52Ständige Erreichbarkeit des AN auf dem Diensthandy als (konkludent vereinbarte) Rufbereitschaft
Ständige Erreichbarkeit des AN auf dem Diensthandy als (konkludent vereinbarte) Rufbereitschaft
Die Verpflichtung zur ständigen Erreichbarkeit einer Sicherheitskraft auf dem Diensthandy ist aufgrund spürbarer Auswirkungen auf die Freizeit – ständig betriebs- und empfangsbereit zu haltendes Diensthandy, Alkoholverbot während der „Hochsaison für die Sicherheit“, Meldung bei sportlichen Aktivitäten, Einholung einer Erlaubnis zum Verlassen des Ortes – und der jederzeit möglichen Indienststellung als (konkludent vereinbarte) Rufbereitschaft zu qualifizieren. Es kommt nicht darauf an, wie oft die Arbeitsleistung tatsächlich abgerufen wurde.
Wurde über die Entlohnung der Erreichbarkeit nicht gesprochen, damit weder eine pauschale Abgeltung noch (wenn auch nur konkludent) Unentgeltlichkeit vereinbart und gelangt auch kein KollV zur Anwendung, gebührt gem § 1152 ABGB ein angemessenes (ortsübliches) Entgelt.
Die Bekl beschäftigt für den Objekt- und Personenschutz ungefähr 35 Sicherheitskräfte (davon ungefähr sieben Einsatzleiter), die vorwiegend – so wie der Kl – aus der * Armee rekrutiert werden. Es handelt sich dabei um Personen mit militärischer Spezialausbildung, die in Sicherheitsbelangen besonders ausgebildet wurden und für die Erfüllung der Tätigkeiten bei der Bekl besonders gut geeignet sind.
Der Kl war bei der Bekl vom 24.12.2012 bis zur einvernehmlichen Lösung am 7.1.2016 als Sicherheitskraft beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte kein KollV zur Anwendung. Der Kl verdiente bei einer 40-Stunden-Woche ein Gehalt von 2.918,76 € brutto.
Bereits in der Rekrutierungs- und in der dreiwöchigen Ausbildungsphase in * und auch während der zwei- bis dreimonatigen Einschulungszeit in * sagten die Verantwortlichen der Bekl dem Kl, dass er „als Sicherheitskraft der Bekl ständig erreichbar sein müsse“, weil es sich um eine hochsensible Tätigkeit im Sicherheitswachebereich handle, Verantwortung für Menschenleben vorliege und die Erreichbarkeit ein „integraler“ Teil der Arbeit sei; im Falle eines Anschlags oder einer Terrorattacke müsse mit jedem Sicherheitsmann, der sich in * befinde, Kontakt aufgenommen werden können. Kein Mitarbeiter konnte verlangen, außerhalb der Dienstzeit überhaupt nicht in den Dienst gerufen werden zu wollen. Dem Kl wurde ein Diensthandy mit der Anweisung zur Verfügung gestellt, dass es immer aufgeladen sein müsse, nicht auf lautlos geschaltet werden dürfe und dass regelmäßig darauf zu schauen sei.
Die ständige Erreichbarkeit bedeutete in der Praxis, dass die Sicherheitskräfte der Sicherheitszentrale meldeten, wenn sie zB in den Park joggen gingen. Wollte ein Mitarbeiter über mehrere Stunden oder gar Tage nicht erreichbar sein oder wollte er * verlassen, musste er eine Erlaubnis einholen. Während der „Hochsaison für die Sicherheit“ (an 30 bis 40 über das Jahr verteilten Tagen) waren die Sicherheitskräfte angewiesen, überhaupt keinen Alkohol zu trinken.
Ein Mitarbeiter, der ohne Abmeldung längere Zeit nicht für die Sicherheitszentrale erreichbar war, wurde in der Regel in einem Gespräch mit dem Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass „das nicht sein dürfe und er die Konsequenzen seines Handelns zu tragen habe“.
Über finanzielle Aspekte dieser „Immererreichbarkeit“ wurde nicht gesprochen, auch nicht im Vorfeld der Unterzeichnung des Dienstvertrags durch den Kl [...]. Insb erwähnten die Vertreter der Bekl nie, dass die ständige Erreichbarkeit ohnehin durch das Gehalt oder andere Vergünstigungen abgegolten wäre.
