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Zur Entlohnung von Urlaubsersatzkräften gem § 19 Abs 5 PTSG

THOMASDULLINGER (WIEN)
  1. Zwischen „Ferialarbeitern“ und anderen regelmäßig ihr notwendiges Einkommen aus ihrer Tätigkeit beziehenden Bediensteten bestehen erhebliche Unterschiede: Schüler und Studenten stehen idR nicht dauernd im Arbeitsleben, ihre Tätigkeiten sind daher zwangsläufig kürzer, bestehen meist in untergeordneten Verrichtungen und sind doch mit der Notwendigkeit einer gewissen Einschulung durch den AG verbunden.

  2. Die Vereinbarung eines Entgelts, das ca 55 % des kollektivvertraglichen Entgelts regulär beschäftigter AN entspricht, ist daher nicht sittenwidrig.

  3. Auch ist die unterschiedliche Entlohnung von Urlaubsersatzkräften und regulären Beschäftigten aus diesem Grund nicht als sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gem § 2b AVRAG zu qualifizieren.

Die Kl – eine Studentin – war vom 3.7.2017 bis zur vorzeitigen Auflösung des auf weniger als zwölf Wochen befristeten Dienstverhältnisses durch die Bekl innerhalb des Probemonats am 13.7.2017 im Rahmen eines sogenannten ABGB-Vertrags als Urlaubsersatzkraft bei der Bekl beschäftigt. Ihr Begehren auf Zahlung einer Entgeltdifferenz von 249,56 € brutto zu dem kollektivvertraglichen Mindestlohn für fix bei der Bekl angestellte Briefzusteller wiesen die Vorinstanzen übereinstimmend ab.

Rechtliche Beurteilung

1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass gem § 19 Abs 5 PTSG der KollV für Arbeiter und Angestellte der Ö* AG und Tochterunternehmen auf das Dienstverhältnis der Kl als Ferialpraktikantin nicht zur Anwendung gelangt. Weiterhin vertritt die Kl allerdings den Standpunkt, dass entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen bei einer Entlohnung von nur 54,88 % des Entgelts für fix angestellte Briefzusteller bei einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren einerseits eine sittenwidrige Unterentlohnung und andererseits eine unzulässige Diskriminierung nach § 2b AVRAG vorliege.

2. Wenn – wie im vorliegenden Fall – keine besondere lohngestaltende Vorschrift zur Anwendung kommt, ist nahezu jede Entgeltvereinbarung gültig. Die Grenze bildet lediglich die Sittenwidrigkeit zufolge Lohnwuchers gem § 879 ABGB (RIS-Justiz RS0016668). Lohnwucher wird von der Rsp bei „Schuld- und Hungerlöhnen“ angenommen, deren Höhe in auffallendem Missverhältnis zum Wert der Leistung des DN steht, wenn ihre Vereinbarung durch Ausbeutung des Leichtsinns, einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder der Verstandesschwäche des DN zustande gekommen ist (RIS-Justiz RS0016702). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, die nicht aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (RIS Justiz RS0042881 [insb T8]).

3. Diese vermag die Kl aber auch in der Revision nicht aufzuzeigen. Der OGH hat bereits ausgesprochen448, dass zwischen „Ferialarbeitern“ und anderen – sei es vielleicht auch nur in einem kurzen Dienstverhältnis zur Bekl – regelmäßig ihr notwendiges Einkommen aus ihrer Tätigkeit ziehenden Bediensteten erhebliche Unterschiede bestehen: Schüler und Studenten stehen in der Regel nicht dauernd im Arbeitsleben, ihre regelmäßig auf die Ferien beschränkten Tätigkeiten sind daher zwangsläufig kürzer, und, wenn auch meist in untergeordneten Verrichtungen bestehend, so doch mit der Notwendigkeit einer gewissen Einschulung durch den AG verbunden. Von einem dauernd im Arbeitsleben stehenden AN wird daher in der Regel auch größere Effizienz erwartet werden dürfen (9 ObA 66/07g).

4. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen in der unterschiedlichen Entlohnung der aufgrund gesetzlicher Anordnung von der Anwendung des KollV ausgenommenen Kl und anderer dem KollV unterliegender AN der Bekl keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung nach § 2b AVRAG erblickt haben, zumal nach den Feststellungen „ABGBKräfte“ wie die Kl gewisse Standardtätigkeiten fix angestellter Briefzusteller – wie etwa Meldungen an Vorgesetzte – nicht zu verrichten hatten und zu einem Großteil nicht in der Lage sind, fix angestellte Briefzusteller zu ersetzen.

