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Formwidrige Auflösung in der Probezeit und Wahlrecht

THOMASMATHY (LINZ)
  1. Eine mittels schlichter WhatsApp-Nachricht erklärte Auflösung des Lehrverhältnisses verstößt gegen das Schriftformgebot des § 15 Abs 2 BAG und ist deshalb rechtsunwirksam.

  2. Empfängt ein Lehrling eine rechtsunwirksame Auflösungserklärung, so kommt diesem ein Wahlrecht zu. Er kann sich entweder auf den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses berufen oder die an sich unwirksame Auflösungserklärung gegen sich gelten lassen und die aus der Beendigung resultierenden Ansprüche geltend machen.

  3. Entschließt sich ein Lehrling, eine formwidrige Kündigung gegen sich gelten zu lassen, kann er allein aus der Formwidrigkeit keine Ansprüche ableiten, sondern nur aus der Unbegründetheit der Auflösungserklärung. Da während der Probezeit die Auflösung keines Grundes bedarf, besteht in einem solchen Fall kein Schadenersatzanspruch gegen den Lehrberechtigten.

Die Kl war von 15.9. bis 21.10.2017 beim Bekl als Lehrling [...] beschäftigt. [...] Am 21.10.2017 übermittelte der Bekl der damals im Krankenstand befindlichen Kl folgende WhatsApp-Nachricht: „Ich habe mit meinem Steuerberater gesprochen und wir beenden das Lehrverhältnis mit heutigen Tag in der Probezeit.“ Mit Schreiben vom 29.11.2017 forderte der Anwalt der Kl den Bekl auf, die Entgeltansprüche der Kl abzurechnen. In diesem Schreiben wies er darauf hin, dass eine Nachricht über WhatsApp dem gesetzlichen Schriftformgebot nicht entspreche, die Kl sich aber entschlossen habe, von ihrem Wahlrecht dahingehend Gebrauch zu machen, dass von der Rechtswirksamkeit einerseits, allerdings von der Rechtswidrigkeit der Beendigungserklärung andererseits ausgegangen werde und die aus der rechtswidrigen Beendigungserklärung anfallenden Schadenersatzansprüche geltend gemacht würden.

Die Kl begehrt mit der vorliegenden Klage die Zahlung von [...] Kündigungsentschädigung für den Zeitraum 22.10.2017 bis 21.1.2018, die Feststellung des Anspruchs auf Kündigungsentschädigung unter Anrechnung des künftigen Verdienstes für den Zeitraum 22.1.2018 bis 14.12.2021 (Ende der Weiterverwendungszeit) [...].

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kl habe bei ordnungsgemäßer Auflösung des Lehrverhältnisses innerhalb der Probezeit keine Ansprüche. [...]

Der gegen die Abweisung des Zahlungs- und des Feststellungsbegehrens gerichteten Berufung der Kl gab das Berufungsgericht nicht Folge. [...] Die Kl habe sich dazu entschieden, die Rechtsfolgen der Rechtsunwirksamkeit der formwidrigen Auflösungserklärung nicht geltend zu machen. Nach § 1162b ABGB sei ein AN im Fall einer rechtswidrigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell so zu stellen, als wäre das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden. Damit könne die Kl aber nur bei einer (weiteren) Rechtswidrigkeit Ansprüche aus dieser Bestimmung ableiten. Eine solche liege jedoch nicht vor, weil ein Lehrverhältnis innerhalb der ersten drei Monate jederzeit einseitig aufgelöst werden könne. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist [...] zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass eine per WhatsApp erklärte Auflösung des Lehrverhältnisses gegen das Schriftformgebot des § 15 Abs 2 BAG verstößt. Dies wird im Revisionsverfahren von keiner der Parteien in Zweifel gezogen und muss daher nicht weiter geprüft werden (vgl dazu aber etwa auch 9 ObA 110/15i). [...]

2. Wurde die Auflösung des Lehrverhältnisses nicht wirksam schriftlich erklärt, kommt es grundsätzlich zu keiner Beendigung des Lehrverhältnisses. Der Lehrling kann aber in diesem Fall zwischen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses einerseits und dem Akzeptieren der Auflösung des Lehrverhältnisses unter gleichzeitiger Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen dessen unberechtigter Auflösung wählen (9 ObA 297/99f; 9 ObA 53/03i; vgl auch RIS-Justiz RS0113482, RS0028238). Die Kl hat von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht und ausdrücklich erklärt, die Beendigung zu akzeptieren und Schadenersatz geltend zu machen.