Der Kl wurde im Durchschnitt fünf bis sieben Mal im Monat außerhalb der Dienstzeit am Handy kontaktiert, wobei es sich zum weit überwiegenden536 Teil um Dienstplanänderungen handelte. Im Jahr 2013 erfolgte eine Indienststellung des Kl acht Mal, im Jahr 2014 vier Mal, im Jahr 2015 – damals war der Kl bereits Schicht-/Einsatzleiter – überhaupt nicht.
Der Kl begehrte [...] insgesamt 26.607 € brutto sA als Abgeltung der von ihm in den Jahren 2013 bis 2015 geleisteten Rufbereitschaft. Er sei, soweit er nicht ohnehin Dienste für die Bekl verrichtet habe, 24 Stunden am Tag bei einer Sieben-Tage-Woche stets in Rufbereitschaft gewesen. Der Berechnung der Forderung liege ein angemessener Stundensatz von 3 € brutto zugrunde. Von allen Stunden eines (Rumpf-)Jahres seien nicht nur die tatsächlichen Arbeitsstunden des Kl (inklusive Entgeltfortzahlung und Urlaub) abgezogen worden, sondern aus anwaltlicher Vorsicht auch sieben Stunden pro Tag Nächtigungszeit, obgleich der Kl auch während der Nachtruhe jederzeit unverzüglich hätte in den Dienst gestellt werden können, sodass sich für das Jahr 2013 1.167,75, für das Jahr 2014 3.878,50 und für das Jahr 2015 3.822,75 Stunden ergeben würden.
Das Erstgericht gab diesem Zahlungsbegehren mit Teilurteil statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Der Kl habe mit der (schlüssig) vereinbarten und geleisteten Erreichbarkeit eine Rufbereitschaft für die Bekl erbracht. Eine (auch schlüssige) Vereinbarung der Unentgeltlichkeit dieser Leistung oder deren pauschale Abgeltung mit den erbrachten Geld- und Naturalleistungen sei nicht getroffen worden, sodass der Kl gem § 1152 ABGB Anspruch auf ein ortsübliches angemessenes Entgelt habe. Unter Berücksichtigung der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgehenden vereinbarten und erbrachten Rufbereitschaft sei der vom Erstgericht herangezogene Stundensatz von 3 € bei einer Gesamtbetrachtung angemessen. [...]
Rechtliche Beurteilung
[...] Rufbereitschaft besteht darin, dass der AN für den AG lediglich erreichbar und zum Arbeitsantritt bereit sein muss. Dabei kann der DN (im Unterschied zur sogenannten Arbeitsbereitschaft) seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden (RIS-Justiz RS0051403; 9 ObA 71/04p). Bei der Rufbereitschaft handelt es sich nicht um die Arbeitsleistung selbst, sondern um eine andere Leistung, die der DN nicht schon aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Treuepflicht (Interessenwahrungspflicht) zu erbringen hat, sondern die ausdrücklich vereinbart und abgegolten werden muss (RIS-Justiz RS0021696). Auch während vereinbarter „Erreichbarkeit per Handy“ ist der AN hier in der Bestimmung seines Aufenthalts beschränkt, weil ihn die Verpflichtung trifft, Aufenthaltsorte zu wählen, an denen er über ein von ihm ständig betriebsbereit und empfangsbereit zu haltendes Funktelefon erreicht werden kann und einsatzbereit ist. Auch diese Form angeordneter Bereitschaft des AN erfüllt nach Sinn und Zweck den Begriff der Rufbereitschaft. Der AN muss sein Verhalten während der Rufbereitschaft darauf einrichten, im Falle eines Anrufs seine Pflichten ohne besondere Beeinträchtigung wahrnehmen zu können (RIS Justiz RS0051403 [T3]). Auch bloßes Warten bindet den DN; jede zeitliche Bindung für Zwecke eines anderen ist so gesehen eine Leistung. Maßgeblich ist dabei der Umstand, dass der DN – wenngleich in geringerer Intensität – fremdbestimmt ist (RIS-Justiz RS0021688 [T2]). Die Zahlung eines Entgelts bei Rufbereitschaft kann ihm daher nicht schon mit der bloßen Begründung versagt werden, dass er ohnehin keine Arbeitsleistung erbringe, weil auch diese Zeit nicht völlig zu seiner freien Verfügung steht. Der DG, der Rufbereitschaft verlangt, macht wenigstens zum Teil von der Arbeitskraft des DN Gebrauch (9 ObA 71/04p mwN).
