BrameshuberDie Sorgfalt des Arbeitnehmers
Manz Verlag, Wien 2019, XLVI, 426 Seiten, gebunden, € 94,–
BrameshuberDie Sorgfalt des Arbeitnehmers
Gibt es Auswirkungen auf das Entgelt, wenn der AN sich bei Erbringung seiner Dienste nicht sorgfältig bemüht? Eine Schlechterfüllung der Hauptleistungspflicht, die bei Zielschuldverhältnissen und Erfolgsverbindlichkeiten problemlos mit Leistungsstörungsrecht zu bewältigen wäre, macht bei einem – noch dazu als unteilbare Sorgfaltsverbindlichkeit konzipierten (37 ff, 44 ff) – Dauerschuldverhältnis naturgemäß Probleme. Auch den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses, insb der Arbeit in persönlicher Abhängigkeit und der spezifischen Risikoverteilung, trägt nur das Haftpflichtrecht in Gestalt des Dienstnehmerhaftpflichtgesetzes (DHG) Rechnung, nicht das Leistungsstörungsrecht. Konsequenz sei, dass die Regeln des Leistungsstörungsrechts daher „nur bedingt“ auf das Arbeitsverhältnis anwendbar seien (55), wo der AN nur ein – wenngleich „erfolgsorientiertes“ – Bemühen schulde. Für die Frage, was eine nicht sorgfältige Arbeitsleistung sei (der vorgeschlagene Begriff „Fehlleistung“ [55] wäre ungeachtet seiner Verwendung in §§ 2 und 3 Abs 3 DHG wegen seiner haftpflichtrechtlichen Herkunft besser durch „fehlerhafte Leistung“ zu ersetzen), könnten gewährleistungsrechtliche Überlegungen dennoch herangezogen werden (58 ff, 65). Das gelte insb für die Objektivierung der Mangelhaftigkeit einer Leistung (durch die „gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften“ des § 922 ABGB), die mangels besonderer Vereinbarung den 504 Maßstab für die ordnungsgemäße Erfüllung bilden würden. Schadenersatzrechtlich sei für die Beurteilung der „sorgfältigen Arbeitsleistung“ ohnehin ein abstrakter, das Verhalten vergleichbarer AN-Gruppen berücksichtigender Maßstab relevant (60 ff, 65). Einem bereits „verhältnismäßig niedrigeren Sorgfaltsmaßstab“ für AN im Rahmen des § 1299 ABGB (Rebhahn/Ettmayer) kann Elisabeth Brameshuber angesichts der diesfalls leerlaufenden Privilegierung entschuldbarer Fehlleistungen im DHG und aus präventiven Gründen mit Gamillscheg und Kerschner nichts abgewinnen (64 f). Mit diesem Verweis auf das Haftpflichtrecht erklärt sich auch die Gliederung des Werkes in drei Kapitel – 1. Objektive Sorgfalt, 2. Subjektive Sorgfalt (iS fehlender subjektiver Vorwerfbarkeit) und 3. Konsequenzen fehlender Sorgfalt – gleichsam von selbst.
Die objektive Sorgfaltswidrigkeit sei „absolut“ zu sehen, sie gelte aus Rechtssicherheitsüberlegungen sowohl im Haftpflichtrecht als auch im Kündigungsrecht (85 ff). Maßstab sei mit Kuderna die Verrichtung der dem AN „obliegenden und ihm zumutbaren Arbeiten nach bestem Wissen und Können“. Auch Arbeit trotz Krankheit setze den Sorgfaltsmaßstab nicht generell herab, sondern entlaste allenfalls auf subjektiver Ebene (87 ff). Altersbedingt nicht sorgfältige Dienstleistung sei aber durch Vergleich mit Gleichaltrigen festzumachen, nicht mit Jüngeren (90 f).
