Ob 88/13t wurde überdies betont, dass sich der hohe Stellenwert der Wahrung der richtigen Zuständigkeit und Gerichtsbesetzung in Arbeitsund Sozialrechtssachen in der Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 37 Abs 3 ASGG zeige.
5.2 Bereits in der E 9 ObA 5/01b nahm der OGH zur unterschiedlichen Behandlung des Verhältnisses zwischen der Entscheidungstätigkeit in Arbeitsund Sozialrechtssachen einerseits und allgemeinen Zivilsachen beim selben Gerichtshof andererseits abweichend vom Verhältnis der Entscheidungstätigkeit in allgemeinen Zivilsachen und Handelssachen beim selben Gericht Stellung. Er führte aus, dass hier wesentliche Unterschiede bestünden,422welche eine sachliche Differenzierung auch wegen der Folgen, dh insb im Bereich des Rechtsmittelverfahrens, rechtfertigten. Während sich nämlich allgemeine Zivil- und Handelsgerichtsbarkeit im Wesentlichen nur durch die Senatszusammensetzung (auch in zweiter Instanz) unterscheiden würden, knüpften sich an die Unterscheidung zwischen arbeits- und sozialrechtlichem Senat einerseits und der Besetzung in allgemeinen Zivilsachen wesentlich gravierendere Folgen, nämlich die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des ASGG mit den erheblich von der ZPO abweichenden Sonderregelungen. [...]
6. Durch die Zuständigkeitsentscheidung wird aber implizit auch über die Gerichtsbesetzung und die Anwendung der zahlreichen Verfahrensbesonderheiten entschieden.
6.1 So hat der OGH bereits klargestellt, dass durch die Bejahung der Zuständigkeit des LGZ Wien und damit die Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit dieses Gerichts implizit auch darüber entschieden wurde, dass sich die Gerichtsbesetzung nicht nach dem ASGG, sondern nach der JN richtet (10 ObS 252/94; ähnlich für den Fall der Bejahung der Zuständigkeit des ASG: 9 ObA 248/93). Aufgrund eines bindenden Beschlusses über die Zuständigkeit kann sich daher ergeben, dass in einer bestimmten Gerichtsbesetzung zu entscheiden ist, zB auch in einer (eigentlich) Arbeits- oder Sozialrechtssache ohne fachkundige Laienrichter (Neumayr in Neumayr/Reissner, Zell- Komm3 § 37 ASGG Rz 1).
6.2 Nach stRsp wirkt der bindende Ausspruch über die Gerichtsbesetzung ebenso wie die Heilung der unrichtigen Gerichtsbesetzung nach § 37 Abs 1 ASGG der systematischen Einheit wegen auch für ein allfälliges Rechtsmittelverfahren und bestimmt demgemäß die anzuwendenden Rechtsmittelzulassungsvorschriften (10 ObS 252/94; 6 Ob 587/91; 8 ObA 51/07v; RIS-Justiz RS0085567).
6.3 Besonders ins Gewicht fällt aber, dass der OGH bereits ausgesprochen hat, dass mit der Entscheidung über die Gerichtsbesetzung auch die Frage der Anwendung der Verfahrensbesonderheiten des ASGG mitentschieden wird (9 ObA 5/01b). Der OGH hat die Bedeutung dieser E sogar dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er für die Frage der Anfechtbarkeit der Beschlüsse auch auf § 40a JN über die Entscheidung über die richtige Verfahrensart Bezug genommen hat (9 ObA 147/91; 1 Ob 88/13t). [...]
6.5 Der Bedeutung der Entscheidung dieser Frage (etwa besondere Belehrungspflichten, Vertretungsregeln, Pflicht zur Ermittlung des Inhalts von Kollektivverträgen, eigene Aufwandersatzbestimmungen, besondere Rechtsmittel- und Neuerungsmöglichkeiten) wird vom Gesetzgeber durch die spezifische Regelung des § 37 ASGG Rechnung getragen, der die Abgrenzung der Arbeitsrechtssachen, anders als §§ 61 ff JN nicht nur als Frage der Zuständigkeit behandelt (9 ObA 5/01b; 1 Ob 88/13t; vgl im Übrigen § 46 Abs 3 JN). [...]
