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Kollektivvertragsunterworfenheit im Mischbetrieb

REINHARDRESCH (LINZ)
  1. Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für die Frage der Kollektivvertragsunterworfenheit gem § 9 Abs 3 ArbVG ist danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nicht nur auf einzelne Aspekte wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der AN oder Zusammensetzung des Kundenkreises an. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist.

  2. Der Abschluss eines neuen KollV stellt grundsätzlich keinen Endigungsgrund für einen alten KollV dar. Es kann jedoch zur Normenkonkurrenz kommen und damit zur materiellen Derogation des alten KollV.

Bei der Bekl handelt es sich um eine gemeinnützige GmbH mit dem Geschäftszweig Rettungs- und Krankentransporte, Rettungs- und Sozialdienste, Ausbildung von Personen oder Gesundheitsdienst e, Beteiligungen. Sowohl die Bekl als auch ihr Dachverband, der Verein G, sind Mitglieder beim Fachverband der Wirtschaftskammer für das Beförderungsgewerbe.

Der Kl war vom 3.6.2013 bis 4.1.2015 bei der Bekl beschäftigt. Bereits bei Beginn der Tätigkeit war der Kl ausgebildeter Rettungssanitäter. Im Dienstvertrag wurde festgehalten, „die Tätigkeit des AN umfasst iSd anzuwendenden KollV Personenbeförderung mit PKW und der mit ihm vereinbarten Tätigkeit“.

Die Bekl verfügte zur Zeit des Dienstverhältnisses über keine eigenen Fahrzeuge, sie mietete diese vom Dachverband an. Während der Beschäftigung des Kl hatte sie zwei Krankentransportwägen und zwei Pkws im Einsatz. Bei Bedarf wurden weitere Pkws dazu gemietet.

Ein Krankentransportwagen ist mit Sauerstoffflasche, Defibrillator, Verbandsmaterial, Schiene, Schaufeltrage, Absauggerät, Liege, Sitz- und Luftkammer ausgestattet. Er verfügt über Folgetonhorn und Blaulichtanlage und muss mit mindestens zwei ausgebildeten Rettungssanitätern besetzt sein.

Mit den Pkws wurden bspw gehfähige Personen zu Ärzten und Krankenhäusern, Therapien und Kurhäusern gebracht. Im Rahmen solcher Fahrten fallen keine spezifischen gesundheitlichen Betreuungsmaßnahmen an. Die Pkws werden nicht für Notfälle herangezogen. Von den Fahrern sind reine Transportaufgaben zu erfüllen. Sie müssen die Transportierten im Pkw nicht versorgen und nicht als Rettungssanitäter tätig werden. Dem Pkw ist immer nur ein Fahrer zugeteilt, der grundsätzlich keine Sanitäterausbildung haben muss. Die Pkws müssen über keine medizinische Ausstattung verfügen. Es ergab sich jedoch, dass ein Notfallrucksack mit Verbandszeug und Beatmungsbeutel mitgeführt wurde. Als zu einem späteren Zeitpunkt einer der Krankentransportwagen nicht mehr benutzt wurde, wurde auch der Defibrillator in einen der Pkws gegeben. Die Pkws verfügen weder über ein Folgetonhorn noch über eine Blaulichtanlage und sind nicht von Mautgebühren befreit. Auch im Rahmen der Pkw-Fahrten werden Einsatzprotokolle geführt. Diesen ist auch die Art der Erkrankung des Transportierten sowie die Transportart zu entnehmen. Ein Inkasso erfolgt nicht. Die Fahrten werden entweder gegenüber der SV oder gegenüber Privaten abgerechnet.

Die Bekl hat mit zehn verschiedenen Krankenversicherungsträgern Verträge über die Durchführung und Honorierung von Krankentransporten und Transporten zu ambulanten Behandlungen von Versicherten und Anspruchsberechtigten. Nach diesen sind die Fahrer verpflichtet, den Transportierten beim Ein- und Aussteigen, auf dem Weg zum Wagen und zur Behandlung behilflich zu sein. Zwischen 2011 und 2014 entfielen bezogen auf den Gesamtumsatz und den Gesamtbetrieb der Bekl auf den Pkw 13,19 % Privatfahrten. Zur Zeit der Beschäftigung des Kl verfügte die Bekl über acht Mitarbeiter, alle ausgebildete Sanitäter, jedoch nicht alle rezertifiziert. Hinsichtlich des Einsatzes der Fahrzeuge besteht keine betriebliche Trennung. 2013 und 2014 betrug der durchschnittliche Umsatz eines Krankentransportwagens im Jahr 56.400 €, der eines Pkws 46.800 €. Der Aufwand ist bei den Krankentransportwägen höher, diese verursachen daher einen Verlust. Die Pkws stellen sich als kostendeckend dar.