3. Nach § 1162b ABGB behält ein DN bei einer ungerechtfertigten Entlassung oder einem berechtigten 150 vorzeitigen Austritt, unbeschadet weitergehenden Schadenersatzes, seine vertragsgemäßen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der Vertragszeit und [richtig: oder] durch ordnungsgemäße Kündigung hätte verstreichen müssen. Dieser Anspruch besteht für die ersten drei Monate ungekürzt, beim darüber hinausgehenden Zeitraum unter Anrechnung dessen, was der DN infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat. Ob und in welchem Umfang der DN Anspruch auf „Kündigungsentschädigung“ hat, hängt daher davon ab, inwieweit ihm bei ordnungsgemäßer Beendigung des Dienstverhältnisses vertragsmäßige Ansprüche auf das Entgelt zugestanden wären.

4. Im konkreten Fall wurde das Lehrverhältnis vom Bekl während der Probezeit beendet. Die Probezeit soll dem Lehrberechtigten die Möglichkeit geben, den Lehrling als Person und in seinem Verhalten kennen zu lernen und ihn auf seine Eignung für den Lehrberuf zu prüfen, bevor das Lehrverhältnis nur noch aus ganz bestimmten Gründen aufgelöst werden kann (AB 216 BlgNR 21. GP 1 f zur BAG-Novelle BGBl I 2000/83). Nach § 15 Abs 1 BAG können während der ersten drei Monate sowohl der Lehrberechtigte als auch der Lehrling das Lehrverhältnis jederzeit einseitig auflösen. Auf einen Grund für die Auflösung kommt es dabei nicht an. Das bedeutet aber auch, dass ein DN aus der in der Probezeit herbeigeführten Lösung des Dienstverhältnisses wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses, mag nun die Auflösung aus einem wichtigen Grund oder grundlos geschehen sein, keine Ansprüche ableiten kann (RIS-Justiz RS0028461).

5. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Lehrling, wenn er sich entschließt, die formwidrige Beendigungserklärung gegen sich gelten zu lassen, allein aus der Formwidrigkeit keine Schadenersatzansprüche ableiten kann. Die Kl argumentiert dagegen, dass im Fall der Auflösung eines Lehrverhältnisses diese Auflösung während der Probezeit zwar keines Grundes bedarf, aber nur schriftlich erfolgen könne. Da letzteres rechtswidrig nicht geschehen sei, habe sie Ansprüche bis zum Ende der Behaltezeit. Sie beruft sich dazu auf die E 9 ObA 96/07v. [...] Allerdings war dort die Frage, ob für eine Beendigung während der Probezeit überhaupt eine Kündigungsentschädigung zusteht, von der Revision nicht aufgegriffen worden. [...] Dagegen verwies etwa Jabornegg in einer Besprechung der E 8 ObA 297/99f(DRdA 2001/24) darauf, dass ohne den Bestandschutz des BAG nach § 1162b ABGB der Anspruch auf „Kündigungsentschädigung“ stets nur dann bestehe, wenn die Entlassung effektiv ungerechtfertigt gewesen sei. Daraus folge, dass keinesfalls schon allein wegen Nichteinhaltung der nach BAG erforderlichen Schriftform die „Schadenersatzlösung“ gewählt werden könne, weil andernfalls der besonders Bestandgeschützte einen Anspruch wählen könnte, den ein nicht besonders bestandgeschützter AN von vornherein keinesfalls hätte. Es gehe also nicht an, dem besonders bestandgeschützten AN auch dann eine Kündigungsentschädigung zuzusprechen, wenn dieser einen (an sich rechtzeitig geltend gemachten) Entlassungsgrund effektiv gesetzt habe. [...]

6. Bereits Kuderna („Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes“,

) differenzierte überzeugend zwischen der Frage, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sei, und der Frage nach der Rechtswirksamkeit der Beendigungserklärung:

„Eine gerechtfertigte Entlassung löst das Arbeitsverhältnis auf, wenn sie rechtswirksam ausgesprochen wurde. Eine rechtsunwirksame Beendigungserklärung löst daher das Arbeitsverhältnis, auch wenn sie gerechtfertigt ist, nicht auf. Für die Rechtswirksamkeit ist die Einhaltung jener Bestimmungen erforderlich, die für den Fall ihrer Nichtbeachtung die Rechtsunwirksamkeit (ausdrücklich oder schlüssig, vor allem wenn der Normzweck anders nicht erreicht werden kann) vorsehen. ... Durch eine ungerechtfertigte Entlassung wird das Arbeitsverhältnis eines unter besonderem Kündigungs- oder Entlassungsschutz stehenden Arbeitnehmers nicht aufgelöst.“

Richtig ist daher davon auszugehen, dass eine wegen Verstoßes gegen Formvorschriften rechtsunwirksame Beendigungserklärung das Vertragsverhältnis grundsätzlich nicht auflöst. Macht aber der AN von seinem Wahlrecht Gebrauch, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dennoch anzuerkennen, wird die relative Nichtigkeit der Kündigung, die sich aus der Verletzung der Formvorschriften ergibt, saniert (9 ObA 97/05p). Es kommt zu einer rechtswirksamen Beendigung mit Lösungswirkung zu dem sich aus der Beendigungserklärung ergebenden Zeitpunkt. Damit kann der DN aber Schadenersatzansprüche nicht aus der (geheilten) Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung, sondern nur noch aus deren allfälliger Unbegründetheit bzw Fristwidrigkeit ableiten.

