Ales/Bell/Deinert/Robin-Olivier (Hrsg)International and European Labour Law

Nomos Verlag, Baden-Baden 2018, 1.687 Seiten, gebunden, € 287,90

WALTERGAGAWCZUK (WIEN)

Die Verlage Nomos, Beck und Hart haben eine neue Reihe von „Article-by-Article“-Kommentaren zum internationalen und europäischen Wirtschaftsrecht in englischer Sprache eröffnet. Bereits erschienen sind „European Financial Services Law“, „Commercial Law“ und „International and European Labour Law“. Geplant sind weiters Bände zu „Corporate Law“ und „Dispute Resolution and Conflict of Laws“.

Das Werk zum internationalen und europäischen Arbeitsrecht gliedert sich in neun Teile. Teil 1 „Fundamental Provisions“ enthält die einschlägigen Artikel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Europäischen Grundrechtecharta. Weiters findet man in diesem Teil einen Kommentar zu den meisten Artikeln der revidierten Europäischen Sozialrechtscharta sowie zur Erklärung über die Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation (Erklärung von Philadelphia) und zu IAO-Übereinkommen zum Thema Arbeitsmarkt. Etwas zu kurz kommt das Thema Kernarbeitsnormen. Unter der Überschrift „Core Labour Standards?“ findet man bloß einige grundlegende Informationen zu diesem Meilenstein der Internationalen Arbeitsorganisation. Unklar bleibt, warum die 189 Überschrift mit einem Fragezeichen versehen wurde. Irritierend ist auch, dass dieses Thema im Index nicht berücksichtigt wurde.

Teil 2 „Equality Law“ enthält neben dem EU-Recht und den IAO-Übereinkommen zu Gleichbehandlung und Diskriminierungsschutz auch die einschlägigen Bestimmungen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Teil 3 mit dem Titel „Workers‘ Mobility“ enthält das Internationale Privatrecht, das Entsenderecht und die EU-Richtlinien zur Freizügigkeit. Im Bereich des Nicht- EU-Rechts werden die IAO-Übereinkommen 94 über die Arbeitsklauseln bei öffentlichen Aufträgen sowie 97 und 143 (Wander-AN) behandelt. Schwerpunkte beim Kommentar zur EntsendeRL sind der Anwendungsbereich, die sogenannte Sperrwirkung und die Kollektivverträge (Art 3 Abs 8) sowie die EuGH-Entscheidungen in den Rs Rüffert, RegioPost, Kommission gegen Luxemburg (C-316/06) und Laval. Leider keine Ausführungen findet man zur politisch brisanten Frage, ob bzw inwieweit die EntsendeRL auf den Verkehrsbereich anwendbar ist. Auch die Änderung der EntsendeRL 2018 bzw der Vorschlag dazu aus 2016 wird nur am Rande erwähnt. Eine differenziertere Sicht wäre meiner Ansicht nach im Zusammenhang mit Art 12 der DurchsetzungsRL vorzunehmen. Diese Bestimmung regelt die Haftung bei Subaufträgen. Alexandre Defossez meint hier mehrere wesentliche Einschränkungen zu erkennen. Einerseits handle es sich um eine bloße Möglichkeit. Die Mitgliedstaaten können, aber müssen keine derartigen Bestimmungen einführen. Die Haftung sei beschränkt auf den direkten Auftragnehmer und auf den Bausektor. Weiters würde sie nur die Entlohnung iSd Art 3 der EntsendeRL erfassen. Dem stimme ich in Bezug auf die erste und zweite Einschränkung nur zum Teil zu. Art 12 Abs 1 sieht ohne Einschränkung auf bestimmte Branchen vor, dass die Mitgliedstaaten eine Auftraggeberhaftung vorsehen können. Abs 2 hingegen normiert eine Verpflichtung! Diese gilt nicht für alle Branchen, sondern nur für die Baubranche bzw konkret für die im Anhang der EntsendeRL angeführten Tätigkeiten. Der einschlägige deutsche Text lautet: „Hinsichtlich der im Anhang der Richtlinie 96/71/EG genannten Tätigkeiten sehen die Mitgliedstaaten vor ...“ Im Englischen lautet der Text: „As regards the activities mentioned in the Annex to Directive 96/71/EC, Member States shall provide ....“ Die Mitgliedstaaten können also grundsätzlich für alle Branchen eine Auftraggeberhaftung einführen. Hinsichtlich der Baubranche besteht eine Verpflichtung.