Der Kl war bezogen auf die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses zu 73 % als Rettungssanitäter am Krankentransportwagen und zu 27 % als Fahrer am Pkw eingesetzt.426

Der Kl begehrt die Zahlung von [...] an Lohndifferenz. Auf sein Dienstverhältnis sei der gesatzte KollV des Österreichischen Roten Kreuzes 2013 (im Weiteren: KollV ÖRK 2013) und nicht der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) (im Weiteren: KollV Personenbeförderung) anzuwenden. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl teilweise Folge. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Bekl ist [...] zulässig, aber nicht berechtigt. [...]

2. Mit Bescheid des Bundeseinigungsamts beim BMASK vom 27.1.1998 wurde dem Roten Kreuz Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt. Mit Verordnung des Bundeseinigungsamts wurde in der Folge der KollV des ÖRK 2009 zur Satzung erklärt (BGBl II 2010/203BGBl II 2010/203), ebenso der KollV des ÖRK 2010 (BGBl II 2011/98BGBl II 2011/98). Mit BGBl II 2011/188BGBl II 2011/188 erfolgte die Verlautbarung der Satzung der Vereinbarung betreffend die Abänderung des KollV des ÖRK 2010 mit Wirksamkeit ab 1.1.2011, mit BGBl II 2012/254BGBl II 2012/254 die Satzung des KollV betreffend die Abänderung des KollV des ÖRK ab 1.1.2012, mit BGBl II 2013/120BGBl II 2013/120 die Satzung des KollV betreffend die Abänderung des KollV des ÖRK ab 1.1.2013.

Als Geltungsbereich der Satzung ist jeweils festgehalten: „

„§ 1. Die Satzung gilta) fachlich: für Anbieter von Rettungs- und Krankentransportdiensten, ausgenommen Berg-, Wasser-, Höhlen-, Flugrettung und Rettungshundestaffel:b) räumlich: Für die Republik Österreichc) persönlich: Für alle AG/innen im fachlichen Geltungsbereich sowie die von diesen AG/innen im räumlichen Geltungsbereich beschäftigten AN/innen und Lehrlinge, sofern ihre Arbeitsverhältnisse nicht durch einen gültigen KollV (ausgenommen Kollektivverträge gemäß § 18 Abs 4 ArbVG) erfasst sind.“

3. Die aufgrund § 15 WKG 1998 erlassene Fachorganisationsordnung errichtete in der Sparte „Transport und Verkehr“ unter § 6 ua folgenden Fachverband:

„5. Fachverband für Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen“

Im Anhang 1 findet sich unter Punkt V „Sparte Transport und Verkehr“ folgende Beschreibung des Fachverbands für Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen „Unternehmungen der Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder mit durch die Kraft von Tieren bewegten Landfahrzeugen sowie Kraftfahrzeugeverleihunternehmungen“.

Im KollV Personenbeförderung findet sich unter „II. Geltungsbereich“ folgende Regelung:

„2. fachlich: Für alle Betriebe, welche gewerbsmäßig mittels Pkwa) das Taxigewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für die Beförderungsgewerbe mit Pkw sindb) das Mietwagengewerbe ausüben und Mitglied des Fachverbands für das Beförderungsgewerbe mit Pkw sind.“

4. Verfügt ein mehrfach kollektivvertragsangehöriger AG über zwei oder mehrere Betriebe, so findet auf die AN der jeweilige dem Betrieb in fachlicher und örtlicher Beziehung entsprechende KollV Anwendung (§ 9 Abs 1 ArbVG). Dies gilt sinngemäß auch dann, wenn es sich um Haupt- und Nebenbetriebe oder um organisatorische und fachlich abgegrenzte Betriebsabteilungen handelt (§ 9 Abs 2 ArbVG). Liegt eine organisatorische Trennung in Haupt- und Nebenbetriebe oder eine organisatorische Abgrenzung in Betriebsabteilungen nicht vor, so findet jener KollV Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat; durch BV kann festgestellt werden, welcher fachliche Wirtschaftsbereich für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat (§ 9 Abs 3 ArbVG).