1.2 Nach den Feststellungen informierten die Verantwortlichen der Bekl den Kl noch vor Vertragsabschluss, und zwar schon in der Rekrutierungsund Ausbildungsphase in *, aber auch während der Einschulungszeit, dass er als Sicherheitskraft der Bekl angesichts der hochsensiblen Tätigkeit und der Verantwortung für Menschenleben ständig erreichbar sein müsse und die Erreichbarkeit ein „integraler“ Teil der Arbeit sei; für den Fall eines Anschlags oder einer Terrorattacke müsse mit jedem Sicherheitsmann in * Kontakt aufgenommen werden können. Der Kl musste dementsprechend das Diensthandy immer aufgeladen halten, durfte es nicht auf lautlos schalten und musste regelmäßig darauf schauen. In der Praxis bedeutete die ständige Erreichbarkeit, dass die Sicherheitskräfte der Sicherheitszentrale meldeten, wenn sie zB joggen gingen. An 30 bis 40 Tagen im Jahr waren die Sicherheitskräfte angewiesen, (gar) keinen Alkohol zu konsumieren. Wollte ein Mitarbeiter für mehrere Stunden oder gar Tage nicht erreichbar sein oder * verlassen, musste er eine Erlaubnis einholen.
1.3 Diesen Sachverhalt haben die Vorinstanzen zutreffend dahin beurteilt, dass die Streitteile in Ergänzung zum schriftlichen Dienstvertrag konkludent (§ 863 ABGB) die (ständige) Rufbereitschaft des Kl vereinbart haben. [...] So übergab die Bekl dem Kl eben nicht bloß ein Smartphone, sondern verlangte von ihm auch, er habe immer erreichbar zu sein und müsse jederzeit (vor allem im Notfall) mit einer Indienstsetzung rechnen. Das hatte sehr wohl spürbare Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Kl, der im Fall eines Rufs eine substanzielle Arbeitsleistung zu erbringen und sich dafür geistig und körperlich bereit zu halten hatte. Es kommt nicht darauf an, wie oft die Arbeitsleistung des Kl tatsächlich abgerufen wurde, weil daraus, dass er nur gelegentlich in Anspruch genommen wurde, nicht folgt, dass er der Bekl nicht jederzeit zur Verfügung stand. Dass der Kl eine Indienststellung nahezu hat ausschließen können, wie die Bekl meint, steht nicht fest.
2.1 Die Bekl rügt als Aktenwidrigkeit, dass die Vorinstanzen [...] nicht annahmen, dass die erhöhte Erreichbarkeit als Teil des „Gesamtpakets“ pauschal abgegolten worden ist. Eine Aktenwidrigkeit liegt allerdings nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht aufgrund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen oder rechtlichen Schlussfolgerungen in einer bestimmten Richtung gelangt (RISJustiz RS0043324).537
2.2 Mit der Behauptung, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sei über die Abgeltung der Erreichbarkeit gesprochen worden und es seien die von der Bekl gewährten Vergünstigungen und das Fixum für Indienststellungen in einen Zusammenhang mit der Erreichbarkeit gestellt worden, entfernt sich die Revisionswerberin vom festgestellten Sachverhalt, wonach über die Frage eines Entgelts für die ständige Erreichbarkeit nie gesprochen wurde und die Bekl auch nie erwähnt hat, dass diese mit dem vereinbarten Entgelt oder anderen Vergünstigungen abgegolten wäre.
2.3 Damit erweist sich auch die Beurteilung der Vorinstanzen als richtig, dass die Parteien keine (auch nur konkludente) Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit oder die pauschale Abgeltung der ständigen Rufbereitschaft getroffen haben. Der Kl hat daher für diese vom ihm erbrachte (andere als Arbeits-)Leistung (mangels kollektivvertraglicher Regelung) gem § 1152 ABGB Anspruch auf ein angemessenes ortsübliches Entgelt (RIS-Justiz RS0027969).
3.1 Die Bekl bemängelt in ihrem Rechtsmittel jedoch erneut auch die Höhe der dem Kl von den Vorinstanzen zuerkannten Abgeltung. Ein Stundensatz von 3 € brutto sei überzogen, maximal erscheine eine Abgeltung in Höhe eines Drittels dieses Betrags – also 1 € brutto – gerechtfertigt.
Dieser Einwand lässt sich noch nicht abschließend klären.
3.2 Angemessen iSd § 1152 ABGB ist jenes Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das ergibt, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird oder wurde (Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1152 ABGB Rz 67; Krejci in Rummel3 § 1152 ABGB Rz 24, jeweils mwN). Ortsüblich ist das Entgelt, das in dem relevanten einheitlichen Arbeitsmarkt üblich ist (Rebhahn, aaO Rz 68). Als Richtschnur kommen kollektivvertragliche Löhne für vergleichbare Arbeiten oder bestehende Tarife in Betracht, sofern diese unter ähnlichen Umständen auch tatsächlich bezahlt werden (Krejci, aaO Rz 24 ff). Zu prüfen ist daher vor allem, welches Entgelt für Leistungen dieser Art ortsüblich geleistet wird (9 ObA 53/92).
