Der Arbeit von Frauen Beachtung und Respekt verschaffen – Käthe Leichter (1895-1942) und die Gründung des Referates für Frauenarbeit in der Wiener Arbeiterkammer vor 95 Jahren
Der Arbeit von Frauen Beachtung und Respekt verschaffen – Käthe Leichter (1895-1942) und die Gründung des Referates für Frauenarbeit in der Wiener Arbeiterkammer vor 95 Jahren
„Und die Frauenarbeit?“, fragte Käthe Leichter in der Einleitung des 1930 von der Arbeiterkammer (AK) Wien veröffentlichten „Handbuchs der Frauenarbeit in Österreich“, das sich, wie sich zeigen sollte, zu einem Standardwerk der Frauenforschung in Österreich entwickeln sollte. „Fragen der Frauenarbeit waren bis dahin an keiner Stelle zusammenhängend bearbeitet worden. Was aber möglich war, solange die Frauenarbeit im Wirtschaftsprozess keine sehr bedeutungsvolle war, mußte als schwerer Mangel empfunden werden, als mit der wirtschaftlichen und technischen Umwälzung des Produktionsprozesses der Anteil der Frauenarbeit immer bedeutsamer, die Art ihrer Verwendung immer mannigfaltiger wurde, aus diesen vermehrten Verwendungen auch neue Probleme erwuchsen“
.*
Der folgende Beitrag soll anlässlich des 95-jährigen Jubiläums der Frauenabteilung der Wiener AK die Beweggründe ihrer Etablierung beleuchten. Er gibt einen kursorischen Überblick über die Aufgaben und die Tätigkeit der ersten Leiterin des Frauenreferates, Dr. Käthe Leichter (1895-1942), deren Geburtstag sich am 20. August zum 125. Mal jährte, und er ruft ihre Studien in Erinnerung, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Wiener AK durchgeführt hat. Auch werden die Methoden betrachtet, die Leichter bei ihren Studien angewendet hat. Vor allem aber soll der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Form ihre Studien dazu beigetragen haben, die Lebensverhältnisse von arbeitenden Frauen in der Ersten Republik tatsächlich zu verbessern.
Am 26.2.1920 wurde das Gesetz über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte beschlossen.* Ihre Aufgabe sollte es ua sein, für die gesetzgebenden und die Verwaltungsbehörden Berichte, Gutachten über Gesetzesentwürfe und Vorschläge betreffend Fragen der sozialen Gesetzgebung und des Arbeitsmarktes sowie Probleme der Industrie, des Handels und des Gewerbes zu erstellen, die direkt oder indirekt die Interessen von ArbeiterInnen und Angestellten betrafen. Es sollten Arbeitsstatistiken gesammelt und ausgewertet werden und Erhebungen über die wirtschaftliche Lage von ArbeiterInnen und Angestellten eingeholt werden und VertreterInnen in andere Körperschaften und Stellen entsandt werden. Untergebracht war die AK Wien – mit dem Geltungsbereich für Wien, Niederösterreich und das Burgenland – in der Ebendorferstraße 7, im Gebäude des ehemaligen Landwirtschaftsministeriums, unweit des Wiener Rathauses und der Universität Wien.*
Nur einen kleinen Spaziergang davon entfernt, entlang der Universität, über die Mölkerbastei und vorbei an der Wiener Börse, wurde Marianne Katharina Pick 1895 als Tochter einer am Rudolfsplatz wohnhaften, liberalen, wohlhabenden bürgerlich-jüdischen Familie geboren. Die Mutter Charlottestammte aus einer rumänischen Bankiersfamilie, der Vater Josef Pick, der als Rechtsanwalt tätig war, stammte aus einer böhmischen Industriellenfamilie. Wie auch ihre Schwester, Valerie/Vally (geboren 1894), besuchte sie eine der angesehensten Mädchenschulen Wiens, das „Beamtentöchter-Lyzeum“ in Wien Josefstadt. Ihr soziales Gewissen dürfte schon früh erwacht sein, einerseits durch die liberale Erziehung ihres Vaters, aber auch durch frühe Kontakte mit der ArbeiterInnenbewegung, die sie durch freiwillige Arbeit in einem Kinderhort in 588 der „Krim“, einem ArbeiterInnenviertel in Wien Döbling, gemacht hatte.*
