45Karfreitagsregelung – Diskriminierung aufgrund der Religion
Karfreitagsregelung – Diskriminierung aufgrund der Religion
Art 1 und Art 2 Abs 2 der RL 2000/78 sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die AN ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese AN, wenn sie zur Arbeit an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Feiertagsentgelt haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt.
Art 21 der GRC ist dahin auszulegen, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den AN, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater AG, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen AN das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn herangetreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf Feiertagsentgelt zuzuerkennen.
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13 Herr Achatzi ist AN bei Cresco, einer privaten Detektei, und gehört keiner der genannten Kirchen an. Er ist der Ansicht, ihm sei für die von ihm am 3.4.2015, einem Karfreitag, geleistete Arbeit das Feiertagsentgelt in diskriminierender Weise vorenthalten worden, und begehrt aus diesem Grund von seinem AG die Zahlung von 109,09 € zuzüglich Zinsen.
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28 Unter diesen Umständen hat der OGH beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist das Unionsrecht, insb Art 21 GRC iVm Art 1 und Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78, dahin auszulegen, dass es in einem Rechtsstreit zwischen AN und AG im Zusammenhang mit einem privaten Arbeitsverhältnis einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der nur für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche auch der Karfreitag ein Feiertag mit einer ununterbrochenen Ruhezeit von mindestens 24 Stunden ist und im Fall der Beschäftigung des AN trotz Feiertagsruhe neben dem Anspruch auf Entgelt für die infolge des Feiertags ausgefallene Arbeit auch ein Anspruch auf das Entgelt für die geleistete Arbeit gebührt, anderen AN, die diesen Kirchen nicht angehören, jedoch nicht?
2. Ist das Unionsrecht, insb Art 21 GRC iVm Art 2 Abs 5 der RL 2000/78, dahin auszulegen, dass die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung, die – gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung und der Zugehörigkeit der Mehrzahl zur römisch-katholischen Kirche – nur einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Angehörigen bestimmter (anderer) Kirchen Rechte und Ansprüche einräumt, durch diese RL deshalb nicht berührt wird, weil es sich um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, insbesondere des Rechts auf Freiheit der Religionsausübung, notwendig ist?
3. Ist das Unionsrecht, insb Art 21 GRC iVm Art 7 Abs 1 der RL 2000/78, dahin auszulegen, dass die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung eine positive und spezifische Maßnahme zugunsten der Angehörigen der in der ersten Frage genannten Kirchen zur Gewährleistung deren völliger Gleichstellung im Berufsleben ist, um Benachteiligungen dieser Angehörigen wegen der Religion zu verhindern oder auszugleichen, wenn ihnen damit das gleiche Recht auf Religionsausübung während der Arbeitszeit an einem für diese Religion hohen Feiertag eingeräumt wird, wie es sonst für die Mehrheit der AN nach einer anderen nationalen Regelung dadurch besteht, dass an den Feiertagen der Religion, zu der sich die Mehrheit der AN bekennt, generell arbeitsfrei ist?
Bei Bejahung einer Diskriminierung iSd Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78:
4. Ist das Unionsrecht, insb Art 21 GRC iVm Art 1, Art 2 Abs 2 Buchst a und Art 7 Abs 1 der RL 2000/78, dahin auszulegen, dass der private AG, solange vom Gesetzgeber keine diskriminierungsfreie Rechtslage geschaffen wurde, allen AN, ungeachtet ihrer Religionsangehörigkeit, die in der ersten Frage dargelegten Rechte und Ansprüche in Bezug auf den Karfreitag zu gewähren hat, oder hat die in der ersten Frage dargelegte nationale Regelung insgesamt unangewendet zu bleiben, so dass die in der ersten Frage dargelegten Rechte und Ansprüche am Karfreitag keinem AN zuzugestehen sind?
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Zu den Vorlagefragen
Zu den ersten drei Fragen
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38 In diesem Zusammenhang ist erstens zu ermitteln, ob aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung eine unterschiedliche Behandlung von AN auf der Grundlage ihrer Religion folgt.
