Schmidt/Müller/Ramos-Vielba/A. Thörnquist/C. ThörnquistFinanzmarktkrise und Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Sektor – Deutschland, Großbritannien, Schweden und Spanien

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 240 Seiten, broschiert, € 59,–

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)

Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hinterließ tiefe Spuren im öffentlichen Sektor, insb im Bereich der Arbeitsbeziehungen. Das ist das Thema dieser ambitionierten Projektstudie. Der Publikation liegt ein multinationales und interdisziplinäres Projekt zugrunde. Das vorliegende Werk ist Teil der verdienstvollen Reihe des Nomos-Verlags „Modernisierung des öffentlichen Sektors“ („Gelbe Reihe“, Sonderband 48).

Methodisch wurden nationale und internationale Statistiken herangezogen und ausgewertet sowie ExpertInneninterviews und Gespräche mit Kommunen geführt. Einbezogen wurden auch RepräsentantInnen der AG- und AN-Seite.

Die Länderberichte sind in gleicher Weise gegliedert: Es werden für jedes Land die Grundzüge der Arbeitsbeziehungen, die Verhandlungsprozesse, die Arbeitsbedingungen und die Arbeitskonflikte im öffentlichen Sektor dargestellt. Anschließend wird die Rolle der Krise für die Arbeitsbeziehungen diskutiert. Die Studie mündet in einen kompakten Ländervergleich mit ausführlichen, auch arbeitspolitischen Schlussfolgerungen.

Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es bereits vor der Finanzkrise 2008 ff in allen Staaten zu austeritätspolitischen, den öffentlichen Sektor unter Effizienzdruck stellenden und diesen auch deutlich verkleinernden Maßnahmen kam. Die Reorganisierung des öffentlichen Sektors im Zuge der Krisen des Kapitalismus, wie sie sich schon sei etwa 1980 entwickelt haben, hat eine lange Geschichte, die hier thematisierten Veränderungen sind nur ein aktueller und besonders signifikanter Schub in diese Richtung.

Generell zeigen sich nicht unerwartet erhebliche Unterschiede zwischen den untersuchten Staaten. Hier einige Ergebnisse: Der öffentliche Sektor in Großbritannien und Spanien wurde nach der Krise einer ausgeprägten Sparpolitik unterzogen, die sich massiv auf Einkommen und Beschäftigungsbedingungen sowie auf die Anerkennung und die Rechte der Beschäftigten und der Gewerkschaften ausgewirkt hat. In Deutschland verschlechterten sich die Beschäftigungsbedingungen bereits vor der Krise, seither stiegen aber die Einkommen wieder. Für Schweden wird eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland konstatiert. Der öffentliche Sektor ist in Schweden immer noch deutlich größer als in den anderen Ländern.

In allen vier Ländern war der öffentliche Sektor in den letzten mehr als 20 Jahren einem hohen Legitimationsdruck ausgesetzt. In Großbritannien erweisen sich neoliberale Lösungsmuster traditionell als besonders dominant. Besonders in Großbritannien und Spanien hat die Politik der Austerität den Einfluss der GewerkGewerkschaften und die Verbindlichkeit von Regelungen geschwächt und die bestehenden Arbeitsbeziehungen ausgehöhlt. Es gab aber keinen Einbruch der tarifvertraglichen Deckungsrate und der Mitgliederzahlen.

In Deutschland und Schweden waren die Gewerkschaften schon vor der Krise mit einer Politik der Austerität, mit Mitgliederverlusten und einer Erosion gewerkschaftlicher Orientierungen in der Gesellschaft konfrontiert. Es wurde schwieriger, Entgeltsteigerungen im öffentlichen Dienst durchzusetzen. In Schweden besteht aber auch deswegen eine günstigere Interessenkonstellation, weil der öffentliche Sektor mehr mit wohlfahrtsstaatlichen denn mit hoheitlichen Aufgaben befasst ist. Es gibt keinen „Privilegienverdacht“, da die Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Sektor denen in der Privatwirtschaft stark angenähert sind. Auch der Korruptionsverdacht ist geringer und es gibt ein hohes Vertrauen in die öffentliche Verwaltung. Schweden ist charakterisiert durch moderate, nach oben gedeckelte Lohnerhöhungen. Die Arbeitsbeziehungen sind konsensual, Arbeitskonflikte selten (man beachte dazu Ähnlichkeiten mit Österreich). In Schweden ist, anders als in Deutschland und in Österreich, die Leitidee einer aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit funktionell notwendigen sozialen Ungleichheit nicht sehr ausgeprägt.

