Koalitionsverträge außerhalb des ArbVG

KLAUSFIRLEI (SALZBURG)
Das Regulierungssystem des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) ist insofern ein Meisterstück, als es kartellierte Gegenmacht der AN-Seite, gesetzesgleiche Normerzeugung, Stabilität der Arbeitsbeziehungen und eine hervorragend austarierte Steuerung der Macht- und Regelungsprobleme auf Betriebsebene gewährleistet. Die bestehenden Lücken im Spektrum möglicher Koalitionsbetätigungen wurden dabei oft übersehen. Es besteht ein immer deutlicher zu Tage tretender Bedarf nach kollektiven Vereinbarungen außerhalb dieses Systems, wie Vereinbarungen über wirtschaftliche Entscheidungen, Regelungen mit einzelnen AG, kollektiven Vertragskonstruktionen zur Vertretung dezentraler, differenzierter, spezieller Interessen, Vereinbarungen über das Management von Unternehmenskrisen unter starker Beteiligung der AN-Seite, Entwicklung von verbindlichen Leitbildern und Richtlinien über eine langfristig soziale Ausrichtung der Unternehmenspolitik oder auch einer Nutzung vertraglich abgesicherter neuer Partizipationsmodelle im Betrieb ergänzend zur gesetzlichen Betriebsverfassung. Die Abhandlung beschäftigt sich mit der Frage der Zulässigkeit solcher Koalitionsverträge und deren Durchsetzung mit Hilfe kollektiver Aktionen.
  1. Ausgangslage, Fragestellungen und Bedarf nach Koalitionsverträgen außerhalb des ArbVG-Rahmens

    1. Einleitung

    2. „Lücken“ im System von Koalitionsaktivitäten

    3. Besteht ein Bedarf nach Koalitionsverträgen neben dem ArbVG?

    4. Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen

  2. „Monopolisierung“ kollektiver Regulierungen durch das ArbVG?

    1. Meinungsstand

    2. Kritik der materiellen Deutung absolut zwingenden Arbeitsverfassungsrechts

    3. Klarstellungen und Paradoxien der „freien Betriebsvereinbarung“

    4. Fazit

  3. Grundrechtliche Garantien von Koalitionsverträgen

    1. Eckpunkte für die Beurteilung von Koalitionsverträgen

    2. Schlussfolgerungen für Koalitionsverträge

    3. Regelung von betrieblich-wirtschaftlichen Angelegenheiten in Koalitionsverträgen

  4. Koalitionsverträge und Arbeitskampf

    1. Eckpunkte für die Durchsetzung von Koalitionsverträgen

    2. Arbeitskampfziele in wirtschaftlichen Angelegenheiten

    3. Ergebnisse

  5. Mögliche Grenzen für Koalitionsvereinbarungen außerhalb des ArbVG

  6. Resümee

1.
Ausgangslage, Fragestellungen und Bedarf nach Koalitionsverträgen außerhalb des ArbVG-Rahmens
1.1.
Einleitung

Das ArbVG stellt zum Zwecke der Vertretung von Interessen der AN ein starkes, hervorragend ausgebautes, nicht zu Unrecht als vorbildlich gerühmtes System zur Verfügung. Mit den normativen Regelungsbefugnissen, wie sie für KollV und BV bestehen, und mit den auf betrieblicher Ebene der Belegschaft zuerkannten Beteiligungsrechten und Regelungsbefugnissen können die wesentlichen Interessen der AN und Belegschaften per Saldo recht wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden. Diese besonderen Möglichkeiten bedurften einer gesetzlichen Fundierung, da Normsetzungsbefugnisse, verbunden mit der eigentlich noch wichtigeren (idR einseitig) zwingenden Wirkung, sowie auch Befugnisse gegenüber dem Betriebsinhaber nicht auf dem Wege allgemein-privatrechtlicher 104 Regelungsmöglichkeiten geschaffen werden können.

Bekanntlich ist die österreichische Arbeitsverfassung im internationalen Vergleich extrem dicht reguliert, vor allem die betriebliche Ebene, und relativ stark zentralisiert (zB Repräsentativitätserfordernis für die Kollektivvertragsfähigkeit, Kollektivvertragsparteien auf AG-Seite mit Pflichtmitgliedschaft, Außenseiterwirkung ua). Es wurde auf diese Weise offenkundig versucht, die Arbeitsverfassung, passend jedenfalls für die goldene Epoche des wohlfahrtsstaatlichen „organisierten“ Kapitalismus, nach durchaus einleuchtenden Ordnungskriterien auszugestalten. Restbestände der „Räteidee“ haben hier einen zusätzlichen Beitrag geleistet. Das wird vor allem durch „privilegierte“ Regelungsinstrumente und Beteiligungsrechte bewirkt, deren faktischer Effekt es bisher war, ein recht stabil „geordnetes“ System zu schaffen, das international eigentlich ohne Beispiel ist.

Die Kehrseite ist, dass diese starken Gestaltungsfaktoren nicht allen Koalitionen zugänglich sind und selbst bei den anerkannten Interessenvertretungen nicht alle Materien und nicht alle Adressaten von Forderungen der AN in das System mit einbezogen sind. Insofern ist es durchaus nicht wenig selektiv und letztlich eigentlich recht lückenhaft. Das hat aber bisher seltsamerweise, trotz der theoretischen Faszination, die diesem Befund anhaftet, nur wenig Beachtung gefunden.

1.2.
„Lücken“ im System von Koalitionsaktivitäten

Nicht alle Materien sind durch KollV und BV normativ regelbar. Der Belegschaft ist eine umfassende privatrechtliche Vollrechtsfähigkeit aus nachvollziehbaren Gründen, die auch verfassungsrechtlich unterfüttert sind,* versagt worden. Kollektive Vereinbarungen in wirtschaftlichen bzw betrieblichen Materien sind im Regelwerk des ArbVG nicht vorgesehen. Nicht alle Koalitionen haben Zugang zu dem privilegierten Gestaltungsmittel des KollV und in nicht allen Betrieben sind Betriebsvereinbarungen vorgesehen: Der Betrieb muss betriebsratspflichtig sein und es müssen zudem Organe konstituiert sein. Der KollV kann – von wenigen Ausnahmen abgesehen* – Rechtsbeziehungen mit einzelnen AG nicht regeln. Die Rechtsstellung von arbeitnehmerähnlichen Personen ist weder durch Kollektivverträge noch in Betriebsvereinbarungen gestaltbar. AG mit Sitz im Ausland bzw deren Vertretungen fallen als Adressaten von Vereinbarungen komplett aus, was in Zeiten einer rasanten Transnationalisierung des wirtschaftlichen Geflechts stärker ins Blickfeld rückt.

1.3.
Besteht ein Bedarf nach Koalitionsverträgen neben dem ArbVG?

An dieser Stelle sind einige Aussagen zu dem mE auch jenseits von Interessenlagen objektivierbaren Bedarf nach Regelungen außerhalb des Ordnungsrahmens des ArbVG angebracht – vorerst ganz ohne jede rechtliche Bewertung und auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

1.

Die Regelungsermächtigungen des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG sind im normativen Bereich zwar recht weit, es fehlen aber wichtige Materien wie Betriebsnormen, Solidarnormen und – abgesehen von drei Ausnahmen* – betriebsverfassungsrechtliche Normen. Allerdings besteht für kollektivvertragsfähige Koalitionen die Möglichkeit gem § 2 Abs 2 Z 1 ArbVG, in diesen Bereichen schuldrechtliche Regelungen, und ohne jede inhaltliche Beschränkung, zu vereinbaren. Bei Verbandskollektivverträgen ist dies aber ein schwaches Instrument, das nur über die sogenannte „Durchführungspflicht“* gewisse Wirkungen entfalten könnte.

