Benecke (Hrsg)Unternehmen 4.0 – Arbeitsrechtlicher Strukturwandel durch Digitalisierung

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 189 Seiten, kartoniert, € 47,–

THOMASDULLINGER (WIEN)

Der Tagungsband Unternehmen 4.0 umfasst Beiträge zu verschiedenen Aspekten der allgegenwärtigen Thematik der Digitalisierung der Arbeitswelt. Martina Benecke unternimmt in ihrem einleitenden Kapitel eine Tour d‘horizon durch einige zentrale Problemstellungen im Bereich der Digitalisierung der Arbeitswelt. Dazu zählen die räumliche und zeitliche Entgrenzung der Arbeit – Stichwort Dauererreichbarkeit und Home- oder Mobileoffice –, ebenso wie Fragen des Kündigungsschutzes, der Haftung und des kollektiven Arbeitsrechts (insb die Anpassungsfähigkeit des Betriebsbegriffs und Mitbestimmungsrechte der Belegschaft). Durch die Bezugnahme auf aktuelle Urteile des BAG und die jüngsten Entwicklungen in der deutschen Literatur schafft Benecke einen gelungenen Einstieg in die gewählte Thematik und holt dabei auch jene LeserInnen ab, die mit dem Diskussionsstand in der deutschen Literatur noch nicht vertraut sind.

Der Interpretation des AN-Begriffs und damit dem Zugang zum Schutz des Arbeitsrechts in der Arbeitswelt 4.0 widmet sich Martin Maties. Bei der Begriffsbildung stellt Maties die ontologische Begriffsbildung, bei der vom zu regelnden Normalfall auf die tatbestandsbildenden Merkmale geschlossen werde, der teleologischen Begriffsbildung gegenüber, bei der es auf den Schutzzweck ankomme. Die Rsp des BAG beruhe auf einer historisch-ontologischen Begriffsbildung, die an den typischen Industriearbeiter Anfang des 20. Jahrhunderts anknüpfe. Stelle man hingegen auf eine geltungszeitlich- ontologische Begriffsbildung ab, so rücke der primär geistig tätige Beschäftigte in den Vordergrund. Dieser sei hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit häufig weit weniger weisungsgebunden als der typische Industriearbeiter. Hauptgrund für den Schutz des Arbeitsrechts seien die Angewiesenheit auf das Entgelt aus dem Vertrag und die schwache Verhandlungsposition des AN. Aus alldem folgert Maties, dass die von der Rsp entwickelten Kriterien des AN-Begriffs nicht (mehr) passend seien. Allerdings ist hier auf zwei Aspekte hinzuweisen, die vermutlich aufgrund des gesetzten Rahmens zu kurz kommen. Einerseits kennt das deutsche Arbeitsrecht seit kurzem eine ausdrückliche Definition des AN (§ 611a Abs 1 BGB), die im Wesentlichen die in der Judikatur entwickelten Leitsätze kodifiziert und damit die bisherige Judikatur legitimiert. Aus methodischer Sicht erscheint es daher schwierig, dem Gesetzgeber einen vom Inhalt dieser Judikatur abweichenden Willen zu unterstellen. Andererseits lässt Maties weitgehend offen, welche alternativen Kriterien zur Abgrenzung zwischen AN und Selbständigen herangezogen werden sollten.

Mit den durch die Digitalisierung bewirkten Veränderungen in der Belegschaft beschäftigt sich Jens Günther. Bei dem Thema Qualifizierung und Weiterbildung arbeitet der Autor detailliert die zahlreichen Regelungsmöglichkeiten heraus, kommt aber zu dem Ergebnis, dass diese in der Praxis kaum relevant seien. Zwar sind sowohl Tarifvertrag als auch BV kompetent, einen Anspruch des AN auf Weiterbildung zu schaffen, praktisch genutzt wird diese Möglichkeit jedoch kaum. Auch arbeitsvertragliche Ansprüche sind selten und der Gesetzgeber hat nur spezifische Sonderfälle geregelt. Lediglich eine Pflicht des AN an angebotenen Weiterbildungen teilzunehmen, lässt sich weitgehend problemlos aus dem Weisungsrecht des AG ableiten. Im Anschluss daran arbeitet Günther die Möglichkeiten einer AG-Kündigung wegen Digitalisierung und die Möglichkeit, einen „Qualifizierungssozialplan“ abzuschließen/ zu erzwingen, heraus, wobei insb letzterer Aspekt aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen nicht auf Österreich übertragen werden kann.