Die Kl hat sich wie schon ausgeführt ausdrücklich entschlossen, die Rechtsunwirksamkeit der Beendigungserklärung nicht geltend zu machen; sie kann daher Ansprüche nur daraus ableiten, dass die Beendigung nicht gerechtfertigt war. Während der Probezeit kann das Lehrverhältnis aber, wie ebenfalls schon ausgeführt, ohne Angabe von Gründen jederzeit einseitig aufgelöst werden (§ 15 Abs 1 BAG). Die „Unbegründetheit“ kann daher in einem solchen Fall nicht zu Schadenersatzansprüchen führen.

[...]

8. Zusammengefasst bedeutet das: Entschließt sich ein Lehrling, eine formwidrige Kündigung gegen sich gelten zu lassen, kann er allein aus der Formwidrigkeit keine Ansprüche ableiten, sondern nur aus der Unbegründetheit der Auflösungserklärung. Da während der Probezeit die Auflösung keines Grundes bedarf, besteht in einem solchen Fall kein Schadenersatzanspruch gegen den Lehrberechtigten. Der Revision war daher insgesamt nicht Folge zu geben. [...]151

ANMERKUNGEN
1.
Einleitung

Auch mehr als 50 Jahre nachdem Kuderna (Entlassungsrecht [1966] 22) die Idee eines Wahlrechts bei rechtsunwirksamer Auflösung des Arbeitsverhältnisses erstmals formuliert hat, bereitet dessen dogmatische Fundierung und damit in weiterer Folge auch dessen praktische Handhabung Schwierigkeiten. Dabei erweist sich der Sachverhalt, der der vorliegenden E zugrunde liegt, als vergleichsweise unscheinbar: Der AG möchte das Lehrverhältnis im zweiten Lehrmonat und damit jedenfalls innerhalb der dreimonatigen Probezeit des § 15 Abs 1 BAG auflösen, hält dabei jedoch die erforderliche Schriftform nicht ein. Der Lehrling macht von seinem Wahlrecht Gebrauch; er lässt die an sich rechtsunwirksame Auflösung gegen sich gelten und macht Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend. Der vom Lehrling erhobene Anspruch auf Kündigungsentschädigung wird von allen drei Instanzen abgewiesen (vgl mwN zu dem in der vorliegenden E nicht thematisierten Verhältnis von Auflösung in der Probezeit und Krankenstand Mathy/Naderhirn in Kozak [Hrsg], ABGB und Arbeitsrecht [2019] § 1156 Rz 11). Während das Urteil im Ergebnis überzeugt, sind hinsichtlich der Begründung Nachschärfungen geboten, da andernfalls die Gefahr besteht, im dogmatischen Dickicht von besonderem Bestandschutz, Nichtigkeit und Wahlrecht einen Irrweg einzuschlagen.