39 Hierzu ist festzustellen, dass § 7 Abs 3 ARG allein den AN, die einer der relevanten Kirchen iSd ARG angehören, den Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zuerkennt. Daraus folgt, dass das Feiertagsentgelt, das der AN, der an einem Feiertag zur Ausübung seiner Berufstätigkeit herangezogen wird, nach § 9 Abs 5 ARG geltend machen kann, den am Karfreitag berufstätigen AN nur zusteht, wenn sie einer der genannten Kirchen angehören.502
40 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung begründet somit eine unmittelbar auf der Religion der AN beruhende unterschiedliche Behandlung. Das Unterscheidungskriterium, dessen sich diese Regelung bedient, entspringt nämlich unmittelbar der Zugehörigkeit der AN zu einer bestimmten Religion.
41 Zweitens ist zu untersuchen, ob diese unterschiedliche Behandlung Kategorien von AN betrifft, die sich in vergleichbaren Situationen befinden.
42 Das für die Feststellung einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geltende Erfordernis der Vergleichbarkeit der Situationen ist insoweit anhand aller die betreffenden Situationen kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen, insb im Licht des Gegenstands und des Ziels der nationalen Regelung, in der die fragliche Unterscheidung begründet liegt (vgl in diesem Sinne Urteile vom 16.7.2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C-83/14, EU:C:2015:480, Rn 89, und vom 26.6.2018, MB [Geschlechtsumwandlung und Altersrente], C-451/16, EU:C:2018:492, Rn 42).
43 Ferner ist klarzustellen, dass zum einen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, und zum anderen die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss (Urteil vom 19.7.2017, Abercrombie & Fitch Italia , C-143/16, EU:C:2017:566, Rn 25 und die dort angeführte Rsp).
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51 Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer Situationen nach Maßgabe der Religion bewirkt. Sie begründet somit eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Religion iSd Art 2 Abs 2 Buchst a der RL 2000/78.
52 Als Zweites ist zu prüfen, ob eine solche unmittelbare Diskriminierung auf der Grundlage des Art 2 Abs 5 oder des Art 7 Abs 1 der RL 2000/78 gerechtfertigt sein kann.
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58 Es steht aber fest, dass die Religionsfreiheit zu den vom Unionsrecht anerkannten Rechten und Grundfreiheiten gehört, wobei der Begriff der Religion insoweit so zu verstehen ist, dass er sowohl das forum internum, dh den Umstand, Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, dh die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit, umfasst (vgl in diesem Sinne Urteile vom 14.3.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn 28, und vom 14.3.2017, Bougnaoui und ADDH, C-188/15, EU:C:2017:204, Rn 30). Daraus folgt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber verfolgte Ziel gewiss zu den in Art 2 Abs 5 der RL 2000/78 angeführten Zielen gehört.
59 Drittens ist noch zu prüfen, ob die fraglichen Maßnahmen zum Schutz der Religionsfreiheit der betroffenen AN notwendig sind.
60 Dazu ist festzustellen, dass, wie die österreichische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat, der Möglichkeit für nicht den relevanten Kirchen iSd ARG angehörende AN, einen religiösen Feiertag zu begehen, der nicht mit einem der in § 7 Abs 2 ARG aufgezählten Feiertage zusammenfällt, im österreichischen Recht nicht durch die Gewährung eines zusätzlichen Feiertags Rechnung getragen wird, sondern hauptsächlich mittels einer Fürsorgepflicht der AG gegenüber ihren Beschäftigten, aufgrund deren diese gegebenenfalls das Recht erhalten können, sich für die Dauer, die zur Befolgung bestimmter religiöser Riten notwendig ist, von ihrer Arbeit zu entfernen.
61 Daraus ergibt sich, dass von nationalen Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht angenommen werden kann, dass sie iSd Art 2 Abs 5 der RL 2000/78 zum Schutz der Religionsfreiheit notwendig sind.
62 Zum anderen ist zu prüfen, ob Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach Art 7 Abs 1 der RL 2000/78 gerechtfertigt sein können.