3.3 Da das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung der Ortsüblichkeit des vom Kl begehrten Stundensatzes in diesem Sinne erlauben würden, war ihm die neuerliche E nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage bietet sich [...] die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens an. [...]
Der OGH hatte sich im vorliegenden Fall mit der Verpflichtung einer Sicherheitskraft zur ständigen Erreichbarkeit auf dem Diensthandy („24/7“ über einen Zeitraum von drei Jahren) und der dabei jederzeitigen Indienststellungsmöglichkeit zu befassen. Im Fokus der E stand jedoch nicht die offensichtliche Unzulässigkeit einer derartigen Vereinbarung (siehe 3.), sondern, ob diese aus arbeitszeitrechtlicher Sicht als Rufbereitschaft zu qualifizieren ist (siehe 2.) und aus entgeltrechtlicher Sicht eine pauschale Abgeltung oder Unentgeltlichkeit vereinbart worden war (siehe 4.1.).
Die höchstgerichtlichen Ausführungen zur (bejahten) Rufbereitschaft im Allgemeinen und der Anwendung des § 1152 ABGB (ortsübliches bzw angemessenes Entgelt) stellen kein Novum dar. Erstmals ging es jedoch um eine konkludente Vereinbarung von Rufbereitschaft (siehe 2.2.).
In Bezug auf die Entlohnung gelangte der OGH aufgrund fehlender Feststellungen zur Ortsüblichkeit zu keinem abschließenden Ergebnis (Pkt 3.3. der E). Offen bleibt damit zunächst auch, ob bzw inwiefern die „Immererreichbarkeit“ bei der Beurteilung der Angemessenheit des Entgelts zu berücksichtigen sein könnte (Risak in „Die Presse“ vom 21.3.2019). Dem soll in der vorliegenden Entscheidungsbesprechung ebenfalls nachgegangen werden (siehe 4.2.).
Wird die Erreichbarkeit des AN am Diensthandy angeordnet, liegt es nahe, das Vorliegen von Rufbereitschaft zu prüfen (Risak, Arbeiten in der Grauzone zwischen Arbeitszeit und Freizeit, ZAS 2013, 298). So geht auch der OGH einleitend auf die wesentlichen Charakteristika der Rufbereitschaft ein. Entscheidend in Bezug auf die Rechtsfolgen ist die Abgrenzung zur Arbeitsbereitschaft. Während der AN seinen Aufenthaltsort bei Rufbereitschaft selbst wählen und im Wesentlichen über die Verwendung dieser Zeiten frei entscheiden kann (siehe 2.3.), hat er sich im Fall der Arbeitsbereitschaft an einem vom AG bestimmten Ort aufzuhalten (zuletzt Bremm, Rufbereitschaft – eine alte, neue Herausforderung im betrieblichen Alltag? ÖZPR 2019, 36 mwN). Zeiten der Arbeitsbereitschaft sind – anders als Rufbereitschaftszeiten (vgl § 20a Abs 1 AZG: „außerhalb der Arbeitszeit“) – als Arbeitszeit zu qualifizieren. Erfolgen im Rahmen der Rufbereitschaft Arbeitseinsätze, sind aber auch diese als Arbeitszeit anzusehen (siehe etwa Schrank, Arbeitszeit5 [2018] § 20a AZG Rz 1). Von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung getrennt zu beurteilen ist die Frage der Entlohnung (vgl etwa OGH 30.11.2011, 9 ObA 25/11h; siehe 4.).
Rufbereitschaft ist zu vereinbaren; der AN ist daher nicht bereits aus seiner Treuepflicht heraus zur Rufbereitschaft verpflichtet. Bislang wurde in der Rsp allerdings auf eine „ausdrückliche“ Vereinbarung abgestellt (RIS-Justiz RS0021696). Im vorliegenden Fall genügte dem OGH eine konkludente Vereinbarung iSd § 863 ABGB (Pkt 1.3 der E), denn zum einen verlangt § 20a Abs 1 AZG keine Ausdrücklichkeit und zum anderen werden ausdrückliche538 und konkludente Willenserklärungen nach hA ohnedies gleichgestellt (vgl Rummel in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 863 ABGB Rz 18).