6.8 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die hier vorliegende Verneinung der Zuständigkeit des LGZ Wien wegen Vorliegens einer Arbeitsrechtssache und die Überweisung nach § 38 ASGG an das ASG Wien auch die Entscheidung, dass dieses Gericht in der Besetzung (Verfahren) für Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig zu werden hat, umfasst. Dies soll nach § 38 Abs 4 ASGG nach einer „rechtskräftigen“ Entscheidung bindend sein. Das spricht dafür, die für Besetzungsfragen nach § 37 ASGG bestehende Rechtsmittelmöglichkeit auch hier zuzulassen.
7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit der Frage der Gerichtsbesetzung nach § 37 ASGG – im Gegensatz zur Abgrenzung zwischen einer der allgemeinen Gerichtsbarkeit und einer der handelsrechtlichen Kausalgerichtsbarkeit unterliegenden Rechtssache – wesentliche verfahrensrechtliche Konsequenzen verknüpft sind. Gerade unter Hinweis auf diese Besonderheit bejaht ja die stRsp die Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 37 Abs 3 ASGG. Die Wichtigkeit der (richtigen) Gerichtsbesetzung kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass die unrichtige Gerichtsbesetzung – sofern nicht geheilt – als Nichtigkeitsgrund ausgestaltet ist (§ 477 Abs 1 Z 2 ZPO). Auch der richtigen Verfahrensart misst das Gesetz erhebliche Bedeutung zu, wie die Bestimmungen des § 40a, § 43 JN zeigen. Des Weiteren ist anerkannt, dass in einer Entscheidung über die Zuständigkeit auch eine (implizite) Entscheidung über die Gerichtsbesetzung nach § 37 Abs 3 ASGG und über die Behandlung einer Rechtssache im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren liegen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, dann, wenn mit der Entscheidung über die Zuständigkeit implizit auch bindend die Gerichtsbesetzung und die Anwendung der Verfahrensbesonderheiten für Arbeitsrechtssachen entschieden wird, die Anfechtungsmöglichkeit zu verkürzen. Der erkennende Senat vertritt daher die Ansicht, dass diese Fälle nicht von der nur die Frage der Zuständigkeit betreffenden Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN erfasst sind, sondern nach § 37 ASGG ein Rechtsmittel möglich ist. Der Rekurs der Kl ist daher nicht gem § 45 ZPO unzulässig.
Eine Verstärkung des Senats iSd § 8 OGHG war nicht geboten, da die „Rechtsfrage“ der Bedeutung der impliziten Mitentscheidung der Besetzungsund Verfahrensanwendungsfrage für die Anfechtbarkeit der Zuständigkeitsentscheidung bisher so noch nicht beantwortet wurde. [...]
Für den Kl ist es im Rahmen eines Gerichtsverfahrens von entscheidender Bedeutung, seine Klage beim sachlich zuständigen Gericht – also dem richtigen Gerichtstyp – einzubringen. Im Kontext des arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahrens ist diese Frage idR unproblematisch, weil dafür gem § 3 ASGG die Landesgerichte in erster Instanz zuständig sind. Damit entscheidet derselbe Gerichtshof sowohl über Fragen der allgemeinen, der Handels- sowie der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit – freilich in unterschiedlicher Besetzung. Verhandelt423daher ein Einzelrichter oder ein Handelssenat (zwei Berufsrichter und ein fachmännischer Laienrichter) über eine Arbeits- und Sozialrechtssache, liegt eine unrichtige Gerichtsbesetzung vor, die nach § 37 ASGG bekämpft werden kann (Ballon, Die Gerichtsorganisation der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, JBl 1987, 349 [351]).
Einzig in Wien ist ein eigenständiges ASG Wien eingerichtet (§ 2 Abs 2 ASGG), woraus sich seit mehr als 30 Jahren Sonderfragen ergeben. Nach stRsp des OGH handelt es sich beim Verhältnis zwischen dem ASG Wien und den anderen ordentlichen Wiener Gerichten – wie dem LGZ oder dem Handelsgericht – um eine Frage der sachlichen Zuständigkeit, wofür die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN zum Tragen kommt (OGH1 Ob 88/13t EvBl-LS 2013/138; OGH9 ObA 12/08t RdW 2009, 597; Neumayr in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zell-Komm3 [2018] § 37 ASGG Rz 9). Als Folge konnte die unrichtige Zuständigkeit des Gerichts von den Parteien eines in Wien geführten Prozesses faktisch nicht mehr angefochten werden: Weder der Beschluss über die Bejahung der sachlichen Zuständigkeit noch der Unzuständigkeitsbeschluss konnten angegriffen werden. Da diese Judikatur zu unterschiedlichen Anfechtungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb Wiens führte, monierte die Lehre eine Verletzung des Gleichheitssatzes gem Art 7 B-VG (Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, in FS Fasching [1993] 3; Kohlbacher, Wien ist anders – das Rechtsschutzbedürfnis der Bevölkerung hingegen nicht, ASoK 2014, 95). Hingewiesen wurde insb darauf, dass entweder § 37 ASGG oder § 38 ASGG im Zusammenhang mit § 45 JN verfassungswidrig sei (Ballon, JBl 1987, 352).