2.

Zweifelsohne gibt es auch für die nach § 4 Abs 2 ArbVG nicht lizensierten Koalitionen, wie aktuell etwa die Ärztegewerkschaft „Asklepios“, deren Antrag auf Verleihung der Kollektivvertragsfähigkeit vom Bundeseinigungsamt (BEA) abgelehnt wurde,* einen Bedarf, mit Verbänden, AG-Organisationen oder auch einzelnen AG Kollektivvereinbarungen zu treffen.

3.

Für alle Koalitionen kann ein eminentes Interesse daran bestehen, über betriebliche oder wirtschaftliche Fragen Vereinbarungen mit einem Verband bzw vor allem mit einzelnen AG zu treffen. Diese können schon ihrer „technischen“ Implementierbarkeit her nur schuldrechtlicher Natur sein, da sie nicht „einwirkungsfähig“* sind.

4.

Im bestehenden Ordnungsrahmen des ArbVG kommen bisweilen Minderheiteninteressen, Sonderinteressen und Anliegen kleiner oder schlecht repräsentierter Gruppen oder auch spezielle Regelungsprobleme zu kurz. Für sie stellt sich die Frage, ob und inwieweit Alternativen mit dem Ziel kollektiver Regelungen entwickelt werden können.

5.

Für die wachsende Zahl der in arbeitnehmerähnlicher Stellung zumeist prekär Beschäftigten besteht der Bedarf nach kollektiven Vereinbarungen über die Entgelte und Beschäftigungsbedingungen.

6.

Schließlich bestehen auch Interessen an einer Koordinierung langfristiger Projekte (sozial- und wirtschaftspolitischer Ziele) aller Art zwischen AGOrganisationen und AN-Koalitionen, zB über die Frage der künftigen Arbeitszeitpolitik, über die künftige Lohnentwicklung, über strategische Ziele wie die langfristige Entwicklung der Mindestlöhne,* über Gegenleistungen der AG-Seite, wenn die ANKoalitionen aus wirtschaftlichen Gründen Opfer bringen (müssen).

6.

Ein (weiteres) Beispiel für den Bedarf nach Regelungen außerhalb des ArbVG wären sogenannte Investorenvereinbarungen, die Veränderungen der 105 Gesellschaftsstruktur von Unternehmen mit ihren oft weitreichenden Folgen für die Interessen der AN abfedern sollen.*

1.4.
Untersuchungsgegenstand und Fragestellungen

Untersuchungsgegenstand dieser Abhandlung sind „Koalitionsverträge“ außerhalb des ArbVG (im Folgenden nur als „Koalitionsverträge“ bezeichnet). Generell sind darunter alle Vereinbarungen zwischen zumindest einer Koalition (jedenfalls auf Seite der AN) mit der „AG-Seite“ (einer Koalition, einer gesetzlichen Interessenvertretung oder auch einzelnen AG) zu verstehen.* Es handelt sich aus grundrechtlicher Sicht in der Terminologie von Art 28 Europäische Grundrechtecharta (EGRC) um „Kollektivverhandlungen“ und sich allenfalls daraus ergebende Gestaltungsakte („Gesamtarbeitsverträge“, zivilrechtliche Konstruktionen aller Art). Gleichzeitig geht es auch um die Frage ihrer Durchsetzbarkeit durch „kollektive Maßnahmen“ (Arbeitskämpfe).

Dazu stellen sich vorrangig folgende Fragen:

  • Lässt das ArbVG Koalitionsvereinbarungen außerhalb des von ihm gesetzten Rahmens überhaupt zu?

  • Monopolisiert die Betriebsverfassung jegliche Interessenvertretung auf betrieblicher Ebene, so dass daneben weder Vereinbarungen getroffen werden können noch über privatrechtliche Konstruktionen Mitwirkungsrechte oder gar breiter angelegte alternative Interessenvertretungen geschaffen werden können?

  • Welche Rolle spielen für diese Frage die Grundrechte, insb die Koalitionsfreiheit? Was bewirkt das Gebot einer grundrechtskonformen Auslegung? Wäre eine Einschränkung von Koalitionsverträgen außerhalb des ArbVG als Grundrechtsverstoß zu werten? Wären solche – und wenn ja welche – Einschränkungen nach Art 11 Abs 2 EMRK rechtfertigbar?

  • Kann zur Durchsetzung von Koalitionsverträgen das Mittel des Arbeitskampfes eingesetzt werden? Innerhalb welcher Grenzen? Was gilt für Arbeitskämpfe, bei denen es um wirtschaftliche Entscheidungen geht?

  • Wenn Koalitionsvereinbarungen grundsätzlich zulässig wären, welche Grenzen sind dennoch zu beachten?

2.
„Monopolisierung“ kollektiver Regulierungen durch das ArbVG?

Im Folgenden geht es darum, ob und inwieweit Vereinbarungen von Koalitionen mit der AG-Seite, die im ArbVG nicht vorgesehen sind, überhaupt zulässig sind. Daran wurden Zweifel artikuliert. „Ausdiskutiert“ ist die Frage noch nicht. Ihre Brisanz lässt erwarten, dass viele Fragen weiterhin strittig bleiben. Die Problematik weist enge grundrechtliche Aspekte auf. Auch sind in der Folge Fragen der Zulässigkeit von „kollektiven Maßnahmen“ (Arbeitskämpfen) damit verbunden. Das macht es auch nicht gerade einfacher.

Aus systematischen Gründen muss vorab die Frage nach der Zulässigkeit von Koalitionsverträgen auf einfach-gesetzlicher Ebene gestellt werden, kurz gesagt geht es darum, wie das ArbVG und sein Umfeld diesbezüglich auszulegen sind. Erst dann ist zu klären, inwieweit Grundrechte das Ergebnis beeinflussen bzw grundrechtliche Garantien für Koalitionsverträge außerhalb des ArbVG bestehen und ob die bestehende Rechtslage in Österreich grundrechtskonform ist.

Zu dieser Frage bestehen keine expliziten Regelungen. Vor allem das ArbVG schweigt sich dazu aus. In der Lehre ist die Rechtslage umstritten. Rsp existiert zu diesem Thema keine. Gelegentliche Andeutungen sind nicht verwertbar, Unterstellungen müssen vermieden werden.

2.1.
Meinungsstand

Der Meinungsstand dazu ist in aller Kürze wie folgt zu umreißen: Jabornegg* und Kuderna* stehen „Koalitionsverträgen“ außerhalb des ArbVG ablehnend gegenüber. Andere AutorInnen äußern sich zwar nicht dezidiert dazu, sie teilen aber durchwegs die Lehre vom zweiseitig-zwingenden Charakter des Arbeitsverfassungsrechts. Offen ist aber, wie sie diese Wirkung verstehen. Auch die Rsp geht von einer absolut zwingenden Wirkung des ArbVG aus* – mit welchen Konsequenzen bleibt allerdings offen. Auf der Gegenseite haben Firlei* und Felten – in seiner umfassenden Untersuchung zum Verhältnis von ArbVG und Koalitionsfreiheit* – solche Vereinbarungen grundsätzlich für zulässig erachtet.

Kuderna arbeitet sich an der Frage ab, ob neben der gesetzlich organisierten Betriebsverfassung auch andere Möglichkeiten der Interessenvertretung (auf betrieblicher Ebene) rechtlich Bestand haben können. Die Bildung von Vertretungsorganen der Arbeitnehmerschaft in Betrieben ist für ihn ausschließlich nach den Bestimmungen des ArbVG vorzunehmen. Rechtswidrig sei jede Abweichung von den für die Errichtung und die Tätigkeit eines BR maßgeblichen zwingenden Normen des ArbVG.106

Jede derartige Vereinbarung sei wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Gebot absolut nichtig. Das bedeutet für die gegenständliche Fragestellung, dass für die Vertretung von Interessen der AN im Betrieb ein Monopol der gesetzlich eingerichteten Belegschaft besteht. Das ArbVG habe im Betrieb eine geschlossene Ordnung der Arbeitsbeziehungen geschaffen. Somit ist es für Kuderna ausgeschlossen, dass andere AkteurInnen als die Belegschaft und ihre Organe mit dem AG Vereinbarungen abschließen.