Deutschland ist gekennzeichnet durch eine sehr rasche wirtschaftliche Erholung nach der Krise. Es gab schon in der Krise und danach erhebliche Reallohnsteigerungen. Der Abbau des öffentlichen Bereichs setzte sich fort, allerdings gab es einen Gegentrend im Bereich der Humanressourcenbildung (Ausbau des Bildungssektors einschließlich Kinderbetreuung). Generell hat sich der gewerkschaftliche Einfluss in Deutschland eher positiv entwickelt. Sektoral hat sich vor allem die Gewerkschaft Ver.di stärker profilieren können, auch wegen des Ausbaus des Bildungssektors.

Die deutlich negative Entwicklung der Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Sektor in Großbritannien und Spanien hat zu keiner Radikalisierung geführt. Man versuchte, mit der AG-Seite im Gespräch zu bleiben.

Ein Vergleich der Arbeitsbeziehungen im öffentlichen und im privaten Bereich zeigt, dass in allen vier Ländern eine Tendenz zu einer mehr oder weniger umfangreichen Privatisierung und zu einer Angleichung an die Steuerungs- und Arbeitsprozesse des Privatsektors besteht (Stichwort: New Public Management). Die Gewerkschaften stehen einer inneren Ökonomisierung des öffentlichen Sektors in allen vier Ländern nachvollziehbar skeptisch gegenüber, ua auch, weil die Partizipationsversprechen nicht eingehalten wurden. In drei Ländern (ausgenommen Großbritannien) ist die Tarifvertragsdeckung in öffentlichen Bereich nahezu 100 %. Das Berufsbeamtentum wurde (nur) in Deutschland und Spanien konserviert. In Schweden ist das Berufsbeamtentum weitgehend abgeschafft, die Beschäftigungsbedingungen aller Staatsbeschäftigten sind weitgehend angeglichen.

Die Studie bietet für die wachsende Divergenz zwischen den Arbeitsbeziehungen des öffentlichen und des privaten Sektors mehrere diskussionswürdige Deutungen an. Überraschend ist, dass der Druck auf die Arbeitsbedingungen in Deutschland, Schweden und Großbritannien 176 nicht primär aus Machtverschiebungen im System der Arbeitsbeziehungen resultiert, sondern aus wirtschaftspolitischen Strategien wie Sparprogrammen, Ausgabenkürzungen, Schuldenbremsen, Redimensionierungen etc. Es dominieren also wirtschafts- und fiskalpolitische Ziele, personalwirtschaftliche und arbeitspolitische werden demgegenüber zurückgedrängt.

Besonders lesenswert sind schließlich die politischen Schlussfolgerungen: Daraus lassen sich einige bemerkenswerte Handlungsoptionen erkennen, die mE auch für die österreichische Situation nützlich sein könnten. Vor allem: Austeritätspolitik verursacht gesellschaftliche Schäden ohne einen erkennbaren Nutzen, ist aber aus der Perspektive der BürgerInnen („schlanker“ Staat, Senkung der Abgabenquote) durchaus attraktiv.

Hauptaufgabe der Gewerkschaften ist die Abwehr der Angriffe auf den öffentlichen Sektor und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Es geht dabei auch darum, dass die öffentlichen Leistungen von den BürgerInnen geschätzt werden und diese sich diese Leistungen daher nicht einfach wegnehmen lassen. Wie Schweden zeigt, wirkt ein hohes Gewicht wohlfahrtsstaatlicher Funktionen des öffentlichen Bereichs unterstützend (soziale Dienstleistungen, Kinderbetreuung, Pflege, Feuerwehr, öffentlicher Verkehr, Sicherheit usw). Eine Annäherung der Arbeits- und Entgeltbedingungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor kann dabei hilfreich sein, die Aufrechterhaltung von „Sonderrechten“ ist es eher nicht. Ein bürgernaher und effektiver öffentlicher Sektor kann ein Bündnis iS eines gemeinsamen Interesses der Beschäftigten und der Bevölkerung herstellen. Ein großer und partizipativ angelegter öffentlicher Sektor stärke, so die Schlussfolgerung, den Einfluss der BürgerInnen auf Wirtschaft und Arbeitswelt und bilde ein Gegengewicht gegen die privatwirtschaftliche Machtkonzentration.

Zusammenfassend zeigt die Studie, wie unterschiedlich die Bedingungen in den einzelnen Staaten sind und daher jeweils spezielle Lösungen für die Erhaltung „guter Arbeit“ erforderlich sind. Sie zeigt aber auch die Generaltendenz und den Kern des Problems auf, nämlich die dominierende Austeritätspolitik und den neoliberalen Ansatz, Staatsfunktionen abzubauen und die Funktionen der Privatwirtschaft ohne nachvollziehbare Rechtfertigung zu überhöhen.