1914 begann Käthe – wie sie später genannt wurde – ihr Studium der Staatswissenschaft an der Wiener Universität, wohlwissend, dass dieses Studium in Wien generell noch nicht abgeschlossen werden konnte. Gegen Ende des Studiums ging sie nach Heidelberg, um sich an der dortigen Universität für ein sozialwissenschaftliches Doktorat vorzubereiten. Ihr besonderes Interesse galt schon damals der vergleichenden soziologischen Untersuchung geschichtlicher und soziologischer Ereignisse und der psychologischen Erforschung sozialer Tatsachen und der gegenseitigen Einwirkung verschiedener Klassen und Gruppen aufeinander, schrieb ihr späterer Mann, Dr. Otto Leichter (1897-1973), über Käthes frühe Interessens- und Forschungsschwerpunkte.* In Heidelberg kam sie auch in engen Kontakt mit „linken“ Studierenden und KriegsgegnerInnen und sympathisierte mit der deutschen Sozialdemokratie. *Im Kriegsjahr 1917 wurde sie als aktive Friedensaktivistin aus Deutschland ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt, konnte dann aber mit Unterstützung ihres Vaters und ihrer Heidelberger Lehrer im Sommer 1918 kurzfristig nach Heidelberg zurückkehren, wo sie am 24.7.1918 das Rigorosum ablegte. Das Thema ihrer Dissertation lautete: „Die handelspolitischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Italien“.*
Nach ihrer Rückkehr nach Wien belegte sie an der Wiener Universität wieder Vorlesungen und schloss sich auch hier „linken“ StudentInnenkreisen an. In diesem Umfeld lernte Käthe auch ihren späteren Mann, den Journalisten Otto Leichter, kennen.* Schon während ihres Studiums war sie als freiwillige, nichtbeamtete Mitarbeiterin in der im Frühjahr 1919 konstituierten Staatskommission für Sozialisierung, die unter der Präsidentschaft von Otto Bauer (1881-1938), des Begründers des Austromarxismus, stand, tätig und blieb bis zu seinem Ausscheiden dessen enge Mitarbeiterin. Sie arbeitete auch für den nachfolgenden Präsidenten der Kommission, den sozialdemokratischen Politiker Wilhelm Ellenbogen (1863-1951). Als Ellenbogen die Sozialisierungskommission im Jahr 1920 verließ, folgte ihm Käthe in den neugegründeten Zentralverband für Gemeinwirtschaft, schied dort jedoch in der ersten Jahreshälfte 1925 wieder aus. Noch hatte das junge Ehepaar Leichter vor, mit dem 1924 geborenen Sohn Heinznach Frankfurt zu übersiedeln, wo Käthe hoffte, bei einem ihrem ehemaligen Lehrer, dem Staatsrechtswissenschaftler und Soziologen Carl Grünberg (1861-1940)9) am Soziologischen Institut eine Anstellung als dessen Assistentin zu finden. Auch hatte sich Otto Leichter um eine Stelle bei der Frankfurter Volksstimme beworben. Laut dem Leichter-Biografen Herbert Steiner wurde sie von Wilhelm Ellenbogen für die Aufgabe vorgeschlagen, in der Wiener AK eine Forschungsstelle über Frauenarbeit aufzubauen.*
Frauenarbeit war in Österreich schon vor dem Ersten Weltkrieg verhältnismäßig stärker verbreitet als in anderen Ländern und stieg in den Jahren nach dem Krieg rasant an. Bei den Abbaumaßnahmen infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Ersten Republik sollten Frauen wieder aus dem Berufsleben zurückgedrängt werden und wurden – wie schon vor und auch während des Krieges – weiterhin oft als „Lohndrückerinnen“ eingesetzt. Um die Probleme der Frauenarbeit – wie etwa die Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Frauen, die ungerechte Behandlung der Frauen in der AlV, die niedrigen Frauenlöhne – erfassen zu können, waren zunächst statistische Erhebungen und Analysen über den tatsächlichen Anteil von Frauen in der Berufswelt, aber auch über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der berufstätigen Frauen erforderlich. Im Bericht der Gewerkschaftskommission 1923-1927 an den 10. Österreichischen Gewerkschaftskongress etwa hieß es dazu: „Die Frauenarbeit ist so sehr in das Wirtschaftsleben eingedrungen, die ganze Volkswirtschaft so sehr auf die Frauenarbeit eingestellt, daß der Wunsch (sic!) sie einzudämmen, schon aus diesem Grunde nicht erfüllt werden kann.“
