MißbichlerRechtsprobleme kollektivvertraglicher Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit
Verlag des ÖGB, Wien 2018, 124 Seiten, kartoniert, € 24,90
MißbichlerRechtsprobleme kollektivvertraglicher Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit
Das moderne Wirtschaftsleben mit seinen breit gefächerten Anforderungen ist nicht mit allzu starren Arbeitszeitgrenzen vereinbar. Um den branchenspezifischen Unterschieden Rechnung zu tragen, hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, die konkreten Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit vielfach mittels sogenannter Zulassungsnormen in die Entscheidungsmacht der Kollektivvertragsparteien zu stellen. Dies gewährleistet eine faire Verhandlung der Arbeitszeitbedingungen auf Augenhöhe zwischen Gewerkschaft und Wirtschaftskammer, die auf betrieblicher Ebene oder in Einzelverhandlungen aufgrund des vorliegenden wirtschaftlichen Ungleichgewichts nicht gegeben sein kann.
Diese in den Kollektivverträgen enthaltenen Arbeitszeitbestimmungen sind in der Praxis von großer Relevanz. Umso erstaunlicher ist es, dass sich in den Kollektivverträgen zum Teil arbeitszeitspezifische Regelungen finden, deren Vereinbarkeit mit dem Arbeitszeitgesetz (AZG) oder anderen grundlegenden Normen – auch wegen der in diesem Bereich oft nur spärlich vorhandenen rechtswissenschaftlichen Literatur – oft fraglich ist. Der Untersuchung dieser offenen Fragen hat die Autorin das vorliegende Werk gewidmet, das auf ihrer im August 2018 an der Universität Salzburg approbierten Diplomarbeit basiert.
Zunächst werden zum besseren Verständnis die gesetzlichen Rahmenbedingungen in AZG und Arbeitsruhegesetz (ARG) dargestellt. Die Änderungen durch die Arbeitszeitreform 2018 sind noch nicht in den Text eingearbeitet, sondern – wo sie schlagend werden – in Fußnoten vermerkt. In einem eigenen Kapitel findet sich eine Zusammenfassung der Neuerungen.
Im Anschluss an die Darstellung der gesetzlichen Flexibilisierungsmöglichkeiten wird an Hand einiger ausgewählter Kollektivverträge untersucht, inwieweit die Kollektivvertragsparteien von den im AZG vorhandenen Zulassungsermächtigungen Gebrauch gemacht haben, welche Problemfelder sich dadurch eröffnet haben und wie diese in Schrifttum und Judikatur gelöst wurden.
Untersucht werden beispielsweise folgende Rechtsfragen:
Der Metallindustrie-KollV verlangt für die Rechtswirksamkeit von Betriebsvereinbarungen zu bestimmten Bandbreitendurchrechnungs- bzw Schichtplanmodellen zusätzlich die Zustimmung der Kollektivvertragspartner. Dies sprengt zwar einerseits den vom ArbVG vorgegebenen Rahmen, andererseits kann aber die Vereinbarung von Zustimmungsvorbehalten als dem Schutzgedanken des AZG entsprechend gesehen werden. Die Autorin schließt sich Zweiterem an, indem sie den Größenschluss zieht, dass eine teilweise Delegation der Regelungsmacht durch den KollV an die BV wohl zulässig sein wird, wenn auch die gänzliche Weitergabe zulässig wäre.561
Die Frage nach der Rechtswirksamkeit einer im Metallindustrie-KollV getroffenen Festlegung eines geringeren Divisors für die Berechnung des Überstundenzuschlags, wobei aber andere Entgeltbestandteile bei der Berechnung unberücksichtigt zu bleiben haben, bejaht die Autorin, sofern die Regelung die Günstigkeitsprüfung besteht.
Die praktisch immer wieder relevante Frage, ob der KollV Mitbestimmungsrechte der AN-Vertreter einführen kann, wird an Hand des Metallindustrie-KollV untersucht, der die Rechtsgültigkeit der Schichtarbeit an den Abschluss einer BV über den Schichtplan koppelt. Darin kann eine unzulässige Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des ArbVG gesehen werden. Die Autorin plädiert hier allerdings mit guten Gründen für die Wirksamkeit solcher Regelungen.