Ganz ähnlich sind die Konsequenzen der Lehre von der zweiseitig zwingenden Wirkung des ArbVG, wie sie vor allem von Jabornegg umfassend begründet und in ihren Konsequenzen näher dargestellt wurde.*

Jabornegg deutet diese Wirkung dahingehend, dass das zweiseitig zwingende ArbVG jeder privatautonomen Abweichung entgegensteht. Es sei davon auszugehen, dass die gesetzliche Normierung der kollektiven Rechtsgestaltung die „vorpositiven“, allein auf bürgerlich-rechtlichen Grundlagen fußenden Gestaltungsversuche in umfassender Weise ablösen wollte. Der Gesetzgeber habe jede Abweichung vom gesetzlichen Modell ausgeschlossen.*

2.2.
Kritik der materiellen Deutung absolut zwingenden Arbeitsverfassungsrechts

Felten hat diese Auffassung mit ihren so weitreichenden Implikationen für die Zulässigkeit von Regelungen außerhalb des ArbVG, vor allem aus grundrechtlicher Perspektive, einer umfassenden kritischen Würdigung unterzogen.* Der These von der absolut zwingenden Wirkung des Arbeitsverfassungsrechts könne man zwar insoweit zustimmen, als die Beschränkung der maßgeblichen AkteurInnen auf den Regelungsrahmen des ArbVG auf Grund der heteronomen Normsetzungs- bzw Eingriffskompetenzen zum Schutz der betroffenen Interessen geboten ist. Abzulehnen sei es aber, wenn man die Folgen der zweiseitig-zwingenden Wirkung über das ArbVG hinaus ausdehnt. Damit gerate man in Widerspruch zu Art 11 EMRK, da jede Art von privatrechtlichem Vertrag neben den vom ArbVG vorgesehenen Formen der kollektiven Rechtsgestaltung für unzulässig erklärt wird.* Im Ergebnis wäre dann der Regelungsrahmen des ArbVG die einzig zulässige Form der Organisation kollektiver Arbeitsbeziehungen. Koalitionen, die nicht kollektivvertragsfähig sind, könnten nicht mehr im Rahmen ihrer allgemeinen Rechtsfähigkeit tätig werden. Das sei eine Beschränkung des durch Art 11 Abs 1 EMRK verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Kollektivverhandlungen. Mit dieser Auslegung würde Koalitionen (im Übrigen teilweise auch den gem § 4 Abs 2 ArbVG anerkannten) die Möglichkeit verwehrt, durch Abschluss schuldrechtlicher Kollektivvereinbarungen („Gesamtarbeitsverträge“) arbeitsbezogene Regelungen für ihre Mitglieder zu treffen.

Die These von der zweiseitig-zwingenden Wirkung des ArbVG in der Auslegung von Jabornegg hält aber schon auf der einfachgesetzlichen Ebene einer genaueren Prüfung nicht stand. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des speziellen „privilegierten“ Systems von Kollektivverträgen, Betriebsvereinbarungen und betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechten die nach dem bürgerlichen Recht bestehenden Möglichkeiten, insb von schuldrechtlich wirkenden Vereinbarungen, ausschließen wollte. Das starke, geordnete und privilegierte System des ArbVG überlagert und überformt die aus anderen Ermächtigungsgrundlagen (wie Vertragsfreiheit) zustehenden Instrumente der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen, ohne diese auszuschließen oder zu verdrängen.

Die Lehre von der zweiseitig zwingenden Wirkung ist deswegen nicht falsch, man muss sie nur richtig verstehen:* Das Betriebsverfassungsrecht ist eine eigenständige, gleichsam autarke Rechtssphäre, die keiner Veränderung „von außen“ her zugänglich ist – ausgenommen die betriebsverfassungsrechtlichen Normen gem § 2 Abs 2 Z 5 und § 29 ArbVG. Die Betriebsverfassung ist gegenüber der Welt der allgemeinen Vertragsfreiheit geradezu hermetisch abgedichtet. Genau das ist die tiefere Ratio der absolut zwingenden Eigenschaft der betriebsverfassungsrechtlichen Normen des ArbVG. Rechtstechnisch wird dieses harsche Ergebnis dadurch bewerkstelligt, dass mit der Belegschaft ein „künstliches“ Rechtssubjekt kreiert wurde, dessen nähere Ausgestaltung sich der Gesetzgeber komplett vorbehalten hat. Die Teilrechtsfähigkeit der Belegschaft ist das wohl wichtigste Element dieser Konstruktion, wird doch gerade dadurch verhindert, dass durch zivilrechtliche Vereinbarungen der Horizont einer freien Gestaltung der Arbeitsbeziehungen im Betrieb beliebig eröffnet wird. Der Gesetzgeber hat sich für ein geschlossenes, unveränderbares, nicht differenzierbares und damit völlig variantenarmes Modell der Belegschaftsvertretung entschieden. Das und nur das ist mit „absolut zwingend“ gemeint.

Für das ebenfalls erst durch die speziellen Regelungen des ArbVG geschaffene Kollektivvertragssystem gilt Ähnliches. Seine Wirkungen beruhen ausschließlich auf gesetzlicher Ermächtigung. Insofern ist tatsächlich das System an normativen und zwingenden Wirkungen, Bestimmungen über die Kollektivvertragsangehörigkeit und den Geltungsbereich der Kollektivvertragsnormen, Wirkungen wie der Außenseiterwirkung oder der Nachwirkung durch keine andere Rechtsquelle, weder durch den KollV selbst, noch durch BV, noch durch Einzelvertrag wirksam regelbar. „Koalitionsvereinbarungen“ können diese Regelungen des ArbVG selbstverständlich auch nicht ändern.

Die betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsbeziehungen und das System der kollektiven Rechtsgestaltung sind nach dem Gesagten also nicht „materiell“ zu verstehen, wie dies bei Kuderna und Jabornegg der Fall ist. Die Regelungssperre 107 bezieht sich lediglich auf die Normen des ArbVG als solche, nicht aber auf Regelungen, die inhaltlich gar nicht auf die Wirkungen des KollV oder auf die Mitbestimmungsrechte Bezug nehmen.

Dass neben KollV und BV keine anderen Regelungsmöglichkeiten Bestand haben können und es sich daher in einem solchen materiellen Verständnis um Regelungsmonopole mit absoluter Ausschließlichkeitswirkung handelt, ist vor allem deswegen nicht konsequent durchdacht, weil Koalitionsverträge gar keine Veränderungen am Normenbestand des ArbVG als solchem vornehmen. Nur diesen kommt aber die zweiseitig zwingende Wirkung zu. Koalitionsverträge stehen in keinem Kollisionsverhältnis zum ArbVG. Die absolut zwingende Wirkung des ArbVG ist eine Kollisionsnorm, die das Verhältnis von Regelungen erfassen will, die sich auf diese Norm inhaltlich beziehen. Koalitionsvereinbarungen regeln aber „neben“ dem und „parallel“ zum ArbVG-System der Rechtsgestaltung. Sie entziehen der Belegschaft keine Rechte, sie gestalten die Betriebsverfassung nicht um und sie erweitern keine Mitwirkungsrechte, sie ändern nichts an den Regelungsmöglichkeiten der Kollektivvertragsparteien und entziehen sich auch nicht den Wirkungen eines nach dem ArbVG anwendbaren KollV.

