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§ 2d AVRAG und Altkollektivverträge

REINHARD GEIST (LINZ)

Da die Erläuterungen zur Novelle 2015 von der Vorstellung des Gesetzgebers getragen sind, dass der Rückersatzpflicht in jedem Fall eine eigene Vereinbarung für jede Ausbildung zugrunde liegen muss, kann es gerade nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass eine Rückersatzpflicht nach der Novelle 2015 noch auf eine vor dem Inkrafttreten des § 2d AVRAG geschaffene Alt-Kollektivnorm gestützt werden kann, wenn vor der Novelle 2015 gar keine oder nur eine unzureichende Individualvereinbarung getroffen wurde.

Der Bekl war von 1.12.2014 bis 31.7.2017 bei der Kl beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch DN-Kündigung.

Pkt 12. des Dienstvertrags vom 1.12.2014 sah ua für den Fall einer DN-Kündigung vor:

„Soweit der Rückersatz von Ausbildungskosten im Kollektivvertrag nicht geregelt und im Einzelfall darüber keine Vereinbarung getroffen ist, sind die von der [Klägerin] getragenen Ausbildungskosten zurückzuzahlen, sofern seit Beendigung der Veranstaltung höchstens 3 Jahre vergangen sind [...]. Die Rückzahlungsverpflichtung verringert sich aliquot (anteilig) berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der jeweiligen Ausbildung bis zum Ende der vereinbarten Bindungsdauer von drei Jahren (§ 83 KV).“

Die §§ 82 und 83 des KollV für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaften (idF: KollV) vom 5.5.1966 in der (jedenfalls seit 1.2.2006 unveränderten) Fassung vom 1.4.2014 lauten:

§ 82 Vorbemerkungen

Die V****akademie veranstaltet [...] Kurse, Seminare und Tagungen im Rahmen der Bildungskonzeption durch

(a) Grundlehrgang,

(b) Aufbaulehrgang,

(c) Ausbildung in Service und Beratung,

(d) Ausbildung in qualifizierter Beratung und Betreuung und

(e) Ausbildung in Leitung und Führung.

§ 83 (1) – (2) [...]

(3) Der Dienstgeber ist berechtigt, die Ausbildungskosten – ausgenommen bei Veranstaltungen, die zum Grundlehrgang zählen – zurückzuverlangen, wenn der Mitarbeiter innerhalb der im Nachstehenden angeführten Zeiträume durch Selbstkündigung [...] ausscheidet [...]. Die Rückzahlung erfolgt bei Kursen, Seminaren und Tagungen:

  1. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit b zählen, bis zum Ablauf eines Jahres ab Ablegung der Prüfung zu 100 %,

  2. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit c zählen, bis zum Ablauf eines Jahres nach Ende des jeweiligen Kurses, des Seminares bzw. der Tagung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des zweiten Jahres zu 50 %,

  3. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit d zählen, bis zum Ablauf eines Jahres nach Ende des jeweiligen Kurses, des Seminares bzw. der Tagung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des zweiten Jahres zu 75 % und schließlich bis zum Ablauf des dritten Jahres zu 50 %,

  4. die zu Veranstaltungen gemäß § 82 lit e zählen, bis zum Ablauf des zweiten Jahres ab Ablegung der diesbezüglichen Prüfung zu 100 %, sodann bis zum Ablauf des dritten Jahres zu 75 % und schließlich bis zum Ablauf des vierten Jahres zu 50 % der Ausbildungskosten.

Der Bekl absolvierte von 12. bis 14.10.2016 und von 23. bis 25.11.2016 das Seminar „Kundenkontakte aktiv gestalten“. Am 6.10.2016 hatte er eine „Seminarbuchung“ unterfertigt, die einen Seminarpreis von 1.545 € anführte und folgenden Inhalt aufwies: „Laut Empfehlung des ÖGV sollen die Mitarbeiter auf den Ausbildungsrücksatz gemäß Kollektivvertrag aufmerksam gemacht werden. Wir weisen Sie daher darauf hin, dass die Seminarkosten samt den anfallenden Fahrt- und Aufenthaltskosten gem. den Bestimmungen des Kollektivvertrages von uns zurückgefordert werden können.“

Von 3. bis 6.4.2017 nahm der Bekl am Seminar „Veranlagung 1“ teil. Dafür hatte er am 19.1.2017 eine gleichlautende Seminarbuchung mit einem Preis von 1.151 € unterfertigt.