Wenngleich bei der Bejahung von schlüssigen Willenserklärungen, die für den AN nachteilig sind, aufgrund der persönlichen Abhängigkeit Vorsicht geboten ist (Bollenberger in KBB5 [2017] § 863 ABGB Rz 12), können im gegenständlichen Fall aus dem späteren Verhalten und der tatsächlichen Handhabung (Rummel, ABGB4 § 914 ABGB Rz 18) entsprechende Rückschlüsse gezogen werden: Der AN, der seinen Aufenthaltsort (im Wesentlichen; siehe 2.3.) selbst wählen konnte, musste außerhalb der Dienstzeit für eine jederzeitige Indienststellung erreichbar sein und wurde tatsächlich mehrfach kontaktiert und auch eingesetzt. Daran ändert auch die Unzulässigkeit der Vereinbarung in Bezug auf die „Immererreichbarkeit“ (siehe 3.) nichts.
Die Grenze zwischen Ruf- und Arbeitsbereitschaft kann fließend sein, weil gewisse Einschränkungen des AN hinsichtlich der freien Disposition über die Verwendung seiner Freizeit auch im Rahmen der Rufbereitschaft als zulässig erachtet werden, um „bei einem Ruf“ die Arbeitsaufnahme ohne Beeinträchtigung der Pflichten gewährleisten zu können (Pfeil, Anm zu VwGH91/19/0248
). Je stärker die Dispositionsfreiheit des AN eingeschränkt ist, desto mehr rückt die Rufbereitschaft in die Nähe der Arbeitsbereitschaft (Drs/Jobst, Abgrenzung Arbeitsbereitschaft von Rufbereitschaft beim Spitalsarzt, RdM 2015, 204 [212]; Löschnigg, Arbeitsrecht13 [2017] Rz 6/536). Nach Drs/Jobst (RdM 2015, 212) hat für Rufbereitschaften, „die gerade noch nicht als Arbeitsbereitschaft einzustufen sind“, das „angemessene“ Entgelt höher auszufallen als für solche, in denen die Freizeit nicht bzw nur wenig beschränkt ist.
Gegenständlich ging der OGH von einer „sehr wohl spürbare[n] Auswirkung auf die Freizeitgestaltung
“ des AN aus. In Hinblick auf die Entlohnungsfrage wäre daher eine nähere Auseinandersetzung mit dem Annäherungsgrad an eine Arbeitsbereitschaft wünschenswert gewesen. Der Spielraum, in dem noch von Rufbereitschaft und nicht bereits von Arbeitsbereitschaft auszugehen ist, misst sich an folgenden Kriterien:
Persönliche Einschränkungen: Alkoholverbote (hier: an 30 bis 40 Tagen im Jahr) und die Vermeidung von körperlichen Belastungen, die eine übermäßige Übermüdung nach sich ziehen (hier: Meldung, wenn der AN in den Park joggen gehen wollte), werden als zulässige Verhaltenseinschränkungen bei Rufbereitschaft angesehen (OGH 6.4.2005, 9 ObA 71/04p; Pfeil,
). Ein nüchterner und nicht übermüdeter Zustand zur Pflichterfüllung ist im Bereich des Objekt- und Personenschutzes von wesentlicher Bedeutung.Örtliche Einschränkungen: Gewisse Einschränkungen bei der Wahl des Aufenthaltsorts sind hinzunehmen; die Arbeit muss in angemessener Zeit aufgenommen werden können. Ein Zeitraum von einer halben Stunde zwischen einem „Ruf“ und der Arbeitsaufnahme wird noch als entsprechende Einschränkung angesehen (OGH 6.4.2005, 9 ObA 71/04p). Muss ein Feuerwehrmann innerhalb von acht Minuten am Einsatzort sein, ist hingegen von Arbeitsbereitschaft auszugehen (EuGH 21.2.2018, C-518/15, Matzak).
Eine möglichst rasche Arbeitsaufnahme wird nach der Art der Tätigkeit grundsätzlich auch bei Sicherheitsspezialisten (bei Terrorattacken oder Anschlägen; Pkt 1.2 der E) erforderlich sein. Ein konkreter Zeitraum bis zur Arbeitsaufnahme wurde aber nicht vereinbart bzw festgestellt. Den AN traf jedoch eine Meldepflicht und er musste eine Erlaubnis einholen, wenn er Wien („Die Presse“ vom 21.3.2019) verlassen wollte. Da es innerhalb Wiens jedenfalls eine halbe Stunde in Anspruch nehmen kann, um von A nach B zu gelangen (Drs/Jobst, RdM 2015, 208), kann daraus geschlossen werden, dass ein „sehr schnelles“ Eintreffen am Einsatzort wohl trotz der hochsensiblen Tätigkeit nicht gefordert war. Der Grund dafür mag darin liegen, dass jederzeit (neben den sich ohnedies in Dienst befindlichen AN) auf alle Sicherheitskräfte zugegriffen werden konnte.