Die Ermittlung des konkreten Sorgfaltsmaßstabs (91 ff) beginnt auch aus Stufenbauüberlegungen mit den gesetzlichen Grundlagen, die mangels Vereinbarung dem Wortlaut nach Unterschiede zwischen Arbeitern (§ 76 GewO 1859: „... nach besten Kräften ...“) und Angestellten (§ 6 AngG, § 1153 Satz 2 ABGB: „... die den Umständen nach angemessenen Dienste ...“) zu suggerieren scheinen. Verfassungskonforme Interpretation gebiete aber, nicht auf diese Zuordnung abzustellen, sondern auf die konkrete Tätigkeit und Verantwortung (102 ff; das bestätige auch die hM zur Abgrenzung von Arbeiter- und Angestellteneigenschaft in Zweifelsfällen, 104). Sondervorschriften wie § 3 Abs 2 ÄrzteG und § 25 GmbHG sei zu entnehmen, dass eine Verantwortungsposition den Maßstab erhöhe; dabei komme es auf besondere Sachkunde, Entscheidungsbefugnis, weitgehende Weisungsfreiheit und Risikogeneigtheit der Tätigkeit an (128 ff). Ähnliches gelte für kollektivvertragliche Entlohnungssysteme, die auf die Berufserfahrung abstellen würden (137 ff). Mangels expliziter vertraglicher Vereinbarung seien angesichts von Begriffen wie „angemessen“ (§ 1153 ABGB) und „ortsüblich“ (§ 6 Abs 1 AngG) redliche Verkehrssitte und Übung des redlichen Verkehrs maßgeblich.
Ein AN verpflichte sich im Zweifel zu all jenen Leistungen, die ein mit den übernommenen Aufgaben Betrauter auch sonst zu leisten bereit sei (Objektivierung der Arbeitspflicht), und zwar nach der Typizität der vereinbarten Tätigkeit (160 ff), aber auch ergänzt durch konkludentes Verhalten im Laufe des Arbeitsverhältnisses (165). Auf vom AN etwa im Bewerbungsgespräch angegebene Fähigkeiten dürfe sich der AG verlassen (172 ff). Vom AG angebotene Schulungen und Fortbildungen erhöhten den Maßstab (179 ff), Duldung von Fehlern setze ihn nur nach Maßgabe der Konkludenz herab (184 ff). Auf Weisungen seien AN mit höheren Kenntnissen weniger angewiesen; bei erhöhtem Bestandschutz erweitere sich das Weisungsrecht wegen höherer Flexibilitätserwartung (192 ff). Durchschnittliche Sorgfalt müsse der AN aber auch bei einem weiten Weisungsrecht aufwenden (212). Rechtswidrige Weisungen könnten die Sorgfaltswidrigkeit auch ganz ausschließen, nicht aber bei AN in besonderen Verantwortungspositionen (204). Die Fürsorgepflicht begrenze nicht nur das Weisungsrecht, sondern erfordere wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch eine strenge Rechtfertigungsprüfung für die Vereinbarung erhöhter Sorgfaltsmaßstäbe (212 ff).
Fehle eine vertragliche Vereinbarung, würden die Auslegung nach der Verkehrssitte und das Abstellen auf Sondernormen (§ 1153 ABGB, § 6 Abs 1 AngG) kaum Unterschiede ergeben (217 ff). „Angemessenheit“ und „Ortsüblichkeit“ seien auch für die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs und die Übung des redlichen Verkehrs relevant, die Beachtung des Ortsgebrauchs ergebe sich trotz der Nichtnennung in § 1153 ABGB aus der Gesetzessystematik (222 ff). Die den „Umständen nach angemessenen“ Dienste würden auf eine gewisse Dynamik des Sorgfaltsmaßstabs hindeuten, allerdings gemessen am durchschnittlich vergleichbaren AN, bei älteren AN also an Personen derselben Alterskohorte. Krankheitsbedingte Leistungsminderung wirke dagegen nur entschuldigend (225 ff). Auch die Einbeziehung der Verkehrssitte führe zur Objektivierung des Sorgfaltsmaßstabs (229 ff). Selbstverantwortung des AN, Treuepflicht und Vertrauensgrundsatz würden dafür sprechen, dass dieser auch für bloß vorgegebene Kenntnisse einzustehen habe. Die Sorgfalt eines Sachverständigen (§ 1299 ABGB) sei insb bei erhöhter Verantwortung (238 ff), aber auch etwa bei Vorlage einschlägiger Zeugnisse (sowie unter Berücksichtigung des Entgelts, 248 ff) geschuldet. Die Beweislast für die Sorgfaltswidrigkeit treffe den AG, doch könne bei im hohen Maße gegebener Eigenverantwortlichkeit wohl ein Prima-facie-Beweis genügen (etwa, dass der AN als Geschäftsführer im Falle des § 25 Abs 1a GmbHG nicht auf einer angemessenen Informationsgrundlage gehandelt habe, 253 ff).