Mit der auf § 83 KollV sowie Pkt 12 des Dienstvertrags gestützten Klage begehrte die Kl 4.325,18 € sA an Seminarkosten sowie an den Bekl ausbezahlten Nächtigungskosten, Kilometergeld und Taschengeld zuzüglich 20 % USt zurück. § 2d AVRAG gelange gem § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG nicht zur Anwendung, da im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung (18.3.2006) eine kollektivvertragliche Regelung über den Ausbildungskostenrückersatz bestanden habe. [...]

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. [...] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. [...]

Der Bekl beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben. [...]

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Ausbildungskostenrückersatz wurde mit dem BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36in § 2d AVRAG einer gesetzlichen Regelung zugeführt. Seither ist eine Rückerstattung nur hinsichtlich Ausbildungskosten nach Abs 1 in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen AG und AN zulässig (§ 2d Abs 2 S 1 AVRAG).

2. § 2d Abs 3 AVRAG sah in jener Fassung vor, dass eine Verpflichtung zur Rückerstattung von Ausbildungskosten insb dann nicht besteht, wenn

„3. die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, vereinbart wird.“

Die Übergangsregelung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG lautete:

„18. Die §§ ... 2d samt Überschriften in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 36/2006 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft und gelten für nach dem In-Kraft-Treten dieses 129Bundesgesetzes neu abgeschlossene Vereinbarungen über ... den Ausbildungskostenrückersatz. Im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz werden durch die Regelungen dieses Bundesgesetzes nicht berührt.“

Diese Bestimmung wurde in der E 9 ObA 20/11y, DRdA 2012/23 (krit Wanderer), dahin ausgelegt, dass kollektivvertragliche Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung des § 2d AVRAG schon bestanden haben, selbst dann in Geltung bleiben, wenn sie vom Schutzniveau des § 2d AVRAG abweichen. Solche Alt-Kollektivnormen sollten dabei auch für Neuvereinbarungen gelten, die noch in den Geltungsbereich einer Alt-Kollektivnorm fielen und den Ausbildungskostenrückersatz nur individualvertraglich konkretisierten. Für in diesem Sinn „alte“ Klauseln galten daher weiterhin die von der Rsp bis dahin aufgestellten Beschränkungen (Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 4 mwN). Die Individualvereinbarung war nur dann an § 2d AVRAG zu messen, wenn der KollV keine „Durchregelung“ enthielt und seinerseits eine Individualvereinbarung notwendig machte (s 9 ObA 94/12g zu einer kollektivvertraglichen Anforderung an die jährliche Rückverrechnungsminderung von „mindestens 20 %“).

Dem vorliegenden Fall liegt eine solche Alt-Kollektivnorm zugrunde. Zwar wurde der KollV für die Angestellten der gewerblichen Kreditgenossenschaften vom 5.5.1966 nach Einführung des § 2d AVRAG mehrfach novelliert. Dies betraf jedoch nicht die hier in Rede stehenden Bestimmungen der §§ 82 und 83 KollV. Auch nach der Inkrafttretensbestimmung des Art III KollV („mit 1. Juni 1966“) ist von keiner Neuerlassung des KollV auszugehen. Die §§ 82, 83 KollV sind daher als „im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz“ iSd § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG anzusehen.

3. § 2d Abs 3 AVRAG wurde mit BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152 novelliert. Darin wurde angeordnet, dass § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG zu lauten hat:

„3. ... die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet für jedes zurückgelegte Monat vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, vereinbart wird.“

Die Übergangsbestimmung des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG lautet:

„§ 2 Abs 2 Z 9, Abs 5 und 6, § 2c, § 2d Abs 3 Z 2 und 3 und § 2e samt Überschriften in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 152/2015 treten mit dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag (29.12.2015, Anm) in Kraft und gelten für nach dem Inkrafttreten neu auszustellende Dienstzettel oder neu abgeschlossene Vereinbarungen über eine Konkurrenzklausel oder über den Ausbildungskostenrückersatz [...].“

