Die normative Rechtswirkung von Betriebsnormen

FLORIANMOSING (GRAZ)
Betriebsnormen können eine normative Rechtswirkung aufweisen. Wann dies der Fall ist, inwieweit kollektive Rechtsquellen regelungsbefugt sind und ob Anwendungsgrenzen für das Günstigkeitsprinzip bestehen, untersucht der folgende Beitrag.
  1. Einleitung

  2. Regelungsbefugnis des Kollektivvertrags

  3. Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarung

  4. Auswirkungen auf das Günstigkeitsprinzip

  5. Ergebnis

1.
Einleitung

Sinzheimer* löste als Erster den Inhalt des Arbeitsverhältnisses in Individual- und Gemeinschaftsbeziehungen auf. Nach seiner Ansicht verbinden Individualbeziehungen den AN als einzelnen mit dem AG. Im Gegensatz dazu sind Solidarbeziehungen solche, die allen AN in einem Betrieb oder zumindest in größeren Abteilungen gemeinsam sind. Dem AN können hierdurch Rechte und Pflichten vermittelt werden, die in seiner Eigenschaft als Mitglied der Belegschaft fußen;* allerdings nur dann, wenn der jeweilige Regelungsinhalt der kollektiven Rechtsquelle eine dahingehende Konkretisierung zulässt.* Ist dies nicht der Fall, oder wird die normative Rechtsetzungsbefugnis überschritten, liegt nur eine schuldrechtliche Wirkung zwischen den Vertragsparteien vor.*

Dieser, uU von einer normativen Wirkung losgelöste, betriebs(abteilungs)weite Bezug erklärt die Bezeichnung als Betriebsnorm.* Daraus folgt ebenso, dass man den Terminus „Norm“ im konkreten Zusammenhang nicht immer mit einer normativen Rechtswirkung gleichsetzen darf. Eine als verbindlich geltende Regel* kann eben auch aus einer obligatorischen Rechtswirkung entstehen.

Betriebsnormen lassen sich in zwei Untergruppen unterteilen: Solidarnormen und Ordnungsnormen.* Solidarnormen sind einerseits Bestimmungen zur Schaffung und Nutzung betrieblicher Einrichtungen zugunsten der Belegschaft, andererseits regeln sie die Zusammensetzung derselben.* Beispiele wären Betriebsküchen, Unterstützungskassen, werksärztliche Dienste, Erholungsheime oder quantitative Besetzungsregeln. Ordnungsnormen sind solche, die der betrieblichen Ordnung dienen. Hier kommen etwa Kontrolleinrichtungen, Alkohol- und Rauchverbote sowie Arbeitsorganisationsvorschriften infrage. Im deutschen Arbeitsrecht erlangen Betriebsnormen eine Bedeutung, die innerhalb der österreichischen Arbeitsrechtsordnung nicht vorhanden ist. Der Grund hierfür liegt in einem im Vergleich zu § 12 ArbVG reduzierten Verständnis der Außenseiterwirkung. Nach § 3 Abs 2 Tarifvertragsgesetz (TVG) sind von dieser nämlich nur Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen erfasst. Da Betriebsnormen betriebliche Fragestellungen betreffen, 115 kommt der rechtlichen Beurteilung, ob es sich um eine Betriebsnorm handelt oder nicht,* besondere Relevanz zu, weil sie zu einer Tarifgeltung ohne beiderseitige Tarifbindung führen kann.

Betriebsnormen werfen aber auch in der österreichischen Arbeitsrechtsordnung Rechtsfragen auf. Sie sind anderer Art und betreffen Rechtswirkung, Reichweite der normativen Regelungsbefugnis und inwieweit Ordnungsnormen dem Günstigkeitsprinzip zugänglich sind.