Weitere örtliche Einschränkungen können sich bei einer Erreichbarkeit am Handy zudem – wie auch hier der Fall – aus dem Erfordernis einer ständigen Netzverbindung und der Akkulaufzeit ergeben (OGH 6.4.2005, 9 ObA 71/04p).
Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit des Einsatzes: Die Möglichkeit der freien Verwendung über die Freizeit ist umso geringer, je wahrscheinlicher ein Einsatz ist und je häufiger tatsächlich Arbeit anfällt (VwGH 2.12.1991, 91/19/0248). Nach dem festgestellten Sachverhalt erfolgte im Jahr 2013 eine Indienststellung acht Mal, im Jahr 2014 vier Mal und im Jahr 2015 überhaupt nicht. Zu der Behauptung des AG, der AN hätte eine Indienststellung nahezu ausschließen können, konnte allerdings nur eine Negativfeststellung getroffen werden (Pkt 1.3 der E).
Der AN wurde jedoch häufig (rund fünf bis sieben Mal pro Monat) angerufen, wobei zum „
weit überwiegenden Teil
“ Dienstplanänderungen den Gesprächsinhalt bildeten. Der Zweck der Rufbereitschaft liegt darin, dass bei einem „Ruf“ jene Leistungen erbracht werden, die auch während der Normalarbeitszeit zu erbringen sind (zu telefonischen Erledigungen vgl Risak, ZAS 2013, 298; Drs/Jobst, RdM 2015, 2010 mwN). Auf „bloße“ Dienstplanänderungen (allg Schrank, Arbeitszeit5 § 19c AZG Rz 29a) trifft dies nicht zu. Dies ändert aber nichts daran, dass es dem AN freilich nicht möglich war, vorherzusehen, ob bei einem Anruf eine Indienststellung oder eine Dienstplanänderung erfolgen wird. Es musste somit – wie auch der OGH ausführt (Pkt 1.3 der E) – bei jedem der Anrufe mit einer Indienststellung gerechnet werden.Bedeutung des Einsatzes: Muss der AN daher allzeit damit rechnen, dass er aufgrund eines539 Anschlags oder einer Terrorattacke in Dienst gestellt werden könnte und auch regelmäßig auf das Diensthandy schauen, wird dies eine erhebliche psychische Anspannung mit sich bringen und die Qualität der Freizeit entsprechend mindern.
Insgesamt ergibt sich eine Einschränkung der Dispositionsfreiheit des AN hinsichtlich seiner Freizeit in einem Maße, das zu einer Annäherung an Arbeitsbereitschaft führt.
Rufbereitschaft kann als Mischverhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit angesehen werden (siehe 2.3.), wobei dem AN aber ein Mindestausmaß an „ungetrübter Freizeit“ erhalten bleiben muss. Daher hat der Gesetzgeber mit § 20a Abs 1 AZG Häufigkeitsobergrenzen eingeführt (vgl RIS-Justiz RS0105250), wonach Rufbereitschaft an höchstens zehn Tagen pro Monat vereinbart werden darf. Der KollV kann Rufbereitschaften an 30 Tagen innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten zulassen. Leistet der AN während der Rufbereitschaft Arbeiten, kann die tägliche Ruhezeit unterbrochen werden, sofern innerhalb von zwei Wochen eine andere tägliche Ruhezeit um vier Stunden verlängert wird. Ein Teil der Ruhezeit muss aber mindestens acht Stunden betragen (vgl § 20a Abs 2 AZG). Die nach § 20a Abs 1 AZG zulässigen Rufbereitschaftstage dürfen überdies gem § 6a ARG höchstens zwei wöchentliche Ruhezeiten pro Monat betreffen (vgl §§ 3 f ARG). Vereinbarungen über das zulässige Ausmaß hinaus sind unwirksam (OGH 6.4.2005, 9 ObA 71/04p) und nach § 28 Abs 1 Z 2 AZG strafbar.
Obwohl es im vorliegenden Fall nicht um die Unzulässigkeit der Vereinbarung ging, verwundert es dennoch, dass der OGH auf die eklatante Überschreitung durch die „Immererreichbarkeit“ nicht einmal hingewiesen hat. Insb wäre eine etwaige Auswirkung auf die Angemessenheit der Entlohnung interessant gewesen (siehe 4.2.).