* Auch ist den Gewerkschaften zunehmend klar geworden, dass den Frauen – deren Anteil an den Gewerkschaften 1923-1927 durchschnittlich zwischen 22 und 23 % betrug – und deren sozialen und wirtschaftlichen Problemen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müsste. Auch zeigte sich, dass sich die Frauen in den letzten Jahren zu wichtigen Mitstreiterinnen entwickelt hatten, wenn es darum ging, durch Streiks Verbesserungen in den Betrieben oder Lohn- und Gehaltserhöhungen zu erkämpfen. Tatsächlich war es in den vorangegangenen Jahren zu einer Reihe größerer Streiks und Lohnkämpfen gekommen, in denen Frauen eine besondere Rolle gespielt hatten. So etwa im Frühjahr 1924 bei dem dreiwöchigen Bankangestelltenstreik, an dem sich nahezu 5.000 Frauen, oder dem Lohnkampf der Metallarbeiter, an dem sich in ganz Österreich 22.000 Frauen beteiligt hatten. Durch die im April 1925 von Pflegerinnen und dem Hauspersonal (in erster Linie Frauen) der staatlichen Krankenhäuser 589 durchgeführte, mehrtägige „passive Resistenz“ konnten deren Forderungen ebenso durchgesetzt werden wie jene nach einer mehrwöchigen Aussperrung von ca 9.000 Frauen in der Textilindustrie in Niederösterreich. Eine große Anzahl an Frauen streikte 1925 und 1926 mit den Bundesangestellten; 1926 mit den Landarbeitern und mit den Wiener Kaffeehausbetrieben; 1927 mit den Land-, Ziegel-, Glühlampen- und Glasarbeitern; 1928 mit den Versicherungsangestellten und den Damenschneiderinnen. In dem bereits erwähnten Bericht der Gewerkschaftskommission heißt es an mehreren Stellen, dass die benötigten Informationen über Frauenarbeit gänzlich fehlen würden oder unvollständig seien und aufgrund der Wirtschaftskrise oft ganz einfach nicht mehr stimmen würden.* Es war also längst Zeit, eine Einrichtung zu schaffen, sich auf wissenschaftlicher Ebene den Problemen der Frauen zu nähern, um damit in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Verbesserungen in die Wege leiten zu können.
Aus historischer Perspektive erscheint es fast schon paradox, das Käthe Leichter mit dieser Aufgabe betraut wurde, hatte sie sich doch bis zu diesem Zeitpunkt kaum mit Fragen der Frauenarbeit oder der Frauenpolitik beschäftigt, noch sah sie sich selbst als „Frauenrechtlerin“. Laut der österreichischen Wissenschaftlerin Gabriella Hauch, die sich in vielen Arbeiten mit dem Leben und Wirken von Leichter beschäftigte, war Leichter vielmehr Verfechterin des „marxistischen Nebenwiderspruchs“ und sah die „Frauengleichberechtigung in einem größeren Zusammenhang, einem, der über die ökonomische Situation hinausging“.* Als eine der bislang wenigen (sozialdemokratischen) Wissenschaftlerinnen brachte sie allerdings die gewünschte Nähe zur ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung mit, aber auch das notwendige akademische Wissen, um den Aufbau einer solchen Studieneinrichtung zur Erforschung von Frauenerwerbsarbeit zu übernehmen. Als offizielles Gründungsdatum des Frauenreferates kann der Juni 1925 angenommen werden.* Käthe Leichter war zunächst nur Konsulentin und wurde – die Angaben divergieren – erst 1927 oder Ende 1928 in der Wiener AK angestellt. Sie gehörte damals als einzige Frau der Verwendungsgruppe I an, also der Gruppe von „Abteilungsleitern und selbständigen Referenten“.*
Im 1930 erschienenen „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ beschrieb Leichter das Aufgabengebiet des Frauenreferates wie folgt: „Die Frauenarbeit nahm an Umfang zu, drang in neue Wirtschaftszweige – aber jede statistische Grundlage fehlte, um Umfang und Art dieses Vordringens zu beurteilen. Das Vordringen vollzog sich vor allem auf der Grundlage niedrigerer Frauenlöhne – aber das Fehlen eigener Lohnerhebungen machte jeden Überblick über das Ausmaß dieses Lohndruckes unmöglich.“
* Zwar hätten verschiedene Abteilungen der AK diese Fragen bislang berücksichtigt, doch nunmehr sollte es etwa bei statistischen, sozialversicherungsrechtlichen oder sozialpolitischen Fragen darum gehen, „dieses verstreute Material über Frauen an einer Stelle zusammenzufassen, herauszuheben, zu bearbeiten, den FunktionärInnen der ArbeiterInnen in Parlament und Gewerkschaft zur Verfügung zu stellen, die besonderen Probleme der Frauenarbeit zu durchdenken“