2.
Schriftform

Gem § 15 Abs 2 BAG ist die Einhaltung der Schriftform Wirksamkeitserfordernis für die Auflösung des Lehrverhältnisses. Dies gilt für sämtliche der in § 15 Abs 1 BAG genannten rechtsgeschäftlichen Beendigungsarten. Die Anforderungen, die an die Schriftlichkeit eines Rechtsgeschäftes iSd § 15 Abs 2 BAG gestellt werden, entsprechen jenen des § 886 ABGB (vgl zB OGH9 ObA 96/07vDRdA 2009, 508 [K. Mayr]). Es ist daher erforderlich, die Auflösungserklärung eigenhändig zu unterschreiben oder den Text mit einer qualifizierten elektronischen Signatur iSd § 4 SVG zu versehen. Im vorliegenden Fall wurde die Beendigungserklärung als (schlichte) WhatsApp-Nachricht übermittelt. Es entspricht dies einer mittels SMS oder (schlichter) E-Mail versandten Auflösungserklärung, welche der OGH mangels eigenhändiger (bzw qualifizierter elektronischer) Unterschrift zu Recht als nicht dem § 15 Abs 2 BAG entsprechend qualifiziert hat (OGH9 ObA 96/07vDRdA 2009, 508 [K. Mayr]); OGH8 ObA 64/14sDRdA-infas 2015, 133 [Gittenberger]). Am Verstoß gegen das Schriftformgebot des § 15 Abs 2 BAG lässt sich daher im vorliegenden Fall nicht zweifeln. Entgegen der vom OGH in seiner E vom 28.10.2015, 9 ObA 110/15i, vertretenen Ansicht wäre jedoch anders zu urteilen gewesen, wenn der AG nicht bloß eine schlichte WhatsApp- Nachricht versandt hätte, sondern dem Lehrling ein Foto der eigenhändig unterschriebenen Auflösungserklärung mittels WhatsApp zukommen hätte lassen. Dabei handelt es sich um nichts anderes als die Übermittlung des Scans einer eigenhändig unterschriebenen Originalurkunde per E-Mail, für die die Erfüllung des Schriftformgebotes im Allgemeinen anerkannt ist (vgl Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 886 ABGB Rz 4; Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 886 Rz 9; OLG Wien8 Ra 160/06t ARD 5824/8/2007: Kündigung per Fax). Die vom OGH für die gegenteilige Ansicht vorgetragenen Argumente wurden in zahlreichen Besprechungen dieses Urteils regelrecht „zerpflückt“ (vgl Trost, „WhatsApp“ erfüllt nicht Schriftformgebot bei Kündigung, DRdA 2016, 341 ff; Köck, Übermittlung des Fotos eines Kündigungsschreibens per „WhatsApp“ erfüllt Schriftformgebot nicht, ZAS 2016, 86 ff; Schnittler, Schriftform bei einer Kündigung per „WhatsApp“ – eine Erörterung aus Anlass der OGH-E 9 ObA 110/15i jusIT 2016, 47 ff; Stiglbauer, Schriftformbedürftige Kündigung – Gültigkeit bei Zugang per WhatsApp? JBl 2017, 681; aA Geiblinger, Kündigung des Arbeitsverhältnisses per „WhatsApp“ bei Schriftformgebot im Kollektivvertrag, JAS 2017, 66 ff).

3.
Nichtigkeit

Mangels Beachtung der Schriftform erweist sich die Auflösung als rechtsunwirksam, das einseitige Gestaltungsrechtsgeschäft ist maW nichtig. Welche Rechtswirkungen die Nichtigkeitssanktion nach sich zieht, hängt freilich von der Art der Nichtigkeit ab. Die hA qualifiziert eine gegen die Vorgaben eines besonderen Bestandschutzes verstoßende Auflösung als relativ nichtig (OGH 26.2.1992, 9 ObA 40/92; OGH9 ObA 322/99iDRdA 2001, 38 [Kerschner]; OGH9 ObA 97/05pDRdA 2007, 57 [Weiß]; Schrank, Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung [1982] 306 ff; Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes,

; ders, Entlassungsrecht2 [1996] 43 f). Zur Geltendmachung einer solchen relativen Nichtigkeit ist nur derjenige berechtigt, der durch die Norm geschützt wird (Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 ABGB Rz 512). MaW: Zwar kann sich der AN auf die Nichtigkeit einer gegen den besonderen Bestandschutz verstoßenden Auflösung berufen, nicht jedoch der AG.

An der Annahme „bloß“ relativer Nichtigkeit hat sich jedoch Kritik entzündet: Dagegen wird vorgebracht, dass mit dem besonderen Bestandschutz auch andere Interessen geschützt werden als jene des einzelnen AN (Firlei, Verzicht auf besonderen Kündigungsschutz?