Rechtliche Reaktion des AG auf objektiv sorgfaltswidriges Verhalten setze subjektive Vorwerfbarkeit voraus (262 ff). Diese sei in gewissen Fällen (§ 1299 ABGB) wieder zu objektivieren, doch würden auch Sachverständigen die allgemeinen subjektiven Entlastungsmöglichkeiten des § 1297 ABGB zugutekommen (Bewusstseinsstörung, Übelkeit, 276). Ein etwaiges AG-Verschulden sei aber zu berücksichtigen, etwa Druckausübung, trotz Erkrankung zu arbeiten (275). Gleiches gelte für die spezielle arbeitsrechtliche Risikoverteilung, das bisherige Wohlverhalten des AN und den Sozial-(§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) sowie Gesundheitsschutz (281 ff); sie würden den Grad der Sorgfaltswidrigkeit, ab dem der AG mit Kündigung reagieren dürfe, erhöhen.
Im 3. Kapitel „Konsequenzen fehlender Sorgfalt“ (292 ff) wird zunächst im Einklang mit der hM Gewährleistung (insb die primären Behelfe schon mangels Nachholbarkeit) grundsätzlich ausgeschlossen; auch einer Entgeltminderung würden zwingende kollektivvertragliche Mindestentgelte Grenzen setzen. Brameshuber geht es hier primär um die Frage der Herstellung des Äquivalenzverhältnisses pro futuro (für die Vergangenheit stehe Schadenersatzrecht modifiziert durch das DHG zur Verfügung, 311). Die hM, dass keine einseitige Entgeltkürzungsmöglichkeit bestehe, sei insb 505 für Fälle, in denen eine Versetzung oder Kündigung nicht möglich sei, zu hinterfragen (308 ff). Das gegen die Anwendung von Irrtumsrecht (wegen der Rückwirkung auf den Vertragsschlusszeitpunkt) sprechende Argument der Rückabwicklungsproblematik greife bezüglich einer Entgeltanpassung für die Zukunft nicht, insb wenn wegen Täuschung über Fähigkeiten auch gutgläubiger Verbrauch ausscheide (320 f), in diesem Punkt sei Rebhahnund P. Bydlinski/Ibler zu folgen. Erkenne der AG seinen Irrtum, müsse er ihn aber wegen der Gefahr einer schlüssigen Genehmigung bzw eines venire contra factum proprium sowie aus spezifisch arbeitsrechtlichen Überlegungen binnen sehr kurzer Fristen geltend machen (wiewohl die Schutzwürdigkeit eines Täuschenden zweifelhaft sei, 327 ff).
Zu erwägen sei aber auch eine Entgeltanpassung aufgrund ergänzender Vertragsauslegung bzw einer aus § 1153 ABGB abgeleiteten arbeitsrechtlichen „Umstandsklausel“ (334 ff), insb wenn das Arbeitsverhältnis nicht oder nur schwer beendet werden könne. Als dogmatischer Hebel sei eine Anlehnung an die einseitige Verwendungsänderung in eine kollektivvertraglich niedriger entlohnte, der tatsächlichen Arbeitsleistung entsprechende Beschäftigungsgruppe vorstellbar, was jedenfalls eine gravierende Äquivalenzstörung voraussetze. Dabei erkennt Brameshuber sehr wohl, dass die Geschäftsgrundlagelehre eigentlich den Wegfall typischer, in einer neutralen Sphäre situierter Motive erfassen soll und nicht die später eintretende Schlechterfüllung einer Hauptleistungspflicht durch eine der Vertragsparteien (342 ff; in der Thesenzusammenfassung bezeichnet sie den Ansatz daher als „durchaus gewagt“, 415 Pkt 30.). Dennoch sei die Subsumtion unter die Geschäftsgrundlagelehre „nicht gänzlich abwegig“, wenn etwa beide Parteien von einer Eignung ausgegangen seien, die später nicht mehr vorliege, sodass die Grundlage für eine höhere Einstufung weggefallen sei (344 ff). Zumindest könne man diese Überlegungen unterstützend für eine ergänzende Vertragsauslegung heranziehen, die zur Entgeltanpassung führe. Und obwohl das Kriterium der Nichtvorhersehbarkeit der ungeplanten Entwicklung grundsätzlich streng auszulegen (349 f) und etwa bei organisatorischen Änderungen eine einseitige Entgeltanpassung – weil AG-Risiko – ausgeschlossen sei, könnte dieses Kriterium bei Schlechtleistung in Anlehnung an Unterhaltsvergleiche nicht allzu streng auszulegen sein. Zwar werde bei Vertragsschluss durchaus klar sein, dass der AN nicht stets eine Bestleistung erbringen könne, doch sei unklar, wann und in welchem Ausmaß das der Fall sein werde (350). Letztlich lässt Brameshuber die Anpassung aber doch an den klassischen Geschäftsgrundlagekriterien der Unvorhersehbarkeit und Sphärenfremdheit scheitern (353 f); vergleichsweise scheitere auch ergänzende Vertragsauslegung, wenn der AG das konkrete Risiko vorsorglich im Vertrag hätte regeln können. Zudem werde es meist an einer in der jüngeren Lehre geforderten groben Äquivalenzstörung fehlen (355).
