188Keine Anrechnung des bayerischen Familiengeldes auf das österreichische Kinderbetreuungsgeld
Keine Anrechnung des bayerischen Familiengeldes auf das österreichische Kinderbetreuungsgeld
Das Erfordernis des Vorliegens von Leistungen gleicher Art (Art 10 VO 883/2004) gilt auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53.
Das bayerische Familiengeld ist keine mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbare Leistung.
Der Kl, seine Lebensgefährtin und die am 21.8.2017 geborenen gemeinsamen Kinder – Tochter und Sohn – haben ihren Wohnsitz und Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich. Der Kl ist in Deutschland, seine Lebensgefährtin in Österreich unselbständig beschäftigt. Die Mutter der Kinder vereinbarte mit ihrem DG von 14.11.2017 bis 13.5.2019 eine Karenz nach dem Mutterschutzgesetz (MSchG) und bezog vom 21.8.2017 bis 20.8.2018 Kinderbetreuungsgeld. Der Kl vereinbarte mit seinem deutschen DG Elternzeit (Karenz) von 6.8. bis 20.8.2018. Der Kl und seine Lebensgefährtin erhielten bayerisches Familiengeld für die Tochter vom 1.10. bis 20.10.2018 iHv € 166,67, sowie vom 21.10.2018 bis 20.8.2020 iHv € 250,- monatlich. Zudem wurde das deutsche Elterngeld für beide Kinder vom 21.9. bis 20.10.2018 ausbezahlt.
Mit Bescheid lehnte die (damalige) Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) den Antrag des Kl auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 21.8. bis 21.10.2018 ab und begründete ihre Entscheidung damit, dass die Karenz der Lebensgefährtin des Kl ab 22.9.2018 keine gleichgestellte Situation iSd § 24 Abs 2 und 3 KBGG mehr darstelle, da eine gleichzeitige Inanspruchnahme einer inund ausländischen Karenz beider Elternteile nicht zulässig sei. Die vorrangige Zuständigkeit zur Gewährung von Leistungen habe daher mit 1.10.2018 von Österreich zu Deutschland gewechselt. Für den Zeitraum von 1.10. bis 21.10.2018 bestehe kein Anspruch des Kl auf Ausgleichszahlung, weil die in diesem Zeitraum bezogenen deutschen Leistungen höher als eine potentielle Ausgleichsleistung seien. Der verbleibende Bezugszeitraum von 21.8. bis 30.9.2018 umfasse nicht mindestens 61 Tage und entspreche daher nicht § 3 Abs 5 KBGG [Anm: richtig wäre § 24b Abs 4 KBGG].
Das Erstgericht sprach das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens vom 21.8. bis 20.9.2018, sowie ab 21.10.2018 täglich iHv € 66,- sowie vom 21.9. bis 20.10.2018 – unter Anrechnung des deutschen Elterngeldes, als gleichartige Familienleistung – in reduzierter Höhe von € 24,54 täglich zu und sah den Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 als eröffnet an. Das Berufungsgericht gab der von der SGKK erhobenen Berufung nicht Folge und ließ die Revision zu.
Die Revision der Bekl war, entgegen dem den OGH nicht bindenden Zulassungsausspruch, unzulässig und wurde mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
„1.2 Schon das Erstgericht hat das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nur als Ausgleichszahlung zuerkannt, soweit der Kläger in Deutschland Elterngeld bezogen hat. Auch unter der Annahme einer bloß nachrangigen Zuständigkeit Österreichs könnte im vorliegenden Fall bloß 439 das dem Kläger ab 1.10.2018 gezahlte bayerische Familiengeld als – weitere – anrechenbare Familienleistung in Frage kommen. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das die dazu erforderliche Gleichartigkeit beider Leistungen begründet verneint hat, zeigt die Revisionswerberin nicht auf (vgl zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld 10 ObS 1/20z).
2. Die Revisionswerberin hält ihren Standpunkt aufrecht, dass es für Geburten ab dem 1.3.2017 gemäß § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 für die Beurteilung der Anrechenbarkeit einer ausländischen Familienleistung auf das Kinderbetreuungsgeld nicht mehr auf die Vergleichbarkeit der Leistungen ankomme. Dem ist bereits das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 108/19h und 10 ObS 110/19b entgegengetreten. Danach gilt das Erfordernis des Vorliegens von Leistungen gleicher Art (Art 10 VO 883/2004) auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 (so auch 10 ObS 141/19m; RS0125752 [T3]). […]
3. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob das bayerische Familiengeld als Leistung gleicher Art wie das österreichische Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens angesehen werden kann und es daher bei der Berechnung des der Klägerin geschuldeten Unterschiedsbetrags berücksichtigt werden darf (EuGH Rs C347/12, Wiering, Rn 62 mwH). Diese Frage lässt sich […] nach den eindeutigen Bestimmungen des Bayerischen Familiengeldgesetzes […] und des österreichischen Kinderbetreuungsgeldgesetzes beurteilen, sodass allein der Umstand, dass Rechtsprechung dazu fehlt, noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RS0042656).