5. Der Umstand, dass die zu lösenden Fragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten, bewirkt ebenso wenig wie der Umstand, dass mehrere DN gleichartige Arbeitsverträge abgeschlossen haben, das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042816). Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

ANMERKUNG

In der vorliegenden E hatte sich der OGH mit der Entlohnung von Urlaubsersatzkräften iSd § 19 Abs 5 Poststrukturgesetz (PTSG) zu befassen. Darunter werden Personen verstanden, die fallweise jeweils bis zu zwölf Wochen, insb zur Erleichterung der Urlaubsabwicklung, aufgenommen werden. Nicht jedoch solche Kräfte, die regelmäßig wiederkehrend als Ersatz für die Dauer der Dienstabwesenheit von Bediensteten aufgenommen werden. Während § 19 Abs 1 PTSG die Geltung des AngG und des KollV für die Post und Telekom Austria AG anordnet, nimmt § 19 Abs 5 PTSG Urlaubsersatzkräfte aus der Anwendung des AngG und des KollV aus, weshalb es für diese AN keine lohngestaltenden Vorschriften gibt. Der OGH hatte sich vor diesem Hintergrund einerseits mit der behaupteten Sittenwidrigkeit des vereinbarten Entgelts zu befassen, andererseits mit einer potenziellen Diskriminierung befristet beschäftigter AN (§ 2b AVRAG). Die E wirft aber auch andere Fragen § 19 Abs 5 PTSG betreffend auf.

1.
Belegschaftsstruktur der Beklagten

Die Beschäftigten der Bekl unterliegen verschiedenen rechtlichen Regimen. So wurden die aktiven BeamtInnen der Post und Telegraphenverwaltung in den Dienststand der Bekl übernommen, jedoch blieben die dienstrechtlichen Bestimmungen im Wesentlichen unberührt (§ 17f PTSG). Es handelt sich daher weiterhin um BeamtInnen. Für die vormals bei der Post und Telegraphenverwaltung beschäftigten Vertragsbediensteten sieht § 18 PTSG vor, dass deren vor dem Inkrafttreten bestehende Rechte gewahrt werden, für sie allerdings zusätzlich auch der KollV für die Post und Telekom Austria AG gilt. Für die neueintretenden Bediensteten sieht § 19 Abs 1 PTSG vor, dass diese ungeachtet ihrer Tätigkeit dem AngG und dem KollV unterliegen. Davon ausgenommen sind jedoch die Urlaubsersatzkräfte gem § 19 Abs 5 PTSG (vgl zu alldem OGH 13.9.2001, 8 ObA 118/01p; OGH 25.1.2006, 9 ObA 109/05b; Preiss in FS Bauer/Maier/Petrag [2004] 65 [66 f]). Lediglich die letzten beiden Kategorien sind Gegenstand dieser E.

2.
Sittenwidrigkeit der Entgeltvereinbarung

Gem § 1152 ABGB hat der AN Anspruch auf ein angemessenes Entgelt, sofern im Vertrag kein Entgelt bestimmt ist und auch nicht Unentgeltlichkeit vereinbart wurde. Die Grenzen dieser Vereinbarung bilden anwendbare Kollektivverträge und deren Substitutionsformen einerseits und das Verbot sittenwidriger Verträge andererseits. Obwohl auch die nach der hA grundsätzlich zulässige Vereinbarung von Unentgeltlichkeit sittenwidrig sein kann (vgl Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 1152 ABGB Rz 14 ff), liegt der Fokus der Sittenwidrigkeit in diesem Zusammenhang auf der Entgelthöhe.

Die Kl leitet die behauptete Sittenwidrigkeit der getroffenen Entgeltabrede aus einem Vergleich mit einem fiktiven, dem KollV unterliegenden AN ab, der bereits fünf Jahre bei der Bekl beschäftigt ist. Dieser würde beinahe doppelt so viel Entgelt bekommen wie die Kl. Warum sich die Kl, die nur elf Tage bei der Bekl beschäftigt war, mit einem AN mit fünfjähriger Beschäftigung vergleicht, bleibt jedoch offen.