Vertraglich unkündbar gestellte AN seien zwar gegen Verwendungsänderungen schlechter geschützt, doch fehle auch hier meist eine gravierende Äquivalenzstörung (357). ME spräche zudem die bereits genannte naheliegende Möglichkeit, vertraglich für besonders grobe Schlechtleistung vorzusorgen, gegen eine Entgeltanpassung. Insgesamt bestätigt das den Anfangsverdacht, dass eine Leistungsstörung der Hauptleistungspflicht eben eine Leistungsstörung bleibt und daher – wenn Leistungsstörungsrecht aus besonderen Gründen nicht greift – auch nicht über dafür gar nicht konzipierte „weichere“ Behelfe, wie den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder ergänzende Auslegung, releviert werden können sollte.
Die Anpassung wegen eines relevanten Irrtums (siehe oben) wegen vorgespiegelter Fähigkeiten will Brameshuber nur mit Maßgabe eines Widerspruchsrechts des AN analog § 7 Abs 1 DHG zulassen, das den AG zum Nachweis nicht sorgfältiger Arbeitsleistung zwingt (364 f). Schadenersatzrechtlich komme vor allem die Haftung für Folgeschäden in Betracht (371 f), aber auch für die Schlechtleistung selbst (368 ff), doch sei hier der Nachweis eines konkreten Schadens (Bundesgerichtshof: Differenz des Marktwerts der Arbeitsund der Minderleistung) schwierig. Anderes gelte bei entsprechend ausdifferenzierten Entgeltschemata. AG-Mitverschulden sei bereits vor der Mäßigung nach DHG und nicht doppelt zu berücksichtigen (372 ff). Die Untersuchungen beschließen die Auswirkungen der gewonnenen Erkenntnisse auf Schranken der Beendigungsmöglichkeiten (382 ff), zunächst nach allgemeinem Zivilrecht (Sittenwidrigkeit) und dann insb durch den allgemeinen Kündigungsschutz, differenziert nach persönlichen Eigenschaften, die sich in einem objektiv sorgfaltswidrigen Verhalten niederschlagen und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren (394 ff), und nach (bloß) objektiv sorgfaltswidrigem, betriebliche Interessen nachteilig berührendem Verhalten (401 ff). Eine Entlassung rechtfertige die schlichte Schlechterfüllung aber idR nicht, schon mangels Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin (404 ff). 34 Thesen fassen die wesentlichen Ergebnisse abschließend zusammen.
Der Ansatz Brameshubers, aus Rsp und Lehre zu verschiedensten Problemstellungen des Arbeitsrechts eine Gesamtsicht auf die Sorgfaltsverbindlichkeit des AN sowie ihre Folgen zu gewinnen und durch diese Sicht dann wieder die Ausgangsproblemstellungen zu befruchten, erweist sich als zielführend. Auch das moderner schadenersatzrechtlicher Dogmatik geschuldete Trennen von objektiv gebotener Sorgfalt und subjektiver Vorwerfbarkeit vermag nicht zuletzt deshalb zu überzeugen, weil grundlegende arbeitsrechtliche Wertungen insb den Haftungserleichterungen des DHG zu entnehmen sind. Das Erstellen von „Zwischenergebnissen“ sowie die gute Erläuterung des Gangs der Untersuchung helfen, den Überblick über die maßgeblichen Argumentationsstränge zu bewahren. Dass der Teufel natürlich im Detail steckt, versteht sich schon angesichts des Zuschnitts des Leistungsstörungsrechts auf Zielschuldverhältnisse, aber auch des komplexen Ineinandergreifens von AG- und AN-(Fehl-)Verhalten von selbst. Mit oberflächlichem Querlesen ist daher wenig gewonnen, ein Kommentar, wie die Verlagswerbung unter Verweis auf die Beschreibung durch Dritte suggerieren möchte, ist diese Habilitationsschrift mitnichten. Patentrezepte zu den Folgen sorgfaltswidriger Arbeitsleistung waren seriöserweise auch nicht zu erwarten. Wer aufmerksam liest, wird dem Werk manch wichtige Erkenntnis verdanken, jedenfalls aber viele 506 maßgebliche Wertungen, Entscheidungsgesichtspunkte und Anregungen abgewinnen.