.* Um diese Aufgabe erfüllen zu können, schreibt Leichter weiter, „bedurfte es eines besonderen Referates für Frauenarbeit, das auch nach reichlichen Erwägungen, im Einvernehmen mit den freien Gewerkschaften bei der Wiener Arbeiterkammer errichtet wurde“.* Persönliches Anliegen war es ihr dabei immer, diese Daten nicht nur zusammenzufassen und auf diversen Tagungen vorzutragen und/oder in wissenschaftlichen Publikationen zu veröffentlichen, sondern in Zusammenarbeit mit den FunktionärInnen in den Gewerkschaften oder Vertreterinnen im Parlament dazu beizutragen, die soziale Lage der Frauen – etwa bei Gesetzesanträgen oder -änderungen durch entsprechende Gutachten und Verbesserungsvorschläge – auch tatsächlich zu verbessen, sei es nun bei der Gestaltung von Frauenlöhnen bei Kollektivvertragsverhandlungen, wenn es um Schlechterstellungen von Frauen beim Anspruch von Arbeitslosengeld ging oder beim AN-Schutz.*
Der Ausbau des Arbeiterinnenschutzes war neben der Sammlung, Ordnung und Veröffentlichung von gesammelten Materialien über Frauen ein weiterer wesentlicher Aufgabenbereich des Frauenreferates. Zwar konnten gerade nach der Errichtung der demokratischen Republik auch für Frauen wichtige gesetzliche, politische und soziale Verbesserungen erreicht werden – etwa das Frauenwahlrecht 1918/19 –, doch ging es mit den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen ab 1920 darum, „Verschlechterungen abzuwehren und dabei da und dort kleine Verbesserungen durchzusetzen. ‚Stellungskrieg‘ auch in der Sozialpolitik! Und zur gleichen Zeit im Gefolge der Rationalisierung und Arbeitsintensivierung neue Formen der Ausbeutung
590 weiblicher Arbeitskraft, denen die Gesetzgebung der Umsturzjahre, durch Wirtschaftskrise und Sorge um den Arbeitsplatz ... längst da und dort nicht mehr gerecht wurde“
.* Diesen Herausforderungen stellte sie sich gemeinsam mit den VertreterInnen der Freien Gewerkschaften. Allen voran seien die bereits seit den 1890er-Jahren als Gewerkschafterin aktive Anna Boschek(1874-1957) und Wilhelmine Moik (1894-1970) genannt. Boschek, seit ihrer frühesten Jugend Fabriksarbeiterin, war ab 1893 in der Reichskommission der freien Gewerkschaften für die Organisierung von Frauen für die Gewerkschaften zuständig. Keine leichte Aufgabe, schon allein aufgrund der Tatsache, dass es nicht nur nicht einfach war, das Vertrauen der Frauen zu erlangen und zum Beitritt in eine Gewerkschaft zu bewegen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die männlich dominierten Gewerkschaftsvereine erst überzeugt werden mussten, Frauen überhaupt als Mitglieder aufzunehmen.* Ab 1916 wurde Boschek bei ihrer gewerkschaftlichen und politischen Arbeit im Wiener Gemeinderat und im Parlament von Wilhelmine Moik* unterstützt. Gemeinsam entwickelten Boschek, Moik und Leichter Ideen und Projekte, um auch weiterhin Frauen für den Gewerkschaftsgedanken zu gewinnen, etwa durch Organisation von Kursen und Vorträgen, um Frauen durch auf ihre Situation abgestimmte Kurse über ihre Rechte in der Arbeitswelt aufzuklären. Als Beispiele dafür sei die „Radiostunde für die arbeitende Frau“ ebenso genannt, wie der Anfang der 1930er-Jahre entstandene Film „Frauenleben-Frauenlos“, bei dem es sich auch um ein einzigartiges kulturhistorisches Dokument über Frauenarbeit in der Zeit zwischen 1918 und 1934 handelt.*
1926 veröffentlichte das Referat für Frauenarbeit die Ergebnisse der ersten Erhebung „Wie leben die Wiener Hausgehilfinnen“, die mittels Fragebogen durchgeführt wurde. Eine Studie, die sich aus der Notwendigkeit der immer massiver werdenden Klagen von Hausgehilfinnen ergab, die ohne rechtliche Absicherung in privaten Haushalten beschäftigt waren. Die Erhebung mit zum Teil erschütternden Erkenntnissen über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der „Hausklavinnen“* gab der gewerkschaftlichen Organisation der Hausgehilfinnen wichtige Hintergrundinformationen für ihren Kampf um die Verbesserung der Lage und der gesetzlichen Schutzbestimmungen, die durch das Hausgehilfinnengesetz vom 26.2.1920* erreicht hätten werden sollen, wie sich aber in der Studie zeigte, „in der Regel nicht eingehalten wurden“
