VölckerDer Konzerntarifvertrag – Wege zur einheitlichen Tarifgestaltung im Konzern

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 266 Seiten, kartoniert, € 72,–

LINDAKREIL (WIEN/WR. NEUSTADT)

Das deutsche Tarifvertragsgesetz (TVG) kennt – ebenso wie die entsprechenden österreichischen Normen (vgl §§ 4 ff ArbVG) – keinen Konzerntarifvertrag. Der Autor untersucht in seiner 2016 bei Prof. Matthias Jacobs verfassten Dissertation, wie man dennoch zu konzernweit einheitlichen tariflichen Regelungen kommen könnte und was diese zu leisten vermögen.

Die praktische Relevanz zeigt sich etwa an folgenden (hier aus dem Gedächtnis wiedergegebenen) Fällen, die in den letzten Jahren mediale Aufmerksamkeit fanden:

  • Ein in der Sozialwirtschaft tätiger Verein betreibt mittels einer Tochter-GmbH ein Hotel; die GmbH gehört folglich dem (für die AN ungünstigeren) KollV Gastwirtschaft-Hotellerie an. Die beim Verein (dh, dem nunmehrigen Mutter-„Unternehmen“) tätigen Reinigungskräfte werden zum Abschluss neuer Arbeitsverträge mit der (Tochter-)GmbH gebracht. Das Entgelt mag zwar durch einzelvertragliche Zusicherung einer entsprechenden Überzahlung vorderhand gleich bleiben, dennoch droht längerfristig ein Absinken des Entgeltniveaus: Zuerst sind „nur“ neu aufgenommene Reinigungskräfte davon erfasst. Zu einem späteren Zeitpunkt, etwa im Zuge von Einsparungsmaßnahmen, kann jedoch auch den „alteingesessenen“ AN der Verzicht auf die Überzahlung, bekräftigt durch eine Änderungskündigung, „nahegelegt“ werden.

  • Ein Luftfahrtunternehmen verfügt aus historischen Gründen über einen eigenen, verglichen mit dem Branchen-KollV für die AN günstigeren KollV. Das Unternehmen veräußert einen Teil seiner Flugzeugflotte an ein dem Branchen-KollV unterliegendes Tochterunternehmen. So kommt es zum (Teil-) Betriebsübergang gem § 3 Abs 1 AVRAG und die betroffenen AN finden sich als AN des Tochterunternehmens und dessen KollV Unterworfene wieder.

In beiden Fällen werden die AN zwar am selben Arbeitsplatz wie bisher beschäftigt, doch die Kollektivvertragsgeltung ist (primär) von der Verbandszugehörigkeit des AG abhängig. Vertragspartner und damit AG kann aber nur das einzelne Konzernunternehmen, nicht etwa der Konzern sein (vgl Völcker 74 ff; für Österreich zB OGH 28.6.2000, 9 ObA 67/00v).

Im Ergebnis bedeutet das: Die „horizontale Flucht aus einem teureren in einen billigeren KollV“ (Firlei, Flucht aus dem Kollektivvertrag, DRdA 2001, 119, 121) ist im Konzern besonders leicht zu bewerkstelligen.

Konzern-Kollektivverträge könnten hier durch konzerneinheitliche Arbeits- und insb Entgeltbedingungen Abhilfe schaffen. Auf der anderen Seite würden sie als eine spezielle Art von „Firmen-KollV“ außerhalb der Branchenkollektivverträge stehen und damit erst recht wieder eine Fluchttendenz, nämlich die Flucht aus dem Branchen-KollV, begünstigen (vgl wiederum Firlei, aaO).

Warum das vorliegende Buch dieses Dilemma nicht thematisiert, ist leicht erklärt: Im deutschen TVG sind „echte“ Firmentarifverträge zugelassen, dh, auch der einzelne AG kann „tariffähig“ sein. Insofern ist die gesetzgeberische Wertung eine ganz andere als im österreichischen Recht, das dem Branchen-KollV (in Deutschland auch „Flächentarifvertrag“ genannt) den Vorrang einräumt und die Kollektivvertragsfähigkeit von AG nur ausnahmsweise akzeptiert (vgl § 4 Abs 3 sowie § 7 ArbVG und als Sonderregelung zB § 48 Abs 5 ORF-G).

Im Hauptteil des Werkes werden im Wesentlichen vier Möglichkeiten der konzernweiten Tarifbindung untersucht, wovon der Verbandstarifvertrag den weitaus größten Raum erhält (S 128-205). Da der Abschluss eines Verbandstarifvertrages, anders als die anderen drei Wege, keine Tariffähigkeit des AG voraussetzt, sondern im Wesentlichen wie hierzulande funktioniert, ist diese Variante auch für den österreichischen Rechtskreis interessant. Es geht vor allem darum, ob Konzernunternehmen miteinander einen tariffähigen AG-Verband (§ 2 Abs 1 TVG) gründen können. Aus praktischer Sicht ist interessant, dass in Deutschland solche „Konzernarbeitgeberverbände“ bereits existieren; Johannes Völcker nennt konkrete Beispiele (S 73, 129).

Als Voraussetzungen prüft der Autor eingehend die Freiwilligkeit, die demokratische Willensbildung in der Binnenstruktur, die Durchsetzungsfähigkeit sowie die Überbetrieblichkeit von Konzern-AG-Verbänden. Sein positives Ergebnis bestätigt die in Deutschland wohl herrschende Meinung (vgl zB Vogt, Arbeitsrecht im Konzern [2014] 268).