Das „klassische“ Arbeitsrecht findet sich in den Teilen 4 „Non-Standard Work“, 5 „Working Conditions“ und 6 „Health and Safety Law“. Neben den einschlägigen EU-Richtlinien und IAO-Übereinkommen werden folgende Rechtsquellen kommentiert: Art 8 (Schutz personenbezogener Daten), Art 30 (Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung) und 31 (Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen) der EU-Grundrechtecharta, die EU-Datenschutz-Grundverordnung und Art 4 (Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit) der EMRK. Etwas mehr Beachtung hätte Art 7 der ArbeitszeitRL (Jahresurlaub) verdient. Zum bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen sind in den letzten Jahren viele wichtige Entscheidungen ergangen und dem Urlaubanspruch wird vom EuGH ja besondere Bedeutung beigemessen. Der Umstand, dass wichtige einschlägige Entscheidungen der letzten zwei Jahre (insb Rs King, Kreuziger und Max-Planck-Gesellschaft) keine Berücksichtigung fanden, dürfte auf den Zeitpunkt der Abgabe des Manuskripts zurückzuführen sein. Warum jedoch die Entscheidungen bei Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit (Rs Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols, Brandes) unerwähnt bleiben, ist unklar.

Die Teile 7 und 8 decken das kollektive Arbeitsrecht ab, angefangen von Art 28 (Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen) der EU-Grundrechtecharta, dem wahrscheinlich bekanntesten IAO Übereinkommen, nämlich dem Übereinkommen 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, Art 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) bis zu den EU-Richtlinien zu den Themen Europäischer BR, Unterrichtung und Anhörung der AN, Europäische Gesellschaft, Europäische Genossenschaft und grenzüberschreitende Verschmelzung.

Der letzte, doch eher kurze Teil behandelt die Rechtsquellen zum Verfahrensrecht. Konkret werden Art 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren), die Brüssel I-VO und die EU-RL über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen kommentiert.

Bei den 80 (!) AutorInnen handelt es sich fast durchwegs um UniversitätsprofessorInnen, wobei diese zu etwa drei Viertel aus Italien, Deutschland, Frankreich sowie dem Vereinigten Königreich stammen. Aus Österreich sind Elias Felten von der Universität Linz, Karin Lukas vom Ludwig-Boltzmann-Institut sowie Erika Kovács und Franz Marhold, beide von der WU Wien, vertreten.

Der große Mehrwert des gegenständlichen Werkes ist, dass es sowohl das europäische als auch das internationale Arbeitsrecht in einem Band kompakt erfasst. Die Rechtslage und insb auch die einschlägige Rsp werden grundsätzlich umfassend dargestellt. Die Breite der erfassten Rechtsquellen hat aber auch seinen Preis. Literaturangaben und in der Lehre erörterte Streitfragen können nicht in gleicher Tiefe dargestellt werden wie etwa in Großkommentaren, die sich ausschließlich dem Europäischen Arbeitsrecht oder der EMRK widmen.

Naturgemäß würde die Benützung eines „Articleby-Article“-Kommentars gute Vorkenntnisse der Materie erfordern und wäre insofern nur einem kleinen ExpertInnenkreis zu empfehlen. Der Text ist aber – wenn auch in Englisch – relativ verständlich geschrieben und die klare Gliederung ermöglicht es auch JuristInnen, die sich normalerweise nur mit nationalem Recht beschäftigen, ohne große Mühe bei Bedarf das europäische oder internationale Arbeitsrecht zu erforschen. In Anbetracht dessen, dass grenzüberschreitende Sachverhalte kontinuierlich zunehmen und selbst nationale Sachverhalte zunehmend vom europäischen oder internationalen Arbeitsrecht beeinflusst werden, kann der Kommentar jeder Kanzlei oder jeder anderen Einrichtung mit juristischem Bezug empfohlen werden. 190