Das große Missverständnis einer „materiellen Deutung“ der absolut zwingenden Wirkung des ArbVG ist es, nicht zu erkennen, dass die „Koalitionsverträge“ gleichsam berührungslos neben dem hermetisch abgeschirmten System der Betriebsverfassung stehen und dass sie auch nicht in die Rechte kollektivvertragsfähiger Organisationen, in die bestehenden gesetzlichen Regelungsermächtigungen und in die Wirkungen von Instrumenten der kollektiven Rechtsgestaltung in irgendeiner Weise eingreifen.

Es gibt also – auch ohne einen Rekurs auf Grundrechte vornehmen zu müssen – keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Befugnisse und Regelungsmöglichkeiten, die das ArbVG verleiht, materiell „monopolisierten“ und Koalitionsbetätigungen und den Gebrauch zivilrechtlicher Instrumente verbieten wollte.

Fazit ist: Die zweiseitig zwingende Wirkung des ArbVG ist nur formell zu verstehen. Sie strahlt nicht auf daneben mögliche Koalitionsbetätigungen, vor allem kollektive Vereinbarungen und Arbeitskämpfe zu deren Durchsetzung aus.

2.3.
Klarstellungen und Paradoxien der „freien Betriebsvereinbarung“

Hätte der Gesetzgeber wirklich einen ultimativen Schlag gegen Vertragsfreiheit, Privatautonomie und Koalitionsfreiheit iS einer materiellen Monopolisierung des ArbVG-Instrumentariums führen wollen, dann hätte er wohl eine Rechtsfolge von derartiger Tragweite ausdrücklich angeordnet. Sieht man sich die Paradoxien der Problematik der „aus inhaltlichen Gründen unzulässigen Betriebsvereinbarungen“ an, dann wird deutlich, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der Gesetzgeber wollte den ganzen Kosmos freier Gestaltbarkeit von Rechtsbeziehungen, der sich aus Handlungsfreiheit, Vertragsfreiheit und der Möglichkeit, Assoziationen zu bilden und mit Hilfe dieser Instrumente selbstbestimmt Interessen zu verfolgen, nicht auf dem Altar einer völlig geschlossenen Arbeitsverfassung opfern.

Die Materialien zu § 29 ArbVG bringen es klar und schonungslos zum Ausdruck: „Die sogenannten ‚freien Betriebsvereinbarungen‘, also schuldrechtliche Vereinbarungen mit dem Betriebsinhaber, die an sich fähig sind, auf den Arbeitsvertrag einzuwirken, hat der Entwurf nicht besonders geregelt. Solchen Vereinbarungen kommen daher nicht die Rechtswirkungen einer Betriebsvereinbarung zu; sie sind sowohl hinsichtlich ihres Zustandekommens als auch hinsichtlich ihrer Rechtswirkungen ausschließlich nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zu beurteilen“* (Hervorhebungen von Klaus Firlei).

Der Gesetzgeber hat damit, so die herrschende Auslegung,* nicht einmal die Wirksamkeit diverser Umwegkonstruktionen im Wege des bürgerlichen Rechts ausgeschlossen. Die hM und die Rsp* lehnen sich hier sehr weit hinaus – die Tolerierung der massiven Beteiligung von Belegschaftsorganen ist den bitteren Beigeschmack einer eklatanten Umgehungsaffinität nie ganz losgeworden –, wenn auch Gegenstimmen,* weitgehend einem gewissen Pragmatismus folgend, verstummt sind. Toleriert wird nicht gerade wenig Raum für die Implementierung von betriebsverfassungsrechtlich, also durch Betriebsvereinbarungen (auch nicht obligatorische) nicht umsetzbaren „Verhandlungsergebnissen“ im Bereich der arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen AG und AN. Herrschende Lehre und Rsp lassen die „arbeitsvertragliche“ Umsetzung gerade jener Schablonenverträge zu, die vom BR verhandelt und darüber hinaus mit typisch betriebsverfassungsrechtlichen Wirkungen versehen wurden.

Nicht vertretbar ist, dass sich der vom ArbVG in den Materialien anerkannte Raum, in dem sich das „bürgerliche Recht“ entfalten kann, nur auf Individualvereinbarungen zwischen AG und AN erstreckt, dass er also nur in der individuellen Arbeitsvertragsfreiheit fundiert ist und mit einer umfassenden Gestaltungsfreiheit für Koalitionsverträge nichts zu tun hat. Nein, der Gesetzgeber drückt in den Materialien aus, dass das ArbVG die zivilrechtlich bestehenden Möglichkeiten von Vereinbarungen, wie immer sie letztlich formal konstruiert sind, nicht verdrängen wollte. Wenn das nicht einmal für die betriebsverfassungsrechtlich vorgeprägten und ausverhandelten „Vertragsschablonen“ gelten soll, dann umso mehr für eine von Belegschaftsorganen unabhängige Kreation von Koalitionsvereinbarungen aller Art. Zwischen einer individuell arbeitsvertraglichen Vereinbarung und einer auf Initiative einer Koalition zustande kommenden Regelung besteht letztlich kein Unterschied. Der Repräsentant 108 einer AN-Gruppe, der einen Vertrag zugunsten von AN abschließt, betätigt sich funktional im Rahmen der Koalitionsfreiheit und die Verhandlungsergebnisse, wie immer sie technisch umgesetzt werden, sind „Koalitionsverträge“ nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis.

2.4.
Fazit

Die Betriebsverfassung verdrängt also weder die Vertragsfreiheit der AN noch das Recht, Vereinigungen zu bilden, noch deren Recht, auf privatrechtlichem Wege VertreterInnen zu bestimmen (zu beauftragen, zu wählen), noch deren Recht, komplexere Organisationsstrukturen für die Vertretung ihrer Interessen (kollektive Strukturen) auf Betriebs- und Unternehmensebene zu bilden und auf dieser Basis mit dem AG Regelungen zu treffen oder vertraglich fundierte Mitbestimmungsrechte zu vereinbaren. Das System der mit Normwirkungen ausgestatteten kollektiven Rechtsgestaltung verdrängt ebenso wenig beliebige Verhandlungen und nachfolgend abgeschlossene schuldrechtliche Vereinbarungen aller Art.

Die zweiseitig zwingende Wirkung wirkt sich nur dahingehend aus, dass Regelungsbefugnisse, Wirkungsanordnungen, Geltungsbereichsbestimmungen usw des ArbVG keiner Veränderung durch Koalitionsvereinbarungen zugänglich sind. Diesen Zweck verfolgen Koalitionsvereinbarungen aber gar nicht. Zugegeben entstehen aber aus den gesetzlichen Wirkungen der Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen Einschränkungen für Koalitionsbetätigungen und -vereinbarungen außerhalb des ArbVG. So kann eine schuldrechtliche Entgeltvereinbarung bei Anwendbarkeit eines KollV gem §§ 8 und 12 ArbVG nur im Günstigkeitsbereich regeln und eine Arbeitszeit-BV gem § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG kann von einer Koalitionsvereinbarung nicht verdrängt werden. Hier stellt sich im Anschluss daran die Frage, ob diese Einschränkungen nach den Maßstäben des Art 11 Abs 2 EMRK rechtfertigbar sind.

