SperberKirchliches Arbeitsrecht – Regelungen zu Loyalitätsobliegenheiten und Mitarbeitervertretungen und ihre Folgen in der staatlichen Rechtsor

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2019, 427 Seiten, € 99,90

JENS M.SCHUBERT (BERLIN / LÜNEBURG)

Mit der im Wintersemester 2017/2018 an der Universität Bayreuth vorgelegten Dissertation untersucht Christian Sperber Strukturen und verfassungsrechtliche Grundlagen des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts mit einer Referenzbetrachtung des Mitarbeitervertretungsrechts (das BetrVG gilt in kirchlichen Einrichtungen nicht) und einer Vertiefung in das Individualarbeitsrecht, konkret in das höchst strittige Feld der Loyalitätsobliegenheiten. Die Arbeit reiht sich in eine Vielzahl von Untersuchungen zu verschiedenen Feldern des kirchlichen Arbeitsrechts ein, die gerade in jüngerer Zeit entstanden sind. Sie bewegt sich in einem Mehrebenensystem der besonderen Art. Zum Dreieck des nationalen Fach- und Verfassungsrechts, des Unionsrechts und des Menschenrechtsschutzes nach der EMRK kommt als weitere Ebene das von Kirchen gesetzte Recht. Letzteres ist weiter zu unterteilen nach verfasster Kirche (evangelisch und katholisch) und den Regularien der kirchlichen (Wirtschafts-)Unternehmen Caritas und Diakonie, alles nochmals regional untergliedert und entweder von Kirchengremien und/oder von Arbeitsrechtlichen Kommissionen im Wege des sogenannten Dritten Weges gesetzt. Was hier denkbar kurz angerissen ist, zeigt den Grad der Komplexität des rechtlichen Umfeldes, in dem sich Sperber bewegt. Verfassungsrechtlicher Aufhänger des deutschen Staatskirchenrechts ist Art 137 Abs 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV), der über Art 140 Grundgesetz (GG) immer noch geltendes Verfassungsrecht darstellt und der Ähnlichkeiten (wenn auch nicht Kongruenz) mit Art 15 Staatsgrundgesetz (StGG) aufweist. Jedenfalls dürften die feststellbaren verfassungsrechtlichen Parallelen und Traditionen zwischen deutschem und österreichischem Staatskirchenrecht das Werk Sperbers auch in Österreich als Argumentationssteinbruch attraktiv machen. Sein Untersuchungsgegenstand ist zudem aktuell und hoch praxisrelevant – sind doch nach Schätzungen zwischen 1,5 und 1,8 Millionen Menschen in Deutschland bei der Kirche beschäftigt. Jüngere Entscheidungen des EuGH in Sachen Egenberger (EuGH 17.4.2018, C-414/16) und Chefarzt (EuGH 11.9.2018, C-68/17) sowie des EGMR in Sachen Martinez (12.6.2014, Nr 56030/07) belegen dies zudem.

Sperber legt seine Untersuchung streng verfassungsdogmatisch an, spiegelt sie am Mitarbeitervertretungsrecht und überträgt gefundene Ergebnisse auf Loyalitätsfragen im Arbeitsverhältnis. Es gibt auch andere Herangehensweisen, die schlicht nach der Natur des Arbeitsverhältnisses fragen, dieses als durch zweiseitigen Vertrag unterlegt sehen und allein deshalb nicht von einer eigenen Angelegenheit der Kirchen ausgehen (Schlink, JZ 2013, 209 ff), mithin Art 137 Abs 3 WRV sogleich, eng verstanden wissen wollen. Weiter geht die Schrift von der Prämisse aus, dass „es keine öffentliche Gewalt [gibt], auf die sich das Demokratieprinzip nicht erstreckt“. Dieser scheinbar selbstverständliche Punkt ist in der kirchenrechtlichen Diskussion nicht jedem klar, ist aber fast deckungsgleich mit den Äußerungen des GA Tanchev im Egenberger-Verfahren, der zu Art 17 AEUV ausführt, dass die korporative Religionsfreiheit kein „Metaprinzip des Verfassungsrechts“ darstelle, es keine „hierarchische Vorrangregel“ gebe. Erarbeitet wird Sperbers Prämisse durch eine sorgfältige Analyse des Inhalts und der Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art 137 Abs 3 WRV), das durch Art 4 Abs 1 GG im Rahmen einer Schrankenspezialität (BVerfG) mitgeprägt wird – die Grundrechtsnorm enthält in Deutschland anders als Art 14 StGG auch die korporative Religionsfreiheit. Zu analysieren gibt es in diesem Umfeld, in dem es politisch auch um Privilegien und Statusfragen geht, eine Menge. Was bedeuten selbstständiges „Ordnen und Verwalten“, „ihre Angelegenheiten“ und „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Und was heißt es konkret, wenn die Kirchen ein weltliches Instrument – den Arbeitsvertrag – nutzen? Die Antworten im Schrifttum sind hier vielfältig, das Hindurchführen durch das Dickicht von Theorien und Lehren allein schon wertvoll, zumal Sperber alle Seiten zu Wort kommen lässt und Argumente auch rechtshistorisch hinterfragt.