4. Anders als die Übergangsbestimmung des § 19 Abs 1 Z 18 AVRAG trifft der Gesetzestext des § 19 Abs 1 Z 32 AVRAG daher keine Aussage zum Schicksal bestehender kollektivvertraglicher Normen. Das spricht hier aber nicht für deren Fortgeltung:

Nach § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG sollten im Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Normen der kollektiven Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz durch die Regelungen „dieses Bundesgesetzes“ nicht berührt werden. Die Bestimmung ist ausschließlich auf die Einführung des § 2d AVRAG durch das BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36bezogen und gewinnt auch nur aus dieser ihre Bedeutung, sodass etwa spätere Kollektivnormen gleichwohl dem gesetzlichen Standard des § 2d AVRAG in jener Fassung zu entsprechen hatten. Mit BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152wurde § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG – wenngleich die Bestimmung materiell nur um „für jedes zurückgelegte Monat“ erweitert wurde – in seiner Gesamtheit neu gefasst und in Z 32 das Inkrafttreten der Neufassung geregelt. Die Inkrafttretensbestimmung der Z 18 S 1 leg cit ist damit obsolet geworden.

5. Für eine Absicht des Gesetzgebers dahin, dass § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG dennoch weiter Bestand haben sollte, Alt-Kollektivnormen sohin auch durch Regelungen eines späteren Bundesgesetzes nicht berührt werden sollten, bedürfte es konkreter Anhaltspunkte. Solche sind jedoch nicht erkennbar. Die die Novelle 2015 erläuternde RV, 903 BlgNR XXV. GP S 3, führt aus:

„Weiters wird in § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG klargestellt, dass in der Rückzahlungsvereinbarung zwingend zu vereinbaren ist, dass sich der vereinbarte Rückzahlungsbetrag anteilig für jeden im Arbeitsverhältnis nach erfolgreicher Beendigung der Ausbildung zurückgelegten Monat anteilig verringert. Eine davon abweichende Ausgestaltung der zeitlichen Aliquotierung des Rückerstattungsbetrages (etwa eine jährliche Aliquotierung) ist aufgrund des zwingenden Charakters dieser Bestimmung unzulässig und hat die Unwirksamkeit der (gesamten) Rückzahlungsvereinbarung zur Folge. [...]

§ 2d Abs 3 Z 2 und 3 AVRAG tritt mit dem der Kundmachung dieses Bundesgesetzes folgenden Tag in Kraft und findet Anwendung auf nach dem Inkrafttreten neu abgeschlossene Vereinbarungen. Die geänderten Bestimmungen sind somit auch im Fall von Arbeitsverhältnissen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens aufrecht sind, zu beachten. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende kollektivvertragliche Regelungen des Ausbildungskostenersatzes, die eine davon abweichende Aliquotierung der Rückersatzverpflichtung vorsehen (etwa eine Aliquotierung nach Jahren), sind im Fall von neu geschlossenen Rückersatzvereinbarungen unbeachtlich. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung des OGH für jede Ausbildung eine eigene Rückersatzvereinbarung zu treffen ist.“

Zufolge der ErläutRV war sich der Gesetzgeber der Thematik bestehender kollektivvertraglicher Regelungen zum Ausbildungskostenrückersatz, die eine für den AN ungünstigere Aliquotierung vorsehen, bewusst, wenn er sie für neu zu schließende Rückersatzvereinbarungen als „unbeachtlich“ ansah. Damit wurde aber auch zum Ausdruck gebracht, dass bereits vor der Novelle 2015 abgeschlossene 130 Rückersatzvereinbarungen ihre Wirksamkeit nicht verlieren sollten. Die Frage, ob auch eine vor Inkrafttreten des § 2d AVRAG idF BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36eingeführte Alt-Kollektivnorm weiterhin eine mögliche Anspruchsgrundlage für die Rückersatzpflicht sein kann, wenn es nach Maßgabe der Alt-Kollektivnorm keiner Individualvereinbarung bedurfte oder diese iSd dargelegten Rsp nicht dem 2006 eingeführten Standard des § 2d AVRAG entsprechen musste, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Da die Erläuterungen aber doch von der Vorstellung des Gesetzgebers getragen sind, dass der Rückersatzpflicht in jedem Fall eine eigene Vereinbarung für jede Ausbildung zugrunde liegen muss, kann es gerade nicht als Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass eine Rückersatzpflicht nach der Novelle 2015 noch auf eine vor dem Inkrafttreten des § 2d AVRAG geschaffene Alt-Kollektivnorm gestützt werden kann, wenn vor der Novelle 2015 gar keine oder nur eine unzureichende Individualvereinbarung getroffen wurde. Dass anlässlich dieser Novelle keine mit Z 18 S 2 leg cit vergleichbare Regelung getroffen wurde, spricht daher dafür, dass das Inkrafttreten des BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152 bereits bestehende Kollektivverträge mit Ausbildungskostenrückersatzklauseln insoweit nicht mehr unberührt gelassen hat.