2.
Regelungsbefugnis des Kollektivvertrags

Im Zusammenhang mit dem KollV stellt sich die Frage, inwieweit dieser Betriebsnormen mit normativer Wirkung regeln kann. Wird die normative Regelungsbefugnis überschritten, ist nur – wie bereits erwähnt – eine schuldrechtliche Wirkung denkbar.*

Für eine normative Wirkung kommt zunächst § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG infrage. Eine Regelung als Inhaltsnorm* liegt dann vor, wenn sich konkrete Rechte und Pflichten für die Arbeitsvertragsparteien ableiten lassen.* Es finden sich dazu vereinzelte Beispiele in Lehre und Rsp. So führt Strasser* aus, dass die Verpflichtung eines AG, eine Kantine zu errichten, wohl kaum dahingehend gedeutet werden könne, dass damit einem einzelnen AN ein Erfüllungsanspruch eingeräumt werden sollte. Mosler/Felten* teilen diese Meinung, und weisen idZ ausdrücklich auf eine rein schuldrechtliche Wirkung hin. Im Gegensatz dazu geht Runggaldier* davon aus, dass aus einer über § 27 Abs 4 ASchG hinausgehenden kollektivvertraglichen Verpflichtung des AG, generell den AN Kästen einer bestimmten Größe zur Verfügung zu stellen, ein individueller Anspruch des AN abzuleiten sei. Auch Krapf* bejaht den normativen Charakter einer Quotenbestimmung, die eine Definitivstellung im Sparkassenbereich betraf. Im Gegensatz dazu verneinte der OGH zunächst* die normative Rechtswirkung dieser Quotenregelung, bejahte sie jedoch zu einem späteren Zeitpunkt.* Der Grund hierfür lag in einer Neuformulierung der Kollektivvertragsbestimmung.

Bevor man sich den erwähnten Beispielen aus Lehre und Rsp inhaltlich widmen kann, ist einleitend die Frage zu stellen, ob der KollV Regelungsinhalte überhaupt verpflichtend normativ regeln muss, die er kraft Gesetzes normativ regeln kann, oder ob auch für diese Bereiche eine obligatorische Rechtswirkung kraft Vereinbarung denkbar wäre. Im ersten Fall müsste er zwingend Rechte und Pflichten vermitteln, im zweiten Fall hätte er optional dazu die Möglichkeit. Die letzte Ansicht hätte zur Folge, dass Betriebsnormen auch dann eine obligatorische Rechtswirkung aufweisen können, wenn sie von der Regelungsbefugnis des § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG umfasst wären und auch individualisierbar sind.

§ 11 Abs 1 ArbVG legt fest, dass die Bestimmungen des KollV innerhalb seines fachlichen, räumlichen und persönlichen Geltungsbereiches unmittelbar rechtsverbindlich sind, außer es sind die Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien erfasst. Inhaltsnormen sind keine Rechtsbeziehungen zwischen den Kollektivvertragsparteien und auch bei einem weiteren Verständnis der schuldrechtlichen Wirkung iSe Auffangfunktion setzt diese nur ein, wenn die normative Regelungsbefugnis überschritten, nicht aber mittels Vereinbarung beschnitten wurde. Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung spricht daher dafür, dass nur eine normative Rechtswirkung möglich ist. Die Materialien erwähnen ebenfalls ausschließlich eine solche.* Auch der Zweck einer normativen Rechtswirkung deutet dahin, dass ein Rechtsanspruch nicht optional gewährt, sondern zwingend eingeräumt werden muss. Systematische Überlegungen bestätigen schlussendlich diese Sichtweise, eine obligatorische Rechtswirkung ist einem Güns tigkeitsvergleich (vgl § 3 ArbVG) nicht zugänglich. Die Auslegungsmethoden sprechen daher gegen die optionale Möglichkeit einer obligatorischen Rechtswirkung.