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64 Art 7 Abs 1 der RL 2000/78 hat den bestimmten und begrenzten Zweck, Maßnahmen zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber im sozialen Leben etwa bestehende faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen (vgl entsprechend Urteil vom EuGH 30.9.2010, Roca Álvarez , C-104/09, EU:C:2010:561, Rn 33 und die dort angeführte Rsp).
65 Außerdem ist bei der Festlegung der Reichweite von Ausnahmen von einem Individualrecht wie dem Recht auf Gleichbehandlung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach Ausnahmen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, und der Grundsatz der Gleichbehandlung so weit wie möglich mit den Erfordernissen des so angestrebten Ziels in Einklang gebracht werden muss (vgl in diesem Sinne das Urteil vom 19.3.2002, Lommers, C-476/99, EU:C:2002:183, Rn 39).
66 Im vorliegenden Fall kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, ohne dass festgestellt werden müsste, ob der Umstand, dass der Karfreitag, der als einer der wichtigsten Tage der Religion der AN, die einer der relevanten Kirchen iSd ARG angehören, erscheint, keinem der in § 7 Abs 2 ARG aufgezählten Feiertage entspricht, eine Benachteiligung dieser AN in ihrem Berufsleben iSd Art 7 Abs 1 der RL 2000/78 darstellt, nicht als Regelung angesehen werden, die spezifische Maßnahmen enthält, mit denen eine solche „Benachteiligung“ unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und so weit wie möglich des Gleichheitsgrundsatzes ausgeglichen wird.
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69 Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen wie folgt zu antworten:
Art 1 und Art 2 Abs 2 der RL 2000/78 sind dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, nach der zum einen der Karfreitag ein Feiertag nur für die AN ist, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, und zum anderen nur diese AN, wenn sie zur Arbeit503 an diesem Feiertag herangezogen werden, Anspruch auf ein Feiertagsentgelt haben, eine unmittelbare Diskriminierung der Religion wegen darstellt;
die mit dieser nationalen Regelung vorgesehenen Maßnahmen können weder als zur Wahrung der Rechte und Freiheiten anderer notwendige Maßnahmen iSd Art 2 Abs 5 der RL 2000/78 noch als spezifische Maßnahmen zum Ausgleich von Benachteiligungen wegen der Religion iSd Art 7 Abs 1 dieser RL angesehen werden.
Zur vierten Frage
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76 Das Verbot jeder Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung hat als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter. Dieses in Art 21 Abs 1 GRC niedergelegte Verbot verleiht schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann (Urteil vom 17.4.2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn 76).
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79 Als Viertes ist darauf hinzuweisen, dass nach stRsp des Gerichtshofs, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt worden ist und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes nur dadurch sichergestellt werden kann, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie den Angehörigen der begünstigten Gruppe. Die benachteiligten Personen müssen also in die gleiche Lage versetzt werden wie die Personen, denen der betreffende Vorteil zugutekommt (Urteil vom 9.3.2017, Milkova, C-406/15, EU:C:2017:198, Rn 66 und die dort angeführte Rsp).
80 In einem derartigen Fall ist das nationale Gericht gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Beseitigung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt. Diese Verpflichtung obliegt ihm unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht Bestimmungen enthält, die ihm eine entsprechende Befugnis zuweisen (Urteil vom 9.3.2017, Milkova, C-406/15, EU:C:2017:198, Rn 67 und die dort angeführte Rsp).
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89 Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art 21 GRC dahin auszulegen ist, dass, solange der betroffene Mitgliedstaat seine Regelung, nach der nur den AN, die bestimmten christlichen Kirchen angehören, der Anspruch auf einen Feiertag am Karfreitag zusteht, nicht zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung geändert hat, ein privater AG, der dieser Regelung unterliegt, verpflichtet ist, auch seinen anderen AN das Recht auf einen Feiertag am Karfreitag zu gewähren, sofern diese zuvor mit dem Anliegen an ihn heran getreten sind, an diesem Tag nicht arbeiten zu müssen, und ihnen folglich, wenn er sie abschlägig beschieden hat, das Recht auf Feiertagsentgelt zuzuerkennen.
