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Durchsetzbarer Anspruch auf Übermittlung von Arbeitszeitaufzeichnungen

GERDAHEILEGGER (WIEN)
  1. Bei dem Anspruch auf Herausgabe der Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG ist von einem durchsetzbaren privatrechtlichen, nämlich arbeitsvertraglichen, Anspruch auszugehen.

  2. Die Regelung findet auch auf bereits vor ihrem Inkrafttreten am 1.1.2015 abgeschlossene Arbeitsverträge Anwendung, allerdings nur auf Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten.

  3. Zur Erfüllung des Anspruchs ist formelle Vollständigkeit hinreichend, mögliche inhaltliche Unrichtigkeit schadet nicht.

Der Kl war bei der Bekl vom 21.8.2012 bis 31.7.2017 beschäftigt. Nach Beendigung seines Dienstverhältnisses ersuchte der Kl die Bekl um Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen. Die Bekl übermittelte zunächst keine Arbeitszeitaufzeichnungen.

Der Kl klagte auf die Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses. In der Tagsatzung vom 15.1.2018 händigte die Bekl dem Kl die Arbeitszeitaufzeichnungen für die Jahre 2015 bis 2017 aus. Diese seien vollständig und richtig. Im Übrigen wandte sie Verfall ein. Der Kl entgegnete darauf, dass die im Verfahren vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen teilweise unrichtig, unvollständig und offenkundig nachträglich konstruiert seien.

Erstgericht und Berufungsgericht wiesen das Herausgabebegehren im Wesentlichen mit den Argumenten ab, dass die Bekl durch die Vorlage der Arbeitszeitaufzeichnungen ab dem Jahr 2015 bis zum Ende des Dienstverhältnisses ihre Übermittlungsverpflichtung erfüllt hätte und im Herausgabeverfahren eine Überprüfung der Aufzeichnungen auf ihre Richtigkeit nicht in Betracht komme.

Der OGH gab der vom Kl erhobenen ordentlichen Revision keine Folge und bestätigte im Ergebnis die Rechtsansicht der Vorinstanzen.

Rechtliche Beurteilung

[...]

3. § 26 Abs 8 AZG gibt dem AN einen Anspruch. Dieser richtet sich – wie aus dem Zusammenhang mit § 26 Abs 1 Satz 1 AZG abzuleiten ist, wonach der AG „zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten in der Betriebsstätte Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden zu führen [hat]“ – gegen den AG. Die Erläuterungen sprechen (im Allgemeinen Teil) von einem „Recht der Arbeitnehmer/innen, diese Arbeitszeitaufzeichnungen übermittelt zu bekommen“. Bei § 26 Abs 8 AZG ist von einem durchsetzbaren privatrechtlichen, nämlich arbeitsvertraglichen Anspruch auszugehen (so auch Schrank, Arbeitszeit Kommentar5 § 26 Rz 28, 29b, 30; Pfeil in ZellKomm3 §§ 24-29 AZG Rz 4/1: „beanspruchbaren Aufzeichnungen“).

Die Stellung der Vorschrift außerhalb des Abschnitts 6a des AZG über „Vertragsrechtliche Bestimmungen“ (§§ 19b bis 19g) spricht nicht dagegen. Da sich § 26 im mit „Gemeinsame Vorschriften“ überschriebenen Abschnitt 8 des AZG findet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser allein öffentlich-rechtliche Vorschriften beinhaltet.

Für die privatrechtliche Qualifikation spricht auch, dass der Anspruch des AN auf Übermittlung seiner Arbeitszeitaufzeichnungen – worauf Schrank (Arbeitszeit Kommentar5 § 26 Rz 30) hinweist – keiner verwaltungsrechtlichen Strafbarkeit nach § 28 AZG unterliegt523. Die privatrechtliche Qualifikation folgt auch aus einem Vergleich mit § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG, wonach dem AN bei Fälligkeit des Entgelts eine schriftliche, übersichtliche, nachvollziehbare und vollständige Abrechnung von Entgelt und Aufwandsentschädigungen zu übermitteln ist. Für jene Vorschrift wurde in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 3 f) ausdrücklich festgehalten, dass es sich um einen „zivilrechtlichen Anspruch“ handelt (siehe dazu 8 ObA 41/18i [in Pkt 2.3.]).