Jede zeitliche Bindung des AN für Zwecke des AG und damit auch „bloßes Warten“ im Rahmen der Rufbereitschaft ist als Leistung und teilweise Inanspruchnahme der Arbeitskraft anzusehen. Die Zahlung eines Entgelts kann daher nicht mit dem Argument versagt werden, dass keine Arbeit geleistet wird (RIS-Justiz RS0021688). Die Vereinbarung eines geringeren Entgelts als für „eigentliche“ Arbeitsleistungen ist jedoch möglich (Tomandl, Arbeitszeit – Wegzeit – sonstige Zeiten, ZAS 2019, 73 [81]).
Im vorliegenden Fall behauptete der AG die Vereinbarung einer pauschalen Abgeltung der „Immererreichbarkeit“ durch das Gehalt und andere Vergünstigungen. Den Feststellungen zufolge wurde über eine derartige Abgeltung jedoch nie gesprochen. Die Information, dass die Erreichbarkeit „integraler Teil der Arbeit“ sei, kann vom AN iSd § 914 ABGB nur in Bezug auf die Leistung der ständigen Rufbereitschaft an sich, nicht aber eine Pauschalabgeltung verstanden worden sein.
Grundsätzlich ist es auch möglich, für Zeiten der Rufbereitschaft Unentgeltlichkeit zu vereinbaren (Drs/Jobst, RdM 2015, 213 mwN). Das Bestehen einer „(auch nur konkludente[n]) Unentgeltlichkeitsvereinbarung
“ wurde im gegenständlichen Fall ebenfalls verneint (Pkt 2.3 der E). Der OGH hat bereits in der E vom 18.3.1992, 9 ObA 53/92 festgehalten, dass auch aus der bloßen Übernahme eines Rufgerätes ohne Entgeltzusage noch keine Unentgeltlichkeitsvereinbarung abzuleiten ist.
Mangels Vereinbarung gebührt ein angemessenes (ortsübliches) Entgelt (vgl § 1152 ABGB). Eine dementsprechende Entlohnung hat auch für unzulässig geleistete, weil die Häufigkeitsgrenzen des § 20a AZG überschreitende Rufbereitschaftszeiten zu erfolgen (Karner in Mazal/Risak [Hrsg], System und Praxiskommentar [Losebl] Kapitel VI Rz 7c; zur Entlohnung von über die Höchstgrenzen hinaus erbrachten Überstunden, vgl Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 10 AZG Rz 4).
Bei Beurteilung der Angemessenheit sind alle Umstände zu berücksichtigen und es ist darauf Bedacht zu nehmen, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird (RIS-Justiz RS0038346).
Ist nicht ohnedies ein KollV anzuwenden, kann als Richtschnur das in einem ähnlichen KollV geregelte Entgelt herangezogen werden. Ist das ortsübliche Entgelt (ausdrücklich § 6 AngG) höher, bildet dieses „das Maß der Angemessenheit“ (Krejci in Rummel [Hrsg], ABGB3 § 1152 ABGB Rz 24 f). Während im Rahmen des Angemessenheitsprinzips alle Umstände Berücksichtigung finden können, die für das konkrete Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind, werden für die Ortsüblichkeit ausschließlich externe Faktoren wie das allgemeine Lohnniveau der Region, vergleichbare Tätigkeiten und Unternehmen etc herangezogen (Löschnigg in Löschnigg [Hrsg], AngG10 [2016] § 6 Rz 191). Der OGH hat dem Erstgericht „vor allem
“ die Feststellung des ortsüblichen Entgelts aufgetragen.
Da im vorliegenden Fall kein KollV zur Anwendung gelangte, kann auf ähnliche Kollektivverträge zurückgegriffen werden. Die Ähnlichkeit ist insb bei gleichartigen Dienstleistungen (iSd § 18 Abs 3 Z 3 ArbVG; Rebhahn in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB-ON1.03 § 1152 ABGB Rz 19) mit jenen, die dem KollV unterliegen, anzunehmen. Als ähnlicher KollV käme etwa der KollV für Wachorgane im Bewachungsgewerbe in Betracht; dieser enthält allerdings keine Abgeltung von Rufbereitschaftszeiten. Eine weitere Möglichkeit wäre es, bei der Ähnlichkeit nicht auf die Gleichartigkeit des Dienstverhältnisses abzustellen, sondern als Richtschnur generell kollektivvertragliche Entgeltregelungen für Rufbereitschaftszeiten heranzuziehen. So sieht etwa der SWÖ-KollV540 für Rufbereitschaften eine Abgeltung iHv € 3,22 pro Stunde vor. Der IT-KollV enthält eine Pauschale iHv € 4,33 pro Stunde. Nach dem Caritas-KollV ist für die erste bis zehnte Stunde ein Betrag iHv € 3,08 pro Stunde, für die elfte bis 16. Stunde iHv € 2,01 pro Stunde und für darüber hinausgehende Stunden eine Pauschale iHv € 51,70 zu entrichten. Bei Rufbereitschaften von über 24 Stunden wird „jede zusätzlich angefangene 6 Stundenperiode
“ pauschal mit € 12,93 abgegolten.