In der E 9 ObA 91/13t hat der OGH in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Lehre festgehalten, dass dann, wenn ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vorliegt, ein für die AN des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender gesatzter KollV in analoger Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG einen für die AN des wirtschaftlich ungeordneten [gemeint wohl: untergeordneten] Bereichs geltenden KollV verdrängt. Er führte damit die bereits zum Verhältnis von Mindestlohntarif und KollV ergangene Judikatur (vgl RIS-Justiz RS0126333) fort.

Für ein Abgehen von dieser Rsp bietet auch die Revision keine Veranlassung, die nur darauf verweist, dass nach § 19 Abs 2 ArbVG sowie § 18 Abs 3 Z 4 ArbVG der KollV Vorrang vor der Satzung genieße und eine Kollision von Satzung und KollV „im selben fachlichen Geltungsbereich“ ausgeschlossen sei. Argumente gegen die zitierte Judikatur, nach der das gerade nicht für Mischbetriebe gilt, wenn der wirtschaftlich maßgebliche Betriebsbereich einem gesatzten KollV unterliegt, enthält die Revision dagegen nicht.

5. Der OGH war bereits mehrfach mit der Satzung des KollV ÖRK 2013 befasst. In der E 9 ObA 8/13m war die Frage zu klären, ob auch die Durchführung von Rettungs- und Krankentransport mit besonders ausgestatteten Rettungswagen als Taxigewerbe bzw Mietwagengewerbe verstanden werden kann. In der E wird ausgeführt, dass ein Taxigewerbe schon deshalb nicht vorliege, da die Wägen nicht zu jedermanns Gebrauch bereit gehalten würden. Gegen die Erfassung im Begriff des Mietwagengewerbes spreche der Umstand, dass es nicht nur um die Beistellung eines Lenkers und eines Kraftfahrzeugs gehe, sondern um Krankentransporte, bei denen immer auch ein Rettungssanitäter eingesetzt werde. Diese spezifische, auf gesundheitliche Rettungsmaßnahmen abgestellte Ausrichtung gebe der erbrachten Leistung die wesentliche Prägung. Dies spreche aber dafür, dass Rettungs- und Krankentransporte nicht im Begriff des Mietwagengewerbes iSd KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Taxi) erfasst seien.427

In der bereits zitierten E 9 ObA 91/13t wurde die Frage, ob der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Pkw (Taxis) auch auf Betriebe anzuwenden sei, die Transporte für kranke Personen mit normal ausgerüsteten Pkws (ohne Sonderausstattung) und ohne Begleitung eines Rettungssanitäters durchführen, ausdrücklich offen gelassen. Für die Erfassung von (reinen) Krankentransporten im Begriff des Mietwagengewerbes spreche der Umstand, dass es beim Transport einer bestimmten „kranken“ Person, wie auch bei einer gesunden, nur um die Beistellung eines Lenkers und eines Kraftfahrzeugs gehe, bei der kein Rettungssanitäter eingesetzt werde. Im Gegensatz zu Rettungsdiensttransporten gebe daher beim „normalen“ Krankentransport nicht die spezifische, auf gesundheitliche Rettungsmaßnahmen abgestellte Ausrichtung der erbrachten Leistung die wesentliche Prägung. Dagegen könnte ins Treffen geführt werden, dass auch diese „normalen“ Krankentransporte nur nach ärztlicher Verordnung durchgeführt würden und die Bekl die Kosten aufgrund einer Vereinbarung mit der Gebietskrankenkasse direkt verrechne.

Aufgrund der überwiegenden wirtschaftlichen Bedeutung der Durchführung an Krankentransporten mit Krankentransportwägen durch die dort Bekl, musste diese Frage jedoch nicht abschließend geklärt werden.

Auch in der E 8 ObA 2/18d war der Transport behandlungsbedürftiger Personen mit Transportwägen mit spezieller Ausstattung zu beurteilen, wobei alle Mitarbeiter des Unternehmens ihrer Ausbildung nach Rettungssanitäter waren, weshalb davon ausgegangen wurde, dass der KollV für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwägen nicht anwendbar sei.