4. § 26 Abs 8 AZG trat gem § 34 Abs 27 AZG mit 1.1.2015 in Kraft. Näher erläuternde Gesetzesmaterialien zu § 34 Abs 27 AZG sind nicht vorhanden. Ob § 26 Abs 8 AZG Rückwirkung entfaltet, wurde in 8 ObA 2/17b [in Pkt 1.9.] ausdrücklich unerörtert gelassen. Diesbezügliche Äußerungen in der Lehre sind soweit ersichtlich nicht vorhanden. Die in der Revision (S 5) genannte Bestimmung des § 33 Abs 1u (Satz 2) AZG, nunmehr – siehe Art 4 Z 6 ASRÄG 2014 – § 34 Abs 21 Satz 2 AZG („§ 26 Abs 8 ist nur auf Verfallsfristen anzuwenden, die ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen würden“) bezieht sich auf die vor dem ASRÄG 2014 in § 26 Abs 8 AZG, seither – in modifizierter Form – in § 26 Abs 9 AZG enthaltene Vorschrift über eine Hemmung von Verfallsfristen.

4.1. Nach § 5 ABGB sind nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (RIS-Justiz RS0008715). Bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Fall einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in den zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestands nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (RIS-Justiz RS0008695 [T18]). Hiervon ausgehend wurde in 4 Ob 188/06k (siehe insb Pkte 8.3. und 8.4.) entschieden, dass die (durch BGBl I 2004/12BGBl I 2004/12 eingeführte) Bestimmung des § 27d Abs 1 Z 6 KSchG, womit (zwecks Schaffung eines klaren und transparenten Rechtsverhältnisses) eine Aufschlüsselung des Entgelts erforderlich ist, zwar auch auf aus der Zeit davor stammende Altverträge anzuwenden ist, aber nur für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten der Bestimmung.

4.2. Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. § 26 Abs 8 AZG idF ASRÄG 2014 findet auch auf den bereits vor Inkrafttreten des ASRÄG 2014 am 1.1.2015 abgeschlossenen Arbeitsvertrag des Kl Anwendung, dies aber allein für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten.

4.3. Für die Zeit vor dem 1.1.2015 kann das Klagebegehren damit entgegen der Annahme des Kl nicht auf § 26 Abs 8 AZG gestützt werden. Die Klagsabweisung ist daher in Hinsicht auf diesen Zeitraum im Ergebnis jedenfalls richtig. [...]

5. Hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1.1.2015 hält der Kl der rechtlichen Beurteilung der Vorinstanzen, die Bekl habe insofern ihre Verpflichtung nach § 26 Abs 8 AZG durch Vorlage von Arbeitszeitaufzeichnungen erfüllt (§ 1412 ABGB), auch in der Revision entgegen, dass die von der Bekl ausgehändigten Arbeitszeitaufzeichnungen unrichtig bzw unvollständig gewesen seien.

5.1. Richtig ist, dass es Zweck des § 26 Abs 8 AZG ist, dem AN die Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen und damit letztlich auch die Überprüfung der Richtigkeit der Entgeltabrechnung des AG sowie die Überprüfung der Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten zu ermöglichen bzw zu erleichtern (vgl Peschek/Unterrieder, Arbeitszeitaufzeichnungen und Verfall seit dem ASRÄG 2014, ecolex 2015, 228 [229]; Schrank, Die Neuerungen bei den Arbeitszeitaufzeichnungen – Überlegungen zur Neufassung von § 26 AZG durch das ASRÄG 2014, ZAS 2015, 169 [173]; Schrank, Arbeitszeit Kommentar5 § 26 Rz 29b; Wolf in Mazal/Risak, Arbeitsrecht II Kap XI Rz 149h). Der Zweck ähnelt damit jenem des bereits erwähnten § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG, zumal auch jene Vorschrift dazu dient, dem AN den Nachvollzug der Abrechnung der Bezüge zu ermöglichen (ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 4).