Selbst wenn man die Zulässigkeit einer dispositiven Rechtssetzungsbefugnis des KollV bejaht,* steht 116 diese nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Rechtsansicht. Dispositives Kollektivvertragsrecht wirkt auch normativ auf die Arbeitsverträge ein. Die daraus entstehenden Rechte und Pflichten können nur in Folge durch Parteienvereinbarung auf rangniedrigerer Rechtsquellenebene auch zur Gänze abbedungen werden. Allerdings werden diejenigen,* welche eine dispositive Rechtssetzungsbefugnis des KollV bejahen, eher dazu tendieren, dem KollV auch eine optionale obligatorische Regelungsbefugnis zuzugestehen. Der Grund hierfür liegt darin, dass einige Argumente, die für eine dispositive Rechtssetzungsbefugnis sprechen, ebenfalls für eine optionale obligatorische Regelungsbefugnis urbar gemacht werden können. Konkret, dass eine obligatorische Regelung besser als eine Nichtregelung von Seiten der Kollektivvertragspartner wäre* und dass die zentralen Funktionen des KollV* auch durch eine obligatorische Rechtswirkung gewährleistet seien.

Das erste Argument hat Jabornegg* schon überzeugend im Zusammenhang mit der Möglichkeit von dispositivem Kollektivvertragsrecht widerlegt: Es ist schlichtweg unzulässig, von der Abschlussauf die Gestaltungsfreiheit zu schließen. Eine Auseinandersetzung mit dem zweiten Argument erfordert eine genauere Betrachtung dahingehend, welche Auswirkungen eine normative Rechtswirkung auf die Funktionen des KollV hat. Die Schutzfunktion des KollV manifestiert sich innerhalb des ArbVG insb durch Normwirkung und Unabdingbarkeit, beide Eigenschaften setzen eine normative Rechtswirkung voraus. Die Kartellfunktion ist weitreichender, wenn eine Vereinheitlichung von Mindestarbeitsbedingungen durch Ansprüche der AN und nicht durch bloße Einwirkungsverpflichtungen der Kollektivvertragspartner abgesichert wird. Bedenkt man zusätzlich, dass der KollV das klassische Instrument zur Sicherung des Arbeitsfriedens darstellt, so werden diesem ebenfalls durchsetzbare Rechte und Pflichten eher als bloße Einwirkungspflichten dienen. Die Funktionen des KollV würden daher durch eine optionale dispositive Rechtssetzungsbefugnis zumindest geschwächt werden. Dies spricht mE ebenfalls gegen die Zulässigkeit eines Wahlrechts. Die normative Rechtswirkung von Betriebsnormen kann daher nicht durch Vereinbarung in eine obligatorische umgestaltet werden. Wenn die Kollektivvertragspartner somit eine Regelung treffen wollen und selbige in ihre normative Regelungsbefugnis fällt, dann muss sie zwingend eine normative Rechtswirkung aufweisen* . Dies wirft allerdings die Frage auf, ob der KollV, dort wo ein Regelungsinhalt AN-Rechte und AG-Pflichten zur Folge haben kann, auch nur die Pflichten normativ regeln kann.* Dann würde sich die Frage eines AN-Anspruchs ebenfalls nicht stellen, eine normative Wirkung wäre aber – wenn auch in einem reduzierten Ausmaß – dennoch vorhanden. Wie bereits ausgeführt, kann die normative Rechtswirkung nicht durch Vereinbarung zu einer obligatorischen transformiert werden. Wenn der KollV aber die Möglichkeit hätte, durch ausdrückliche Anordnung oder entsprechende Formulierung die Rechte, die aus einer normativen Regelung folgen, auszuschließen, dann wäre man im Ergebnis wieder bei den Rechtsfolgen einer obligatorischen Rechtswirkung; die Kollektivvertragspartner könnten nur auf ihre Mitglieder einwirken, sich kollektivvertragskonform zu verhalten. Es handelt sich daher um eine Umgehungshandlung, die aus den bereits erörterten Gründen zur normativen Rechtswirkung rechtswidrig ist.* Wenn daher der KollV einen Regelungsinhalt aufweist, der unter § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG subsumierbar ist, kann die normative Rechtswirkung weder umgewandelt, noch beschränkt werden.