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Die E des EuGH war nicht zuletzt aufgrund der seit langem geführten literarischen Diskussion durchaus vorhersehbar (vgl insb Mayr, Feiertage und Diskriminierung aufgrund der Religion im österreichischen Arbeitsrecht, ecolex 2004, 428; Windisch-Graetz in Rebhahn [Hrsg], GlBG [2005] § 17 GlBG Erl 28; Gerhartl, Diskriminierung aufgrund von Religion und Weltanschauung, RdW 2007, 677; Wieshaider, Das staatliche Feiertagsrecht als vergessene Umsetzungsmaterie der Richtlinie 2000/78/EG, öarr 2008, 286; Wanderer, Zusätzliche Feiertage aufgrund der Religionszugehörigkeit rechtlich unhaltbar, RdW 2013, 283). Eine gewisse mentale Reserviertheit – offensichtlich in Hinblick auf einen historisch-gesellschaftlichen Konsens zur Karfreitagslösung (vgl vor allem auch die Argumentation bei Mazal, Gleichbehandlung: Diskriminierung oder positive Maßnahme, ZAS 2016, 272) – führte letztlich dazu, dass eine sachliche politische Diskussion zu den Feiertagen aber nicht geführt wurde.
Die Frage nach dem Wesen eines kirchlichen oder religiös bedingten Feiertages mag durchaus erstaunen. Wahrscheinlich würde selbst eine Straßenbefragung rasch ein plausibles Ergebnis zeitigen. Als entscheidend wird man ansehen können, dass der Beweggrund für ein besonderes, aus dem Alltag herausragendes Verhalten wie die Teilnahme an Zeremonien oder Gemeinschaftsritualen in familiären oder (halb)öffentlichen Strukturen mit Religion im Zusammenhang steht. Damit stellt sich aber bereits die Frage, ob der innere Grund für das besondere Verhalten aktuell vorhanden sein muss oder ob die glaubensgeschichtliche Wurzel genügt. Diese Frage drängt sich vor allem vor dem Hintergrund einer zumindest in Europa unverkennbar zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft iS einer schwindenden sozialen und privaten Bedeutung von Religion auf (vgl zB Norris/Inglehart, Sacred and Secular, Religion and Politics Worldwide [2004]; Pickel, Säkularisierung und religiöse Pluralisierung als Inkubatoren einer (neuen) Religionspolitik?, in Religionspolitik und Politik der Religionen in Deutschland. Fallstudien und Vergleiche 2016, 199). Diskriminierungsrelevant ist nach Ansicht des EuGH der Umstand, ob an dem als religiös deklarierten Feiertag eine bestimmte religiöse Pflicht erfüllt wird oder ob es dem AN frei steht, die freie Zeit nach Belieben zu verbringen. Die formale Religionszugehörigkeit bildet kein sachliches Differenzierungskriterium (siehe Rn 46).
Zur allgemeinen Frage, wann noch von einem religiös motivierten Feiertag bzw von einer religiös motivierten Vorgehensweise ausgegangen werden kann, bietet sich ein Blick in die Neue Welt an, dh in das seit der amerikanischen Konstitution säkulare Staatsgebiet der USA.
Eine Reihe von Entscheidungen (siehe unten) führt Rasnic an, um den Balanceakt zwischen504religiöser Prägung und konsumorientierter Coutume zu demonstrieren (Rasnic, Legal Holidays and the American Workplace, in Löschnigg [Hrsg], Feiertagsarbeit im internationalen Vergleich [2006] 223).