Die im Metallgewerbe-KollV enthaltenen abweichenden täglichen Arbeitszeitgrenzen für männliche und weibliche Portiere sind nach Ansicht der Autorin diskriminierender Natur und verstoßen gegen den arbeitsrechtlichen Gleichheitssatz, eine Wertung, die ja auch schon aus der E des EuGH hinsichtlich des Nachtarbeitsverbots für Frauen hervorgeht (EuGH 25.7.1991, C-345/89).
Eine Regelung im Metallindustrie-KollV, die eine Einarbeitung in Verbindung mit Feiertagen nur im Einvernehmen mit dem BR zulässt und nur für den Fall, dass der betreffende Betrieb nicht der Betriebsratspflicht unterliegt (wo also weniger als fünf AN beschäftigt sind), dies durch Einzelvereinbarung möglich sein soll, erachtet die Autorin aus grundrechtlicher Sicht als bedenklich.
Am Fall des KollV für Bedienstete der österreichischen Seilbahnen schildert die Autorin den durch das Urteil des OGH vom 25.11.2014, 8 ObA 67/14g, festgestellten Verstoß gegen die (damaligen) Höchstgrenzen der Arbeitszeit, die vorzunehmende geltungserhaltende Reduktion und die darauf folgende Neuformulierung der arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen im KollV.
Die Autorin nennt den KollV für Angestellte in Reisebüros und den KollV der Bediensteten der österreichischen Seilbahnen als Beispiele, in denen explizit Regelungen für eine Durchrechnung des Mehrarbeitszuschlages enthalten sind bzw eine solche ausdrücklich ausgeschlossen wird. Anschließend widmet sie sich umfassend der Frage, ob allgemeine Durchrechnungsbestimmungen in Kollektivverträgen auf Teilzeitbeschäftigte anzuwenden sind und kommt zu dem Ergebnis, dass Flexibilisierungsmodelle iSd § 4 AZG nur die Verteilung der Normalarbeitszeit in Abgrenzung zu den Überstunden regeln, jedoch nichts über den Mehrarbeitszuschlag aussagen.
Den Teilzeit-AN gebührt nach dem KollV der Sozialwirtschaft Österreichs in Abweichung von der gesetzlichen Grundregel erst ab der dritten Mehrstunde der Zuschlag von 25 %. Die Autorin kommt unter Berücksichtigung der Rsp des EuGH zum Ergebnis, dass damit eine mittelbare Diskriminierung vorliegt.
Die Autorin greift ein buntes Spektrum kollektivvertraglicher Arbeitszeitregelungen in mehreren Kollektivverträgen zur näheren Untersuchung heraus.
Die Auswahl folgt keiner ersichtlichen Systematik. Es soll sich ja auch um keine umfassende, sondern nur um eine beispielhafte Auswahl handeln, die sich aus dem Studium einschlägiger Literatur und Judikatur sowie aus Tipps von PraktikerInnen, die in ihrem täglichen Berufsleben mit womöglich problematischen Kollektivvertragsbestimmungen zu tun haben, ergab. Somit ist davon auszugehen, dass die angesprochenen Rechtsprobleme auch in einer Vielzahl weiterer, hier nicht erwähnter Kollektivverträge von Bedeutung sind.
Wie oben geschildert reichen die ausgewählten Problemfelder von kollektivvertraglichen Verstößen gegen gesetzliche Arbeitszeitgrenzen über Überlegungen zur Zulässigkeit von in Kollektivverträgen enthaltenen Mitbestimmungsregeln über Fragen der Diskriminierung und Grundrechtskonformität kollektivvertraglicher Regelungen bis zur Interpretation von gesetzlichen Arbeitszeitregelungen. Diesbezüglich ist insb das Kapitel über die (Un-)Zulässigkeit der Anwendung kollektivvertraglicher Durchrechnungsregeln auf Teilzeitbeschäftigte, das eine ausführliche Interpretation der §§ 19d Abs 2, Abs 3b Z 1 AZG vornimmt, von Interesse.
Die Autorin bearbeitet die auftretenden Rechtsfragen mit großer Sorgfalt unter ausführlicher Erläuterung der vorhandenen Literatur und Rsp. Sie zieht eigene Schlüsse und schreckt auch nicht davor zurück, sich gegebenenfalls für die Nichtigkeit kollektivvertraglicher Regelungen auszusprechen. Insb für den des Öfteren mit der Interpretation kollektivvertraglicher Arbeitszeitregelungen befassten Leser wird dieses Büchlein von großem Interesse sein.