Zunächst fällt auf, dass in der gesamten E das vereinbarte Entgelt der Kl nicht genannt wird. Dieses beträgt nach dem Vorbringen der Kl 54,88 % jenes Entgelts, das fix angestellten BriefzustellerInnen bei einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren zusteht. Diese wären im Gehaltsschema des KollV in MAKr 02 Funktionsgruppe A einzureihen und würde nach fünf Jahren ca € 1.580,– brutto pro Monat (Stand 1.7.2018) verdienen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Arbeitsvertrag der Kl in etwa € 870,– brutto pro Monat als Entgelt vorgesehen haben dürfte. Stellt man hingegen auf einen AN ohne Vordienstzeiten ab, so ergeben sich nach dem KollV € 1.540,– brutto pro Monat (ebenfalls Stand 1.7.2018).

Aus rechtlicher Sicht ist die E in diesem Punkt weder überraschend noch zu beanstanden. Der OGH hat an seine eigene Vorjudikatur angeknüpft, nach der eine sittenwidrige Entgeltgestaltung nur bei „Schuldund Hungerlöhnen“ anzunehmen ist. Die Höhe des Entgelts muss in auffallendem Missverhältnis zum Wert der Leistung des DN stehen und die Vereinbarung449 muss durch Ausbeutung des Leichtsinns, einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder der Verstandesschwäche des AN zustande gekommen sein. Eine solche Ausbeutung wird in der Revision offenbar nicht behauptet, was Sittenwidrigkeit nach einem Teil der Lehre ohnehin ausschließen würde (vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 24).

Als sittenwidrig wurde von der Rsp in der Vergangenheit die Unterschreitung des kollektivvertraglichen Lohns eines nicht anwendbaren KollV für ähnliche Tätigkeiten um zirka die Hälfte gewertete, nicht hingegen eine Unterschreitung um ca 35 % (vgl Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 879 ABGB Rz 24 mwN). Bedenkt man, dass die Urlaubsersatzkräfte nach den Feststellungen zu einem Großteil nicht in der Lage sind, die regulären BriefzustellerInnen zu ersetzen und auch nur einen Teil ihrer Tätigkeiten zu erbringen haben, so passt sich die E in diese Judikatur gut ein. Auch ohne Vergleich mit dem KollV ergibt sich keine andere Einschätzung, da es sich bei den Tätigkeiten der Urlaubsersatzkräfte um vergleichsweise unqualifizierte Tätigkeiten handelt. Bedenkt man, dass es einige Kollektivverträge gibt, die (teils deutlich) weniger als € 1.300,– brutto pro Monat als Mindestentgelt vorsehen oder zumindest bis vor kurzem vorgesehen haben, so ist die Zurückweisung der außerordentlichen Revision in diesem Punkt nicht zu beanstanden.

3.
Benachteiligung befristet Beschäftigter

Interessanter ist die Beurteilung aus der Perspektive des § 2b Abs 1 AVRAG. Dieser untersagt eine Benachteiligung von AN mit einem auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsverhältnis gegenüber AN mit einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Arbeitsverhältnis, es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung. Der OGH verneint eine rechtswidrige Benachteiligung insb wegen der teilweise abweichenden Arbeitsaufgaben und dem Umstand, dass die Urlaubsersatzkräfte regelmäßig nicht in der Lage seien, einen regulären Briefzusteller zu ersetzen.

Auch wenn § 2b AVRAG dies nicht ausdrücklich sagt, ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Benachteiligung jedenfalls, dass sich der befristet beschäftigte und der unbefristet beschäftigte AN in einer vergleichbaren Situation befinden (vgl § 4 Abs 1 RL 1999/70/EG). Abzustellen ist dabei ua auf das Tätigkeitsfeld, die Qualifikationserfordernisse, die Arbeitsbedingungen und darauf, ob gleichwertige Arbeit vorliegt (vgl Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 2b Rz 8 f mwN). Da festgestellt wurde, dass die Urlaubsersatzkräfte regelmäßig weniger Leistung erbringen als die regulären BriefzustellerInnen, wäre es naheliegend, bereits die Vergleichbarkeit dieser beiden Gruppen zu verneinen. Ein sachlicher Grund für eine Differenzierung liegt jedenfalls vor. Der OGH legt nicht offen, ob er vom Vorliegen unterschiedlicher Situationen oder vom Vorliegen eines sachlichen Grundes ausgeht; für die E macht das aber auch keinen Unterschied. Auch in diesem Punkt ist die E des OGH nicht zu beanstanden, es sei denn, man sieht in dieser Argumentation eine unzulässige Verallgemeinerung (vgl dazu Burger, Ausschluss des Ferialarbeiters aus Kollektivvertrag zulässig, DRdA 2010, 148 [150]).