4. In der […] Entscheidung 10 ObS 141/19m verneinte der Oberste Gerichtshof die Vergleichbarkeit des Betreuungsgeldes nach dem deutschen Bundeselterngeld- und Elternteilzeitgesetz (BEEG) […]. Wesentlich ist daraus hervorzuheben, dass auch für das deutsche Betreuungsgeld ein Erwerbseinkommen und dessen Höhe irrelevant sind, während eine wesentliche Voraussetzung für das Kinderbetreuungsgeld darin liegt, dass bestimmte Einkommensgrenzen (§ 24 Abs 1 Z 3 KBGG) nicht überschritten werden. Das deutsche Betreuungsgeld kann aufgrund seiner geringen Höhe keinen Ausgleich für den Verzicht auf ein Erwerbseinkommen leisten. […]
5.1 […] das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld [erlaubt] anders als das bayerische Familiengeld während des Bezugs nur eine geringe Erwerbstätigkeit […]. Daher ist das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens auch mit seinem (niedrigsten) Tagsatz von 33,88 EUR nach dieser Gesetzesstelle rund viermal so hoch wie das bayerische Familiengeld, das für das erste und zweite Kind des Berechtigten jeweils 250 EUR pro Monat, für das dritte und jedes weitere Kind des Berechtigten jeweils 300 EUR pro Monat beträgt (Art 3 Nr 1 Satz 1 BayFamGG). Aus der unterschiedlichen Höhe der Leistungen ergibt sich […] ein Hinweis auf den unterschiedlichen Sinn und Zweck des bayerischen Familiengeldes und des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens.
5.2 Dem Argument der Beklagten, dass auch das bayerische Familiengeld existenzsichernd sei, ist der Wortlaut des Art 1 Satz 3 und 4 BayFamGG entgegenzuhalten: „Das Familiengeld dient damit nicht der Existenzsicherung. Es soll auf existenzsichernde Sozialleistungen nicht angerechnet werden.“
[…]
5.3 Dass umgekehrt selbst dem österreichischen pauschalen Kinderbetreuungsgeld – und umso mehr dem Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens – existenzsichernder Charakter zukommt, ergibt sich etwa auch aus § 10 Abs 1 Z 7 und Abs 5 letzter Satz StbG. Danach gilt als Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft der Lebensunterhalt einer/s Fremden für die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt auch dann als hinreichend gesichert, wenn in diesem Zeitraum Kinderbetreuungsgeld nach dem KBGG bezogen wurde. Schließlich ist Kinderbetreuungsgeld – anders als das bayerische Familiengeld – auch als Einkommen auf Leistungen der Mindestsicherung (Sozialhilfe) anzurechnen (vgl zB § 4 Abs 1 Z 5 der Oberösterreichischen SozialhilfeV 1998, oö LGBl 1998/118 idgF, oder die Leistungen nach dem KBGG ausdrücklich erwähnende Kostenersatzregelung des § 24a Wiener Mindestsicherungsgesetz, WMG, Wr LGBl 2011/02 idgF).
5.4 Das bayerische Familiengeld dient – anders als das Kinderbetreuungsgeld – nicht der (teilweisen) Abgeltung bloß allgemeiner, auch außerhäuslicher Betreuungsleistungen für das Kind. Das bayerische Familiengeld darf nur beziehen, wer […] für eine förderliche frühkindliche Betreuung des Kindes sorgt (Art 2 Nr 1 Z 3 BayFamGG). […]
5.5 […] das bayerische Familiengeld [hat] anders als das österreichische pauschale Kinderbetreuungsgeld gerade nicht den Zweck […], (ganz allgemein) familiäre oder außerhäusliche Betreuungsleistungen (zumindest teilweise) abzugelten, sondern „qualitativ“ die frühe Erziehung und Bildung der Kinder sowie ihre Gesundheit (nur) durch den das Kind selbst erziehenden Anspruchsberechtigten zu fördern (Art 1 Satz 2 BayFamGG). […]“
Zur Vergleichbarkeit – Gleichartigkeit – von Familienleistungen der Mitgliedstaaten ist auszuführen, dass für den Bereich des Kinderbetreuungsgeldes eine entsprechende Antikumulierungsregel mit § 6 Abs 3 KBGG geschaffen wurde, nach der – sofern Anspruch auf vergleichbare ausländische Leistungen besteht – der Kinderbetreuungsgeldanspruch in Höhe der ausländischen Leistung ruht. Durch 440 die Neuregelung des § 6 Abs 3 KBGG (idgF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53, mit 1.3.2017 in Kraft gem § 50 Abs 15 KBGG) wurde die Anrechnung nicht nur gleichartiger, sondern sämtlicher ausländischer Familienleistungen gesetzlich normiert. Demnach sei nicht mehr die nationale Ausgestaltung der einzelnen Leistungen bzw deren Vergleichbarkeit maßgeblich, sondern nur mehr die europarechtliche Einordnung als Familienleistung iSd Definition des Art 1 lit z der VO (EG) 883/2004 (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP zu Art 2 Z 18). Den Mitgliedstaaten stehe es demnach frei, bei der Anrechnung von ausländischen Familienleistungen alle Familienleistungen des primär zuständigen Staats anzurechnen und somit die Höhe der eigenen Leistung zu reduzieren. Die Revisionswerberin hielt ihren Standpunkt in diesem Sinne aufrecht und ließ dabei außer Acht, dass in einer der jüngst ergangenen E (OGH 13.9.2019, 10 ObS 110/19b) der novellierte § 6 Abs 3 KBGG – im Hinblick auf die im Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 weiterhin maßgebliche Rsp des EuGH (8.5.2014, C-347/12, Wiering) – insoweit als unionsrechtswidrig erachtet wurde, als die Bestimmung nicht auf die Vergleichbarkeit der Familienleistungen abstellt.