6. Die Kl kann sich aber auf keine wirksame Rückersatzvereinbarung berufen:

Dass die Seminarbuchungen vom 6.10.2016 und vom 19.1.2017 keine Vereinbarungen über die Rückersatzpflicht darstellten, entspricht dem von der Kl selbst vertretenen Standpunkt und ist zutreffend, weil dem Bekl mit den Buchungen lediglich der jeweilige Seminarpreis mit dem Hinweis auf eine Rückersatzpflicht laut KollV mitgeteilt und von ihm mit seiner Unterfertigung „zur Kenntnis genommen“ wurde. Eine neue Willensübereinkunft beider Vertragspartner über die Schaffung einer Rückersatzpflicht des Bekl kann darin noch nicht gesehen werden. Sie hielte aber auch der von der Rsp geforderten Klarheit über die Bedingungen der Rückersatzpflicht (s 9 Ob 125/11i; 8 ObA 92/11d; 9 ObA 7/18x) nicht stand: Dem Bekl wurde nicht mitgeteilt, in welche der vier im KollV genannten, von der jeweiligen Ausbildungsart abhängigen Rückzahlungsmodelle die gebuchten Seminare fielen. Die Seminare sind auch ihrer Art nach nicht ohne Weiteres einer der Kategorien des § 82 lit a) bis e) KollV zuordenbar, sodass dem Bekl nur mögliche Rückerstattungsvarianten bekannt sein konnten. Dass die Rückzahlungsverpflichtung hier bei einer Kündigung innerhalb des ersten Jahres nach Beendigung der Ausbildung in allen vier Modellen 100 % beträgt, spielt unter Transparenzaspekten keine Rolle, weil die Wirksamkeit der Vereinbarung unabhängig vom tatsächlichen Beendigungszeitpunkt beurteilt werden muss.

Soweit die Kl meint, mit dem Bekl bereits im Dienstvertrag vom 11.12.2014 abschließend eine wirksame Vereinbarung über den Ausbildungskostenrückersatz getroffen zu haben, ist ihr schon deshalb nicht zu folgen, weil daraus entgegen der Rsp (s RIS-Justiz RS0127499) keine Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht. Daneben kann dahingestellt bleiben, dass sich Pkt 12. des Dienstvertrags nur auf solche Ausbildungskosten bezieht, „soweit der Rückersatz von Ausbildungskosten im Kollektivvertrag nicht geregelt ... ist“ und letzteres nach dem Standpunkt der Kl nicht zutrifft.

7. Scheitert eine Rückzahlungspflicht des Bekl hier aber an einer (ausreichend klaren) Vereinbarung, kommt es auf die von der Kl vertretene Ansicht, dass die Vereinbarung im Wege einer Vertragsergänzung auf das gesetzlich geforderte Aliquotierungsniveau anzupassen sei (so Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 2d Rz 43), nicht mehr an. Dazu sei nur angemerkt, dass sich der Entfall einer Rückerstattungspflicht schon aus dem klaren Wortlaut des § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG ergibt („Eine Verpflichtung zur Rückerstattung von Ausbildungskosten besteht insbesondere dann nicht, wenn die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot [...] vereinbart wird.“). Auch die Rsp sah eine Vereinbarung über den Rückersatz von Ausbildungskosten, die die Höhe der Rückerstattungsverpflichtung nicht aliquot, berechnet vom Zeitpunkt der Beendigung der Ausbildung bis zum Ende der zulässigen Bindungsdauer, ausweist, als nichtig und zur Gänze unwirksam an (RIS-Justiz RS0124682). Die Novelle BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152hat daran nichts geändert. In objektiv-teleologischer Hinsicht gelten die schon zu 9 ObA 126/08g geäußerten Bedenken, dass sich AN durch die unvermindert dargestellte gesetzwidrige Rückersatzverpflichtung und die damit bewirkte Rechtsunsicherheit abhalten lassen könnten, zu einem anderen AG zu wechseln, nicht anders bei einer gesetzwidrigen Aliquotierung, weil auch die fälschliche Annahme überlanger „Abarbeitungsstufen“ mobilitätshemmend sein kann. Schließlich steht die klare gesetzgeberische Vorstellung (ErlRV, 903 BlgNR XXV. GP S 3: „Unwirksamkeit“) einer entsprechenden Vertragsergänzung auf die gesetzlich zulässige Aliquotierung entgegen.