Nach Z 2 können „die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ geregelt werden. Die Formulierung findet aber insofern eine Einschränkung, als nicht alle Materien, die einer Parteienvereinbarung auf Arbeitsvertragsebene zugänglich sind, geregelt werden können, sondern nur solche, die typische Inhalte des Arbeitsvertrags darstellen.* Diese Auslegung erfährt durch die Judikatur noch eine weitere Restriktion, als es sich nicht nur um einen typischen, sondern um einen solchen Inhalt des Dienstvertrages handeln muss, der entweder wesentlich oder regelmäßig wiederkehrend ist.* Betrachtet man die Eingangsbeispiele (Betriebskantine, Kästen bestimmter Größe, 117 Quotenregelung) anhand der engen höchstgerichtlichen Auslegung, so ergibt sich zunächst hinsichtlich der Betriebskantine, dass ein Errichtungsanspruch nicht als Inhaltsnorm regelbar ist. Weder handelt es sich um einen typischen noch um einen wesentlichen bzw regelmäßig wiederkehrenden Dienstvertragsinhalt.* Im Gegensatz dazu kann ein Anspruch auf einen Kasten bestimmter Größe geregelt werden. Hier befindet man sich innerhalb der engen Anwendungsgrenzen, welche die Rsp vorzeichnet. Die Üblichkeit und Wesentlichkeit wird schon dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber die in Rede stehende Verwahrungsmöglichkeit in § 27 Abs 4 ASchG bedacht hat. Wie bereits zuvor allgemein ausgeführt, macht es für den AN-Anspruch auch keinen Unterschied, welcher Formulierung sich der KollV bedient. Egal, ob der KollV nur eine AG-Pflicht zur Bereitstellung oder nur ein AN-Recht zur Kastennutzung erwähnt, in beiden Fällen erwächst dem AN ein Anspruch auf Kastenbenützung.

Die Diskussion, ob Quotenregelungen Betriebsnormen sein können, dreht sich in Deutschland* um Lehrlingsskalen,* Mindestausbildungsquoten, Höchstquoten befristet Beschäftigter, Leih-AN-Quoten sowie um Quoten für Arbeitslose oder Jugendliche. Allgemeiner gesprochen handelt es sich daher vor allem um quantitative Besetzungsregeln,* welche die zukünftige Belegschaftsstruktur im Auge haben. Diese Einstellungsquotierungen stellen bestimmte Anforderungen an die Verteilung der Arbeitsplätze nach Qualifikation, Berufs- oder anderer Gruppenzugehörigkeit und werden zur Untergruppe der Solidarnormen gezählt.* Sie zielen daher primär auf die zukünftige Belegschaftsstruktur im Allgemeinen und nicht auf den einzelnen AN im Besonderen ab. Daraus folgt, dass sie kein typischer Arbeitsvertragsinhalt sind, weswegen eine normative Regelungsbefugnis auf Basis der Z 2 des § 2 Abs 2 ArbVG ausscheidet. Im Gegensatz dazu hat der OGH* die normative Rechtswirkung bei einem (Antrags-)Recht auf Definitivstellung iVm einer Quotenregelung bejaht. Zu beachten ist allerdings, dass eine Definitivstellung schwerpunktmäßig eine Erhöhung des Bestandschutzes bezweckt. Der Bestandschutz selbst ist ein typischer, wesentlicher und regelmäßig wiederkehrender Dienstvertragsinhalt. Er kann daher auch bei restriktiver Sichtweise über die Z 2 geregelt werden. Selbst dann, wenn – wie im Anlassfall – die zukünftige Definitivstellung vom Unterschreiten einer bestimmten Quote abhängig gemacht wird, da typische Vertragsinhalte nach der Judikatur des OGH* auch atypisch geregelt werden können.