.* Diese Studie etwa hat dazu geführt, dass ein Gesetzesentwurf über eine Stellenlosenversicherungskasse für Hausgehilfinnen von den Abgeordneten Anna Boschek, Adelheid Popp, Gabriele Proft und Genossen im Nationalrat eingebracht worden ist.* 1927 wurde in der Wiener Rahlgasse, im siebenten Wiener Gemeindebezirk, ein Heim für stellenlose Heimgehilfinnen errichtet, um Frauen, die ihre Stelle in einem Haushalt verloren hatten, davor zu schützen, dass sie ohne Wohnung auf der Straße standen.*
Als Methode für die Untersuchungen wählte Käthe Leichter einerseits die Materialsammlung, etwa Statistiken der Krankenkassen, der Arbeiterkammern, der Industriellen Bezirkskommissionen, der Gewerkschaften, der Berufsberatungsämter, der Lehrlingsschutzstellen und Fachschulen, andererseits die Durchführung eigener Erhebungen mittels Fragebogen. Die Fragestellungen widmeten sich nun ausschließlich dem Thema Frauenarbeit und der Frage, wie mit der Verbesserung der Lage der arbeitenden Frauen die Arbeitsverhältnisse der Gesamtarbeiterschaft verbessert werden könnten. Zu ihren Mitarbeiterinnen in der AK zählte neben ihrer langjährigen Sekretärin Henriette Denkauch die Juristin, Ökonomin und Sozialarbeiterin Elisabeth Schilder (1904-1983), die Käthe Leichter bei den Erhebungen und bei der Auswertung der statistischen Daten und deren Publikation unterstützte.*
Die zweite Untersuchung (1928), die ebenfalls mittels Fragebogen durchgeführt wurde, galt dem Thema Heimarbeit.* Man hätte meinen können, dass es sich bei der Heimarbeit bereits um ein Relikt aus der Vergangenheit gehandelt hätte, doch vielmehr zeigte die Studie, dass sie in den ersten Nachkriegsjahren wieder gestiegen war. Eines der ersten Gesetze der Ersten Republik galt daher den Heimarbeiterinnen, deren Arbeit schwer zu kontrollieren war und daher der Ausbeutung, insb der Ausbeutung von Frauen, Möglichkeit bot.* Zu den Heimarbeiterinnen zählten der Studie zufolge entlassene Fabrikarbeiterinnen, proletarisierte Meister, die durch Geldentwertung verarmt waren, aber auch viele Mittelstandsfrauen. 75 % der Heimarbeiterinnen waren jedenfalls Frauen, die aus Angst, vielleicht auch noch diese Arbeitsgelegenheit zu verlieren, oft mehr als elf Stunden pro Tag 591 arbeiteten. Auch in diesem Fall sollte die Untersuchung die Grundlage für weitere Verbesserungen des 1918 in Kraft getretenen Heimarbeitsgesetzes bieten, wie etwa die Ausdehnung des Betriebsrätegesetzes auf die Heimarbeit, die Haftung der AG, die Einbeziehung der Heimarbeiterinnen in die SV, die Ausdehnung des Mutterschutzes, die Schaffung weiterer Heimarbeitskommissionen und die Angleichung der Heimarbeiterlöhne an die Löhne von ArbeiterInnen in industriellen Betrieben.* 1928 erschien die dritte Sondererhebung, die vom Bund für Mutterschutz an die Frauen, die eine Sprechstunde aufsuchten, verteilt wurde. Auch für diese Erhebung wählte Leichter die Methode Befragung mittels Fragebogen.*
Im Sommer 1927 erschien die kleine Broschüre über „Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz in Österreich“, deren Bedeutung aber umso größer ist, als sie die erste zusammenhängende Darstellung der Frauenarbeit in Österreich bis zu diesem Zeitpunkt war, wie Leichter in ihrem Vorwort betont. „Wer sich in Österreich mit Fragen der Frauenarbeit beschäftigte, war gezwungen, aus dem reichen Untersuchungsmaterial, das über die Frauenarbeit in Deutschland und anderen Ländern vorliegt, seine Schlüsse für Österreich zu ziehen.“