[456]; Mayer-Maly, Probleme aus der neueren Rechtsprechung zum besonderen Kündigungsschutz, [357 ff]; Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 29 AngG Rz 16). Das überwiegende Schrifttum steht jedoch auf dem Standpunkt, dass diese „überindividuellen“ Interessen nicht hinreichen, um eine absolute Nichtigkeit der Auflösung zu begründen (vgl Marhold zu OGH4 Ob 129/79 ZAS 1982, 57 [60]; Schrank, Fortbestand 309; Kuderna, ) und der OGH hat 152 selbst im Anwendungsbereich des § 45a AMFG, wo öffentliche (arbeitsmarktpolitische) Interessen besonders stark ausgeprägt sind, eine Dispositionsmöglichkeit des AN bejaht (OGH4 Ob 79/82 Arb 10.148; OGH9 ObA 322/99iDRdA 2001, 38 [Kerschner]). Gegen die Qualifikation der aus einer Verletzung des besonderen Bestandschutzes resultierenden Rechtsunwirksamkeit als relative Nichtigkeit wird weiters eingewendet, dass dies zu einer „schwebenden Wirksamkeit der rechtswidrigen Auflösung“ führe, was die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den besonderen Bestandschutz an die bloße Anfechtbarkeit des allgemeinen und individuellen Bestandschutzes (nahezu vollständig) angleiche und den Unterschied zwischen diesen Systemen verwässere (Weiß, Das Wahlrecht des besonders bestandgeschützten Arbeitnehmers und dessen Fristgebundenheit, DRdA 2003, 551 [553 f]; Födermayr, Aufgriffsobliegenheit bei Kündigung besonders bestandgeschützter Arbeitsverhältnisse? JBl 2011, 626 [632 f]). Diese Befürchtung erweist sich jedoch als unbegründet: Bei bloßer Untätigkeit bleibt das relativ nichtige Rechtsgeschäft grundsätzlich nichtig (Kerschner, Irrtumsanfechtung insbesondere beim unentgeltlichen Geschäft [1984] 34). Die Annahme schwebender Wirksamkeit eines relativ nichtigen Rechtsgeschäftes (und damit die Gleichsetzung von relativer Nichtigkeit und „bloßer“ Anfechtbarkeit) ist nur dann zu erwägen, wenn eine Willensbildungsstörung dessen, der zur Geltendmachung der relativen Nichtigkeit berechtigt ist, allein oder in Verbindung mit Elementen eines missbilligten Geschäftsinhaltes (zB § 879 Abs 2 Z 4 ABGB) die Nichtigkeitssanktion nach sich zieht (Feltl, Relative Nichtigkeit und Anfechtbarkeit: Wo liegt der Unterschied? AnwBl 2015, 211 ff). Da eine Willensbildungsstörung des AN als bloßer Empfänger der einseitigen Auflösungserklärung des AG jedoch ausgeschlossen ist, führt die Qualifikation des gegen einen besonderen Bestandschutz verstoßenden Rechtsgeschäftes als relativ nichtig nicht zur schwebenden Wirksamkeit, sondern zu dessen Unwirksamkeit. Es ist jedoch eine Einschränkung geboten: Nach nahezu einhelliger Auffassung kann diese Unwirksamkeit insb wegen des Klarstellungsinteresses des Vertragspartners nicht zeitlich unbefristet bestehen (vgl RIS-Justiz RS0028233). Eine dogmatisch saubere Begründung für eine Begrenzung der Unwirksamkeit vermag nur eine teleologische Reduktion der Rechtsfolge des Verstoßes gegen den besonderen Bestandschutz entsprechend dem Normzweck zu bringen („Normzwecktheorie“). Die Schwäche einer originär rechtsgeschäftlichen Herleitung dieses Ergebnisses („Verzicht auf den Fortsetzungsanspruch“), wie dies vom OGH präferiert wird (RIS-Justiz RS0028233 [T5]), liegt darin, dass sie zwar ebenfalls in die Unabdingbarkeit des „Fortsetzungsanspruchs“ eingreift, jedoch jene Fälle keiner adäquaten Lösung zuführen kann, in denen beide Parteien von der Wirksamkeit der Auflösung ausgehen (Kerschner, Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung, DRdA 2001, 38 [40 f]). Infolge der gebotenen teleologischen Reduktion der Nichtigkeitssanktion ist davon auszugehen, dass die Unwirksamkeit der Auflösung nicht zeitlich unbeschränkt besteht, sondern nur solange, wie es der Normzweck verlangt. Damit kommt es zu einer zeitlichen Abfolge von Unwirksamkeit und Wirksamkeit; erst aus dieser lässt sich in einem weiteren Schritt die Zulässigkeit rechtsgeschäftlicher Disposition über den „Fortsetzungsanspruch“ ableiten.

4.
Wahlrecht
4.1.
Die Begründung des Wahlrechts

Setzt man relative Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nicht gleich, so erweist sich die relative Nichtigkeit einer gegen den besonderen Bestandschutz verstoßenden Auflösungserklärung nicht als hinreichende Begründung für das Bestehen des Wahlrechts. Im Gegenteil! Die Existenz eines Wahlrechts kann dann nur durch eine weitere teleologische Reduktion der Rechtsfolge des Verstoßes gegen einen besonderen Bestandschutz erklärt werden, wie dies auch in maßgeblichen dogmatischen Arbeiten zu diesem Rechtsinstitut vertreten wurde (grundlegend Jabornegg, Schadenersatz bei ungültiger Entlassung,