Dieses Ergebnis entspricht voll und ganz den bestehenden grundrechtlichen Vorgaben. Eine Auslegung wie die von Kuderna und Jabornegg wäre mit der Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbaren.*

3.
Grundrechtliche Garantien von Koalitionsverträgen

Die für das gegenständliche Thema relevante Ausgangslage sei hier kurz umrissen: Es geht primär um die Koalitionsfreiheit und um das Recht auf Kollektivverhandlungen einschließlich ihrer Umsetzung („Tarifverträge“, schuldrechtliche Vereinbarungen, und auch kollektive Maßnahmen). Maßgeblich sind die verfassungsrechtliche Absicherung in Art 11 EMRK, die auf die österreichische Rechtsordnung ebenfalls einwirkende Regelung in Art 28 EGRC und weiters die für die Auslegung des Grundrechts vom EGMR herangezogenen völkerrechtlichen Regelungen, die teilweise über Art 11 EMRK hinausgehen.*

3.1.
Eckpunkte für die Beurteilung von Koalitionsverträgen

Folgende Eckpunkte sind für unsere Fragestellung in besonderer Weise relevant:

1.

Der grundrechtlich verankerte Koalitionsbegriff ist sehr weit. Koalitionen bedürfen keiner Überbetrieblichkeit, auch auf betriebliche Interessenvertretung orientierte Vereinigungen genießen den Schutz des Grundrechts.* Nach Felten tendieren ohnehin Unions- und Völkerrecht dazu, Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge im Zweifel auf allen Ebenen, also auch auf der betrieblichen, zuzulassen.* Das sei auch deswegen plausibel, weil einzelne AG zum Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen berechtigt sind.

2.

Das gilt auch für sogenannte Ad-hoc-Koalitionen,* wobei gelegentlich eine gewisse institutionelle Verfestigung verlangt wird.* Allerdings wird schon die Ernennung bzw Wahl von Repräsentanten, die im Namen des Zusammenschlusses sprechen, ausreichen.*

3.

Für Österreich ist angesichts des Fehlens von ausdrücklichen beschränkenden Regelungen auf gesetzlicher Ebene wesentlich, dass weitergehende Regelungs- und Kampfmöglichkeiten der Koalitionen grundrechtlich zulässig sind.

4.

Die Garantien erstrecken sich auf kollektive Verhandlungen und den Abschluss von kollektiven Vereinbarungen,* wobei es genügt, wenn diese nur schuldrechtliche Wirkung entfalten. Normwirkungen können, müssen aber nicht zuerkannt werden.* Weder der Wortlaut des Art 28 EGRC noch die Judikatur des EuGH fordern, dass die Normwirkung zwingendes Element des „Tarifvertrags“ iSd Art 28 sein muss. Art 28 EGRC verpflichtet aber die Vertragsstaaten dazu, die zwischen AN und AG abgeschlossenen Vereinbarungen als „rechtsverbindlich“ anzuerkennen.* Das Recht auf Kollektivverhandlungen und wohl auch auf den Abschluss entsprechender Vereinbarungen bezieht sich neben der betrieblichen Ebene auch auf den Staat (wohl nicht nur als AG), auf transnationale Arbeitsbeziehungen und ganz sicher auch auf einzelne AG.* Ob arbeitnehmerähnliche Personen mit einbezogen sind, ist nicht so klar, mE aber zu bejahen.109

5.

Garantierte Kernfunktion von Koalitionen ist auch das Recht auf kampfweise Durchsetzung der Forderungen gegenüber der „Gegenseite“.*

6.

Vorrang von Koalitionen gegenüber Staat und staatlich organisierten Interessenvertretungen: Die wesentlichen Funktionen von Koalitionen dürfen durch gesetzlich organisierte, nicht auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Interessenvertretungen nicht ohne Rechtfertigung eingeschränkt werden („Betriebsverfassung als Staatsveranstaltung“).*

7.

Monopolisierungsverbot: Nicht zulässig ist, den betrieblichen Bereich bzw Vereinbarungen mit einzelnen AG, Betriebsinhabern und Unternehmen aus der Befugnis zum Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen herauszunehmen.*

8.

Wenn bestimmten Organisationen hinsichtlich von Gestaltungsinstrumenten der Arbeitsbeziehungen privilegierte Möglichkeiten eingeräumt werden, darf anderen Koalitionen das Recht auf Vereinbarungen, der Zugang zum Betrieb, der Arbeitskampf und die Autonomie bei der Zielfindung nicht genommen werden. Ausnahmen wird man dann zulassen können, wenn sie im Gesetz vorgesehen und nach Art 11 Abs 2 EMRK rechtfertigbar sind.

9.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, welche Materien zum geschützten Tätigkeitsbereich von Koalitionen gehören. Eine Antwort darauf ist aus dem „grundrechtlichen Normenmaterial“ nicht unmittelbar erkennbar.

3.2.
Schlussfolgerungen für Koalitionsverträge

Was folgt daraus für die Regelungsmöglichkeiten von Koalitionen (Koalitionsverträge), die vom ArbVG nicht erfasst sind? Hier ein kurzer Überblick:

1.

Der Gesetzgeber war befugt, bestimmte Regelungsinstrumente mit starken Wirkungen auszugestalten und nicht vom ArbVG erfasste Kollektivvereinbarungen auf zivilrechtliche Möglichkeiten zu verweisen. Das entspricht der geltenden österreichischen Rechtslage. Der Gesetzgeber durfte aber Koalitionen zumindest die schuldrechtlichen Regelungsmöglichkeiten nicht nehmen.

2.

Koalitionsvereinbarungen stehen allen Koalitionen grundrechtlich gesichert zu, ob kollektivvertragsfähig oder nicht, auch im Bereich von Materien, die auf normative Weise nicht regelbar sind. Koalitionsverträge können also auch durch Vertreter kleinerer Zusammenschlüsse zu einem begrenzten Zweck abgeschlossen werden.

3.

Auf die instrumentelle Seite kommt es nicht an: Schuldrechtliche Verträge, Verträge zugunsten Dritter, vertragliche oder gesellschaftsrechtliche Konstruktionen organisierter Mitwirkung an Entscheidungen, auch bloße Bevollmächtigungen von VertreterInnen zur Aushandlung einer bestimmten Einzelforderung fallen unter den Schutzbereich.

4.

Kollektivvereinbarungen mit einzelnen AG sind ebenfalls erfasst wie Vereinbarungen mit ausländischen AG oder deren Vereinigungen bzw Interessenvertretungen oder Pakte mit staatlichen Stellen aller Art.

5.

Die Betriebsverfassung schließt schuldrechtliche Regelungen oder andere Organisationsformen einer institutionalisierten Interessenvertretung im Betrieb nicht aus.

6.

Soweit privilegierte Kollektivvereinbarungen oder die gesetzliche Betriebsverfassung (KollV, BV, Mitbestimmungsrechte) die Vertragsfreiheit und damit auch die Kampffreiheit von Koalitionen einschränken, ist dies nach Art 11 Abs 2 EMRK rechtfertigungsbedürftig. Eine sinnvolle Ordnung der Arbeitsbeziehungen kann ein Rechtfertigungsgrund sein, je nach Reichweite der gesetzlich normierten Beschränkungen.

7.

Wo der Belegschaft Regelungsmöglichkeiten zuerkannt sind, die dem KollV normativ nicht eingeräumt wurden (zB bei bestimmten Solidarnormen), bestehen zumindest schuldrechtliche Regelungsmöglichkeiten für den KollV. Ihnen kommt aber kein Vorrang zu, so dass derartige Koalitionsverträge gegenüber einer BV nur im Günstigkeitsbereich Rechtswirksamkeit erlangen.

8.

Koalitionsverträge schuldrechtlicher Art können wegen der Außenseiterwirkung gem § 12 ArbVG in ihren Gestaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sein. Hinsichtlich der von Koalitionen außerhalb des ArbVG abgeschlossenen Vereinbarungen findet hier somit das Mitgliedschaftsprinzip keine Anwendung. Das ist mE ein nicht rechtfertigungsfähiger Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit.