Wenn Betriebsnormen keine Inhaltsnormen darstellen, können andere Ziffern des § 2 Abs 2 ArbVG für eine normative Regelung infrage kommen. Etwa die Z 4, wenn Betriebsnormen im Zuge eines Sozialplans geregelt werden,* oder die Z 5, wenn im Rahmen der Einführung von Solidarnormen iZm Sozialplänen oder Maßnahmen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung die Mitwirkungsbefugnisse der Arbeitnehmerschaft erweitert werden. Fraglich erscheint, ob solche zusätzlichen Mitwirkungsbefugnisse nur für einen BR oder auch für sonstige AN(-Teile) geschaffen werden können, weil die Gesetzesstelle von „Arbeitnehmerschaft“ spricht. Die Materialien verschweigen sich zu diesem Thema.* Im Gegensatz dazu nimmt § 113 ArbVG eine ausdrückliche Kompetenzabgrenzung vor. Demnach werden die Befugnisse der Arbeitnehmerschaft, soweit nicht anderes bestimmt wird, durch Betriebsräte ausgeübt. Legt man der Gesetzesstelle dieses Verständnis der Kompetenzabgrenzung zugrunde, reduziert sich die Regelungsbefugnis auf den BR.* Nur seine Befugnisse können mit normativer Rechtswirkung erweitert werden. Da auch in diesem Fall die zusätzlichen Rechte der Betriebsverfassung nur dem Kollektiv aller AN verliehen sind,* ist keine normative Wirkung zugunsten jener AN ableitbar, die von den Mitwirkungsbefugnissen betroffen sind.

Z 6 erlaubt überbetriebliche Solidarnormen mit normativer Rechtswirkung.* Dies ermöglicht den betroffenen AN, einen Rechtsanspruch auf die Einrichtungsnutzung einzuräumen* oder eine Mitfinanzierungsverpflichtung der kollektivvertragsangehörigen AG* für diese Einrichtungen festzulegen.

Darüber hinaus können Angelegenheiten, die über jene des § 2 Abs 2 Z 1 bis 6 hinausgehen, durch Gesetz dem KollV übertragen werden. Löschnigg* wirft idZ die Frage auf, ob nicht die Betriebsverfassung 118 selbst implizit bereits von einer Erweiterung der Kollektivvertragskompetenz in Richtung Betriebsnormen ausgeht. § 97 Abs 2 ArbVG billige der BV in den dort aufgezählten Angelegenheiten nur insoweit Erzwingbarkeit zu, als eine Regelung durch KollV (oder Satzung) nicht vorliege. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass mit der Fixierung des Vorrangs eines KollV auch die Kompetenz zur Regelung von bestimmten Betriebsnormen verbunden sei.

Dieser interpretative Weg, dem KollV zusätzliche Rechtssetzungsbefugnisse zu verleihen, ist von besonderem Nutzen, wenn in der Rsp das reduzierte Regelungsverständnis zu § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG beibehalten wird, der KollV aber dennoch innerhalb eines größeren Spektrums Betriebsnormen mit normativer Rechtskraft regeln können soll.

3.
Regelungsbefugnis der Betriebsvereinbarung

Wie der KollV muss auch die BV einen Regelungsinhalt zwingend normativ regeln, wenn sie hierzu gesetzlich befugt ist.* Die rechtlichen Überlegungen sind idZ die gleichen,* wobei sich die Rechtsgrundlagen diesfalls in § 31 Abs 1 und 3 ArbVG finden.

Im Bereich des Betriebsvereinbarungsrechts verdienen zwei Fragestellungen Beachtung: Erstens, ob es Betriebsvereinbarungstatbestände gibt, die iZm Betriebsnormen nur eine rein obligatorische Rechtswirkung zeitigen, weil sie nur Grundsätze oder Richtlinien regeln dürfen. Zweitens, ob aus Mitwirkungsbefugnissen des BR iZm Betriebsnormen ein Rechtsanspruch des AN folgt.

