Kiel/Lunk/Oetker (Hrsg)Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht – Individualarbeitsrecht I & II

4. Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2018, CXI, 4.689 Seiten, Leinen, € 512,–

FRANZMARHOLD (WIEN)

Knapp zehn Jahre ließ die Neuauflage des „Münchener Handbuchs zum Arbeitsrecht“ (MHzA) auf sich warten. Eine Zeitspanne, die gerade im Arbeitsrecht, national wie international, eine Fülle an Veränderungen mit sich bringt. Das Handbuch wurde nicht nur aktualisiert, sondern überrascht in seiner vierten Auflage durch seinen deutlich gewachsenen Umfang.

Ursprünglich als dreibändiges Werk konzipiert, strafften die Herausgeber die umfassende Darstellung des deutschen Arbeitsrechts in seiner dritten Auflage auf zwei Bände. Dabei widmete sich Band 1 nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen des Arbeitsrechts dem Individualarbeitsrecht, Band 2 dem Kollektivarbeitsrecht, dem AN-Schutzrecht sowie Sonderformen von Arbeitsverhältnissen.

Unter Beibehaltung dieser Grundstruktur wurde das Standardwerk nun auf vier Bände erweitert, die sukzessive seit 2018 erscheinen. Neben den zuvor in Band 1 zusammengefassten Themen umfassen die beiden Bände zum Individualarbeitsrecht nun auch Abschnitte zu Sondergestaltungen von Arbeitsverhältnissen, Berufs- und Betriebsdifferenzierungen im Arbeitsverhältnis sowie das AN-Schutzrecht.

Laut Vorwort soll das Handbuch „der Wissenschaft, der Rechtsprechung und der Gesetzgebung eine wichtige Orientierung [...] und überzeugende Hinweise für die Weiterentwicklung“ geben und „Praktikern [...] ein verläßliches und ausreichendes Hilfsmittel beim täglichen Umgang mit dem Arbeitsrecht“ sein.

Obgleich das Handbuch nach wie vor einen grundlegenden Überblick über die wichtigsten Institutionen des deutschen Arbeitsrechts vermitteln konnte, wurde es dieser Zielsetzung in seiner dritten Auflage seit geraumer Zeit aufgrund mangelnder Aktualität nicht mehr gerecht. Rsp, Lehre und seit April 2009 ergangene und geplante Gesetzesänderungen wurden nunmehr miteinbezogen. Neuer Bearbeitungsstand ist August 2017 (Bd 1) bzw April 2018 (Bd 2).

Die Neuauflage musste vor allem die Entwicklung des Unionsrechts berücksichtigen. Dazu zählt – als durchaus plakatives Beispiel – das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon. Für das Individualarbeitsrecht stieg auch die Relevanz der EuGH-Judikatur. Oetker bespricht diese und weitere Neuerungen bereits im zweiten Kapitel zum europäischen und internationalen Arbeitsrecht. Eingearbeitet wurden seither beschlossene EU-Verordnungen (EUGVVO, DSGVO uvm), EU-Richtlinien und deren Auslegung durch den EuGH bzw darüberhinausgehende Rsp – auch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR).

In der Entwicklung des Arbeitsrechts auf EU-Ebene hat jedoch auch die Grundrechtecharta (GRC) erheblich an Einfluss gewonnen. Die aktuelle EuGH-Rsp (zuletzt EuGH 14.5.2019, C-55/18, CCOO; zuvor auch schon in EuGH 20.1.2009, C-350/06, Schultz-Hoff oder EuGH 12.6.2014, C-118/13Bollacke, ) gesteht den dort verankerten Grundrechten eine (in der Lehre umstrittene) Drittwirkung zu, aus der sich auch direkte Pflichten des AG ableiten lassen.

Im Kapitel zu den europarechtlichen Grundlagen von Oetker findet sich eine im Lichte dieser Entwicklung weitergehende Auseinandersetzung mit der GRC und mit Richtlinien, die diese konkretisieren, zwar nicht; aufgeworfen und näher beleuchtet wird die strittige Frage zur unmittelbaren Wirkung des Art 31 Abs 2 GRC schließlich aber bspw von Klose in seinem Kapitel zum Urlaubsrecht.

Abseits des Unionsrechts sind auch nationale Entwicklungen nicht unberücksichtigt geblieben, darunter ua Gesetzesänderungen im Bereich der AN-Überlassung, aber auch der neu eingeführte § 611a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), der durch genaue Abgrenzung des Arbeitsvertrages als eigenen Vertragstypus Missbrauch durch AN-Überlassung vorbeugen soll. Benecke geht dazu nicht nur auf dessen Inhalt, sondern auch auf die Entstehungsgeschichte und die weitgehende Anlehnung des Gesetzgebers an die Rsp des BAG bei der Definition des AN-Begriffes und des Arbeitsverhältnisses ein. Weiters werden auch Neuregelungen im BEinstG, dem SGB IX, der ArbStVO (Arbeitsstättenverordnung), dem MindestlohnG uvm berücksichtigt.

Auch aktuelle Entwicklungen durch die voranschreitende Technisierung in der Arbeitswelt werden in verschiedensten Kapiteln aufgegriffen. Dem Thema Datenschutz und den Auswirkungen der DSGVO widmet sich Reichold ausführlich in seinem Kapitel zum Datenschutz im Arbeitsverhältnis. Ferner werden in Themenbereichen wie der Einstellungskontrolle, dem betrieblichen Einstellungsmanagement, der Videoüberwachung oder der Telearbeit Fragen zum Daten- und Persönlichkeitsschutz behandelt. Besprochen werden außerdem mit der Technisierung einhergehende, neue und umstrittene Probleme, wie die Einordnung von CrowdworkerInnen in bestehende AN-Kategorien oder die Behandlung von WhistleblowerInnen.

Allgemein hat die deutsche Lehre und Rsp auch erheblichen Einfluss auf das österreichische Arbeitsrecht. Nicht selten werden, aufgrund der gemeinsamen Sprache und der ähnlichen Rechtslandschaft, Denkanstöße in der deutschen Literatur gesucht. Eben diese kann das MHzA durch Aufbereitung zahlreicher Themen und Verweise auf die maßgebliche Rsp und Literatur bieten.

PraktikerInnen wiederum finden in der vierten Auflage zu Fragestellungen von der Stellenausschreibung über den Abschluss des Arbeitsvertrages bis hin zum AN-Schutz gut aufbereitete Antworten. Darüber hinaus werden auch Themen wie Personalplanung oder Arbeitsförderung besprochen. Grundlegend für die hervorragende Eignung des Handbuchs auch über die betriebliche Praxis hinaus ist einerseits die Vielzahl der besprochenen Themengebiete, andererseits der Tiefgang der jeweiligen Ausführungen und die Einarbeitung von nationaler wie internationaler Rsp und Literatur.

Zusammenfassend kann die vierte Auflage des MHzA als gelungene und ausführliche Gesamtschau über die Fülle an Rechtsquellen, Judikatur und Lehrmeinungen des deutschen Arbeitsrechts beschrieben werden. Das nicht nur in Deutschland sehr geschätzte Standardwerk wird seinem Ruf als Institution in der557 deutschen Arbeitsrechtsliteratur durch wiedergewonnene Aktualität abermals gerecht.