Die dabei aufgeworfenen Probleme sind, jedenfalls zum Teil, auch im Rahmen des § 4 Abs 2 ArbVG von Interesse, so etwa die Frage nach der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Kann das einzelne Tochterunternehmen überhaupt hinreichend unabhängig agieren, um über seinen Beitritt zu einem AG-Verband zu entscheiden? Nach Völcker betrifft die Leitungsmacht der Mutter 180 indes nur die interne Willensbildung des (Tochter-)Unternehmens und ist daher irrelevant (S 155-157). Dies dürfte im Ergebnis zwar vermutlich zutreffen, hätte aber mE einer Vertiefung der Argumente, auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, bedurft.

Auch das Erfordernis der Überbetrieblichkeit (vgl § 4 Abs 2 ArbVG: „Berufsvereinigung“ sowie die in Z 2 und 3 leg cit gestellten Anforderungen) bereitet bei konzernweiten Verbänden Schwierigkeiten. Hier sei aus österreichischer Sicht auf das VwGH-Erk vom 4.9.2013 hingewiesen, womit dem Verein „Österreichisches Rotes Kreuz“ die Kollektivvertragsfähigkeit gem § 4 Abs 2 (nicht Z 3!) ArbVG aberkannt worden war (2011/08/0230DRdA 2014/27 [zust Felten] = ZAS 2014/13 [krit Tomandl]). Der VwGH hat die Überbetrieblichkeit verneint, weil die Mitgliedschaft den Rotkreuz-Landesverbänden vorbehalten war. Die Struktur ist mit der eines Konzerns durchaus vergleichbar (worauf das Höchstgericht auch ausdrücklich hinweist).

Diese restriktive Sichtweise entspricht mE der zuvor erwähnten, durch §§ 4 ff ArbVG positivierten Zielsetzung des Gesetzgebers, dem Branchen-KollV grundsätzlich den Vorrang einzuräumen. Im Ergebnis sind somit die Chancen eines Konzern-AG-Verbandes auf Kollektivvertragsfähigkeit für den österreichischen Rechtskreis wohl kritischer einzuschätzen, als Völcker dies für Deutschland tut.

Völckers Überlegungen (vgl S 79 f, 84 f) zur konzerninternen Arbeitskräfteüberlassung (nach deutscher Diktion „Leiharbeit“) regen vor allem zum Weiterdenken an: So könnten die von mir eingangs geschilderten Beispielsfälle als Arbeitskräfteüberlassung angesehen werden. Wegen des Konzernprivilegs (§ 1 Abs 3 Z 4 AÜG, vgl § 1 Abs 3 Z 2 dAÜG) würde aber (in Österreich) insb die Bedachtnahme auf das Entgelt im Beschäftigerbetrieb (§ 10 Abs 1 AÜG) entfallen, was der erwähnten „horizontalen Flucht“ Vorschub leisten dürfte. Hier täte angesichts verbreiteter Konzernpraktiken zumindest eine genaue Abgrenzung not, wann überhaupt Arbeitskräfteüberlassung vorliegt (und wann etwa ein gemeinsamer Betrieb oä) und wie weit das Konzernprivileg nach dem Willen des Gesetzgebers wirklich reichen soll.

Angesichts Völckers Ausführungen (S 84 f) ist aber auch völlig entgegengesetzt zu fragen: Kann die AG-Seite ganz bewusst alle oder einen Teil der AN in einem konzerninternen, gleichwohl gewerblichen Überlassungsunternehmen „poolen“ – dies mit der Geltung des uU weniger günstigen Arbeitskräfteüberlassungs-KollV (bzw des Gewerbeangestellten-KollV für Angestellte) als erwünschtem, wenngleich durch § 10 Abs 1 AÜG abgemilderten Effekt? Im Bereich der konzerninternen Arbeitskräfteüberlassung dürften also noch einige Fragen ihrer Lösung harren.

Die Regelungsinhalte eines Konzerntarif- bzw -KollV scheinen hingegen kaum juristische Probleme aufzuwerfen und nehmen daher bei Völcker (S 225-240) vergleichsweise wenig Raum ein.

Dabei ist insb an konzerneinheitliche Arbeitsentgelte zu denken (was freilich das erwähnte Fluchtproblem virulent macht). Auch ein konzerndimensionaler Kündigungsschutz könnte per Konzerntarif- bzw Konzern-KollV etabliert werden. Vermittels der unmittelbaren Wirkung des KollV würde hierbei auch das konzernspezifische Durchsetzungsproblem entfallen (Völcker 228 ff; zum Problem zB Tinhofer, Die organisatorischen Grenzen der sozialen Gestaltungspflicht, RdW 2009, 816, 820). Hingegen ist infolge fehlender Rsp unklar, ob ein konzernweiter Kündigungsschutz durch eine (Konzern-)BV geregelt werden könnte (für die bejahende hL zB Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler [Hrsg], ArbVG-Kommentar5 [2015] § 97 Rz 178). Angesichts konzerninterner Umstrukturierungen und Überlassungskonstruktionen und der Rechtsunsicherheit in Sachen Konzern-Kündigungsschutz (für einen Überblick zB Tinhofer, aaO; Köck, Individualarbeitsrecht im Konzern, ZAS 2014, 61, 67 ff) wäre ein solcher aus AN-Sicht durchaus erstrebenswert (Völcker 230).

Fazit: Wer sich in Deutschland mit dem Thema befasst, kommt an dieser mE gründlichen und kompetenten Untersuchung ohnehin nicht vorbei. Aber auch, wer sich aus österreichischer Sicht an die wissenschaftlich wie praktisch interessante juristische Fragestellung nach einem „Konzern-KollV“ heranwagt, sollte zu Völckers Werk greifen.