5.2. Zu § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG hielt der 8. Senat jüngst in der E 8 ObA 41/18i fest, dass der AG seiner Verpflichtung zur Übermittlung einer „vollständigen“ Abrechnung von Entgelt und Aufwandsentschädigungen bereits dann entsprochen hat, wenn die Abrechnung formell vollständig ist, sodass eine inhaltliche Unrichtigkeit der Abrechnung nicht schadet (Pkt 2.6.7.). Dies wurde ua damit begründet, dass im Bereich der (einklagbaren) Verpflichtung zu einer Rechnungslegung oder Abrechnung regelmäßig bloß formelle Vollständigkeit verlangt wird (Pkt 2.6.3.) und es Doppelgleisigkeit zu vermeiden gilt.

Dies gilt auch für den Anspruch nach § 26 Abs 8 AZG auf kostenfreie Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen. Der Kl vermengt seinen (im vorliegenden Verfahren geltend gemachten) Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen der AG gem § 26 Abs 8 AZG mit seinem (im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemachten) Anspruch auf Zahlung aus der Zugrundelegung eigener („besserer“) Arbeitszeitaufzeichnungen. Deshalb bezeichnet er die Aufzeichnungen der Bekl als unrichtig, unvollständig und „nachträglich konstruiert“. Im Verfahren auf bloße Übermittlung der Aufzeichnungen kann es aber (nach erfolgter Übermittlung) nur um deren formelle Vollständigkeit gehen. Dh, die Aufzeichnungen haben sich auf den Kl und den (zurecht) geltend gemachten Zeitraum zu beziehen. Nur darauf hin sind die übermittelten Aufzeichnungen vom Gericht zu überprüfen. [...]

Darüber hinausgehende Überlegungen des Kl, wonach er beispielsweise an näher bestimmten Tagen in diesem Zeitraum in näher bestimmter Weise mehr Arbeit geleistet hat als die Bekl in ihren Aufzeichnungen zugesteht, haben im bloßen Verfahren auf Übermittlung der Aufzeichnungen keinen Raum und hindern damit auch nicht den Eintritt der Erfüllung des Übermittlungsanspruchs, wenn die übermittelten Aufzeichnungen, wie vorstehend ausgeführt, formell vollständig sind. Letzteres ist hier aber nicht weiter strittig. Im (allenfalls weiteren) Verfahren auf Geldleistung bleibt es dem Kl natürlich unbenommen, darzutun, dass er über die Aufzeichnungen der AG hinaus Arbeit erbracht hat, die bisher von der AG nicht entgolten wurde.

Aufgrund der im vorliegenden Fall erfolgten Übermittlung der formell vollständigen Arbeitszeitaufzeichnungen für den Zeitraum 1.1.2015 (Inkrafttreten des § 26 Abs 8 AZG) bis 31.7.2017 (Ende des524 Arbeitsverhältnisses) erweist sich die Abweisung des Klagebegehrens im Ergebnis auch für diesen Zeitraum als richtig. Auf darüber hinausgehende Fragen eines allfälligen Verfalls ist damit nicht mehr einzugehen.

[...]

ANMERKUNG
1.
Anspruch auf Herausgabe der Arbeitszeitaufzeichnungen mittels Stufenklage

In der vorliegenden E wurde der OGH erstmals mit der in § 26 Abs 8 AZG normierten Pflicht zur Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen befasst. In seiner E OGH8 ObA 2/17b vom 28.9.2017 beschäftigte sich der OGH zwar ebenfalls mit dem Begehren des AN auf Herausgabe der Arbeitszeitaufzeichnungen, jedoch wurde diese Forderung in Form einer Stufenklage eingebracht. Da in diesem Fall nicht die Zahl und Lage der geleisteten Überstunden unklar war, sondern vielmehr, welche der geleisteten Überstunden bereits bar auf die Hand bezahlt worden waren, war die Stufenklage unschlüssig, da Arbeitszeitaufzeichnungen naturgemäß nicht geeignet sind, darüber Auskunft zu geben. Ein eigenständiges Herausgabebegehren gem § 26 Abs 8 AZG war nicht Gegenstand der Klage, sodass dessen Voraussetzungen und Modalitäten nicht weiter zu erörtern waren (siehe DRdAinfas 2018/10 [Bachhofer]).