Der Staat, dessen Entstehungsgeschichte maßgeblich von einer europäischen Politik der Diskriminierung aufgrund religiöser Überzeugungen geprägt ist, war seit jeher sensibel hinsichtlich einer Differenzierung nach der Religionszugehörigkeit. So war im Fall Lynch gegen Donnelly (465 U.S 668 [1984]) zu prüfen, ob die jährlich an einem Gerichtsgebäude – dh öffentlichem Gebäude – angebrachte Weihnachtsdekoration (Santa Claus samt Rentieren, Bären, das Jesuskind, Joseph und Maria, die heiligen drei Könige, Engel, ein großes Schild mit Weihnachtsgrüßen und einem Clown) eine Verletzung der Religionsfreiheit darstellte. Dies wurde vom Supreme Court verneint, da die Dekoration so säkular ausgestaltet war (Geschenke, populäre Weihnachtsmusik), dass die Geburt Jesu de facto in den Hintergrund getreten ist.
Differenziert wurde in den (zusammengelegten) Verfahren County of Allegheny gegen ACLU und Pittsburgh gegen ACLU (492 U.S. 573 [1989]) entschieden. Im ersten Fall ging es um eine Krippe, die während der Weihnachtszeit auf dem Treppenaufgang eines Gerichtsgebäudes aufgebaut war. Dies sah der Supreme Court als verfassungswidrige Begünstigung einer Religion an. Im zweiten Fall wurden vor einem öffentlichen Bürogebäude ein Weihnachtsbaum und eine jüdische Menorah aufgebaut. Dies sah das Gericht hingegen nicht als verfassungswidrig an, da das Szenenbild aufgrund der verschiedenen religiösen Symbole nicht mehr als religiös an sich zu interpretieren wäre. Die Menorah wäre eher als Zeichen der Freiheit als ein religiöses Symbol zu verstehen; der Weihnachtsbaum ist zu einem säkularen Symbol geworden und nicht als Symbol für die Geburt Jesu anzusehen. Der Aufbau einer Krippe vor dem Weißen Haus wurde im Jahr 1973 als verfassungswidrig angesehen (Allen gegen Morton, 495 F.2d 65 [D.C. Cir. 1973]) und der „national Christmas tree“ aufgrund des religiösen „Beigeschmackes“ im Jahr 2004 in „national tree“ umbenannt.
Wenngleich nicht viele US-amerikanische Sichtweisen auf das österreichische Arbeitsrecht übertragen werden können, wird man sich zumindest bei den Weihnachtsfeiertagen langfristig einer neuen gesellschaftlichen Bewertung nähern müssen. Auf den Karfreitag sind diese Überlegungen nur beschränkt übertragbar, da es zu keiner vergleichbaren Verselbständigung der Äußerlichkeiten und symbolischen Elemente gekommen ist. Karfreitagsrelevante Rituale ohne inneren Bezug zur Religion sind derzeit nicht erkennbar. Die Beseitigung des Karfreitags als gesetzlichen Feiertag löst zwar das rechtliche Problem an der Wurzel, zeigt aber auch eine neue Dimension des Verhältnisses von Religion und Gesellschaft in Österreich auf (zum als persönlichen Feiertag bezeichneten einseitigen Antritt eines Urlaubstages vgl insb Friedrich, Der persönliche Feiertag, ASoK 2019, 202; Wiesinger, Der persönliche Feiertag. Die Ersatzregelung für den Karfreitag, ZAS 2019, 160; Erler, Diskriminierende Wirkung des „persönlichen Feiertags“ für Kirchgänger? ecolex 2019, 350; Glowacka, Die neue Karfreitagslösung, ASoK 2019, 122; Firneis/Unterrieder, Vom Karfreitag zum „persönlichen Feiertag“, RdW 2019, 249; Hitz, ARD 6641/5/2019).