Im vorliegenden Fall erklärten daher sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht – dieses unter Hinweis auf die Entscheidungen des OGH vom 13.9.2019, 10 ObS 108/19h und OGH10 ObS 110/19b –, dass, soweit § 6 Abs 3 KBGG eine über das Erfordernis der Gleichartigkeit hinausgehende Anrechnung von Familienleistungen eines anderen Mitgliedstaats vorsehe, diese Bestimmung unionsrechtswidrig und daher nicht anwendbar sei.
Eine Gleichartigkeit des bayerischen Familiengeldes mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld liegt nicht vor, denn beide Leistungen verfolgen unterschiedliche Ziele. Die unterschiedliche Zweckwidmung dieser Familienleistungen ist nach dem Gesetzeswortlaut des Bayerischen Familiengeldgesetzes vom 24.7.2018 (GVBl S 613, 622, Bay-RS 21707A, geändert durch Art 10 des Gesetzes vom 24.5.2019, GVBl S 266) und des österreichischen KBGG eindeutig. Das Kinderbetreuungsgeld ist selbst in der Pauschalvariante wesentlich höher (nunmehr § 3 Abs 1, § 5 Abs 1 KBGG) und soll in seiner (teilweisen) Einkommensersatzfunktion Eltern ermöglichen, sich – unter Verzicht auf eine (Voll)Erwerbstätigkeit – der Betreuung ihres Kleinkindes zu widmen. Dagegen soll das bayerische Familiengeld – als eine „Weiterentwicklung“ des bayerischen Landeserziehungsgeldes (Art 1 Satz 1 BayFamGG) – eine über eine Betreuung hinausgehenden frühkindlichen Förderung des Kindes ermöglichen. Es gebührt Eltern als „Anerkennung ihrer Erziehungsleistung“ (Art 1 Satz 1 BayFamGG). Dieser Charakter wird dadurch verstärkt, dass diese Leistung gerade nicht im ersten (besonders betreuungsintensiven) Lebensjahr des Kindes ausbezahlt wird, sondern gem Art 3 Nr 3 BayFamGG erst in der Zeit vom ersten Tag des 13. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats des Kindes bezogen werden kann.
Anzumerken ist, dass durch die VO (EG) 883/2004 im Vergleich zur VO (EWG) 1408/71 keine Änderung eintrat. Dies ergibt sich schon aus der allgemeinen Antikumulierungsregelung des Art 10 VO (EG) 883/2004, die die Rechtslage nach Art 12 VO (EWG) 1408/71 unverändert fortsetzt. Die Neuregelung der Familienleistungen in Art 1 lit z VO (EG) 883/2004 verfolgt lediglich die Absicht, diese in ihrer Gesamtheit zu regeln. Der OGH hat bereits in seiner E vom 24.1.2017, 10 ObS 146/16t, ausgeführt, dass das vom EuGH festgelegte Erfordernis der Gleichartigkeit im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 weiterhin Gültigkeit hat. Dass es – soweit es um die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 geht – zu einem Systemwandel gekommen wäre und in Abkehr von der bisherigen Rsp des EuGH sämtliche und nicht nur gleichartige Familienleistungen angerechnet werden sollten, ist weder aus der in Art 1 lit z der VO (EG) 883/2004 enthaltenen Begriffsdefinition noch aus der allgemeinen Antikumulierungsregel des Art 10 VO 883/2004 iVm Art 68 der VO (EG) 883/2004 abzuleiten (siehe Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 f).