8. Zusammenfassend kann sich die Kl hier nicht auf eine wirksame Vereinbarung iSd § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG berufen. Ihrer Revision war daher keine Folge zu geben. [...]

ANMERKUNGEN
1.
Einleitung

In der gegenständlichen E erklärt der OGH, dass die Pflicht zur Rückerstattung von Ausbildungskosten nicht mehr unmittelbar auf einen KollV gestützt werden kann. In dieser Allgemeinheit ist die OGH-E nicht wirklich nachvollziehbar, insb weist die Begründung mehrere Ungereimtheiten auf. Im konkreten Fall passt wohl das Ergebnis; die Argumentation muss aber eine andere sein. Dies ist im Folgenden darzustellen:

2.
Zeitlicher Anwendungsbereich des § 2d AVRAG

Wesentlicher Inhalt des durch BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36eingeführten § 2d AVRAG ist – sprachlich suboptimal 131 ausgedrückt –, dass die Rückersatzverpflichtung eine „schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ voraussetzt. § 2d AVRAG gilt für nach dem Inkrafttreten des BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36 neu abgeschlossene Vereinbarungen über den Ausbildungskostenrückersatz (§ 19 Abs 1 Z 18 S 1 AVRAG). § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG statuiert weiters, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36 bestehende Normen kollektiver Rechtsgestaltung betreffend den Ausbildungskostenrückersatz durch die Regelungen des BGBl I 2006/36BGBl I 2006/36unberührt bleiben.

IdS bleibt eine kollektivvertragliche Regelung auch dann unberührt, wenn sie vom Schutzniveau des § 2d AVRAG zu Lasten der AN negativ abweicht (so schon OGH9 ObA 20/11yDRdA 2012/23 [krit Wanderer] = SZ 2011/27 = Arb 12.965). Dies erklärt sich schon daraus, dass andernfalls § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG überflüssig wäre; für die AN günstigere kollektivvertragliche Regelungen bleiben schon wegen § 16 AVRAG unberührt (siehe nur Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 5).

Bezüglich der kollektivvertraglichen Ausbildungskostenregelungen kann man prinzipiell zwei Arten unterscheiden (welcher Fall vorliegt, ist Auslegungssache; siehe nur Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 4): jene, die keiner Individualvereinbarung bedürfen (unmittelbar wirksame kollektivvertragliche Ausbildungskostenrückersatzverpflichtungen) sowie jene, die eine solche Individualvereinbarung erfordern und bloß deren zulässigen Inhalt festlegen. Für die erstgenannte Fallgruppe ist § 2d AVRAG schon wegen § 19 Abs 1 Z 18 S 1 AVRAG nicht relevant, weil eben keine nach Inkrafttreten desselben abgeschlossene Vereinbarung vorliegt; § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG braucht man für dieses Ergebnis nicht. Bedeutung erlangt § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG gerade für jene Fälle, in denen der KollV eine Individualvereinbarung erfordert und bloß deren zulässigen Inhalt festlegt, indem der KollV durch 2d AVRAG als nicht berührt erklärt wird. Im Ergebnis ist demnach auch in diesen Fällen § 2d AVRAG unbeachtlich (so auch OGH9 ObA 20/11yDRdA 2012/23 [krit Wanderer] = SZ 2011/27 = Arb 12.965; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 4; ebenso für den Ausbildungskostenrückersatz konkretisierende Individualvereinbarungen die besprechungsgegenständliche E in Pkt 2).