6. Im vorliegenden Fall werden sowohl Krankentransporte mit Krankentransportwägen durchgeführt als auch die Beförderung Kranker mit normalen PKWs sowie zu einem geringen Prozentsatz sonstige Transporte. Sowohl die Bekl als auch die Vorinstanzen gehen dazu davon aus, dass es sich beim Betrieb der Bekl um einen Mischbetrieb iSd § 9 ArbVG handelt.

Auch in der Revision wird nicht bestritten, dass die Transporte mit den Krankenwägen, die von einem Fahrer und einem Sanitäter durchgeführt würden, nicht dem KollV Personenbeförderung unterliegen. Sie argumentiert jedoch, dass die Beförderung Kranker in einem normalen Pkw entgegen der Ansicht der Vorinstanzen dem KollV Personenbeförderung und nicht der Satzung des KollV ÖRK 2013 unterliegt und diesem Teilbereich der Tätigkeit der Bekl die überwiegende wirtschaftliche Bedeutung zukommt.

7. Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung ist danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nach der Rsp nicht nur auf einzelne Aspekte wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der AN oder Zusammensetzung des Kundenkreises an. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist (

in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht [2015] § 9 Rz 22 mwN; 9 ObA 7/12p; 9 ObA 194/90 ua).

Diese Judikatur wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Vielmehr will die Bekl, ausgehend davon, dass sie die Pkw-Fahrten anders als das Berufungsgericht dem Mietwagengewerbe zuordnet, aufgrund der höheren Kilometerleistung und dem kostendeckenden Einsatz der Pkws die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung in der Personenbeförderung sehen.

Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Selbst wenn man von der Prämisse ausgeht, dass die Krankentransporte mit Pkw keine Tätigkeit iSd KollV ÖRK 2013 darstellen, ist der Aspekt der Tätigkeit, der dem Betrieb der Bekl „das Gepräge“ gibt, nicht in diesem Teilbereich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Bekl zu sehen.

Die Bekl ist ein selbständiger Teil einer Organisation, die in der Öffentlichkeit nicht zuletzt aufgrund ihres Namens als Rettungsdienst wahrgenommen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass selbst bei der Beförderung mit Pkw sich die Betroffenen an die Bekl wenden, weil sie davon ausgehen, dass ihre Bedürfnisse aufgrund von Beeinträchtigungen durch Krankheit oder Behinderung von einem „Rettungsdienst“ anders wahrgenommen und berücksichtigt werden. Dem entspricht auch, dass bei der Bekl sämtliche Mitarbeiter (wenn auch nicht alle rezertifiziert) ausgebildete Notfallsanitäter sind und die Fahrzeuge, mag dies auch nicht vorgeschrieben sein, mit Notfallrucksäcken ausgestattet sind. Die Bekl nutzt daher auch ihre Kapazitäten aus dem reinen Rettungsdienst für ihr Angebot im Rahmen der Beförderung kranker Personen. Dieser erfolgt auch zu einem wesentlichen Teil in Zusammenarbeit mit diversen Sozialversicherungsträgern, die die Bekl auch dazu verpflichten, den Transportierten auf dem Weg zum Fahrzeug und zur Behandlungsstelle sowie beim Ein- und Aussteigen – in einem gegenüber § 16 Stmk Taxi-, Mietwagen- und Gästewagen-Betriebsordnung relevant übersteigenden Ausmaß – behilflich zu sein sowie (gemeint wohl: die Sozialversicherungsträger dazu verpflichteten,) die Kosten des Transports zu übernehmen.

Dazu kommen aber auch die rein wirtschaftlichen Faktoren. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass die Anwendbarkeit des KollV nicht von der fluktuierenden Auslastung der einzelnen Fahrzeuge abhängig gemacht werden kann. In ihrer Grundausstattung verfügte die Bekl zum Zeitpunkt der Tätigkeit des Kl über zwei Krankentransportwägen und zwei Pkws, die vom Dachverband ständig angemietet waren, wobei (nur) bei Bedarf zusätzliche Fahrzeuge angemietet wurden. Allein von der Grundausstattung war also eine Gleichwertigkeit des Fuhrparks gegeben. Die gefahrenen Strecken variierten sehr stark nach der Auslastung (zwischen 10 % 2011 und 100 % 2014 Überwiegen der Pkw-Fahrten). Der durchschnittliche Gesamtumsatz war bei den Krankentransportwägen höher, ebenso der Aufwand. Dazu kommt, dass bei den Krankentransportwägen ein höherer428Personaleinsatz erforderlich war, weil jeweils zwei AN zu den Fahrten einzuteilen waren, der Fahrer und ein weiterer Rettungssanitäter, bei den Pkws nur ein Fahrer. Auch darin zeigt sich die große wirtschaftliche Bedeutung der Krankentransporte, auch wenn die Krankentransportwägen überwiegend Verluste erwirtschafteten und nur die Pkws kostendeckend arbeiteten.