[109 ff]; Födermayr, JBl 2011, 631 f; weiters OGH8 ObA 213/96 [Dirschmied]). Zur Herleitung des Wahlrechts bedarf es des Vergleichs zwischen jenen, die durch den besonderen Bestandschutz privilegiert werden sollen, und jenen, die nicht in den Genuss eines besonderen Bestandschutzes kommen (vgl Trost in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 120 Rz 104): Mit dem allgemeinen Bestandschutz gem §§ 105 ff ArbVG ist ein Wahlrecht des AN zwischen dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der Geltendmachung der beendigungsrechtlichen Ansprüche stillschweigend verbunden (Pfeil in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 29 AngG Rz 16). Gleiches gilt wegen der identischen rechtstechnischen Konstruktion (schwebende Wirksamkeit) für den individuellen Bestandschutz, für den in jüngerer Zeit ein solches Wahlrecht mehrfach auch ausdrücklich im Gesetz festgeschrieben wurde (vgl §§ 12 Abs 7, 26 Abs 7 GlBG; § 15 Abs 2 AVRAG; § 10 Abs 8 MSchG). Der besondere Bestandschutz will aber im Vergleich zum allgemeinen bzw individuellen Bestandschutz einen stärkeren Schutz vor Kündigungen und Entlassungen bieten, indem sich dieser nicht mit der (zeitlich befristeten) schwebenden Wirksamkeit (= Anfechtbarkeit) des Gestaltungsrechtsgeschäftes begnügt, sondern dessen (zeitlich befristete) Unwirksamkeit (= Nichtigkeit) nach sich zieht. MaW: Der besondere Bestandschutz bezweckt eine Privilegierung bestimmter AN bei der Durchsetzung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses (Jabornegg, Unbegründete Entlassung eines Lehrlings und Behaltepflicht, [19]). Demgegenüber erweist sich die Beseitigung des mit dem allgemeinen sowie dem individuellen Bestandschutz verbundenen Wahlrechts als nicht dem Privilegierungszweck immanent, sondern als eine aus systematisch-logischen Gründen zu ziehende Konsequenz: Ein Rechtsgeschäft kann nicht gleichzeitig unwirksam und wirksam sein. Dieser 153 Ausschluss des Wahlrechts beruht jedoch auf keiner bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, vielmehr hat er dieses Problemfeld bei Schaffung des besonderen Bestandschutzes übersehen (vgl Mayer-Maly, ).

Die aus dem besonderen Bestandschutz resultierende „Sperre“ hinsichtlich der Geltendmachung beendigungsrechtlicher Ansprüche erweist sich jedoch bereits nach dem bisher Ausgeführten als bloß temporär: Durch die zeitliche Abfolge von Unwirksamkeit und Wirksamkeit der Auflösung steht die Nichtigkeit insoweit zur Disposition des AN, als dieser durch Abwarten die Wirksamkeit der Auflösung erreicht; nach Eintritt der Wirksamkeit steht der Weg zur Geltendmachung beendigungsrechtlicher Ansprüche dem Grunde nach offen. Wenn jedoch ohnehin ein „Wahlrecht via Abwarten“ besteht, erscheint der Ausschluss eines „Wahlrechts via Gestaltungsrechtsgeschäft des AN“ wertungswidersprüchlich. Dieses dient einerseits dem Klarstellungsinteresse des AG und verhindert andererseits, dass die Vergünstigung des AN bei Durchsetzung seines „Fortsetzungsanspruchs“ durch etwaige Benachteiligungen bei der Durchsetzung beendigungsrechtlicher Ansprüche erkauft wird (vgl § 34 Abs 2 AngG, der zumindest seinem Wortlaut nach auf den Tag der Entlassung abstellt). Das rechtstechnische Mittel, um die überschießende Rechtsfolgenanordnung einzuschränken, liegt darin, diese teleologisch zu reduzieren und den Übergang von der Unwirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Auflösung zu deren Wirksamkeit nicht nur durch Zeitablauf, sondern auch durch einseitiges Gestaltungsrechtsgeschäft des AN zu ermöglichen. Damit wird die (zeitlich befristete) Unwirksamkeit der Auflösungserklärung zu einer (zeitlich befristeten) schwebenden Unwirksamkeit.

4.2.
Der Anspruch auf Schadenersatz

Das Wahlrecht räumt dem AN die Möglichkeit ein, die an sich unwirksame Auflösung gegen sich gelten zu lassen und seine beendigungsrechtlichen Ansprüche geltend zu machen. Vielfach wird dies dahingehend ausgedrückt, dass dem AN ein Wahlrecht zwischen „Unwirksamkeitslösung“ und „Schadenersatzlösung“ zukomme (zB RIS-Justiz RS0113482). Diese Terminologie ist jedoch abzulehnen. Sie rührt noch von den Ursprüngen des Wahlrechts her, welches vornehmlich anhand von ungerechtfertigten Entlassungen besonders bestandgeschützter AN entwickelt wurde (Kuderna, Entlassungsrecht 22; Jabornegg,