In Pkt 2 der besprechungsgegenständlichen E überrascht der OGH mit der bloßen Behauptung, dass § 2d AVRAG dann anwendbar sei, wenn der KollV keine „Durchregelung“ enthält und seinerseits eine Individualvereinbarung notwendig macht. Dies wurde bisher so nicht judiziert; die vom OGH im Kontext zitierte OGH-E 9 ObA 94/12g (Arb 13.086 = RdW 2013/161; siehe auch Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 4) betraf nach ausdrücklicher Aussage des OGH in dieser E Pkt 1 keinen bei Inkrafttreten des § 2d AVRAG bestehenden KollV. Ein differenzierungstauglicher Unterschied zu den Ausbildungskostenrückersatz konkretisierenden Individualvereinbarungen (siehe voriger Absatz) ist nicht ersichtlich, sodass wegen § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG auch hier § 2d AVRAG nicht anwendbar ist.

3.
Bedeutung der Novellierung des § 2d AVRAG durch BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152

Durch BGBl I 2015/152BGBl I 2015/152wurden § 2d Abs 3 Z 2 und Z 3 AVRAG formal neu erlassen; inhaltlich wurde die Grenze von fünf Jahren auf vier Jahre gesenkt sowie das Erfordernis wenigstens monatlicher Aliquotierung eingeführt. § 2d Abs 2 AVRAG (Erfordernis einer schriftlichen Vereinbarung zwischen AG und AN) war nicht Gegenstand der Novelle 2015. Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs der Novelle wird explizit auf „nach dem In-Kraft- Treten ... neu abgeschlossene Vereinbarungen über ... den Ausbildungskostenrückersatz“ abgestellt (§ 19 Abs 1 Z 32 AVRAG). Eine besondere Regelung des Schicksals bestehender kollektivvertraglicher Regelungen enthält das Gesetz insoweit nicht.

Das bedeutet jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut, dass jene kollektivvertragliche Ausbildungskostenregelungen, die eine Individualvereinbarung erfordern und bloß deren zulässigen Inhalt festlegen, durch die Novelle 2015 insofern tangiert sind, dass die grundsätzliche Frist von vier Jahren sowie die jedenfalls monatliche Aliquotierung bei der Individualvereinbarung zu beachten sind; also umgekehrt für die AN insoweit schlechtere kollektivvertragliche Regelungen (zB jährliche Aliquotierung) unbeachtlich sind. Das entspricht auch der Absicht der Gesetzesverfasser (siehe ErläutRV 903 BlgNR 25. GP 3). Die eben genannten Erläuterungen sprechen im gegebenen Kontext von der Relevanz der Novelle 2015 für „neu geschlossene Rückzahlungsvereinbarungen“; wobei die Erläuterungen anmerken, „dass nach der Rechtsprechung des OGH für jede Ausbildung eine eigene Rückersatzvereinbarung zu treffen ist“.

Offenbar daraus schließt der OGH in Pkt 5 der besprechungsgegenständlichen E, dass „die Erläuterungen von der Vorstellung des Gesetzgebers getragen sind, dass der Rückersatzpflicht in jedem eigenen Fall eine eigene Vereinbarung für jede Ausbildung zugrunde liegen muss“. Daher kann es nach dem OGH nicht als der Wille des Gesetzgebers angesehen werden, dass eine Rückersatzpflicht nach der Novelle noch unmittelbar auf eine noch vor Inkrafttreten des § 2d AVRAG geschaffenen Altkollektivertragsnorm gestützt werden kann. Diese Argumentation ist nicht wirklich nachvollziehbar. Die Erläuterungen sprechen explizit von neu geschlossenen Rückzahlungsvereinbarungen; sie verweisen hinsichtlich des Erfordernisses eigener Vereinbarungen pro Ausbildung auf die OGH-Judikatur; diese besteht aber nur zu Vereinbarungen, die dem § 2d AVRAG unterliegen (siehe vor allem OGH9 ObA 125/11i SZ 2011/155 = ZAS 2013/14 [Oberhofer] = RdW 2012/173 = Arb 13.041; OGH 8 ObA 92/11d ZAS 2013/14 [Oberhofer]; vorher bestand auch keine Formpflicht, vgl nur Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 15); also nicht in „jedem Fall“, schon gar nicht für unmittelbar – also ohne Individualverein-132 barung zwischen AG und AN – wirksame kollektivvertragliche Rückersatzverpflichtungen, um die es konkret geht. Daher können diese Fälle von den Erläuterungen auch nicht gemeint sein, wenn man nicht hellseherische Fähigkeiten unterstellt.