Hinsichtlich einer uU rein obligatorischen Rechtswirkung sticht zunächst die Regelungskompetenz der Z 1a des § 97 Abs 1 ArbVG ins Auge. Auf Basis dieses Betriebsvereinbarungstatbestands können zahlreiche Regelungsinhalte* im Überlasser* und Beschäftigerbetrieb* abgedeckt werden, die rechtlich als Betriebsnormen einzuordnen sind. Beispiele hierfür wären Quotenregelungen, die Regulierung der Qualität der für Leih-AN maßgebenden Arbeitsbedingungen oder die aliquote Beteiligung der Leih-AN an betrieblichen Sozial leis tungen, die im Beschäftigerbetrieb der Stammbelegschaft gewährt werden. Der Gesetzeswortlaut spricht von Grundsatzregelungen. Daraus folgern Teile der Lehre,* dass durch eine solche BV weder den Stamm-AN noch den überlassenen AN individuelle Ansprüche erwachsen können. Vielmehr entfalte diese nur eine schuldrechtliche Wirkung zwischen BR und Betriebsinhaber (BI). Kryptischer führen Strasser/Jabornegg* und ihnen folgend der OGH* aus, dass die abzuschließende BV den Beschäftiger verpflichtet, seine Rechtsbeziehungen zum Überlasser und zur überlassenen Arbeitskraft nach den in ihr festgelegten Grundsätzen zu gestalten. Der OGH zieht aus dieser Aussage die Schlussfolgerung, dass diesen Betriebsvereinbarungsinhalten ausschließlich eine schuldrechtliche Wirkung zukommt. Diese Ansicht teilt Jabornegg nicht. An anderer Stelle* konkretisiert er seine Aussage folgendermaßen: „Die normative Wirkung einer BV tritt letztlich immer für eine Regelung ein, die als solche durch einen iSd § 29 qualifizierten schuldrechtlichen Vertrag begründet wird. Wenn und soweit aber diese schuldrechtlichen Vereinbarungen nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der getroffenen Regelungen nicht nur die Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien regeln, sondern einwirkungsfähig in dem Sinn sind, dass sie die Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen BI/AG und einzelnen AN bezwecken, so erhalten sie kraft des § 31 Abs 1 zugleich normative Wirkung.“*

Es ist daher im Einzelfall zu ermitteln, ob eine Grundsatzregelung eine normative Wirkung hat.* Dies kann bei allen drei Eingangsbeispielen der Fall sein. So wäre etwa eine BV des Beschäftigerbetriebs denkbar, die vorsieht, dass jährlich 10 % der überlassenen AN, welche die längste Beschäftigungszeit aufweisen, einen Rechtsanspruch (iSe Kontrahierungsgebotes des Beschäftigers) auf die Begründung eines unbefristeten Dienstverhältnisses haben. Im Gegensatz dazu wird eine Maximalquote für überlassene AN den Betriebsinhaber nur in Form einer obligatorischen Rechtswirkung binden. 119 Die Bestimmung hat nämlich nur die Belegschaftszusammensetzung im Ganzen und nicht die Rechtsverhältnisgestaltung zwischen AG und einzelnem AN im Auge.

Grundsatzvereinbarungen können auch im Bereich des Erholungsurlaubs getroffen werden.*Firlei* begründet eine bloß obligatorische Rechtswirkung des Betriebsvereinbarungstatbestands damit, dass die Gesetzesstelle von „Grundsätzen“ spricht. Dieser Ausdruck sei ähnlich zu verstehen wie der Kompetenztypus „Grundsatzgesetzgebung“. Auch das Grundsatzgesetz iSd Art 12 B-VG würde zwingend ein korrespondierendes Ausführungsgesetz erfordern. Die in einer derartigen obligatorischen BV festgelegten Regeln seien dann lediglich vom BI als Verpflichtung gegenüber der Belegschaft durch Weisungen oder auf vertraglichem Wege umzusetzen. Im Gegensatz dazu bejaht die Mehrheit der Lehre eine normative Wirkung des § 97 Abs 1 Z 10 ArbVG.*