9.

Arbeitskämpfe können auch von betrieblichen Koalitionen und von Ad-hoc-Koalitionen geführt werden.

10.

Eine privatrechtlich fundierte Betriebs- und Unternehmensverfassung kann durch vertragliche Vereinbarungen neben der gesetzlichen Betriebsverfassung gültig vereinbart werden (zB Redaktionsstatuten, Mitwirkungsrechte in NGOs, Sondervertretungen bestimmter AN-Gruppen, Frauenvertretungen ua). Ihre Gestaltungsmöglichkeiten sind aber eher reduziert, direkt wie indirekt, wenn Organe der Belegschaft kreiert wurden.

Zu diskutieren sind nunmehr drei Fragen:

  • Umfasst das Recht, Gesamtverträge abzuschließen, auch den Bereich betrieblich-wirtschaftlicher Entscheidungen?

  • Daran anschließend ist die Frage nach dem Einsatz von Arbeitskämpfen zur Durchsetzung der Verhandlungsziele aufgeworfen, insb auch in Bezug auf die Vereinbarungen in wirtschaftlichen Fragen.

  • Drittens ist zu fragen, auch wenn man eine weitgehende allgemeine Freiheit zum Abschluss von Koalitionsverträgen bejaht, welche konkreten Grenzen im Einzelfall zu beachten sind.

3.3.
Regelung von betrieblichwirtschaftlichen Angelegenheiten in Koalitionsverträgen

Diese Frage ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Aus meiner Sicht besteht ein zunehmender Bedarf nach einer komplexen und intelligenten 110 Mitberücksichtigung der Interessen der Beschäftigten. Koalitionsverträge, die wirtschaftliche Entscheidungen, Unternehmensgrundsätze, langfristige Beschäftigungssicherungsmaßnahmen, Zusicherungen des AG im Zuge von Unternehmenskrisen und Ausgleichsmaßnahmen für die Hinnahme von Belastungen und Verschlechterungen regeln, sind eine unterschätzte Möglichkeit, gerade die „neue Arbeitswelt“ sozialverträglicher zu gestalten.

Kernbegriff im kollektiven Arbeitsrecht ist die Betroffenheit von „Interessen“ in der „Rolle“ als AN. Nicht alle Auswirkungen von Management-Entscheidungen können durch Gestaltung der Arbeitsverträge oder durch die klassischen Gegenstände von normativ wirkenden Kollektivverträgen/Tarifverträgen ausreichend wirksam beeinflusst werden. So ist eine Standortverlegung nur hinsichtlich ihrer Folgen („Betriebsänderung“) Gegenstand von Instrumenten der kollektiven Rechtsgestaltung des ArbVG, nicht aber hinsichtlich der Maßnahme selbst.* Kündigungen und Versetzungen sind durch Mitbestimmungsrechte erfasst, nicht aber die kausal dafür verantwortlichen Rationalisierungsmaßnahmen.

Aus der EMRK ergibt sich kein verlässlicher Befund. Man muss sich daher mit der Ratio der Regelungen und den Funktionen der Koalitionsfreiheit beschäftigen. Die Funktionsorientierung ist eine gewichtige Auslegungsmaxime des EGMR. Gerade die neuen Entwicklungen im Recht der Koalitionsfreiheit wurden maßgeblich durch funktionale Argumente geprägt. Ebenso wird man den sogenannten integrativen Ansatz* heranziehen und fortentwickeln können.

ME ist vom Begriff der Interessen (siehe dezidiert Art 11 EMRK: „zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden“) auszugehen, zu deren Vertretung die Koalition gegründet wurde und sich betätigt. Es geht also um Folgen-„Betroffenheit“ und daraus ableitbare Mitwirkungsansprüche und Interventionserfordernisse. Schon im Betriebsverfassungsrecht sind die wirtschaftlichen Angelegenheiten eindeutig der Interessenvertretungssphäre der AN zugeordnet. Koalitionen dürfen in der Auslegung ihres legitimen Tätigkeitsfeldes diesbezüglich nicht schlechter gestellt werden. Man beachte dazu: In Zusammenhang mit einem Einspruch gegen die Wirtschaftsführung und andere wirtschaftliche Maßnahmen, die wesentliche Nachteile für die AN mit sich bringen, können gem § 111 ArbVG im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens sogar (fakultative) Betriebsvereinbarungen über die wirtschaftlichen Entscheidungen abgeschlossen werden.

Das Interesse der Belegschaft an einer Beeinflussung wirtschaftlicher Entscheidungen wird durch das ArbVG ohnehin ganz umfassend bestätigt. § 38 ArbVG umreißt den Aufgabenbereich der Belegschaftsorgane durchaus mit rechtlichen Konsequenzen für eine Vielzahl von Rechtsfragen (wie Gegenstände von Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, die Zwecke von Freistellungen, die Grenzen von Beschlüssen der Betriebsversammlung, die konkrete Reichweite der Informations-, Interventions- und Beratungsrechte, usw). Gem § 38 haben Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes die Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der AN im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern. Die Anerkennung der wirtschaftlich-betrieblichen Sphäre als Interessenfeld in der Betriebsverfassung ist also völlig eindeutig. Dieses Interesse gehört schon deswegen (Vorrangprinzip gegenüber gesetzlichen Interessenvertretungen) bei Koalitionen zum Kernbereich ihrer Betätigung.

Für die Erfassung der vorgelagerten betrieblichen und wirtschaftlichen Entscheidungen als legitimer Koalitionszweck spricht vor allem, dass es sich vielfach um die rationalere, beiden Seiten besser dienende Möglichkeit handelt. Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass es im Interesse der AN liegt, Rationalisierungsentscheidungen zu beeinflussen, bei Übernahme des Betriebes beschäftigungssichernde Regelungen zu treffen, das Unternehmen zu einer sozialverträglichen Politik, uU nach gewissen Indikatoren, zu verpflichten, bestimmte Grundsätze der Unternehmensführung in Bezug auf die Arbeit festzulegen, langfristige Programme zu vereinbaren, aber auch, der wohl heute wichtigste Fall, ökonomisch erforderliche, oft einschneidende nachteilige Maßnahmen (Personalabbau, Rationalisierung, Verkauf des Unternehmens, Einführung neuer Arbeitsmethoden, Eingliederung in einen Konzern, usw) und die oft bitteren Zugeständnisse der AN-Seite an bestimmte wirtschaftliche Zusagen des AG (Erhaltung eines bestimmten Beschäftigungsniveaus, Vereinbarungen über eine stärker arbeitnehmerorientierte Betriebsführung) zu binden.

Auch die herrschende Auslegung von Begriffen wie „Arbeitsbedingungen“ oder „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, bei der es um den inhaltlichen Zuständigkeitsbereich der Koalitionsfreiheit und seine Grenzen geht, bestätigt, dass wirtschaftliche Fragen zur garantierten Koalitionsbetätigung gehören.

4.
Koalitionsverträge und Arbeitskampf
4.1.
Eckpunkte für die Durchsetzung von Koalitionsverträgen

Für diese Frage ist von folgenden Eckpunkten auszugehen:

  1. In Österreich ist der Arbeitskampf nicht explizit gesetzlich geregelt. Die Führung von Arbeitskämpfen fällt (zumindest) in den Bereich der Handlungsfreiheit und unterliegt daher – abgesehen von einigen wenigen gesetzlichen Regelungen und Rechtsfolgenanordnungen – lediglich einer Sittenwidrigkeitskontrolle.*

  2. Wo bisher nur Handlungsfreiheit anerkannt war, ist nunmehr ein Recht auf Arbeitskampf 111 garantiert.* Diese Wohltat sagt aber nichts über die zulässigen Inhalte eines Arbeitskampfes aus.