Auch der Gesetzestext stellt explizit auf neu abgeschlossene Vereinbarungen (§ 19 Abs 1 Z 32) und die Novelle 2015 betrifft nur § 2d Abs 3 Z 2 und Z 3 AVRAG; nicht aber das Erfordernis der schriftlichen Vereinbarung zwischen AG und AN in § 2 Abs 2 AVRAG. Insoweit bedarf es für die Novelle 2015 gar keiner dem § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG entsprechenden Regelung, weil und soweit wegen bestehender Rückersatzpflicht unmittelbar aufgrund der im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 2d AVRAG (Stammfassung) anwendbaren Kollektivverträge keine Rückersatzverpflichtungen neu begründet (vereinbart) werden. Das Fehlen einer dem § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG entsprechenden Regelung spricht daher entgegen dem OGH nicht dafür, dass die Novelle 2015 das Erfordernis einer dem § 2 Abs 2 AVRAG entsprechenden Vereinbarung zwischen AG und AN auch für im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 2d AVRAG (Stammfassung) anwendbarer Kollektivverträge einführt, obwohl sie diesen Aspekt gar nicht regelt!!! Insoweit bleiben also im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 2d AVRAG (Stammfassung) anwendbare Kollektivverträge durch die Novelle 2015 unberührt; entgegen dem OGH ist § 19 Abs 1 Z 18 S 2 AVRAG auch durch die Novelle 2015 nicht obsolet; weil und soweit diese Novelle in § 2d AVRAG enthaltene Aspekte gar nicht betrifft.

Anderes gilt für jene kollektivvertraglichen Ausbildungskostenregelungen, die eine Individualvereinbarung erfordern und bloß deren zulässigen Inhalt festlegen; diese bleiben durch die Novelle nicht unberührt; das entspricht dem Gesetzeswortlaut und Erläuterungen (siehe oben).

Der OGH hingegen schert beide Konstellationen unrichtigerweise über denselben Kamm. Kollektivvertragliche Ausbildungskostenregelungen, die keiner Individualvereinbarung bedürfen, bleiben entgegen dem OGH weiterhin von § 2d AVRAG (auch in der Novellenversion) verschont.

4.
Konkreter Fall

Hintergrund für die Restriktionen bei Ausbildungskostenrückersatzverpflichtungen ist die unangemessene Beeinträchtigung der Kündigungsfreiheit (siehe nur Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 4). Transparenz ist aber ein wichtiges Element der Angemessenheit von Rückersatzpflichten (vgl OGH9 ObA 125/11i SZ 2011/155 = ZAS 2013/14 [Oberhofer] = RdW 2012/173 = Arb 13.041; OGH8 ObA 92/11d ZAS 2013/14 [Oberhofer]; OGH9 ObA 7/18x RdW 2018/291 = wbl 2018/163 = Arb 13.484). Kollektivvertragliche Ausbildungskostenregelungen, die keiner Individualvereinbarung bedürfen, müssen daher aus teleologischer Sicht so ausgelegt werden, dass eine Rückersatzpflicht nur dann entstehen kann, wenn dem AN erkennbar ist, dass eine Bildungsmaßnahme erfasst ist und – wenn der KollV mehrere unterschiedliche geregelte Rückzahlungspflichten enthält – welche Rückzahlungsregelung anwendbar ist. Ist die kollektivvertragliche Ausbildungskostenregelung einer derartigen Auslegung nicht zugänglich, wird man sie als nach § 879 ABGB nichtig ansehen müssen.

Im konkreten Fall wusste offenbar auch der AG nicht, ob bzw unter welche Rückzahlungsalternative des KollV ein allfälliger Rückersatzanspruch fallen sollte, stützt er doch sein Rückzahlungsbegehren sowohl auf den KollV als auch den Dienstvertrag.

Somit scheidet eine Rückzahlungspflicht iS obiger Ausführungen mangels Transparenz aus.133