2.
Übermittlungsanspruch und Verfallshemmung

Gem § 26 Abs 8 AZG haben AN einmal monatlich Anspruch auf kostenfreie Übermittlung ihrer Arbeitszeitaufzeichnungen, wenn sie diese nachweislich verlangen. Diese Vorschrift wurde durch das Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz (ASRÄG 2014, BGBl I 2014/94BGBl I 2014/94) neu geschaffen. Gleichzeitig wurde als rechtliche Konsequenz für die Nichterfüllung dieses Anspruchs in § 26 Abs 9 Z 1 AZG eine Hemmung der Verfallsfristen festgelegt, die so lange andauern soll, als die Übermittlung verwehrt wird. In dieser Bestimmung ist die Ausformulierung einer in Judikatur und Rsp häufig zu findenden Wertung (vgl dazu OGH 28.11.2017, 9 ObA 136/17s; OGH 28.11.20019, ObA 86/01i) zu sehen: Wer gegen Treu und Glauben handelt, indem er den AN die Überprüfung des Entgelts anhand der Arbeitszeitaufzeichnungen verunmöglicht, darf sich nicht auf den Verfall dieser Ansprüche berufen. Dies wäre als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Anstelle der einzel- oder kollektivvertraglich vereinbarten kürzeren Verfallsfristen kommt die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren gem § 1486 Z 5 ABGB zum Tragen.

3.
Zusammenspiel von § 26 Abs 8 und 9 Z 1 mit Abs 9 Z 2

Der neue Tatbestand des § 26 Abs 9 Z 1 AZG trat neben die schon bisher in Abs 8 enthaltene und nunmehr in Abs 9 Z 2 verschobene Verfallshemmung für den Fall, dass wegen Fehlens von Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar ist. Diese Bestimmung war bereits 2007 in das AZG eingefügt worden (BGBl I 2007/61BGBl I 2007/61) und legte erstmals neben den verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen des § 28 AZG auch eine zivilrechtliche Folge für Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht fest. Die Hemmung von Verfallsfristen tritt somit nunmehr in zwei Fällen ein. Das Vorliegen der ersten Alternative, dass der AG dem nachweislichen Verlangen des AN auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen nach Abs 8 nicht nachkommt, wird regelmäßig leicht festzustellen sein.

Ein Fall des Abs 9 Z 2 liegt vor, wenn für den AN wegen Fehlens von Arbeitszeitaufzeichnungen – etwa, weil nie Aufzeichnungen geführt wurden, diese verloren gegangen oder vernichtet worden sind – die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar ist. Die Gesetzesmaterialien ergänzen (ErläutRV 141 BlgNR 23. GP 7), dass diese Unzumutbarkeit auch dann gegeben ist, wenn Arbeitszeitaufzeichnungen zwar (beim AG) vorhanden sind, dieser sie aber dem AN willkürlich vorenthält. Wenn zwar Aufzeichnungen übermittelt werden, diese aber mangelhaft sind, liegt nach Meinung Pfeils, Arbeitszeitgesetz § 26 Rz 19, grundsätzlich ein Fall nach Abs 9 Z 2 vor. Demnach wäre von einer Unzumutbarkeit der Feststellung der geleisteten Arbeitszeit nicht nur dann auszugehen, wenn überhaupt keine Arbeitszeitaufzeichnungen vorliegen, sondern auch, wenn eine solche Mangelhaftigkeit dieser Arbeitszeitaufzeichnungen vorliegt, dass sie die Feststellung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unzumutbar macht. Dieses Verständnis scheint auf den ersten Blick in Widerspruch zur nunmehrigen Rsp zum Herausgabebegehren des § 26 Abs 8 AZG zu stehen, welches der OGH als erfüllt ansieht, wenn die Abrechnung formell vollständig ist, wobei eine inhaltliche Unrichtigkeit nicht schadet. Ein Einklang lässt sich allerdings herstellen, wenn man davon ausgeht, dass nicht schon jede in den Arbeitszeitaufzeichnungen enthaltene Unrichtigkeit die Feststellung der geleisteten Arbeitsstunden unzumutbar iSd § 26 Abs 9 Z 2 AZG macht, sondern nur eine offensichtlich völlig unrichtige, lückenhafte Führung. Pfeil in Neumayr/Reissner (Hrsg), Zeller Kommentar I3, AZG §§ 24-29 Rz 4/1, nennt den Fall, dass die Aufzeichnungen so ungenau geführt wurden, dass die Feststellung der Arbeitszeit nicht zumutbar ist.

