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Versicherungserklärung neuer Selbständiger ist auch bei nachträglicher Umqualifizierung bindend

ALEXANDERDE BRITO

Die Abgabe einer Versicherungserklärung bewirkt, dass das Versicherungsverhältnis auch dann für den Zeitraum der Ausübung der betreffenden selbständigen Erwerbstätigkeit bestehen bleibt, wenn sich nach Einlangen des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides herausstellt, dass die Versicherungsgrenze entgegen der abgegebenen Erklärung unterschritten wurde.

SACHVERHALT

Mit Schreiben vom 3.8.2017 hat die Mitbeteiligte bekannt gegeben, dass ihre Einkünfte für 2017 den Betrag von € 5.108,40 überschreiten werden. Mit Bescheid vom 20.4.2018 stellte die Sozialversicherungsanstalt (SVA) (nunmehr SVA der Selbständigen [SVS]) fest, dass die Mitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit als Trainerin, Supervisorin und Coach vom 3.8. bis 31.12.2017 der Pflichtversicherung in der PV und KV gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG unterliege. Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde und brachte vor, eine nachträgliche Überprüfung der Pflichtversicherung durch die nunmehrige Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) habe ergeben, dass bestimmte Einkünfte einem Dienstverhältnis zuzuordnen seien. Weil nach Herausrechnung dieser Einkünfte die Versicherungsgrenze nicht überschritten werde, ersuche sie, ab dem Jahr 2017 und für die Folgejahre von der Pflichtversicherung nach dem GSVG ausgenommen zu sein.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das BVwG gab der Beschwerde Folge und stellte fest, dass die Mitbeteiligte vom 3.8. bis 31.12.2017 nicht der Pflichtversicherung in der PV und KV gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG unterliegt. Ein Verfahren nach § 412a ASVG (die Überprüfung der Pflichtversicherung durch die ÖGK beim DG M) habe ergeben, dass die Tätigkeit der Mitbeteiligten für den Verein M nicht selbständig ausgeübt worden sei, sondern ein Dienstverhältnis bestanden habe. Dies sei von der Mitbeteiligten nicht in Frage gestellt worden. Die sogenannte Umqualifizierung sei mit 16.4.2018, somit nach Abgabe der Überschreitungserklärung vom 3.8.2017, erfolgt. Die Mitbeteiligte sei im fraglichen Zeitraum für drei weitere Auftraggeber selbständig erwerbstätig gewesen. Die Einnahmen aus diesen selbständigen Tätigkeiten seien im Jahr 2017 deutlich unter der Pflichtversicherungsgrenze nach dem GSVG gelegen.

In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, einer Versicherungserklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 zweiter Satz GSVG komme die Rechtswirkung eines „opting in“ zu. Diese sei grundsätzlich bindend. Der Mitbeteiligten sei zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Versicherungserklärung nicht bekannt gewesen, dass sie die Versicherungsgrenze in Anbetracht der Umqualifizierung ihrer Tätigkeit betreffend einen der Auftraggeber in ein ASVG versicherungspflichtiges Dienstverhältnis nicht überschreiten werde. Die Willenserklärung der Mitbeteiligten beruhe auf der Informationslage zum damaligen Zeitpunkt und bringe den Willen zum Ausdruck, dass sie auf Grund der voraussichtlichen Überschreitung des Grenzbetrages versichert sein wolle. Mit der erfolgten Umqualifizierung und Unterschreitung des Grenzbetrages sei die Grundlage für die getätigte Willenserklärung ohne Zutun der Mitbeteiligten weggefallen. Die Erklärung ist daher mit einem Willensmangel behaftet, weil sich die Mitbeteiligte in einem Irrtum über die tatsächliche Höhe der selbständigen Einkünfte befunden hätte. Der Irrtum allein mache die Willenserklärung nicht unwirksam. In bestimmten Fällen berechtige der Irrtum aber dazu, die Folgen der irrtümlich abgegebenen Willenserklärung rückwirkend zu beseitigen. Der Wegfall der Grundlage der Willenserklärung sei auf Grund des Grundsatzes von Treu und Glauben zu berücksichtigen. Es seien „die allgemeinen Grundsätze der Interpretation anzuwenden“.