  3. Arbeitskämpfe sind ein Grundrecht von Koalitionen jedweder Art. Einschränkungen sind rechtfertigungsbedürftig und müssen durch Gesetz erfolgen.

  4. Garantiert sind Arbeitskämpfe und sonstige Kollektivmaßnahmen für kollektivvertragsfähige ebenso wie für nicht anerkannte Koalitionen. Diese müssen weder überbetrieblich organisiert sein noch über eine feste Organisation verfügen.

  5. Es geht nicht nur um Streiks (Arbeitsniederlegungen in ihren vielfältigen Formen), sondern auch zB um Boykottmaßnahmen und sonstige Arten an Konfliktstrategien.*

  6. Garantiert sind Arbeitskämpfe unabhängig davon, ob es sich um ein kollektivvertraglich regelbares Ziel handelt.

  7. Arbeitskampfbeschränkungen ergeben sich auch aus Verstößen gegen zwingendes Recht bzw gegen gesetzlich vorgesehene Entscheidungsmonopole. Solche finden sich vor allem in der Betriebsverfassung, zB in Bezug auf die Entscheidungen der Schlichtungsstelle und auf die Wirkungen bestimmter Betriebsvereinbarungen und Mitbestimmungsrechte. So werden etwa die Erfordernisse des Abschlusses einer BV oder einer vertraglichen Einigung in den Materien des § 96 ArbVG nicht durch Koalitionsvereinbarungen ersetzt werden können.

  8. Die zentralen Maßstäbe für die inhaltliche Beurteilung eines Arbeitskampfes (nach Kampfzielen) sind nach wie vor Gesetz und § 879 ABGB. Die Frage der Sittenwidrigkeit eines Arbeitskampfes ist sehr offen für interessengebundene Auslegungen. Das zeigt auch die äußerst kontroverse Literatur dazu, die in vielen Fällen von einer verzerrten Sichtweise des Arbeitskampfes geprägt ist und diesen funktional grundlegend fehlerhaft in unsere Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftsverfassung einordnet.

  9. Sowohl politische Arbeitskämpfe* als auch Solidaritäts- und Teilstreiks* sind „legal“, die Ziele dürfen auch nicht an Maßstäben wie gesamtwirtschaftliche Vertretbarkeit oder Verhältnismäßigkeit gemessen werden.

  10. Dem betriebsverfassungsrechtlichen Kampfverbot kommen keine Ausstrahlungen auf Koalitionsverträge im betrieblichen Bereich zu, denn es bezieht sich lediglich auf die besondere, fein abgestufte Mitwirkungsordnung des II. Teiles des ArbVG, wo von Organen der Belegschaft betriebene oder mitgetragene Kampfmaßnahmen mit der Konzeption einer geschlossenen Zuständigkeitsverteilung zwischen Betriebsinhaber und Belegschaft nicht kompatibel sind.

  11. Gewisse privilegierte Regelungen und Manifestationen gesetzlich geregelter Mitwirkungsrechte setzen in der Folge damit kollidierenden Inhalten von Arbeitskämpfen Grenzen. Ein Beispiel sind jene Fälle, in denen die Rechtsordnung ein Verfahren zur Konfliktbereinigung vorsieht, für das Einlassungszwang besteht und das zu verbindlichen Entscheidungen führt (zB § 97 Abs 2 ArbVG).

  12. Kampfverbote können sich auch aus der Inkompatibilität von konkurrierenden Regelungen ergeben. Es geht dabei um „unteilbare“, nicht aufspaltbare Entscheidungen und Regelungen. Wie eine Rationalisierungsmaßnahme konkret ausgestaltet wird, kann eben nur einmal entschieden werden.

  13. Inhaltlich ist der Arbeitskampf jedenfalls im Bereich Arbeits- und Entgeltbedingungen garantiert, oder, in der Diktion des deutschen Grundgesetzes, hinsichtlich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.* Es geht dabei um Fragen der Arbeitsbeziehungen, um „berufliche“ (und eben nicht private) Interessen der AN jedweder Art gegenüber AG und dem Staat. Der Begriff kann weit oder enger ausgelegt werden. ME gebieten die grundrechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben eine sehr weite Sichtweise.

4.2.
Arbeitskampfziele in wirtschaftlichen Angelegenheiten

In Österreich wurden immer wieder Bedenken dagegen vorgetragen, dass Arbeitskämpfe zur Durchsetzung oder Verhinderung von betrieblichen bzw wirtschaftlichen Entscheidungen zulässig sind. Rebhahn etwa stellt darauf ab,* ob das Kampfziel zu den Arbeitsbedingungen gehört, „da nach verbreiteter Auffassung ein Arbeitskampf dann rechtswidrig sein soll, wenn die an den Arbeitgeber gestellte Kampfforderung nicht die Arbeitsbedingungen betrifft“. ZB sollen Fragen der Produktionstechnik„nach Ansicht vieler nicht zu diesen Arbeitsbedingungen zählen“. Tomandl begründet seine ablehnende Haltung mit der Überlegung, gewisse Streikziele würden der „arbeitsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung“ widersprechen.*Rebhahn hat diese Argumentation nicht überzeugt.* Der Begriff der Arbeitsbedingungen wird überwiegend weit verstanden, etwa als „Gesamtkomplex arbeitsrechtlicher Regelungen“.* Für Mair* handelt es sich dabei um alle mit dem Arbeitsverhältnis mittelbar oder unmittelbar in Zusammenhang stehenden Interessen, dh jede Frage, die die Stellung des AN in ihrer Eigenschaft im Betrieb oder Unternehmen betrifft.* Für Marhold/Friedrich* sind 112 zB Rationalisierungsmaßnahmen die Verhinderung von Personalabbaumaßnahmen oder von Betriebsverlegungen zulässige Kampfziele. Rebhahn hält auch Streiks gegen eine drohende Betriebsverlagerung für zulässig, wenn sie nicht Produktion oder Geschäftsbeziehungen so nachhaltig stören, dass die Verlagerung sinnlos würde.*

Für eine weite Sichtweise von den Inhalten her zulässiger Koalitionsbetätigung spricht auch die Position des EGMR, der das Streikrecht dem Schutzbereich des Art 11 Abs 1 EMRK auch dann unterstellt, wenn es bloß in einem mittelbaren Zusammenhang mit der Verbesserung von Arbeitsbedingungen steht.*

4.3.
Ergebnisse

Zum einen spricht die Vermutung dafür, dass in Fällen, in denen eine Materie in den geschützten Kernbereich der Koalitionsfreiheit fällt, gleichzeitig ein Recht auf deren Durchsetzung durch Arbeitskampf verbunden ist. Angesichts der chronischen Konfliktlage der Interessen von AG und AN läuft ein Recht auf Kollektivverhandlungen, ohne zumindest im Hintergrund eine Arbeitskampfdrohung in die Verhandlungen einbringen zu können, weitestgehend ins Leere.

ME geht es um die Frage „berechtigter Interessenwahrung“ in der besonderen Rolle als AN. Betriebsänderungen und wirtschaftliche Entscheidungen, die Nachteile für die AN mit sich bringen, sind schon in der Betriebsverfassung als der Interessensphäre der Belegschaft zugehörig anerkannt. Betriebliche und wirtschaftliche Entscheidungen sind regelmäßig die Ursache für nachteilige Folgen. Wenn versucht wird, an diesen Ursachen anzusetzen und damit einen oft rationaleren und ausgewogeneren Kompromiss zu finden, liegt dies im Kernbereich wirksamer Vertretung der Interessen der AN, nicht selten auch iS einer Kompensation für die sonst oft hilflose Hinnahme von Entgeltreduzierungen, Flexibilisierungen, verstärkten Kontrollen und Personalabbau.