Der Weg, für den sich Sperber entscheidet, ist der, Art 137 Abs 3 WRV nicht als Kompetenzabgrenzungsnorm (Kirche – Staat) zu verstehen, sondern als Ausprägung eines Grundrechts. Das Selbstbestimmungsrecht wird dem Grundrecht auf korporative Religionsfreiheit zugewiesen. Sieht man dies so, gelangt man in bekanntes Fahrwasser der Grundrechtsdogmatik mit Abwägungsprogramm, Verhältnismäßigkeit und praktischer Konkordanz. Fortsetzend ist dann die Frage der Reichweite und Substanz einer Normsetzung relevant. Die Kirchen können Normen setzen, aber nicht verfassungsunmittelbar, sondern (nur) vermittelt über den Staat. Stichwort sind hier Satzungs- und Privatautonomie. Hierzu dient auch ein innovativer Ansatz, Kirchenautonomie mit dem Recht fremder Staaten abzugleichen (Brücke ist das Kollisionsrecht). Im Arbeitsvertrag wird dann auf diese Vorgaben Bezug genommen, die dann das Arbeitsverhältnis prägen und was nur eingeschränkt einer Inhaltskontrolle (BAG 21.10.2009, 4 AZR 880/07) zuführbar ist. Die Anerkennung eines kirchlichen Dienstrechts als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist also von der Frage zu trennen, ob die Kirchen ein eigenes Arbeitsrecht schaffen können, das staatliches Recht verdrängt. Letzteres wird konsequent verneint. Beleg ist hierfür auch (einfach-gesetzlich) § 118 Abs 2 BetrVG (arg. e contr.). Art 137 Abs 5 WRV kommt hinzu. Hingegen gilt keine Alles-oder-Nichts-Regel. Auch im Arbeitsverhältnis mit weltlichem Arbeitsvertrag kann sich das kirchliche Selbstverständnis verwirklichen. Die Arbeit schließt sich nicht schlicht der Linie des BVerfG an. Dessen als extrem kirchenfreundlich (Junker, Grundkurs Arbeitsrecht [2019] Rn 105) beschriebene Rsp aus dem Jahre 498 2014 setzt Sperber moderat vermittelnde Lösungen entgegen. Das kirchliche Arbeitsrecht wird bei ihm aber auch nicht pauschal „laizistisch“ verworfen. Einen Absolutheitsanspruch der Kirchen kann er gleichsam nicht aus der Verfassung erblicken, ebenso wenig wie eine Kompetenz-Kompetenz für diese. Die Arbeit steht damit, wenn auch nicht vollständig, so doch im Trend der Modellierungen durch den EuGH, der – jedenfalls im Umfeld des unionalen Diskriminierungsschutzes – das Kirchenrecht einer vollständigen Abwägung unterwirft. Nach EuGH sind behauptete kirchenspezifische Einschränkungen des weltlichen Rechts nur dort möglich, wo sich nachvollziehbar und notwendige Verbindungslinien zum Ethos der Kirche belegen lassen. So verstanden sind bei verkündigungsferner Tätigkeit oder bei nicht gleichförmiger Tätigkeit des kirchlichen Dienstherrn Abwägungen stets mit einem Ergebnis für den AN zu erwarten. Sperber hat diese Erwägungen bereits aus eigenen Überlegungen heraus an verschiedenen Stellen angestellt. Entsprechend bewertet er kirchliche Loyalitätsobliegenheiten und führt diese seinem Prüfungsprogramm (Abwägung) zu. Dabei gelangt er auch zu dem Ergebnis, nicht einen Tendenzschutz erster Klasse für Religionsgesellschaften anzuerkennen. Ob umgekehrt die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern benachteiligt werden, wenn eine Bezugnahme auf eine Kirchenmitgliedschaft nur bei verkündigungsnaher Tätigkeit relevant sein darf, wird nicht untersucht (würde vom Rezensenten verneint werden).

Insgesamt macht es Freude, sich mit den Argumenten und Überlegungen Sperbers auseinanderzusetzen. Man erhält das Kirchenarbeitsrecht noch einmal klar und umfassend dargestellt, sowohl in verfassungsrechtlicher Theorie als auch in seiner Umsetzung ins praktische Arbeitsrecht. Die Modulation seiner Thesen ist angenehm unaufgeregt, was bei diesem Thema nicht jedem gelingt. Kurz: Eine Bereicherung des wissenschaftlichen Diskurses, die auch nicht etwa durch den EuGH in Sachen Chefarzt überholt ist.