Der VwGH gab der Revision der nunmehrigen SVS Folge.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] 13 […] § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG sollte die Einbeziehung aller selbständig Erwerbstätigen in die Sozialversicherung sicherstellen. Um alle Einkünfte aus Erwerbstätigkeiten zu erfassen, wurde die Art des erzielten Einkommens für maßgeblich erklärt. Die entsprechenden Bestimmungen orientieren sich am Einkommensteuergesetz 1988 […]. In den Erl […] wird […] dazu Folgendes ausgeführt:

‚Die gesetzliche Konzeption der Pflichtversicherung für ‚neue Selbständige‘ geht zum einen davon aus, dass bereits bei Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit die Pflichtversicherung beginnt […] und dies eine Meldepflicht […] nach sich zieht. Bedeutsam für das Entstehen der Pflichtversicherung ist aber überdies, ob die Versicherungsgrenzen […] (voraussichtlich) überschritten werden oder nicht. Wird also die Pflichtversicherung jedenfalls bereits mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit begründet, so kann über das Vorliegen eines Ausnahmegrundes […] erst nach Vorliegen des entsprechenden Einkommensteuerbescheides oder sonstiger maßgeblicher Einkommensteuernachweise […] abgesprochen werden.‘

An der beschriebenen Systematik ist erkennbar, dass es im Bereich der Sozialversicherung aus Gründen der Rechtssicherheit zwar unbedingt erforderlich 434 ist, ex ante zu wissen, ob jemand der Pflichtversicherung unterliegt oder nicht, dies jedoch dem Wesen der selbständigen Einkünfte entsprechend nicht möglich ist, weil das Über- oder Unterschreiten der Versicherungsgrenze exakt immer erst im Nachhinein festgestellt werden kann. Gerade in der Krankenversicherung und Unfallversicherung, aber auch in der Pensionsversicherung, ist es aber unabdingbar notwendig zu wissen, ob für eine Person Versicherungsschutz gegeben ist. Dazu kommt, dass sich an die Feststellung des Vorliegens der Pflichtversicherung auch die Beitragspflicht und in der weiteren Folge die im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen bei Nichtzahlung der Beiträge knüpft. […]

Die vorgeschlagene Regelung soll eine ausreichende Grundlage zur Lösung dieser Problematik sein. Künftig soll hinsichtlich des Eintritts der Pflichtversicherung der Erklärung des Versicherten, ob er die Versicherungsgrenze überschreiten wird oder nicht, maßgebliche Bedeutung zukommen.

1. Erklärt der Versicherte, dass er die maßgebliche Versicherungsgrenze überschreiten wird, soll mit Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit Pflichtversicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung mit allen beitragsrechtlichen Konsequenzen eintreten. Stellt sich nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder der sonstigen Einkommensnachweise im Nachhinein heraus, dass entgegen der Erklärung des Versicherten die maßgeblichen Versicherungsgrenzen nicht überschritten wurden, soll dies rückwirkend am Versicherungsverhältnis nichts ändern. Der Versicherte steht für diesen Zeitraum trotzdem unter Versicherungsschutz und erwirbt Monate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung auf der Mindestbeitragsgrundlage. Dem Versicherten steht jedoch die Möglichkeit offen, jederzeit bis zum Vorliegen der endgültigen Einkommensnachweise durch eine gegenteilige Erklärung seine Pflichtversicherung wieder zu beenden, indem er erklärt, die maßgeblichen Versicherungsgrenzen mit seinen Einkünften voraussichtlich nicht zu überschreiten. Die Pflichtversicherung endet sodann mit dem Letzten des Kalendermonats, der auf die Erklärung folgt.