ff; ders, ff). Die Begriffe „Unwirksamkeitslösung“ und „Schadenersatzlösung“ stammen aus der Diskussion um die Behandlung ungerechtfertigter Entlassungen bzw zeitwidriger Kündigungen und sind fest mit der Kündigungsentschädigung gem § 1162b ABGB verknüpft. Die Reduktion des Wahlrechts auf diese beiden Schlagworte greift aus zwei Gründen zu kurz: Zum einen ist die Kündigungsentschädigung zwar ein bedeutender beendigungsrechtlicher Anspruch, jedoch beileibe nicht der einzige. Zum anderen wird das Wahlrecht mittlerweile auf sämtliche rechtsgeschäftliche Auflösungsarten erstreckt; nur mit manchen von diesen ist ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung verbunden: So wurde das Wahlrecht bereits früh auch für rechtsunwirksame Kündigungen fruchtbar gemacht (vgl OGH4 Ob 6/76 Arb 9460). Da eine Anwendung des § 1162b ABGB voraussetzt, dass das Arbeitsverhältnis früher aufgelöst wurde, als dies ordnungsgemäß möglich gewesen wäre (Marhold/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht3 [2016] 323), kann es bei der Kündigung besonders bestandgeschützter AN nur dann zur (analogen) Anwendung des § 1162b ABGB kommen, wenn entweder die Kündigung unter Verletzung von Frist bzw Termin erklärt wird oder eine „Schutzfrist“ missachtet wird, welche ihrem Normzweck nach in die Berechnung der Kündigungsentschädigung einzubeziehen ist. Bei einer wegen Verstoßes gegen den besonderen Bestandschutz rechtsunwirksamen einvernehmlichen Auflösung kommt ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung von vornherein nicht in Betracht (vgl Holzer, Bemerkungen zum sogenannten „Wahlrecht“ des Arbeitnehmers beim besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz, ASoK 2007, 126 [128]).

Der Vergleich mit den „normalen“ AN begründet jedoch nicht nur die Lehre vom Wahlrecht des besonders bestandgeschützten AN; dieser zeigt in Bezug auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Beendigung auch Grenzen auf: So weist Jabornegg darauf hin, dass allein die Nichteinhaltung der Formvorschrift bei der Entlassung eines Lehrlings keinen Anspruch auf Kündigungsentschädigung zu begründen vermag, sondern ebenso wie bei AN, die keinen besonderen Bestandschutz genießen, nur das Fehlen eines Entlassungsgrundes einen solchen Anspruch zur Folge hat (Jabornegg, Grundlose Lehrlingsentlassung, DRdA 2001, 303 [309]). Nur scheinbar in die gegenteilige Richtung weisen die Ausführungen von Trost zum besonderen Bestandschutz der Belegschaftsvertreter: Ihr zufolge ist es nicht erforderlich, zwischen einer Verletzung von formalen Aspekten (gerichtliche Genehmigung) und materiellen Aspekten (Vorliegen eines Entlassungsgrundes) zu differenzieren. Selbst wenn ein Verhalten gesetzt wurde, das einen Entlassungsgrund darstellt, würde ein neuerlicher Entlassungsversuch (nach einer aus formalen Gründen rechtsunwirksamen Entlassung) daran scheitern, dass der Entlassungsgrund zwischenzeitlich verfristet wäre; damit fehlt es ohnehin materiell-rechtlich an einem Entlassungsgrund (Trost in Jabornegg/Resch [Hrsg], ArbVG § 120 Rz 107). Dieser Ansicht hat sich auch der OGH angeschlossen: Von einer Verfristung des Rechts, eine nachträgliche Genehmigung der Auflösung bei Gericht einzuholen, sowie damit verbunden der Verfristung des Entlassungsgrundes sei auszugehen, wenn der entlassene AN zwölf Tage nach Zugang der Auflösung sein Wahlrecht ausgeübt hat (OGH8 ObA 37/17zDRdA 2018, 247 [Pfalz]). Damit stellt sich jedoch die Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Verfristung des Entlassungsgrundes maßgeblich ist, wenn die Einholung einer nachträglichen Genehmigung noch nicht verfristet ist, aber daran scheitert, dass es dem AG am Rechtsschutzinteresse fehlt, weil der AN 154 bereits von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat. In diesem Fall kann sich der AG auch im Prozess um eine Kündigungsentschädigung auf den Entlassungsgrund berufen (zOGH8 ObA 37/17DRdA 2018, 247 [Pfalz]). Im Ergebnis erweist sich damit der Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts als entscheidend für die Beurteilung einer allfälligen Verfristung. Dies ist auch für den vorliegenden Sachverhalt von Bedeutung: Zwar ist die Auflösung in der Probezeit nicht von einem Grund abhängig, der rechtzeitig geltend zu machen ist. Eine „Verfristung“ kann jedoch insofern eintreten, als eine vermeintliche Auflösung in der Probezeit daran scheitert, dass die Probezeit abgelaufen ist. Eine solche Auflösung wird nämlich als unbegründete Entlassung qualifiziert (vgl mwN Mathy/Naderhirn in Kozak [Hrsg], ABGB und Arbeitsrecht § 1158 Rz 29). Im vorliegenden Fall hat der Lehrling jedoch von seinem Wahlrecht noch während der für den AG geltenden Probezeit Gebrauch gemacht. Mangels „Verfristung“ besteht daher kein Anspruch auf Kündigungsentschädigung.