Bei der – wie ausgeführt – anzustellenden Gesamtbetrachtung dieser Umstände ergibt sich daher, dass der Einsatz der Krankentransportwägen dem Gesamtbetrieb der Bekl die wirtschaftliche Prägung gibt. Damit kommt es aber darauf, ob auch der Krankentransport mit normalem Pkw, wie er von der Bekl durchgeführt wird, dem Anwendungsbereich des gesatzten KollV des ÖRK 2013 unterliegt, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, oder dem KollV Personenbeförderung, worauf die Revision abzielt, nicht mehr an. Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Revision muss daher nicht weiter eingegangen werden.

Aufgrund des wirtschaftlichen Überwiegens der Krankentransporttätigkeit ieS ist daher auf den Gesamtbetrieb der gesatzte KollV des ÖRK 2013 anzuwenden.

8. In der Revision wird weiters geltend gemacht, dass die Verordnung über die Erklärung der Vereinbarung betreffend Abänderungen des KollV des ÖRK beginnend mit BGBl II 2011/288BGBl II 2011/288 nicht mehr die bundesländerspezifischen Anhänge als solche, sondern nur mehr die in der Vereinbarung enthaltenen Änderungen zur Satzung erklärte. Damit kämen aber nur die Änderungen des Anhangs zur Anwendung, die jedoch für sich allein keinen Sinngehalt hätten und daher keine taugliche Grundlage für das Klagebegehren bieten würden.

Die Satzungserklärung ist eine Verordnung, während der Inhalt der Satzung immer einem KollV oder einem Kollektivvertragsteil entspricht und daher wie ein solcher zu beurteilen ist. Der Inhalt der kollektivvertraglichen Regelung wird durch die Satzungserklärung nicht verändert (vgl Mosler in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht [2015] § 18 ArbVG Rz 4). Das Wesen der Satzung besteht darin, dass sie den Geltungsbereich eines KollV erweitert. Die dem Gesetz entsprechende Satzung hat also eine ähnliche Wirkung wie die gesetzliche Ausdehnung des Geltungsbereichs des KollV auf nicht kollektivvertragsangehörige AN eines kollektivvertragsangehörigen AG. Auch für sie gilt er nur als KollV. Die in der Satzung als rechtsverbindlich bezeichneten Bestimmungen des KollV, welche die Satzung bilden, bleiben somit Inhalt des KollV (VfGHV 85/92, V 86/92). Zur Beurteilung der Gültigkeit im Zusammenhang mehrerer aufeinanderfolgender Satzungen im selben Regelungsbereich ist daher ganz allgemein wie im Verhältnis zweier oder mehrerer normativer Teile von Kollektivverträgen der allgemeine Grundsatz der Normenkonkurrenz anzuwenden, sodass der Abschluss eines KollV oder die Änderung von Kollektivvertragsbestimmungen durch einen neuen KollV den schon bestehenden KollV in diesem Bereich außer Kraft setzen (vgl RIS-Justiz RS0051025). Dies führt dazu, dass durch die Satzung der Änderungen eines KollV diese Änderungen zwar den materiell widersprechenden Normen des früher gesatzten KollV vorgehen, jedoch die übrigen Bestimmungen unberührt bleiben. Damit kann aber auch nicht davon gesprochen werden, dass die Änderungen für sich allein zu betrachten sind und als solche sich vielleicht sinnentleert darstellen, vielmehr ist der Gesamt-KollV unter Berücksichtigung der Änderungen zu beurteilen und wirksam.

Insofern ist der vorliegende Fall nicht mit dem in der Revision angesprochenen Sachverhalt, dass nicht einzelne aus dem unmittelbaren rechtlichen Sachzusammenhang gelöste Bestimmungen gesatzt werden dürften, weil dies zu einer Verfälschung des Vertragswillens der Kollektivvertragsparteien führen könnte, vergleichbar. Es bestehen daher aus diesem Grund auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Inhalt des KollV wegen mangelnder Konnexität der zu satzenden Bestimmungen.