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Leichter gibt darin, zwei Jahre nach Beginn ihrer Tätigkeit in der Wiener AK, im ersten Teil eine Übersicht über den Stand der Frauenarbeit in Österreich vor und nach dem Ersten Weltkrieg, die Entwicklung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Berufsschichtung, die Löhne, die Berufsausbildung und die Gesundheit der berufstätigen Frauen. Im zweiten Teil folgt ein Überblick über die historische Entwicklung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes in Österreich und ein Überblick über die seit 1918, nach der Ausrufung der demokratischen Republik Deutschösterreich in Kraft getretenen Sozialgesetze und die zahlreichen Sonderbestimmungen Frauen betreffend. Diese Studie wurde auf der Internationalen Gewerkschaftlichen Frauenkonferenz, die am 28. und 29.7.1927 in Paris stattfand, den TeilnehmerInnen als „Bericht über Österreich“ vorgelegt.* Selbst die christlich-soziale „Reichspost“ zollte der Publikation Anerkennung. Die Frauenarbeit sei „stets vom Standpunkt der Familienerhaltung und der für die Mutter und Hausfrau gebotenen Schonung beurteilt, was in einem aus sozialistischem Milieu hervorgegangenen Werk anerkennend hervorgehoben zu werden verdient“
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Im Mai 1930 erschien das unter der Leitung Käthe Leichters und von der AK Wien herausgegebene „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“.* Es handelte sich dabei um ein Sammelwerk von Beiträgen über die Entwicklung von Frauenarbeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, vor allem aber um das Unterfangen, betroffene Arbeiterinnen über ihren Arbeitsbereich berichten, aber auch andere ExpertInnen aus den Gebieten der sozialen Arbeit, der Sozialmedizin oder aus dem politischen Spektrum über Aspekte der Frauenarbeit zu Wort kommen zu lassen. Über die Methode, die sie für dieses Überblickswerk angewendet hat, meinte Leichter durchaus selbstkritisch, dass sie sich der Vor- und Nachteile eines solchen Sammelwerkes wohl bewusst sei. Als Vorteil sah sie die Tatsache, dass durch das „Zusammenwirken von Frauen, von Arbeiterinnen, die ihre Erfahrung unmittelbar aus dem Berufsleben schöpfen, mit Frauen, die ihr Wissen in Verwaltungstätigkeit oder wissenschaftlicher Arbeit erwerben, dem Handbuch ein charakteristisches Gepräge“
geben würde und zugleich zeigen würde „... welcher ungeahnte Reichtum an geistigen Kräften in der österreichischen Arbeiterinnenbewegung schlummert“
.* Als Nachteil betrachtete sie, dass aufgrund verschiedenster Ursachen, etwa dem Fehlen von Basismaterial oder aufgrund von „Platzmangel“, einige Berufsgruppen vernachlässigt werden mussten.
Die Beiträge des Sammelwerks zeigten die Entwicklung der Frauenarbeit in Österreich vor und nach dem Ersten Weltkrieg auf, dokumentierten die Arbeitsverhältnisse von Frauen in den verschiedensten Branchen und ließen auch Vertreterinnen verschiedenster politischer Richtungen zu Wort kommen. Das Konzept dafür entwickelte Leichter gemeinsam mit Boschek und Moik. Leichter selbst zeichnete für die Redaktion verantwortlich und schrieb auch zwei Beiträge, jenen über „Die Entwicklung der Frauenarbeit nach dem Krieg“ und über „Das Frauenreferat der Wiener Arbeiterkammer“, der in großen Teilen auch als Grundlage für diesen Beitrag verwendet wurde. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass fast zeitgleich unter der Mitarbeit der Ökonomin Martha Stephanie Braun (1898-1990) und anderen Herausgeberinnen eine Studie mit dem Titel „Frauenbewegung, Frauenbildung und Frauenarbeit“ vorbereitet wurde.*
Sie wurde vom Bund der Österreichischen Frauenvereine (BÖV) aus Anlass des 9. Internationalen Frauenkongresses vom 26. bis 27.6.1930 in Wien publiziert. Zu diesem Kongress in der Wiener Hofburg sollte aber auch das von Leichter redigierte „Frauenhandbuch“ als politische Antwort auf die großdeutsch orientierte Publikation der BÖV vorliegen. Nur wenige Wochen später brachte sie ihren zweiten Sohn Franz zur Welt.