Das bedeutet jedoch nicht, dass damit jedweder Schadenersatzanspruch ausgeschlossen ist; die im Leitsatz 3 wiedergegebenen gegenteiligen Ausführungen des OGH erweisen sich als überschießend: Der OGH streicht im vorliegenden Urteil zwar hervor, dass durch die Ausübung des Wahlrechts, die Rechtsunwirksamkeit der Auflösung (also eine Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit) saniert wird; das erlaubt jedoch keinen Schluss darauf, dass dadurch die Rechtswidrigkeit des Verstoßes gegen das gesetzlich normierte Formgebot als solche beseitigt oder auch nur berührt wird. Die dogmatische Herleitung des Wahlrechts hat vielmehr ergeben, dass dieses Rechtsinstitut lediglich eine teleologische Reduktion der aus der Rechtwidrigkeit resultierenden Nichtigkeitssanktion ist. Dh, dass zwar der privilegierte Schadenersatzanspruch gem § 1162b ABGB ausgeschlossen ist, wenn sowohl die formwidrige Probezeitlösung als auch die Ausübung des Wahlrechts in der für den AG geltenden Probezeit erfolgen; die Ausübung des Wahlrechts lässt jedoch die Möglichkeit, wegen der Formwidrigkeit Schadenersatz nach Maßgabe der allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 1293 ff ABGB) geltend zu machen, unberührt (vgl auch Holzer, ASoK 2007, 127 f).

5.
Lehrverhältnis und Kündigung

Im Leitsatz 3 heißt es ua: „Entschließt sich ein Lehrling, eine formwidrige Kündigung gegen sich gelten zu lassen, kann er allein aus der Formwidrigkeit keine Ansprüche ableiten, sondern nur aus der Unbegründetheit der Auflösungserklärung.“ Dabei handelt es sich entweder um einen bemerkenswerten Fortschritt der Dogmatik oder um einen bemerkenswerten Mangel an sprachlicher Präzision; dem österreichischen Höchstgericht in Zivilrechtssachen muss ersteres unterstellt werden. Im Katalog zulässiger rechtsgeschäftlicher Beendigungsarten des § 15 Abs 1 BAG wird die Kündigung nicht genannt. Beim Lehrverhältnis handelt es sich daher noch hA um einen befristeten Arbeitsvertrag, für den eine Kündigungsmöglichkeit nicht vorgesehen ist (Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallig-Prainsack/Strohmayer, BAG2 [2017] § 14 Rz 4). Daher erweist sich grundsätzlich jede Kündigung des Lehrverhältnisses – sofern sie der Lehrling gegen sich gelten lässt und diese nicht zum Ende der Vertragszeit ausgesprochen wird – als zeitwidrig, womit Schadenersatz analog §1162b ABGB gebührt. Da der OGH in der vorliegenden E jedoch auf die Frage der Kündigungsentschädigung bei Fristwidrigkeit explizit eingeht, muss mit dem Hinweis auf eine „formwidrige Kündigung“ an andere Sachverhaltskonstellationen, und dh an andere Beendigungsformen, gedacht worden sein. Zwar kennt das BAG die Möglichkeit einer einseitigen, grundlosen Auflösung des Lehrvertrages: Bislang wurden aber sowohl die Auflösung in der Probezeit (vgl mwN Neumayr in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1158 Rz 27) als auch die außerordentliche Auflösung des Lehrverhältnisses (§ 15a BAG) von der hA nicht unter den Oberbegriff „Kündigung“ subsumiert, sondern als „Auflösung sui generis“ qualifiziert (vgl mwN Strohmayer in Aust/Gittenberger/Knallig-Prainsack/Strohmayer, BAG2 § 15a Rz 3; dagegen mit ausführlicher Begründung Mathy/Trost, Ausbildungsübertritt und Bestandschutz – Widerspruch oder notwendige Ergänzung? DRdA 2017, 446 [448 f]). Von dieser Ansicht dürfte der OGH – jedenfalls was die Auflösung in der Probezeit anbelangt – nunmehr abgegangen sein. Der im vorliegenden Urteil angedeutete Abschied von der Kategorie „Auflösung sui generis“ bedeutet ein Abrücken von einem überholten begriffsjuristischen Argumentationsmus ter und ebnet den Weg hin zu einer Erörterung der eigentlichen Sachfragen und ist schon aus diesem Grund uneingeschränkt zu begrüßen (vgl bereits Strasser, Juristische Methodologie und soziale Rechtsanwendung im Arbeitsrecht,

[90]). 155