Wie schon im Bereich der Arbeitskräfteüberlassung spricht der Gesetzestext mE deswegen von Grundsätzen, weil die Rechtsfolgen an ein Ereignis anknüpfen, welches nur mittels Einzelvereinbarung ausgelöst werden kann. Da der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen AN und AG zu vereinbaren ist, wurde der Betriebsvereinbarungstatbestand in seinem Regelungspouvoir auf die Vereinbarung vorgelagerter „Grundsätze“ beschränkt.* Diese Grundsätze können aber eine massive Bedeutung für AN erlangen, was eine normative Wirkung derselben ebenfalls weitaus naheliegender erscheinen lässt. Dementsprechend können auf Basis dieses Betriebsvereinbarungstatbestandes Betriebsnormen in Form von Arbeitsorganisationsvorschriften mit normativer Rechtswirkung erlassen werden. Dies ist etwa bei der Festlegung von Mindestanwesenheiten während der Urlaubszeit bzw einer Höchstquote von gleichzeitig urlaubenden AN der Fall.*

Bestimmungen zur Nutzung von Werkswohnungen stellen Solidarnormen dar. Richtlinien für die Vergabe von Werkswohnungen finden sich ebenfalls als Betriebsvereinbarungstatbestand in § 97 Abs 1 Z 7 ArbVG. Ähnlich wie die Begriffsverwendung „Grundsätze“ soll der Terminus „Richtlinien“ nach Teilen der Lehre* zu einer rein obligatorischen Rechtswirkung führen. Da wie dort schließt der jeweilige Begriff mE eine normative Wirkung nicht aus. Es ist auch idZ lediglich darauf abzustellen, ob der Regelungsinhalt Rechte und Pflichten begründen kann.* Dementsprechend sind etwa Grundsätze über den Mietzins, die Berechnung und Aufteilung der Betriebskosten oder Regelungen über die Nutzungsart und Nutzungsdauer durchaus einer normativen Rechtswirkung zugänglich.

Das Mitwirkungsrecht des BR bei betriebs- und unternehmenseigenen Schulungs-, Bildungs-, und Wohlfahrtseinrichtungen ist in Z 5 und 19 des § 97 Abs 1 ArbVG verankert. Z 5 regelt ausschließlich die Teilnahme des BR an der Verwaltung bereits existierender Einrichtungen. Wie bei § 2 Abs 2 Z 5 ArbVG wird nur dem BR* eine Mitbestimmungsbefugnis zuteil. Ein Unterschied besteht aber insofern, als diese nicht aus einer normativen Rechtswirkung resultiert. Es handelt sich daher um Solidarnormen,* die eine obligatorische Rechtswirkung* aufweisen. Solche finden sich auch in Z 19 im Rahmen von Mitwirkungsbefugnissen, welche die Planung und Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsausbildung und betrieblicher Schulungs- und Bildungseinrichtungen sowie die Errichtung, Ausgestaltung und Auflösung von betriebs- und unternehmenseigenen Schulungs-, Bildungs- und Wohlfahrtseinrichtungen betreffen. Darüber hinaus ist auch eine normative Rechtswirkung zu bejahen, wenn man davon ausgeht, dass über Z 19 auch Ansprüche einzelner AN geregelt werden können, die aus betrieblichen Schulungs-, Bildungs- und Wohlfahrtseinrichtungen resultieren.*