Religionsfreiheit bedeutet primär innere Religionsfreiheit. Diese impliziert Religionsausübungsfreiheit (zur Trennung zwischen forum internum und forum externum vgl die vom EuGH unter Rn 58 zitierte E sowie zB Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 [2016] § 22 Rz 113). Auch wenn die einschlägigen grundrechtlichen Garantien wie Art 14 bis 16 StGG oder Art 9 EMRK als Freiheitsrechte gegenüber dem Staat konzipiert sind, ist eine Ausstrahlung auf den Privatrechtsbereich unverkennbar und unabdingbar (siehe etwa Suppan, Religionsfreiheit und Diskriminierungsschutz. Der zivilrechtliche Schutz der Religionsfreiheit im Gleichbehandlungsgesetz, JAP 2018, 25; zur Drittwirkung von Grundrechten vgl etwa Schulev-Steindl, Drittwirkung und Fiskalgeltung, in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hrsg], Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa VII/12 [2014] 187 [188 ff]). Ohne angemessene Intervention des Staates im Privatrechtsbereich wäre die Menschenrechts- und Verfassungsgarantie der Religionsfreiheit in ihrer Gesamtheit nicht gewährleistet (zur Pflicht des Staates, die Religionsausübungsfreiheit des Einzelnen gegen gezielte Störungen durch Dritte zu schützen vgl etwa VfGHE 717/2014 öarr 2016, 388 [Schinkele] = VfGH 2015/VfSlg 19.961).
Für das Verhältnis zwischen AG und AN stellen sich mit der Religionsausübung eine Reihe von Fragen. Insb ist die Religionsausübung im Zusammenhang mit Leistungsstörungen zu beurteilen. Entsprechende Berührungspunkte können sich bereits bei der Problematik des außerdienstlichen Verhaltens von AN ergeben (vgl hiezu Kramer, Arbeitsvertragsrechtliche Verbindlichkeiten neben Lohnzahlung und Dienstleistung [1975] 108 f; Schwarz/Holzer, Die Treuepflicht des Arbeitnehmers und ihre künftige Gestaltung [1975] 50 ff; in sportrechtlichem Kontext siehe Scharnreitner, Außerdienstliche Verhaltenspflichten im Profisport – Aus den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses ergibt sich im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern eine erhöhte Treuepflicht, ASoK 2011, 385). Sie können aber auch bei der Erbringung der Arbeitsleistung (zB beim Tragen religiöser Symbole, siehe Kalb/Wakolbinger, Das Kopftuch am Arbeitsplatz im Lichte der EuGH-Judikatur, JAS 2017, 154; Hopf, Religiöse Symbole. Diskriminierung wegen Religion am Arbeitsplatz, ZAS 2018, 112; Kovács, Generelles Neutralitätsgebot versus Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Die Offenbarung des EuGH, ASoK 2017, 122) oder im Beendigungsrecht auftreten. Einen Aspekt, den der EuGH in Rn 67 expressis verbis hervorhebt, ist die Fürsorgepflicht des AG505als Rechtsgrund für das zulässige Fernbleiben von der Arbeit: „... während AN anderer Religionen, deren hohe Feiertage nicht mit den in § 7 Abs 2 ARG vorgesehenen Feiertagen zusammenfallen, sich grundsätzlich nur mit der im Rahmen der Fürsorgepflicht erteilten Zustimmung ihres AG von ihrer Arbeit entfernen dürfen, um die zu diesen Feiertagen gehörenden religiösen Riten zu befolgen
“.
Dies ist insofern bemerkenswert, als die neueren Stellungnahmen zur Freistellung aus religiösen Motiven sich nur auf § 8 ARG, § 1154b Abs 5 ABGB und § 8 Abs 3 AngG beziehen (vgl Burger-Ehrnhofer, Streitfall Karfreitag – EuGH zwingt zum Handeln, ASoK 2009, 86; Windisch-Graetz, Freistellung bei Entgeltfortzahlung aus religiösen Gründen, ZAS 2017, 147; sich nicht festlegend Dullinger, ZAS 2019, 189). A. Potz (Dienstverhinderung aus religiösen Gründen in FS R. Potz [2014] 639) verweist in Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz des AN zwar noch auf § 1157 ABGB und § 18 AngG, bezieht sich in weiterer Folge aber nur mehr auf die spezifischen obigen Dienstverhinderungsbestimmungen. Sehr deutlich spricht sich hingegen Grassl-Palten (Gewissen kontra Vertragstreue im Arbeitsverhältnis [1994] 34) für die Einbeziehung der Religion in die Fürsorgepflicht als ein „ausdrücklich genanntes“ Schutzobjekt aus. Gemeint ist damit § 1157 Abs 2 ABGB, dem zufolge der DG „in Ansehung des Wohn- und Schlafraumes, der Verpflegung sowie der Arbeits- und Erholungszeit die mit Rücksicht auf ... Sittlichkeit und Religion des Dienstnehmers erforderlichen Anordnungen
“ zu treffen hat. Expressis verbis wäre damit die Religion nur ein Element der Fürsorgepflicht, wenn der AN in die Hausgemeinschaft des AG aufgenommen wurde. Dementsprechend könnten die Wertungen des § 1157 Abs 2 ABGB – dem OGH zufolge – „nicht von vornherein“ auf alle Arbeitsverhältnisse übertragen werden (OGH9 ObA 9/95 Arb 11.375; dem zustimmend Mosler in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zeller Kommentar3 § 1157 ABGB Erl 6 [Stand: 1.1.2018, rdb.at]).