2. Erklärt der Versicherte, dass er die Versicherungsgrenze mit seinen Einkünften nicht überschreiten wird oder gibt er keine Erklärung ab, so darf die Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder der sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweise dann allerdings rückwirkend mit Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit festgestellt werden. […]

Überschreitet der Versicherte mit seinen Einkünften die maßgeblichen Versicherungsgrenzen und wird im Nachhinein die Pflichtversicherung festgestellt, so soll zu den vorgeschriebenen Beiträgen als Ausgleich für den durch die spätere Entrichtung der Beiträge entstandenen Zinsgewinn ein Zuschlag in der Höhe von 9,3 % der Beiträge geleistet werden müssen. […]

14 Angesichts der Schwierigkeit, dass das Unter- oder Überschreiten der maßgeblichen Versicherungsgrenzen in der Regel erst im Nachhinein festgestellt werden kann, besteht das System dieser Pflichtversicherung somit darin, dass der Versicherte entweder „ex ante“ eine Erklärung abgibt, dass die maßgebliche Versicherungsgrenze im Beitragsjahr überschritten wird (dies mit der Konsequenz des unwiderruflichen Eintretens der Versicherung mit Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit bis zu deren Beendigung […]) in die Pflichtversicherung einbezogen wird.

15 Die Abgabe einer Versicherungserklärung bewirkt daher, dass das Versicherungsverhältnis auch dann für den Zeitraum der Ausübung der betreffenden selbständigen Erwerbstätigkeit bestehen bleibt, wenn sich nach Einlangen des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides herausstellt, dass die Versicherungsgrenze entgegen der abgegebenen Erklärung unterschritten wurde. Insoweit kommt der Versicherungserklärung die Rechtswirkung eines „opting in“ zu: Es ist von der Sozialversicherungsanstalt bei Entgegennahme der Erklärung nämlich nicht zu prüfen, ob tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erklärung, es werde die Versicherungsgrenze überschritten werden, realistischen Annahmen entspricht. Maßgeblich ist ausschließlich, ob die betreffende Person eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG tatsächlich ausübt, ob durch diese Tätigkeit nicht nach anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen eine Pflichtversicherung eingetreten ist und ob sie die erwähnte Erklärung betreffend das voraussichtliche Überschreiten der Versicherungsgrenze abgegeben hat. Es hängt daher der Sache nach nur von einer Willenserklärung des Versicherten ab, ob er unabhängig von der tatsächlichen Höhe der erzielten Einkünfte versichert sein möchte oder ob er nur im Nachhinein unter der Voraussetzung versichert sein möchte, dass nach dem jeweiligen Einkommensteuerbescheid die Einkünfte im betreffenden Kalenderjahr die Versicherungsgrenze überstiegen haben.

16 Will daher der Versicherte vor dem Vorliegen des endgültigen Einkommensnachweises die durch eine Erklärung begründete Versicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG wieder beenden, so genügt gemäß § 7 Abs 4 Z 3 GSVG die Erklärung, dass die maßgebliche(n) Versicherungsgrenze(n) auf Grund der voraussichtlichen Einnahmen (doch) nicht überschritten werde(n). Eine derartige Erklärung beendet sodann die Pflichtversicherung mit dem Letzten des Kalendermonats, in dem die Erklärung abgegeben wird. Sie hindert nach dem Gesagten zwar nicht eine (rückwirkende) Feststellung der Pflichtversicherung für denselben Zeitraum […], wohl aber schiebt sie die Durchführung dieser Versicherung bis zu jenem Zeitpunkt auf, zu dem der entsprechende Einkommensteuerbescheid vorliegt. […] Wenn und solange weder eine Versicherungserklärung im Sinne des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG (noch ein Einkommensteuerbescheid) für das betreffende Jahr vorliegt, kann über die Pflichtversicherung in diesem Jahr nicht abgesprochen werden (VwGH 30.6.2009, 2008/08/0272). 435

17 Demnach ist eine Versicherungserklärung im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG zweiter Satz GSVG keine Wissenserklärung. Sie ist als Willenserklärung des Versicherten darauf gerichtet, in die Pflichtversicherungen in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung einbezogen werden zu wollen (opting in).