4.
Auswirkungen auf das Günstigkeitsprinzip

Teilweise wird für den Bereich der Ordnungsnormen die Rechtsansicht vertreten, dass diese dem Günstigkeitsprinzip nicht zugänglich sind.* Sie seien günstigkeitsneutral.* Teilt man diese Ansicht, so wäre für eine bestimmte Kategorie von Betriebsnormen, die gleichsam Inhaltsnormen darstellen, ein Günstigkeitsvergleich nicht möglich. Dazu passend führen auch die Materialien zum ArbVG* aus, dass gewisse Angelegenheiten nicht durch die Anwendung des Günstigkeitsprinzips gelöst werden können. Betroffen seien 120 solche, wo nach Art der geregelten Materie ein objektiver Günstigkeitsvergleich nicht möglich sei. Eine solche Konstellation sei insb in jenen Fällen gegeben, in denen nur eine einheitliche Regelung den von der BV angestrebten Zweck gewährleiste (zB in Angelegenheiten, welche die Ordnung des Betriebs betreffen).

Überall dort, wo aus Betriebsnormen Rechte und Pflichten für den einzelnen AN ableitbar sind, ist auch ein Günstigkeitsvergleich möglich. Dies folgt schon allein aus dem Umstand, dass jedes Recht oder jede Pflicht ausgeweitet oder reduziert werden kann. Ordnungsnormen sind daher nicht günstigkeitsneutral. Betreffend die Materialien ist anzumerken, dass sie zwei Fragestellungen vermischen, die nichts miteinander zu tun haben. Die eine Frage ist, ob ein Günstigkeitsvergleich aus der Sicht eines objektiven Betrachters durchführbar ist. Die andere Frage beschäftigt sich damit, ob der Regelungszweck einer Norm nicht mehr erfüllt ist, wenn eine allgemeine Regelung durch Abweichungen im Einzelfall durchbrochen ist. Durch den Umstand, dass die Nichtobjektivierbarkeit nicht mit dem angestrebten Zweck einer Norm begründet werden kann, sind freilich die durch die Argumentation aufgeworfenen Rechtsfragen noch nicht beantwortet. ME sind Regelungsmaterien von Ordnungsnormen einem objektivem Günstigkeitsvergleich zugänglich. Sie betreffen den AN-Schutz und das Organisationsgefüge des Betriebes. In diesen Bereichen wird man objektiv eine Aussage darüber treffen können, ob eine Veränderung des Regelungsinhalts zu einem niedrigeren Risiko für den AN (AN-Schutz) oder zu einer zusätzlichen Erleichterung (Organisationsgefüge) führt. Dementsprechend wird sich bei objektiver Betrachtung beurteilen lassen, ob sich etwa die Reduzierung von Kontrolleinrichtungen oder die Lockerung des Alkohol- oder Rauchverbots auf den betroffenen AN günstiger oder ungünstiger auswirkt. Im Gegensatz dazu ist es tatsächlich denkbar, dass gewisse Regelungsinhalte einen ausnahmslosen Vollzug erfordern. Der KollV würde sich dann wohl ohnehin des Ordnungsprinzips bedienen. Der Betriebsvereinbarungsebene steht diese Rechtswirkung nicht zur Verfügung.* Wenn der AG eine solche Abweichung aber nicht für zweckentsprechend hält, wird er der abweichenden Individualvereinbarung ohnehin nicht zustimmen.

5.
Ergebnis

KollV und BV müssen Betriebsnormen mit normativer Rechtswirkung regeln, wenn sie hierzu befugt sind und eine Regelung treffen wollen.

Die Reduzierung einer Betriebsvereinbarungskompetenz auf Grundsätze und Richtlinien schließt nicht die Möglichkeit einer normativen Rechtswirkung hinsichtlich Betriebsnormen aus.

Wenn durch kollektive Rechtsgestaltung zusätzliche Mitwirkungsbefugnisse des BR im Bereich der Solidarnormen geschaffen werden, dann haben diese nicht gleichzeitig eine normative Wirkung zugunsten der betroffenen AN.

Ordnungsnormen sind nicht günstigkeitsneutral und daher einem objektiven Günstigkeitsvergleich zugänglich. 121