Auch langfristige Optimierungen der Unternehmenskonzepte unter Einbindung der Interessen der Belegschaft zählen, ausgehend vom Begriff der „Interessen in der Rolle als Arbeitnehmer“ zum Kernbereich der Koalitionsbetätigung. Weiters ist entscheidend, dass in vielen Fällen ein Verhandeln über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht nur eine wirksame, sondern oft eine besonders rationale Variante der Interessenvertretung ist. Konzentriert man sich nämlich auf „end of the pipe-Entscheidungen“, sind die Konflikte oft härter und schwerer lösbar als im Falle einer „rechtzeitigen“ Miteinbeziehung der Interessen der Beschäftigten in langfristige wirtschaftliche Strategien des Unternehmens. Gerade Vereinbarungen in Zusammenhang mit dem radikalen Strukturwandel in der heutigen Phase III (wohl im Übergang zu IV) des kapitalistischen Systems* sind durch und durch vernünftige und dem Interessenausgleich dienende Strategien, oft besser als die Bekämpfung der Folgen, die nur sehr begrenzt erfolgreich ist.

Funktional ist auch entscheidend, dass es keinen geschützten Bereich für Management-Entscheidungen gibt. Wer berechtigt ist, mit AG und Unternehmen hinsichtlich seiner Arbeitskraft frei zu kontrahieren, kann dies auch unterlassen oder eben an die Beschäftigung bestimmte, auch wirtschaftliche Bedingungen knüpfen. Dieses Recht kann auch kollektiv ausgeübt werden. Es steht organisierten AN-Kollektiven frei, ihre Bereitschaft, für einen AG zu arbeiten, an bestimmte wirtschaftliche Bedingungen zu knüpfen. Es ist ohnehin ein grundlegender Irrtum, den Arbeitskampf als eine Art „Krieg“ anzusehen. Das entspricht nur seinem vordergründigen, tatsächlich oft etwas militanten Erscheinungsbild. In Wahrheit handelt es sich unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Funktionalität um eine kollektive Ausübung von Angebotsmacht, die aus der rechtlich bestehenden und grundrechtlich abgesicherten Verfügungsgewalt über die eigene Arbeitskraft resultiert. Es handelt sich somit um eine genuin liberal-kapitalistische Form des Interessenausgleichs, die mit einer unzulässigen Schädigung der Gegenseite grundsätzlich nichts zu tun hat. Man kann nicht auf der einen Seite ja zur bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsverfassung sagen, in der Folge aber den AN den Einsatz ihrer wirtschaftlichen Angebotsmacht als schädlich oder als Eingriff in die Entscheidungshoheit der Kapitalseite vorhalten. Der klassische Arbeitskampf ist so gesehen nur eine „verkürzte“ Form der Ausübung von kollektiver Verfügung über die Arbeitskraft, letztlich ein Kind der Vertragsfreiheit, das durch die Koalitionsfreiheit in besonderer Weise Anerkennung fand und durch besondere Garantien gestärkt wurde.

Zusammenfassend ist das Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen, dass durch Koalitionen sowohl kollektive Vereinbarungen abgeschlossen als auch Arbeitskämpfe und andere kollektive Aktionen durchgeführt werden dürfen, wenn es um wirtschaftliche oder betriebliche Entscheidungen geht. Grenzen bestehen, sie müssen aber in jeder Konstellation konkret ermittelt werden.

5.
Mögliche Grenzen für Koalitionsvereinbarungen außerhalb des ArbVG

Zu diesen äußerst komplizierten Fragen kann hier nur in Form von Hinweisen auf die relevanten Themen Stellung genommen werden.

Ich gehe von sechs grundsätzlich bestehenden Schranken aus: Zwingendes Recht, Grundrechtskollisionen, Inkompatibilität, Kartellverbot, EU-Grundfreiheiten und allenfalls zwingende gesellschaftsrechtliche Normen.

  1. Unzulässigkeit von Verstößen gegen zwingendes Recht: Wie erwähnt geht es dabei auch um gewisse vorrangige Wirkungen des privilegierten 113 Ordnungssystems des ArbVG, also um gesetzliche Kollisionsregelungen. Das ArbVG ist in dieser Frage aber lückenhaft.*

  2. Unzulässigkeit von Regelungen und Arbeitskämpfen, wenn andere Instanzen wie Gerichte oder Behörden vom Gesetz her dazu berufen sind, den Konflikt zu entscheiden (Paradefall sind die erzwingbaren Betriebsvereinbarungen mit Entscheidungsbefugnis einer Behörde, der Schlichtungsstelle).

  3. Bei unteilbaren, nicht individualisierbaren, ihrer Natur nach singulären Entscheidungen und Regelungen (regelmäßig ist dies bei wirtschaftlichen Entscheidungen der Fall, aber auch bei der Ausgestaltung von betrieblichen Einrichtungen, IKT-Systemen oder bei gewissen „Ordnungsnormen“ wie Alkoholverboten) müssen Koalitionen einen bestehenden privilegierten Zugang zu diesen Entscheidungen respektieren (Inkompatibilitätsschranke).

  4. Regelungen, die das unionsrechtliche Kartellverbot verletzen würden.* Allerdings gilt grundsätzlich, dass kollektive Regelungen in der Arbeitswelt, einschließlich von Koalitionsverträgen, aus der Kartellkontrolle ausgenommen sind.* Problematisch könnte aber die Einbeziehung von arbeitnehmerähnlichen Personen in Koalitionsverträge sein.*

  5. Kollektivvereinbarungen und Arbeitskämpfe, die nach der Rsp des EuGH gegen EU-Grundfreiheiten verstoßen sollen.*

6.
Resümee

Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass neben dem System des ArbVG ein weites Feld an Koalitionsverträgen nutzbar ist, die geeignet sind, Effektivität, Differenzierungspotenziale und Fähigkeiten zur Komplexitätsbewältigung auf Seite der AN-Koalitionen zu steigern und neue Bereiche der Mitgestaltung der Arbeitswelt zu erschließen. Gerade auch den als kollektivvertragsfähig anerkannten Koalitionen stehen auf diese Weise interessante und neue Formen der Gestaltung der Arbeitswelt zur Verfügung. Die Sozial- und Wirtschaftspartnerschaft kann um eine Regelung von langfristigen strategischen Orientierungen erweitert werden. Es bietet sich zudem an, erforderliche Einschnitte in die Interessensphäre der AN bzw Belegschaften nicht ohne weiteres hinzunehmen, sondern in solchen Situationen Einfluss auf die vorgelagerten wirtschaftlichen Entscheidungen zu nehmen. Die Koalitionsverträge sind dazu geeignet, Krisensituationen umfassender zu bewältigen. Sie eignen sich aber auch dazu, die betriebliche Interessenvertretung des Teiles II. des ArbVG zu ergänzen und neue Mitwirkungsmöglichkeiten, auch für spezielle Gruppen und Anliegen, zu schaffen. Das Zusammenspiel von Koalitionsverträgen und Belegschaftsorganen bietet faszinierende neue strategische Optionen. Koalitionsverträge außerhalb des ArbVG ermöglichen auch den oft dringend erforderlichen Zugriff auf einzelne AG. Die neue sehr „unschöne“ Arbeitswelt erfordert Beweglichkeit, Schnelligkeit, den Zugriff auf Ressourcen, die den AG abgerungen werden können, ein Eingehen auf Sonderinteressen und eine Dauerbeobachtung der wirtschaftlichen Planungen der Unternehmen, verbunden mit einem starken Aktionspotenzial. Behäbig gewordene Organisationen könnten aber durch aktive Kleinkoalitionen und Spezialvereinigungen stärker unter Druck kommen. Das muss man nicht nur negativ sehen.114