4.
Im Verfahren relevierte Fragen
4.1.
Formelle Vollständigkeit

Der Kl begehrte im vorliegenden Fall, gestützt auf § 26 Abs 8 AZG, die Übermittlung sämtlicher Arbeitszeitaufzeichnungen aus seinem beendeten Arbeitsverhältnis. Er benötigte diese zur Berechnung der offenen Urlaubsersatzleistung, machte den eigentlichen Anspruch auf die Urlaubsersatzleistung in diesem Verfahren jedoch nicht geltend. Als er die im Verfahren vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen als teilweise unrichtig, unvollständig und offenkundig nachträglich konstruiert befand, begehrte er in eventu die Urlaubsersatzleistung in bezifferter Höhe. Das Erstgericht ließ diese Klagsausdehnung525 um das Eventualbegehren jedoch nicht zu, was vom Berufungsgericht bestätigt wurde. Hier zeigt sich schon die vom OGH später festgestellte Vermengung des Anspruchs auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen mit dem Anspruch auf Zahlung unter Zugrundelegung eigener („besserer“) Arbeitszeitaufzeichnungen durch den Kl. Nach Ansicht des OGH ist – ähnlich wie bei der Verpflichtung zur Übermittlung einer Entgeltabrechnung gem § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAGformelle Vollständigkeit ausreichend, inhaltliche Unrichtigkeit (die zudem im Verfahren oftmals nur schwer zu beweisen sein wird) schadet der Erfüllung des Übermittlungsanspruches nicht. Essenziell ist, dass sich die Aufzeichnungen auf den Kl und den geltend gemachten Zeitraum beziehen. Dem ist mE grundsätzlich beizupflichten, mit der kleinen Einschränkung, dass die inhaltliche Unrichtigkeit und Ungenauigkeit nicht solche Ausmaße annehmen darf, dass von einer ordnungsgemäßen Arbeitszeitaufzeichnung nicht mehr gesprochen werden kann (vgl oben Pkt 3).

4.2.
Übermittlungsanspruch ist gerichtlich durchsetzbar

Erstgericht und Berufungsgericht äußerten massive Vorbehalte hinsichtlich der Klagbarkeit des Übermittlungsbegehrens gem § 26 Abs 8 AZG – eine Sorge, die vom OGH nicht geteilt wurde. Das Höchstgericht zog den Vergleich zur Entgeltabrechnung gem § 2f Abs 1 Satz 1 AVRAG, für welche die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 3 f) ausdrücklich festhalten, dass es sich um einen „zivilrechtlichen Anspruch“ handelt, und ging somit auch von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des § 26 Abs 8 AZG aus. Dass dieser Auffassung beizupflichten ist, ergibt sich schon aus der Einordnung des § 26 zu den „gemeinsamen Bestimmungen“. Daraus lässt sich ableiten, dass § 26 Abs 8 nicht nur öffentlich-rechtliche Bestimmungen enthält, die durch das Arbeitsinspektorat kontrolliert werden und gem § 28 AZG strafbar sind, sondern eben auch zivilrechtliche Bestimmungen, die im Zivilrechtsweg durchsetzbar sind.