Einen interessanten Überblick über den Beschäftigtendatenschutz nach dem BDSG 2018 liefert Michael Kort. Aufgrund der völlig unterschiedlichen rechtlichen Ausgangslage in Deutschland und Österreich (Deutschland hat von der Öffnungsklausel des Art 88 DSG-VO Gebrauch gemacht) sind die Ausführungen auf Österreich nicht übertragbar. Der österreichische Leser erhält aber eine erste Ahnung, welche Möglichkeiten ein eigenständiges AN-Datenschutzrecht bieten könnte, sei es in Bezug auf die umstrittene Einwilligungsfähigkeit des AN, seien es Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen als Erlaubnistatbestände zur Datenverarbeitung.

Mit beachtlicher Anschaulichkeit schildert sodann Simge Kurt die Entwicklung der Arbeitsbedingungen vom Industrie- zum Informationszeitalter (Wissen als Ressource, Entgrenzung, Virtualisierung, Dezentralisierung). Sie ergänzt damit in hervorragender Weise den Beitrag von Maties, zieht aus ihrem Befund jedoch andere Schlüsse. Statt einer bloßen Neuinterpretation oder Änderung des AN-Begriffs bedürfe es aufgrund der Verschiebung von Verantwortungsbereichen und Abhängigkeiten eines angemessenen Ausgleichs zwischen Freiheit und Schutz. Zu erreichen sei dieser durch eine Ergänzung des „klassischen“ Arbeitsrechts (als bloßem Schutzrecht) durch ein „Schutz- und Verantwortungsrecht“. Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation des Beschäftigungsverhältnisses bedürfe es in gewissen Situationen bei gleichen Umständen eines gleichen Schutzes, wobei eine Orientierung an Gefahrenmomenten erforderlich sei. Ungeachtet zahlreicher rechtlicher und faktischer Probleme dieses Ansatzes, auf die Kurt auch hinweist, handelt es sich um einen spannenden Ansatz zur Lösung eines der größeren Probleme in der aktuellen arbeitsrechtlichen Diskussion. Interessant wäre allenfalls gewesen, inwieweit man – zumindest in einem ersten Schritt – hier nicht doch eine Zwischenkategorie zwischen AN und „echtem“ Selbständigen nutzbar machen könnte. 183

Im abschließenden Beitrag unternehmen Fabian Lenz und Jacqueline Gressel den Versuch, das Arbeitskampfrecht in die digitalisierte Arbeitswelt zu übertragen. Tatsächlich stehen den AN aufgrund der Digitalisierung neue Kampfmaßnahmen zur Verfügung (DoS-Attacken, Sabotage von IT-Systemen, Massenbestellungen in Online-Shops mit anschließendem Widerruf); ob diese immer zulässig sind, ist freilich fraglich. Überschätzt werden mE die (Reaktions-)Möglichkeiten des AG bei einem „digitalisierten“ Streik. Weder der Einsatz von Crowd- oder Clickworkern noch die Automatisierung von Produktionsprozessen wird aufgrund der damit einhergehenden Probleme, Kosten und Vorlaufzeiten für einen durchschnittlichen AG einen wirtschaftlich sinnvollen Ersatz der streikenden AN ermöglichen. Auch das Abschalten der Server als Reaktion auf eine von AN organisierte DoS-Attacke erscheint keine adäquate Verteidigung zu sein.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr gelungenen Tagungsband, der insb aufgrund der Beiträge von Maties und Kurt auch für österreichische LeserInnen sehr zu empfehlen ist.