Um dieses verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis aufzulösen, wurden zwei Vorschläge gemacht. Nach einer Ansicht soll der Gesetzgeber für Besetzungsstreitigkeiten im ASGG eine dem § 45 JN entsprechende Rechtsmittelbeschränkung schaffen und dadurch Art 7 B-VG Genüge tun (Kuderna, Die Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit in Österreich,
[345]). Nach einer anderen sollen die Gerichte selbst den Wertungswiderspruch zwischen § 45 JN und § 37 ASGG beheben, indem sie § 45 JN auf Besetzungsfragen analog anwenden und dadurch eine Anfechtbarkeit gem § 37 ASGG ausschließen (Kodek in Fasching/Konecny [Hrsg], ZPO3 § 260 ZPO Rz 36).Mit der vorliegenden E 8 Ob 9/19h verlässt der OGH seine bisherige Position und vertritt nunmehr, dass die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN nicht länger auf Zuständigkeitsentscheidungen im Verhältnis zwischen den ordentlichen Wiener Gerichten zum ASG Wien anwendbar ist: Vielmehr soll nun gem § 37 ASGG ein Rechtsmittel möglich sein. Für diese Richtungsänderung führt der OGH ins Treffen, dass durch Zuständigkeitsentscheidungen häufig implizit über die Gerichtsbesetzung sowie die Anwendung der Schutzvorschriften des ASGG entschieden werde (etwa OGH9 ObA 5/01b SZ 72/142). Zu solchen verfahrensrechtlichen Besonderheiten zählen etwa besondere Belehrungspflichten und Vertretungsregeln, weiters die Pflicht zur Ermittlung des Inhalts von Kollektivverträgen, eigene Aufwandersatzbestimmungen und vor allem spezielle Rechtsmittelmöglichkeiten (siehe §§ 39-44 ASGG). Das Gewicht dieser prozessualen Folgen werde etwa auch daran deutlich, dass der Gesetzgeber die unrichtige Gerichtsbesetzung als (relativen) Nichtigkeitsgrund nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO bewerte; dementsprechend bejahe die stRsp die Anfechtbarkeit eines Beschlusses nach § 37 Abs 3 ASGG. Angesichts der Bedeutung von Zuständigkeitsentscheidungen für die Frage der Gerichtsbesetzung – und der damit verbundenen Verfahrensbesonderheiten in Arbeitsrechtssachen – sei es nicht gerechtfertigt, die Anfechtungsmöglichkeiten zu beschränken. Daher stehe in diesen Fällen eine Anfechtung nach § 37 ASGG offen.
Mit seiner Judikaturänderung versucht der OGH die aufgezeigte Ungleichbehandlung zwischen den Parteien eines Gerichtsverfahrens in Wien einerseits und den Bundesländern andererseits zu beheben. Trotz gewichtiger Argumente für seine Position verschweigt er allerdings seine methodische Vorgangsweise: Auszugehen ist aber wohl davon, dass das Höchstgericht eine teleologische Reduktion des § 45 JN vornimmt. Die teleologische Reduktion verhilft der ratio legis zum Durchbruch, wenn der Wortlaut eines Gesetzes überschießend und nicht mehr vom Normzweck gedeckt ist; durch diese Schlussform wird die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge auf den tatsächlich vom Normzweck erfassten Bereich beschränkt. Zur Vermeidung einer Billigkeitsjudikatur im Einzelfall muss allerdings sichergestellt sein, dass klar abgrenzbare Sachverhalte vom Normzweck nicht erfasst sind (näher P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger [Hrsg], ABGB5 § 7 Rz 5 mwN; F. Bydlinski/P. Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre3 [2018] 95 f).
