KämmererDer neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung: Verfassungs- und unionsrechtliche Fragen

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2017, 95 Seiten, € 49,90

MICHAELFRIEDRICH (GRAZ)

Mit der Novelle zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (im Folgenden dAÜG) vom 21.2.2017 hat der deutsche Gesetzgeber die Möglichkeiten der AN-Überlassung vor allem mit dem neu eingefügten § 1b dAÜG massiv beschränkt. Danach darf der Verleiher „denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 3 können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung übernommen werden. In einer auf Grund eines Tarifvertrages von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Können auf Grund eines Tarifvertrages nach Satz 5 abweichende Regelungen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen werden, kann auch in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Entleihers bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten davon Gebrauch gemacht werden, soweit nicht durch diesen Tarifvertrag eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festgelegt ist. Unterfällt der Betrieb des nicht tarifgebundenen Entleihers bei Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nach Satz 4 oder Satz 6 den Geltungsbereichen mehrerer Tarifverträge, ist auf den für die Branche des Entleihers repräsentativen Tarifvertrag abzustellen. Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften können von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauern in ihren Regelungen vorsehen“. Für den Fall des Überschreitens der zulässigen Höchstfristen der Überlassung nach § 1 Abs 1b dAÜG sieht § 9 Abs 1b dAÜG die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages zwischen Verleiher und Leih-AN vor, „es sei denn, der Leiharbeitnehmer erklärt schriftlich bis Ablauf eines Monats nach Ablauf nach Überschreiten der höchstzulässigen Überlassungsdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher, dass er am Arbeitsvertrag mit dem Verleiher festhält“.

Darüber hinaus sieht jetzt § 8 dAÜG erstmalig den Grundsatz der Gleichstellung zwischen entliehenen AN von vergleichbaren Stamm-AN vor. Dieser lautet wie folgt:

„(1) Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Erhält der Leiharbeitnehmer das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers im Entleihbetrieb geschuldete tarifvertragliche Arbeitsentgelt oder in Ermangelung eines solchen ein für vergleichbare Arbeitnehmer in der Einsatzbranche geltendes tarifvertragliches Arbeitsentgelt, wird vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts im Sinne von Satz 1 gleichgestellt ist. Werden im Betrieb des Entleihers Sachbezüge gewährt, kann ein Wertausgleich in Euro erfolgen.(2) Ein Tarifvertrag kann vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. Soweit ein solcher Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweicht, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung des Tarifvertrages vereinbaren. Soweit ein solcher Tarifvertrag die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer für jede Arbeitsstunde das im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers für eine Arbeitsstunde zu zahlende Arbeitsentgelt zu gewähren.(3) Eine abweichende tarifliche Regelung im Sinne von Absatz 2 gilt nicht für Leiharbeitnehmer, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem oder einem Arbeitgeber, der mit dem Entleiher einen Konzern im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes bildet, ausgeschieden sind.(4) Ein Tarifvertrag im Sinne des Absatzes 2 kann hinsichtlich des Arbeitsentgelts vom Gleichstellungsgrundsatz für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher abweichen. Eine längere Abweichung durch Tarifvertrag ist nur zulässig, wenn
  1. nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und

  2. nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt.

Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen.555(5) Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer mindestens das in einer Rechtsverordnung nach § 3a Absatz 2 für die Zeit der Überlassung und für Zeiten ohne Überlassung festgesetzte Mindeststundenentgelt zu zahlen.“

Das hier besprochene Werk ist die Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens, das der Verfasser im Auftrag des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. auf Grundlage der damaligen Gesetzesvorhaben zur AN-Überlassung erstattet hat. Es befasst sich mit der Vereinbarkeit dieses Gesetzesvorhabens bzw der dann auch in Kraft getretenen Neuerungen mit den Vorgaben der Leiharbeits-RL 2008/104/EG bzw des nationalen deutschen Verfassungsrechts. Aufgrund der wesentlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und österreichischen Kollektivvertrags-(Tarifvertrags-)system sowie auch wesentlicher Unterschiede im Verständnis der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit lassen sich die Ausführungen Kämmerers kaum nach Österreich übertragen, zumal auch das österreichische AÜG vergleichbare Regelungen nicht kennt.

Nach einer kurzen Erörterung des Gesetzesvorhabens wird zunächst vor dem Hintergrund der Art 1, 4 und 5 der Leiharbeits-RL dargestellt, wie in ausgesuchten anderen EU-Mitgliedstaaten die Arbeitskräfteüberlassung normiert ist. Dabei wird herausgearbeitet, dass es innerhalb der EU grob drei Varianten der gesetzlichen Regelung der Arbeitskräfteüberlassung gibt: das bspw in Deutschland und Österreich vorherrschende AG-Prinzip, bei dem der Überlasser der AG der überlassenen Arbeitskraft ist; dem bspw in England oder Frankreich geltenden Agenturprinzip, bei dem das Überlassungsverhältnis nicht vom Arbeitsverhältnis abstrahiert wird, der AN also mit dem Überlasser keinen klassischen Arbeitsvertrag, sondern einen Vertrag sui generis abschließt, der allein die Rahmenbedingungen der Überlassung regelt; sowie Mischsysteme aus diesen beiden Systemen, wie sie bspw in Spanien oder Portugal bestehen. Jörn Axel Kämmerer zieht daraus das Resümee, dass die Leiharbeits-RL Raum für unterschiedliche Systeme offenlässt, jedoch der Equal-Pay-Grundsatz zu beachten ist; angesichts der Ausnahmemöglichkeiten, die Art 5 Abs 2 bis 5 der Leiharbeits-RL den nationalen Gesetzgebern sowie den Tarifverträgen eröffnet, die innerhalb der jeweiligen Mitgliedstaaten teils vollumfänglich, teils überhaupt nicht genutzt wurden, lässt sich kaum ein einheitlicher systematischer Mindeststandard in der EU feststellen.