Bereits früh, eindeutig und allgemein hat sich vor allem Kramer für Fürsorgepflichten in Hinblick auf Religion und Gewissen des AN ausgesprochen und in § 1157 Abs 2 ABGB einen „willkommenen positivrechtlichen Anhaltspunkt“ gesehen (Kramer, Arbeitsvertragliche Verbindlichkeiten neben Lohnzahlung und Dienstleistung – zur Stellung der Fürsorge- und Treuepflicht im österreichischen Arbeitsvertragsrecht 55, vor allem auch bezogen auf Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem, Gutachten für den 4. ÖJT [1972] 87). In der Zwischenzeit besteht weitgehend Übereinstimmung, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit ein Wesenselement der Fürsorgepflicht darstellt (vgl etwa Krejci in Rummel, ABGB3 § 1157 Erl 24 [Stand: 1.1.2000, rdb.at]; Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer, AGBG-ON1.05 § 1157 Erl 17 [Stand: 1.10.2017, rdb.at]; Spenling in Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger [Hrsg], ABGB5 [2017] § 1157 Erl 2). Damit ist auch den Ausführungen der österreichischen Bundesregierung (siehe Rn 60 des EuGH-Urteils), die der Gerichtshof übernommen hat (Rn 67), vollinhaltlich zuzustimmen. Missverstanden hat der EuGH allerdings die Fürsorgepflicht an sich, wenn er von einer „im Rahmen der Fürsorgepflicht erteilten Zustimmung des Arbeitgebers“ ausgeht. Ein aus der Fürsorgepflicht des AG ergehendes Recht bedarf keines Konsenses mit dem AG. Die von der Fürsorgepflicht umfassten Schutzgüter hat der AG selbst gegen seinen Willen zu achten und zu wahren.
Für die Fürsorgepflicht als Rechtsgrund spricht vor allem die von Mayer-Maly als Elastizitätsfunktion bezeichnete Wirkungsweise: Sie hält die Ordnung des Arbeitsverhältnisses beweglich, wo sie Erstarrung nicht verträgt (Mayer-Maly, Treue- und Fürsorgepflicht in rechtstheoretischer und rechtsdogmatischer Sicht, in Tomandl [Hrsg], Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsrecht [1975] 90). Auch in Relation zu den bereits erwähnten Bestimmungen zu den sonstigen in der Person des AN gelegenen Dienstverhinderungen ist sie wesentlich flexibler. Eine sachgerechte Lösung kann etwa bei Ausübung religiöser Pflichten darin bestehen, dass der AN von seiner Arbeitspflicht zu Recht befreit ist, dass es aber zu keiner Fortzahlung des Entgelts kommt; eine Lösung, die sich aus § 1154b Abs 5 ABGB oder § 8 Abs 3 AngG nicht unmittelbar ableiten lässt.