Bei einer Flugbegleiterin wurden beispielsweise 20 % des Grundlohnes als angemessen angesehen (OLG Wien7 Ra 121/05y ARD 5707/4/2006; Erreichbarkeit rund um die Uhr). Umgelegt auf den vorliegenden Fall ergäbe dies einen Stundenlohn von etwa € 3,37.
Zu berücksichtigen bei der Entgeltbemessung ist auch die Annäherung an eine Arbeitsbereitschaft (siehe 2.3.).
Fraglich ist weiters, ob die ständige Erreichbarkeit während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses an sich und die sich dadurch – über die zulässigen Einschränkungen (siehe 2.3.) hinaus – ergebende Beeinträchtigung der Freizeit des AN als weitere Komponente im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu einem höheren Stundenlohn führen könnte. Bei der „Immererreichbarkeit“ handelt es sich nicht um eine zusätzlich erbrachte Leistung (iSv Rufbereitschaft; siehe 4.1.); diese ergibt sich „nur“ aus den (angemessen zu entlohnenden) zulässig und unzulässig geleisteten Rufbereitschaftszeiten. Nach § 1152 ABGB ist bei der Entgeltbemessung jedoch auf alle Umstände Bedacht zu nehmen, weshalb auch der Umstand der ständigen Erreichbarkeit in die Angemessenheit des Entgelts einzubeziehen ist. Dementsprechend hält auch das Berufungsgericht den Stundensatz von € 3,– bei einer Gesamtbetrachtung unter „Berücksichtigung der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgehenden vereinbarten und erbrachten Rufbereitschaft [...]
“ für angemessen.
Die ständige Erreichbarkeit stellte für den AG auch einen Vorteil dar; dieser konnte immer auf den AN (bzw alle 35 Sicherheitskräfte) „zugreifen“. Vorteile, die der AG aus unzulässigen (bzw fehlenden) Arbeitszeitvereinbarungen zieht, hat der OGH in 8 ObA 116/04y (DRdA 2005, 417 [Schwarz]) – wenn auch nur obiter dictum – im Rahmen der Angemessenheitsprüfung in Form eines Zuschlags zum (im Unternehmen) üblichen Zeitlohn einfließen lassen (Löschnigg, Arbeitsrecht13 Rz 6/223; krit Schrank, Nichtige Bedarfsarbeitsverträge: Entgeltfolgen samt Flexibilitätszuschlag, ZAS 2006, 78). Auch im gegenständlichen Fall wäre es denkbar, einen „Immererreichbarkeitszuschlag“ in das für (zulässige und unzulässige) Rufbereitschaftszeiten angemessene Entgelt einfließen zu lassen, wobei dieser nicht als pönales Element hinsichtlich der unzulässigen Überschreitung zu verstehen ist, sondern von der Angemessenheit des Entgelts nach § 1152 ABGB gedeckt ist.
Am gegenständlichen Fall sind vor allem jene Aspekte bemerkenswert, zu denen der OGH keine Stellungnahme abgegeben hat. Dies betrifft einerseits die Unzulässigkeit (der Vereinbarung) einer ständigen Rufbereitschaft und andererseits die Höhe der angemessenen Entlohnung. Bei der Angemessenheit können der hohe Grad der Einschränkung der Freizeit des AN (siehe 2.3.) und ähnliche kollektivvertragliche Regelungen zur Abgeltung von Rufbereitschaft herangezogen werden; iVm der voranstehenden Judikatur (siehe 4.2.) ist auch ein „Immererreichbarkeitszuschlag“ denkbar. Eine Entlohnung im Rahmen der geltend gemachten € 3,– scheint jedenfalls angemessen. Wie das Erstgericht (neuerlich) entscheiden wird, bleibt abzuwarten.541