Die teleologische Reduktion berührt allerdings als Form der richterlichen Rechtsfortbildung iSd § 7 ABGB sowohl das gewaltenteilende Prinzip (Art 18 B-VG) als auch das demokratische Prinzip (Art 1 B-VG). Schließlich nehmen Gerichte als Vollziehungsbehörden Kompetenzen des Gesetzgebers in Anspruch, wenn sie durch richterliche Rechtsfortbildung neues Recht schaffen (Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie8 [2015] Rz 757). Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ist die Rechtsfortbildung an das Vorliegen einer Gesetzeslücke – also einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzgebers – geknüpft: Nur dann dürfen Gerichte Rechtsfortbildung betreiben (eingehend Schoditsch, Grundrechte und Privatrecht [2019] 177 ff). Dies gilt somit auch für die teleologische Reduktion; bei dieser Form der Rechtsfortbildung424 liegt die erforderliche Lücke darin, dass eine nach dem Gesetzeszweck erforderliche Ausnahme im Regelbestand fehlt („verdeckte Lücke“; näher Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz2 [1983] 73 ff).
Damit § 45 JN für Fragen des Verhältnisses zwischen dem ASG Wien und den anderen Wiener Gerichten nicht zur Anwendung kommt, nimmt der OGH im ersten Schritt eine teleologische Reduktion des – seiner Ansicht nach überschießenden – Wortlauts des § 45 JN vor. Die Rechtfertigung dafür liegt offensichtlich in dem Gedanken, dadurch Art 7 B-VG Genüge zu tun. Sodann füllt er die Lücke, die durch diese Reduktion entstanden ist, mittels analoger Anwendung des § 37 ASGG.
Im Anlassfall ist daher zu klären, ob die vom OGH vorgenommene teleologische Reduktion des § 45 JN tatsächlich von einem Normzweck geboten ist; dafür kommen sowohl der Telos des § 45 JN oder des § 37 ASGG in Frage. Der Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN liegt nach hM der Gedanke zu Grunde, dass – aus wirtschaftlicher Sicht – der Ort des Verfahrens für die Parteien bedeutsamer ist als die Art des Gerichts (ErläutRV 669 BlgNR 15. GP 32). Daher soll die Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit nur angefochten werden können, wenn es zur Verschiebung der Zuständigkeit zu einem Gericht außerhalb der Gemeinde kommt (Schneider in Fasching/Konecny, ZPO3 § 45 JN Rz 2). Dieser Hintergrund spricht dafür, auch im Verhältnis des ASG Wien zu anderen ordentlichen Wiener Gerichten keinen Zuständigkeitsstreit zuzulassen, sodass der Normzweck des § 45 JN keine Einschränkung seines Anwendungsbereichs erfordert.
Eine teleologische Reduktion könnte daher nur durch den Telos des § 37 ASGG gerechtfertigt werden. Dagegen spricht allerdings, dass § 37 ASGG seit seiner Schaffung als Sonderregelung verstanden wurde. Während aus §§ 61 ff JN klar folgt, dass Zivil- und Kausalsenat zueinander im Verhältnis der Zuständigkeit stehen (Mayr in Rechberger [Hrsg], ZPO4 [2014] §§ 61-64 JN Rz 2), behandelt § 37 ASGG das Verhältnis zwischen Zivil- bzw Handelssenat oder Einzelrichter einerseits und arbeitsund sozialgerichtlichem Senat andererseits als unrichtige Gerichtsbesetzung (OGH1 Ob 88/13tEvBl-LS 2013/138; OGH4 Ob 223/99v SZ 72/142). Damit weicht § 37 ASGG systemwidrig vom Konzept der ZPO ab (deutlich Rechberger/Simotta, Grundriss des Zivilverfahrensrechts9 [2017] Rz 998; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht4 [2018] Rz 1074). Da dieser Systembruch aber bereits bei Schaffung des ASGG bekannt war (vgl Ballon, JBl 1987, 349 ff), lässt sich mE nicht schlüssig argumentieren, dass dem Gesetzgeber in diesem Zusammenhang ein Versehen unterlaufen wäre: Vielmehr liegt es nahe, dass er mit § 37 ASGG bewusst eine abweichende Regelung geschaffen hat. Dann fehlt jedoch jene planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes, die für eine teleologische Reduktion des § 45 JN erforderlich ist.