1932 erschien die Studie „So leben wir ... 1.320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“
. Das Referat für Frauenarbeit der AK hatte dafür 4.000 Fragebögen an Arbeiterinnen verschiedener Wiener Industriebetriebe verschickt, um zu untersuchen, warum die Frauenarbeit, die im Laufe der Rationalisierungsbewegung zugenommen hatte (1931 waren 38,8 % der ArbeiterInnen Frauen), von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise so stark betroffen war. Im Sommer 1931 waren von 592 100 bei den Wiener Arbeitsämtern vorgemerkten Arbeitslosen 31,6 % Frauen.* Auch sollte untersucht werden, wie die Arbeiterinnen die Mehrfachbelastung durch Berufsarbeit, Haushaltsführung und Familie bewältigten. Als Forschungsmethode hatte Käthe Leichter wie bei den Studien über die Heimarbeit und die Hausgehilfinnen wieder die Ausgabe von Fragebögen gewählt. Für diese zeitaufwendige Methode suchte sie wieder Unterstützung bei vielen Gewerkschaftsfunktionärinnen und Betriebsrätinnen und bei zahlreichen namhaften Wissenschaftlerinnen, wie etwa bei Dr. Lotte Radermacher (geboren 1907) von der Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle oder der Gewerbeärztin Dr. Jenny Adler (1877-1950), die ebenfalls zu ihrem „Expertinnennetzwerk“ gehörten und bei vielen anderen Expertinnen des Berufsberatungsamtes, der Industriellen Bezirkskommission, bei Arbeitsvermittlerinnen, der SV und bei Vertreterinnen von Arbeitsgerichten und der Fürsorge. Ziel war das Austauschen von Informationen, Materialien und Arbeitsplänen, interne Treffen, um gemeinsam soziale und wirtschaftliche Verbesserungen von Frauen erreichen zu können. Ob ihr das alles tatsächlich in der von ihr gewünschten Form gelungen ist, kann schwer beantwortet werden. Vor allem auch deshalb, weil Käthe Leichter zunehmend Antisemitismus entgegenschlug. Sei es in der Arbeiterkammer, wie ihre ehemalige Sekretärin Henriette Denk berichtet hat, im öffentlichen Leben, als sie bei einem Wiener Gericht als Schöffin* abgelehnt wurde, aber auch auf politischer Ebene. So etwa hat die bereits zitierte Gabriella Hauch festgestellt, dass Käthe Leichter nie höhere politische Funktionen erreicht hat, weil ihr „arische“ Mitbewerberinnen vorgezogen wurden.*
Charakteristisch für Leichters Studien, die auch internationale Beachtung fanden und noch immer finden, ist „... ihre sozialistische Perspektive und ihre unbedingte Solidarität mit den Arbeiterinnen“
, womit sie sich von vielen anderen empirischen Untersuchungen im deutschsprachigen Raum unterscheiden würde, stellte die deutsche Soziologin Irmgard Weyrather in ihrer Studie „Die Frau am Fließband. Das Bild der Fabrikarbeiterin in der Sozialforschung 1870-1985“
fest.* Als Beispiele für zeitgenössische Untersuchungen führt sie Studien von Emmy Wagner, Maria Kahle und Mathilde Kelchner, die im Zeitraum zwischen Mitte der 1920er-Jahre bis Anfang der 1930er-Jahre über Frauen, Arbeitslose und Jugendliche in Deutschland durchgeführt wurden, an, deren Autorinnen aber, wie sich zeigen sollte, schon früh dem Nationalsozialismus anhingen. Käthe Leichter, als jüdische und politische Akteurin und überzeugte Sozialistin, hingegen fiel dem NS-Rassenwahn 1942 zum Opfer. „Eine solche Parteilichkeit“
, stellte Weyrather weiter über Leichters Arbeiten fest, sei allen anderen bisherigen Studien fremd und „... ist für die Forschung über Frauenindustriearbeit auch für die nächsten Jahrzehnte noch einmalig und taucht im deutschsprachigen Raum erst im Anschluß an die Zeit der Studentenbewegung, also in den siebziger Jahren wieder auf. Eine ähnliche Haltung zu den Arbeiterinnen hat nur noch die Französin Simone Weil in ihrem Fabriktagebuch von 1934.“