9. Die Bekl regt weiters eine Anrufung des VfGH an, weil nach § 18 Abs 3 Z 1 bis 4 ArbVG ein KollV oder ein Teil eines solchen nur dann zur Satzung erklärt werden dürfe, wenn die von der Satzung zu erfassenden Arbeitsverhältnisse nicht schon durch einen KollV erfasst seien. Dies treffe aber auf die Beförderung kranker Personen mit Pkw jedenfalls zu. Daher hätte der KollV des ÖRK 2013 nicht zur Satzung erklärt werden dürfen.

Auch diese Argumentation ist jedoch nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken zu erwecken. Auch die Bekl behauptet nicht, dass der Transport von kranken Personen mit Krankentransportwägen dem KollV Personenbeförderung unterliegt oder sonst ein KollV dafür anwendbar wäre. Damit war die Satzung des KollV des ÖRK 2013 jedenfalls nicht gesetzwidrig. Die Anwendbarkeit dieses KollV auf die Bekl ergibt sich nur aus der analogen Anwendung des § 9 Abs 3 ArbVG.

Der Anregung der Bekl, den VfGH anzurufen, war daher nicht zu folgen.

10. In der Revision wird weiters geltend gemacht, dass die Satzung des KollV 2013 mit der Wirksamkeit des KollV 2013 befristet sei. Durch das Inkrafttreten des KollV 2014 sei jedoch dem KollV 2013 materiell derogiert worden, dieser sei somit aus dem Rechtsbestand ausgeschieden.

Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der Abschluss eines neuen KollV grundsätzlich keinen Endigungsgrund für einen alten KollV darstellt. Es kann jedoch zur Normenkonkurrenz kommen und damit zur materiellen Derogation des alten KollV (vgl Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 17 Rz 4). Im konkreten Fall haben die Kollektivvertragsparteien allerdings 2014 nur punktuelle Änderungen des KollV 2013 beschlossen. In der Schlussbestimmung (Art XI.) der Vereinbarung wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Wirksamkeit der nicht abgeänderten Teile des ÖRK-KollV samt Anlagen dadurch nicht beeinträchtigt wird, die Weitergeltung also ausdrücklich angeordnet.

11. Auf das konkrete Arbeitsverhältnis ist daher der KollV des ÖRK 2013 anzuwenden. Gegen die Höhe des vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrags wendet sich die Revision nicht.429

Der Revision war daher insgesamt nicht Folge zu geben. [...]

ANMERKUNG
1.
Vorbemerkung

Die vorliegende E geht von der Vorjudikatur aus, dass § 9 Abs 3 ArbVG auch im Fall des Zusammentreffens eines KollV und eines gesatzten KollV Anwendung finden soll. Abschließend soll auch auf diese Grundsatzfrage kurz eingegangen werden, vorweg soll jedoch der Einzelfall näher behandelt werden.

Ausgehend von der erwähnten Judikaturlinie des OGH ist bei näherer Betrachtung die vorliegende E gut nachvollziehbar. Die Flucht aus dem zur Satzung erklärten teureren ÖRK-KollV erscheint im gegenständlichen Sachverhalt etwas inszeniert. Ein regional bekanntes Rettungsunternehmen in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH versucht die Vorteile des für den AG billigeren KollV Personenbeförderung zu nutzen, indem die gleiche Anzahl von PKW und Krankenwagen verwendet werden und nach den vom AG eingebrachten Beweismitteln der wirtschaftliche Erfolg nur bei den PKW-Transporten ein positiver sei. Es mag sich um einen Grenzfall handeln, dennoch erscheint es – jedenfalls ex post betrachtet – zumindest sehr gut vertretbar, wenn der OGH bei näherer Betrachtung folgert, dass als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung die Krankentransporte dem Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung geben und damit der ÖRK-KollV zur Anwendung gelangt. Auf die vor dem OGH relevanten Begründungselemente soll nochmals eingegangen werden. Es ist klar, dass die einzelnen Elemente unterschiedliches Gewicht haben, zumal eine Gesamtbetrachtung den Ausschlag geben soll. Aber auch die nicht so schwer gewichtigen Elemente sollten der Überprüfung standhalten.