4.3.
Anwendung auf Altverträge

Der Kl forderte Arbeitszeitaufzeichnungen für sein gesamtes Dienstverhältnis, welches bereits im Jahr 2012 begonnen hatte. § 26 Abs 8 AZG trat jedoch erst mit 1.1.2015 in Kraft. Der OGH entschied, dass die Regelung auch auf vor dem Inkrafttreten abgeschlossene Arbeitsverträge anzuwenden ist, jedoch nur auf Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten. Damit wandte das Höchstgericht die in der E OGH 21.11.2006, 4 Ob 188/06k getroffenen Abwägungen zur zeitlichen Anwendbarkeit von § 27d Abs 1 Z 6 KSchG (Pflicht zur Entgeltaufschlüsselung) an, welche Bestimmung zwar auch auf aus der Zeit davor stammende Altverträge anzuwenden ist, aber nur für Abrechnungsperioden ab dem Inkrafttreten der Regelung. Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten: § 26 Abs 8 AZG idF ASRÄG 2014 findet grundsätzlich auch auf den bereits vor Inkrafttreten des ASRÄG 2014 am 1.1.2015 abgeschlossenen Arbeitsvertrag des Kl Anwendung, allerdings erst auf Abrechnungsperioden ab dem 1.1.2015.

5.
Verfallsfristen auf den Übermittlungsanspruch anwendbar?

Erstgericht und Berufungsgericht gingen davon aus, dass Verfallsfristen auch auf das Verlangen auf Herausgabe der Arbeitszeitaufzeichnungen selbst anzuwenden wären. Sie führen dabei als Argument an, dass es sich um einen regelmäßigen, monatlich zustehenden Anspruch handelt, und dem AG durch diese Regelung nicht eine zeitlich unbegrenzte Pflicht auferlegt werden kann, Arbeitszeitaufzeichnungen aufzubewahren.

Dem kann entgegengehalten werden, dass die Ausfolgung der Arbeitszeitaufzeichnungen ja nicht ausschließlich dem Zweck dient, daran geknüpfte Entgeltbestandteile geltend zu machen, sondern AN haben durchaus auch ein Interesse daran, die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Arbeitszeitvorschriften (wie etwa Höchstarbeitszeiten etc) nachträglich zu kontrollieren und diese beispielsweise zur Überprüfung bei Beratungsterminen mitzunehmen. Es erschiene unter diesem Gesichtspunkt durchaus nicht unschlüssig, den AN die Übermittlung von Arbeitsaufzeichnungen, die nach anderen Vorschriften ohnedies vom AG aufzubewahren sind, auch über die Verfallsfrist hinaus zuzugestehen.

Der OGH ließ diese Frage explizit offen: Aufgrund der im vorliegenden Fall erfolgten Übermittlung der formell vollständigen Arbeitszeitaufzeichnungen ab 1.1.2015 erachtete er das Klagsbegehren als erfüllt und die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen damit im Ergebnis als richtig. Auf darüber hinausgehende Fragen eines allfälligen Verfalls war somit nicht mehr einzugehen.

6.
Resümee

Der OGH fixierte mit der hier vorliegenden E wichtige Eckpunkte zum Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG, der durch das ASRÄG 2014 in das Gesetz eingefügt worden ist. Ein in der Sache sicherlich richtiger und fundierter Schluss war die Erkenntnis, dass es sich beim Anspruch auf Übermittlung der Arbeitszeitaufzeichnungen gem § 26 Abs 8 AZG um einen privatrechtlichen Anspruch handelt, der vor Gericht durchgesetzt werden kann. Ebenso schlüssig sind die Ausführungen des Höchstgerichts, dass die Regelung auf Lohnabrechnungsperioden ab dem 1.1.2015 (dem Inkrafttreten der Regelung) anzuwenden sind und dass formelle Vollständigkeit ausreicht, bloße inhaltliche Unrichtigkeiten die Erfüllung des Übermittlungsanspruchs also nicht hindern.

Naturgemäß werden durch das vorliegende Urteil aber nicht alle Fragen zu diesem Themenkomplex beantwortet. Insb die von den unterinstanzlichen Gerichten relevierte Frage, ob der Übermittlungsanspruch des § 26 Abs 8 AZG selbst dem einzel- oder kollektivvertraglichen Verfall unterliegt, sowie Detailfragen des Zusammenspiels der neuen Regelungen des § 26 Abs 8 und 9 Z 1 AZG mit dem schon länger bestehenden (nunmehrigen) Abs 9 Z 2 bleiben weiterhin ungeklärt.526