Gegen diesen Befund lässt sich auch nicht ins Treffen führen, dass mit der Vorgangsweise des OGH dem Gleichheitssatz des Art 7 B-VG entsprochen und das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen § 37 ASGG und § 45 JN aufgelöst würde: Schließlich setzt eine solche „verfassungskonforme teleologische Reduktion“ ebenfalls das Vorliegen einer Lücke voraus (ausführlich Schoditsch, Grundrechte 183 f). Dies führt zum Schluss, dass der OGH im Anlassfall eine unzulässige Rechtsfortbildung vorgenommen hat. Im Ergebnis hat das Höchstgericht damit nicht nur das Verbot des Judizierens contra legem, sondern auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltentrennung und des demokratischen Prinzips verletzt: Darin liegt – um mit F. Bydlinski zu sprechen – ein „Rechtsbruch im Sinn mindestens einer kleinen Revolution
“ (Methodenlehre2 [2012] 500).
Bemerkenswert ist, dass der 8. Senat offenbar selbst gewisse Zweifel an seiner Vorgehensweise hatte. Gem § 8 OGHG hat sich ein Senat des OGH zu verstärken, wenn die Entscheidung ein Abgehen von der bisherigen stRsp des OGH bedeuten würde. Angesichts der reichen Vorjudikatur in dieser Frage (RS0085489) sind die Voraussetzungen einer Rechtsprechungsänderung des OGH mE ohne Zweifel erfüllt; ansonsten bedürfte ja ein Judikaturwandel niemals einer Verstärkung, was dem Normzweck des § 8 OGHG aber klar widerspricht. Angesichts der grundlegenden Richtungsänderung in 8 Ob 9/19h verwundert es daher umso mehr, dass kein verstärkter Senat einberufen wurde.
Der methodische Befund zeigt, dass den Gerichten die eigenständige Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen § 45 JN und § 37 ASGG – auch im Weg der Rechtsfortbildung – mangels verfassungsrechtlicher Kompetenzen verwehrt ist: Diese Aufgabe ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Ob die von der Lehre monierte Verfassungswidrigkeit tatsächlich gegeben ist, könnte aufgrund seines Normenkontrollmonopols letztlich nur der VfGH feststellen. Seit 1.1.2015 können die für das jeweilige Zivilverfahren präjudiziellen Bestimmungen auf Antrag einer Verfahrenspartei vor dem VfGH mittels Parteiantrags auf Normenkontrolle (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG) überprüft werden (näher Grabenwarter/Musger, Praxisfragen der Gesetzesbeschwerde im Zivilverfahren, ÖJZ 2015, 551).
Dazu wäre im ersten Schritt zu klären, welche der gegenständlichen Vorschrift überhaupt verfassungswidrig ist und im gegenständlichen Normenkontrollverfahren vor dem VfGH angefochten wird: Also entweder § 45 JN (so Kohlbacher, ASoK 2014, 97) oder § 37 ASGG (etwa Ballon, JBl 1987, 352; Fasching in FS Fasching 8). Sodann wäre vom VfGH im zweiten Schritt zu klären, ob der Gesetzgeber für die aufgezeigte Ungleichbehandlung eine sachliche Rechtfertigung ins Treffen führen kann. Dabei ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber gerade im Kontext des Privatrechts über einen erheblichen425Gestaltungsspielraum verfügt (etwa VfGH2015/ VfSlg 20.018; näher Schoditsch, Grundrechte 83 f). Von besonderem Gewicht ist – wie der OGH zu Recht aufzeigt –, dass im Zusammenhang mit § 37 ASGG iVm § 45 JN gleichzeitig über die Gerichtszuständigkeit und über die Besetzung des Spruchkörpers entschieden wird, sodass eine kombinierte Frage vorliegt. Diese kann mE nur entweder nach dem Regime für Zuständigkeitsfragen oder jenem für Gerichtsbesetzungen entschieden werden: Denn Unzuständigkeit und falsche Gerichtsbesetzung sind als unterschiedliche „Sachverhalte“ zu bewerten, die auch unterschiedlich zu behandeln sind. Erfüllt eine Konstellation zwei Sachverhalte (wie im Fall einer kombinierten Frage), sprechen daher gute Gründe – insb das verfassungsrechtliche Effizienzgebot – dafür, dass der Gesetzgeber aus zwei miteinander nicht kumulierbaren Rechtsfolgen die passendere auswählen darf. Als Folge wären die aufgezeigten Ungleichbehandlungen nach der geltenden Rechtslage sachlich gerechtfertigt und somit verfassungskonform.