18 Öffentlich-rechtliche Willenserklärungen müssen zwar frei von Willensmängeln sein, um Rechtswirkungen zu entfalten. Auf die Absichten, Motive und Beweggründe, welche eine Partei zur Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einer Behörde veranlasst haben, kommt es hingegen nicht an, solange keine Anhaltspunkte vorliegen, dass sie dazu von der Behörde durch Druck, Zwang oder Drohung bewogen wurde […].

19 Den Feststellungen zufolge hat die Mitbeteiligte bei Abgabe ihrer Versicherungserklärung für das Kalenderjahr 2017 damit gerechnet, dass alle Tätigkeiten für die genannten Auftraggeber in diesem Jahr als selbständige Tätigkeiten im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG zu qualifizieren sein würden. Dies und die damit verbundene unrichtige Vorstellung über die Höhe der Einkünfte aus diesen selbständigen Tätigkeiten im Jahr 2017 war Beweggrund für die Abgabe der Versicherungserklärung, sie betraf aber nicht deren Inhalt. Nach dem Gesagten kommt es aber auf die Beweggründe, welche die Partei zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst haben, nicht an. Der Umstand, dass die Einkünfte der Mitbeteiligten entgegen ihren Erwartungen die maßgebliche Versicherungsgrenze unterschritten haben, kann sohin an den Rechtswirkungen der Versicherungserklärung nichts ändern.“

ERLÄUTERUNG

Diese E bietet einen Überblick über den Eintritt und das Weiterbestehen einer Vollversicherung als sogenannter Neuer Selbständiger nach dem GSVG (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG), unabhängig davon, ob die „Geringfügigkeitsgrenze“ überschritten wird oder nicht. Voraussetzung für dieses „opting-in“ in die Vollversicherung ist lediglich die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit und die Prognose, die Grenze zu überschreiten. Im Unterschied zu „opting in“-Möglichkeiten bei unselbständigen Tätigkeiten (zB Selbstversicherung bei geringfügiger Beschäftigung) wird keine Tätigkeit unter der Geringfügigkeitsgrenze gemeldet, sondern – im Gegenteil – bekannt gegeben, dass der Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet (bzw überschreiten wird).

Der Grund für diese Vorgehensweise liegt darin, dass der Gewinn im Kalenderjahr und damit der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides feststeht. Um den sofortigen Eintritt der Vollversicherung zu gewährleisten, wird davon ausgegangen, dass sich die Prognose des Versicherten verwirklicht. Wenn sich dies als falsch erweist und der Gewinn doch unter der Grenze bleibt, soll nicht eine nachträgliche Versicherungslücke geschaffen werden. Die Vollversicherung bleibt so lange aufrecht, bis eine Unterschreitung der Geringfügigkeitsgrenze bekannt gegeben wird. Es handelt sich bei dieser Bekanntgabe somit um eine Prognose, die zur Pflichtversicherung führt. Weil es um den Eintritt der Pflichtversicherung geht, ist diese auch nie von Willenserklärungen, sondern immer nur vom Vorliegen bestimmter Tatbestände abhängig. Wurde wie im vorliegenden Fall eine Überschreitungsmeldung nach dem GSVG abgegeben, kann dieses „opting in“ auch nicht rückgängig gemacht werden, wenn sich nachträglich durch eine sogenannte Umqualifizierung eines Teils der Einkünfte zu einem Dienstverhältnis ergibt, dass der Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit unter der Pflichtversicherungsgrenze lag. Aber auch bei Inanspruchnahme von opting-in Möglichkeiten in eine freiwillige Versicherung entsteht kein zivilrechtlicher Vertrag, der aufgrund von Willensmängeln angefochten werden kann, sondern es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Erklärung.