2.
Elemente für die Beurteilung der „maßgeblichen wirtschaftlichen Bedeutung“
2.1.
Allgemein zur Formel des OGH

Mit der vorliegenden E liegt der OGH auf einer Linie mit seiner bisherigen Judikatur zu § 9 Abs 3 ArbVG und schafft es mit seiner Formel, die über die ursprüngliche von Strasser zu dieser Bestimmung entworfene Konzeption etwas hinausgeht (Strasser in Floretta/Strasser, ArbVG-Handkommentar [1975] 82 stellt ab auf die Zahl der im Fachbereich beschäftigten AN, den Umsatz und Ertrag und die wirtschaftliche Funktion des Fachbereichs im Verhältnis zum anderen Fachbereich, uU auch auf den Umfang der getätigten Investitionen), auch diesen besonderen Fall in einer besonderen Branche in ein in sich schlüssiges Lösungskonzept zu bringen (mwN zur neueren Judikatur und Lehre zuletzt Resch in Jabornegg/Resch, ArbVG [ab 2002] [53. Lfg 2019] § 9 Rz 34).

2.2.
Transport von Kranken in Taxis

Am schwierigsten ist die Argumentation, dass auch „normale“ Krankentransporte (durch Taxiunternehmen) nach ärztlicher Verordnung durchgeführt und von den Taxiunternehmern mit dem Krankenversicherungsträger direkt verrechnet werden. Die vom OGH angeführten Argumente im Rahmen der anzustellenden Gesamtbetrachtung sind auch vergleichsweise dünn:

Dass nachgewiesenermaßen nicht verwendete und anderswo übrig gebliebene Notfallsrucksäcke im Kofferraum mittransportiert wurden, kann mE für sich gar keine Rolle spielen, es sei denn, deren Verwendung im Notfall wäre Teil des geschäftlichen Konzepts gewesen.

Auch dass im Mischbetrieb Notfallssanitäter (die zT nicht rezertifiziert waren) als Fahrer tätig waren, erscheint isoliert betrachtet wenig aussagekräftig. Man müsste sonst Taxiunternehmern den Rat geben, bewusst keinen zufällig als Notfallssanitäter ausgebildeten Taxifahrer zu beschäftigen, um eine allfällige Geltung des ÖRK-KollV zu vermeiden.

Sicher wäre es anders (und es wären dann diese Sachverhaltselemente in der Argumentation durchaus beachtlich), wenn den Kunden (etwa durch gezielte Bewerbung) bewusst war, dass sie bei der Fahrt mit diesem Anbieter immer Notfallsrucksäcke mitführen werden und immer Notfallssanitäter als Fahrer fungieren, vergleichbar mit Seniorenurlaubsreisen, bei denen die Mitfahrt eines Arztes extra beworben wird: Aber so war es ja offensichtlich nicht. Vielmehr ist es so, dass der AG bei den normalen Krankentransporten in gleicher Weise tätig war, wie etwa ein Taxiunternehmer, der seine Mitarbeiter an einem Taxistandplatz bei einem großen Krankenhaus auf potentielle Fahrgäste warten lässt und gegebenenfalls durch Bezahlung durch Taxigutschein der SV Kranke transportiert.

Dass mit Sozialversicherungsträgern vertraglich kooperiert wird, macht das Taxiunternehmen noch nicht zum Krankentransportunternehmen. Selbst wenn sich ein Taxiunternehmer auf Krankentransporte spezialisiert, etwa indem er überwiegend Personen zur Bestrahlungstherapie zur onkologischen Spezialklinik transportiert, macht ihn das mE noch nicht zum Krankentransportunternehmen: Alleine die Frage, ob der Fahrgast krank oder gesund ist und ob das Motiv der Fahrt die Krankheit ist, spielt mE für die Geltung des KollV noch keine Rolle.

Dass der AG vertraglich dazu verpflichtet ist, den auf Sozialversicherungskosten Transportierten auf dem Weg zum Fahrzeug und zur Behandlungsstelle sowie beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein, erscheint als Argument reichlich gekünstelt: Der am Markt tätige Taxiunternehmer wird gut beraten sein, seinen AN die Weisung zu erteilen, gehbehinderten Fahrgästen gegenüber in gleicher Weise besonders hilfsbereit zu sein, um den Markt der von der SV finanzierten Fahrten kranker Fahrgäste erfolgreich zu bedienen.