4.

Bedauerlich ist, dass der OGH keine Gelegenheit hatte, sich zu § 19 Abs 5 PTSG zu äußern. Im Revisionsverfahren war nicht mehr strittig, dass das Arbeitsverhältnis keinem KollV unterliegt und eine einschlägige Bestimmung des AngG existiert nicht. Der in § 19 Abs 5 PTSG normierte Ausschluss der Urlaubsersatzkräfte aus dem KollV und dem AngG war insofern nicht mehr verfahrensgegenständlich.

Bedauerlich ist dieser Umstand deshalb, weil § 19 Abs 5 PTSG in der Literatur auf erhebliche Bedenken gestoßen ist. So erblickt Preiss in dieser Bestimmung „eine evidente Benachteiligung befristet beschäftigter Arbeitnehmer. Eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluss aus dem Kollektivvertrag und aus der Anwendung des AngG ist nicht ersichtlich“ (in FS Bauer/Maier/Petrag 65 [76]).

§ 19 Abs 5 PTSG benachteiligt eine AN-Gruppe, die sich ausschließlich aus befristeten AN zusammensetzt, indem diese aus dem Anwendungsbereich des KollV und des AngG ausgeschlossen werden. Während eine Differenzierung beim Entgelt aufgrund der Unterschiede in der Tätigkeit zulässig ist, ist es fraglich, ob auch die Unanwendbarkeit des AngG und jener Bestimmungen des KollV, die nicht das Entgelt betreffen, rechtmäßig ist. Ob sich zwei AN(-Gruppen) in einer vergleichbaren Lage befinden, ist nach der Rsp des EuGH nämlich anhand aller die betreffenden Situationen kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen, insb im Licht des Gegenstands und des Ziels der Regelung, in der die fragliche Unterscheidung begründet liegt (EuGH 22.1.2019, C-193/17, Cresco Investigation, Rz 42 mwN). Dass sich die Urlaubsersatzkräfte in Bezug auf alle Bestimmungen des AngG und des KollV in einer unterschiedlichen Lage befinden wie die regulären BriefzustellerInnen, erscheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Außerdem ist selbst bei Fehlen eines vergleichbaren Dauerbeschäftigten im Betrieb ein Vergleich mit einem hypothetischen Dauerbeschäftigten desselben AG in demselben Betrieb vorzunehmen (vgl Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht2 § 3 RL 1999/70/EG Rz 18 ff). Ein den Urlaubsersatzkräften vergleichbarer Dauerbeschäftigter (keine einschlägige Erfahrung/Ausbildung, unsteter Erwerbsverlauf, etc) wäre jedoch mangels Befristung nicht von § 19 Abs 5 erfasst und würde daher in den Anwendungsbereich des KollV und des AngG fallen. Sodann wäre für jede Bestimmung des AngG und des KollV ein sachlicher Grund für die Benachteiligung erforderlich.

Dieser Logik folgend hat das OLG Wien den Ausschluss von FerialpraktikantInnen, VolontärInnen und Ferialaushilfen aus dem Raiffeisenkassen- KollV als Verstoß gegen § 2b AVRAG qualifiziert (OLG Wien9 Ra 104/07s ARD 5854/8/2008). Der OGH hat den Ausschluss von FerialarbeiterInnen 450 aus einem KollV in einer E hingegen gebilligt, Gegenstand dieser E war jedoch nur das Entgelt und § 2b AVRAG wurde nicht thematisiert (OGH9 ObA 66/07gDRdA 2010, 148 [krit Burger]; vgl dazu auch Reissner, Der ältere Arbeitnehmer – Altersbezogene Schutzbestimmungen im Lichte des Antidiskriminierungsrechts, DRdA 2010, 24 [35]). Es bleibt abzuwarten, wie OGH und EuGH § 19 Abs 5 PTSG in zukünftigen Entscheidungen beurteilen werden.