In Bezug auf die österreichische Rechtslage äußert der Autor insofern Bedenken, dass § 10 AÜG nur verlange, dass auf das kollektivvertragliche Mindestniveau im Beschäftigerbetrieb Bedacht zu nehmen sei, wodurch möglicherweise keine Verbindlichkeit des im Beschäftigerbetrieb anzuwendenden KollV gegeben sei. Ich halte diese Kritik jedoch für unberechtigt, zumal sich Kämmerer weder mit den Unterschieden der Kollektivvertragssysteme zwischen Deutschland und Österreich auseinandergesetzt hat noch sich mit der einschlägigen Rsp befasst hat, die keinen Anlass zu dieser Kritik bietet.

Im Folgenden untersucht Kämmerer zunächst die Europarechts- und Verfassungskonformität der Vorgaben des dAÜG zur tarifdispositiven Ausgestaltung des Equal-Pay-Systems. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Leiharbeits-RL den Mitgliedstaaten freistellt, ob und wie sie eine etwaige Tarifdispositivität vorsehen, so dass der nach neun Monaten verpflichtenden, nicht tarifdispositiven Equal-Pay-Regelung keine Bedenken entgegenzubringen sind. Hingegen sieht der Autor durch diese Regelung einen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Berufsfreiheit gem Art 12 GG sowie in die Koalitionsfreiheit gem Art 9 Abs 3 GG sowohl der AG-Verbände als auch der Gewerkschaften, wenn diesen nach neun Monaten der Überlassung die Regelungsbefugnis für das Entgelt überlassener AN genommen wird. Eingriffe in die Koalitionsfreiheit seien grundsätzlich nur zulässig, wenn sie dem Schutz eines Rechtsgutes von Verfassungsrang wie bspw dem Sozialstaatsprinzip dienen. Diese Verfassungsgüter seien dann gegeneinander abzuwägen (Prinzip der praktischen Konkordanz). Nach der Auffassung Kämmerers sei insb der durch das Sozialstaatsprinzip vorgegebene Schutz der Leih-AN wie der Stammbelegschaft nicht geeignet, die Beschränkung der Koalitionsfreiheit zu rechtfertigen, da, wie auch die alte Rechtslage in Deutschland zeigt, eine unbefristete Tarifdispositivität einen hinreichenden AN-Schutz zu gewährleisten vermag. Im Ergebnis wirft der Autor dem deutschen Gesetzgeber somit vor, dass er über das erforderliche Maß der Beschränkung der Koalitionsfreiheit hinausgegangen ist.

Das zweite wesentliche Thema des besprochenen Buches ist die tarifdispositive Beschränkung der Leiharbeit auf 18 Monate, was offensichtlich dazu dient, der Leiharbeits-RL insofern gerecht zu werden, als diese in Art 1 Abs 1 nur von vorübergehenden Überlassungen spricht, ohne aber im Folgenden eine zeitliche Höchstgrenze der AN-Überlassung vorzugeben. Hieraus schließt Kämmerer, mE zu Recht, dass es die Leiharbeits-RL nicht gebietet, dass der nationale Gesetzgeber eine höchstzulässige Dauer der AN-Überlassung vorgibt. Andernfalls wäre auch das österreichische AÜG europarechtlich bedenklich. Auch in dieser Regelung sieht er jedoch eine unzulässige Verletzung der Berufsfreiheit wie der Koalitionsfreiheit. Er begründet dies im Wesentlichen damit, dass diese Regelung zum einen nicht dazu geeignet sei, Missbrauch durch Leiharbeit zu verhindern und zum anderen unverhältnismäßig in die berechtigten Interessen und Grundrechte der Leiharbeitsunternehmen, Leih-AN und Beschäftiger eingreife.

Spannend für Österreich wäre gewesen, wenn der Autor Ausführungen zu § 9 Abs 1b dAÜG und zur grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung getroffen hätte. Was passiert, wenn ein AN eines deutschen Leiharbeitsunternehmens länger als 18 Monate in Österreich beschäftigt wird. Da beide Staaten nach dem AG-Prinzip vorgehen, ist nach 18 Monaten der deutsche Arbeitsvertrag zum Überlasser unwirksam, sofern der AN nicht in das Arbeitsverhältnis zum Überlasser optiert. Arbeitet die überlassene Arbeitskraft dann in Österreich weiter, so wird es wohl konkludent gem § 863 ABGB zu einem Arbeitsvertrag zwischen dem bisherigen Leih-AN und dem bisherigen österreichischen Beschäftiger kommen. Diese Problematik verdient aber einen eigenen Aufsatz.556