Noch ein Kritikpunkt ist anzubringen: Zumindest irreführend ist der Hinweis in der E, es werde in der Revision nicht bestritten, „dass die Transporte mit den Krankenwägen, die von einem Fahrer und einem Sanitäter durchgeführt würden, nicht dem KollV Personenbeförderung unterliegen“: 430Im Rahmen des § 9 Abs 3 ArbVG (um den es ja in der E gerade geht) wäre eine solche Kollektivvertragsgeltung im Mischbetrieb durchaus möglich: Betreibt etwa ein Taxiunternehmen im Rahmen eines einheitlichen Betriebs neben 50 Taxis auch einen Krankenwagen, unterliegt dieser Betrieb gem § 9 Abs 3 ArbVG dennoch zur Gänze dem KollV Personengewerbe, einschließlich jener AN, die mit dem Krankenwagen tätig sind.

2.3.
Die entscheidenden (gewichtigen) Begründungselemente

All dies waren aber nur einzelne Mosaiksteine in einer größer angelegten Gesamtbetrachtung. Der OGH beurteilt (unter Berufung auf seine Vorjudikatur) die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung in seiner stRsp danach, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nach Ansicht des OGH nicht nur auf einzelne Aspekte, wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der AN oder Zusammensetzung des Kundenkreises an, vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist.

Zu Recht ließ sich der OGH nicht alleine von der höheren Kilometerleistung und vom kostendeckenden Einsatz der PKWs als Indizien für die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung in der Personenbeförderung entscheidend beeinflussen. Vielmehr nutzte der AG – so der OGH mE überzeugend – seine Kapazitäten aus dem reinen Rettungsdienst für sein Angebot im Rahmen der Beförderung kranker Personen. Obwohl alleine von der Grundausstattung eine Gleichwertigkeit des Fuhrparks gegeben war, war doch der durchschnittliche Gesamtumsatz bei den Krankentransportwägen höher, ebenso war der Personaleinsatz höher, weil jeweils zwei AN zu den Fahrten einzuteilen waren, der Fahrer und ein weiterer Rettungssanitäter!

Ein letztlich auch wirtschaftliches Argument sieht der OGH in dem Umstand, dass der AG ein selbständiger Teil einer Organisation ist, die in der Öffentlichkeit gerade aufgrund ihres Namens als Rettungsdienst wahrgenommen wird. Selbst bei der Beförderung mit PKW wenden sich nach Ansicht des OGH die Betroffenen an den AG, weil sie davon ausgehen, dass ihre Bedürfnisse aufgrund von Beeinträchtigungen durch Krankheit oder Behinderung von einem „Rettungsdienst“ anders wahrgenommen und berücksichtigt werden. Gerade darin würde ich das entscheidende Argument sehen: Es ist eben doch kein normales Taxiunternehmen, sondern im Außenauftritt spielt der Aspekt der mit Krankenwagen durchgeführten Krankentransporte eine ganz entscheidende Rolle. Ergänzt sei noch eine Bemerkung: ME spielt auch die Frage, welche Bereiche Gewinn und welche Verlust erwirtschaften, im Rahmen einer gemeinnützigen GmbH eine andere, nämlich untergeordnete, Rolle als bei einer gewinnorientierten GmbH. Auf die Gewinnerzielung sollte es ja vom Unternehmenszweck her gar nicht ankommen.

3.
Gilt § 9 Abs 3 ArbVG auch im Fall einer Kollision eines Kollektivvertrags mit einem zur Satzung erklärten Kollektivvertrag?

ME bestehen gegen die vom OGH und der überwiegenden Lehre vertretene Analogie zu § 9 Abs 3 ArbVG, wonach auch der gesatzte KollV einen gem § 8 ArbVG anwendbaren KollV verdrängt, gewichtige Bedenken ausgehend von der Überlegung, dass damit ein KollV zur Anwendung gelangt, dem der AG gem § 8 ArbVG nicht angehört (obwohl er sich völlig rechtskonform verhält). Bedenken bestehen hier im Hinblick auf das Grundrecht auf negative Koalitionsfreiheit. Im Verfahren wurde dieser Aspekt von den Prozessparteien nicht vorgebracht. Dieser Aspekt kann in diesem Rahmen aber nicht vertieft werden und muss einer ausführlichen Publikation vorbehalten werden.431