Die vorliegende E zeigt sehr deutlich das Spannungsverhältnis innerhalb des Diskriminierungstatbestandes. Zum einen gebietet die Religionsfreiheit die Rücksichtnahme auf religiöse Pflichten des AN, zum anderen muss eine Freistellung in dem religiösen Grund gelegen sein. Eine Freistellung ohne Notwendigkeit der Erfüllung einer religiösen Verpflichtung führt zur Vermutung eines religiösen Scheinbezugs oder – nach gleichbehandlungsrechtlicher Begriffsbildung – zur möglichen (unmittelbaren oder mittelbaren) Diskriminierung aufgrund der Religion. Getragen wird diese Überlegung vom synallagmatischen Prinzip. Aus schuldrechtlicher Sicht wird aus der Pflicht gegenüber Dritten (Kirche, Religionsgesellschaft etc) ein Recht gegenüber dem AG als Vertragspartner. Eine derartige Änderung der ökonomischen Lastenverteilung und Abkehr von der Idee der Gerechtigkeit ausgeglichener Leistungen ist nur bei einem besonderen gesellschaftlichen Konsens über den Sonderbedarf des Regelungsmechanismus und bei einer sozialpolitischen Akzeptanz des Regelungsergebnisses denkbar.
In Anlehnung an die Koalitionsfreiheit kann auch im Fall der Religionsfreiheit von einer positiven und einer negativen Seite gesprochen werden: die positive Religionsfreiheit als Freiheit Mitglied einer religiösen Organisation zu werden und die Religion ausüben zu dürfen bzw die negative Religionsfreiheit als Freiheit nicht Mitglied werden zu müssen, um Rechte ausüben zu können. Mit der österreichischen Karfreitagsregelung wurde die negative Religionsfreiheit verletzt.506
Nach § 16 Abs 7 Universitäten-KollV erhalten AN, die einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören, zusätzlich zu den gesetzlichen Feiertagen (§ 7 Abs 2 ARG) für die gemäß ihren religiösen Vorschriften festgelegten Feiertage die unbedingt erforderliche freie Zeit unter Fortzahlung des Entgelts im Höchstausmaß von zwei Arbeitstagen pro Kalenderjahr. Diese Feiertage sind vom AN unverzüglich nach Abschluss des Arbeitsvertrages bekannt zu geben; eine spätere Änderung ist nur aus wichtigem Grund möglich.
Da sich die E des EuGH auf sämtliche Arbeitsrechtsquellen auswirkt, sind die künftigen Kollektivvertragsverhandlungen massiv betroffen. Damit stellt sich insb die Frage, ob eine Regelung, wie sie der Universitäten-KollV enthält, ein Anknüpfungspunkt für die Kollektivvertragspolitik sein kann.
Sehr deutlich kommt in § 16 Abs 7 KollV obiges Spannungsverhältnis (siehe Pkt 3) zum Ausdruck. Einerseits ist von unbedingt erforderlicher freier Zeit, anderseits von Feiertagen schlechthin die Rede. Schöberl (in Pfeil [Hrsg], Personalrecht der Universitäten [2010] § 16 KollV Erl 13-15) scheint eher davon auszugehen, dass die AN der genannten Religionsgemeinschaften pauschal zwei weitere Feiertage geltend machen können. („zusätzlich ... zwei Feiertage“, die „freien Arbeitstage sind nicht frei wählbar“). Diese Interpretation wäre nach den Ausführungen des EuGH nicht mehr haltbar. Europarechtskonform wäre hingegen eine Auslegung, die auf die Zeiträume der konkreten religiösen Verpflichtungen abstellt, die in Summe – zB nach Stunden berechnet – das Ausmaß von zwei Tagen erreichen können. Die Problematik der Diskriminierungsanfälligkeit einer solchen Bestimmung reduziert sich auf die Frage des Nachweises der Existenz und Erfüllung der religiösen Verpflichtung. Vor einer unangepassten Übernahme des § 16 Abs 7 Universitäten-KollV sei aber unter dem Aspekt gewarnt, dass dort nur auf staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften abgestellt wird (siehe schon Schöberl in Pfeil [Hrsg], Personalrecht der Universitäten § 16 KollV Erl 13; A. Potz in FS R. Potz 658).