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Abgesehen von ihrer Tätigkeit in der Wiener AK hat sich Käthe Leichter als politische Akteurin auch immer wieder mit dem Thema des erstarkenden Faschismus und Nationalsozialismus auseinandergesetzt.* Im Besonderen warnte sie in ihren zahlreichen Artikeln und Beiträgen vor den Auswirkungen auf Frauen, also vor der „Zurückdrängung der Frau von der Berufsarbeit ins Haus, von der öffentlichen Betätigung zur Gebärtätigkeit, Zurückschraubung der ganzen hoffnungsvollen Entwicklung der letzten Jahrzehnte“
.* Nach der „Neuordnung der Arbeiterkammern“, also der Einsetzung von Regierungskommissären und Verwaltungskommissionen im Jänner 1934, und der Niederschlagung des sozialdemokratischen Aufstandes des Februar 1934 wurde Käthe Leichter im Auftrag des Aufsichtskommissärs Sektionsrat Dr. Gustav Hofmann vom Dienst suspendiert, flüchtete mit ihrem Mann und den Söhnen Anfang März 1934 in die Schweiz und wurde einige Wochen später entlassen. 1935 klagte sie vor Gericht ihre Ansprüche auf Bezahlung ihrer Abfertigung ein.*
In der Schweiz führte Käthe Leichter Erhebungen für das Frankfurter Institut für Sozialforschung durch. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden in den von Max Horkheimer publizierten Studien über Autorität und Familie publiziert.*
Im September 1934 kehrten Otto und Käthe Leichter mit den Kindern nach Österreich zurück und setzten ihre politische Aktivität als führende Mitglieder der Revolutionären Sozialisten (RS) in der Illegalität fort. Vergebens. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen und dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurden die austrofaschistische Einheitsgewerkschaft und die Arbeiterkammern in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) eingegliedert. Otto Leichter und den Söhnen gelang nach dem „Anschluss“ die Flucht nach Frankreich, während Käthe Leichter in Wien blieb, um noch persönliche und familiäre Angelegenheiten zu erledigen, von 593 einem ehemaligen Parteigenossen verraten und Ende Mai 1938 inhaftiert wurde. In Gestapo-Haft schrieb sie ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen mit Bleistift auf verschiedene Papiere nieder und widmete sie ihren Söhnen Heinz und Franz. Im Oktober 1939 wurde Käthe Leichter der Prozess gemacht, nicht zuletzt aufgrund eines Kassiber-Schmuggels verurteilt und trotz zahlreicher ausländischer Interventionen im Jänner 1940 in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo sie im März 1942 im Alter von 46 Jahren in der Nähe der NS-Tötungsanstalt Bernburg im Zuge der sogenannten Aktion 14f13 durch Giftgas ermordet wurde. Ihr wissenschaftliches Interesse galt zuletzt den ebenfalls im Konzentrationslager inhaftierten und als „asozial“ und „kriminell“ kategorisierten Frauen – Straßenmädchen, Diebinnen, Verbrecherinnen.*Käthe Leichters an der Universität 1918 erworbener Doktortitel wurde ihr 1939 aberkannt. Erst im Jahr 2013 erhielt die Ermordete posthum ihre Doktorwürde zurück.* 1945 wurde die AK wieder errichtet, das Frauenreferat der Wiener AK am 1.7.1947.*Käthe Leichter bleibt für die Frauen- und Familienabteilung der AK Wien eine wichtige Identifikationsfigur. Zahlreiche Publikationen, von der AK und der Frauenabteilung unterstützte Projekte (Filme, Hörspiele, Theaterstücke),* nicht zuletzt der nach ihr benannte „Käthe-Leichter-Preis“, aber auch die freundschaftliche Verbindung ihres Sohnes Franz Leichter, der mit seinem Vater Otto und seinem Bruder Heinz/Henry in die USA flüchten konnte, mit der Frauen- und Familienabteilung der AK Wien, sind Indizien für diese enge Verbundenheit.