Ausgewählte Rechtsfragen zu § 2f AVRAG
Ausgewählte Rechtsfragen zu § 2f AVRAG
Der am 1.1.2016 in Kraft getretene § 2f Arbeitsvertragsrechts- Anpassungsgesetz (AVRAG) verpflichtet AG, den AN bei Fälligkeit des Entgelts eine Lohnabrechnung zu übermitteln. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung dem Transparenzgebot Rechnung tragen. Der nachfolgende Beitrag behandelt ausgewählte Problemstellungen, die in der Literatur bisher nicht bzw nur am Rande thematisiert wurden.*
Der AN hat Anspruch auf eine „schriftliche, übersichtliche, nachvollziehbare und vollständige“ Lohnabrechnung. Bei erstem Kriterium besteht Einigkeit darüber, dass keine Unterschriftlichkeit verlangt wird, da das Schriftformgebot eine transparente Abrechnung, aber keinen Übereilungsschutz gewährleisten soll. Unabhängig davon ist schwer vorstellbar, wie eine „nicht schriftliche“ Lohnabrechnung aussehen sollte. Die bloße Mitteilung des AG, welche Ansprüche in welcher Höhe abgerechnet wurden, entspricht § 2f AVRAG nicht. In der Praxis ist dieses Problem meist auf zwei Konstellationen zu reduzieren – entweder stellt der AG eine Lohnabrechnung mit Hilfe eines Lohnverrechnungsprogramms aus (die stets das genannte Schriftformgebot erfüllt) oder gar keine.
Fraglich ist, ob dem Schriftformgebot auch entsprochen wird, wenn der AG die Lohnabrechnung abfotografiert und dem AN per WhatsApp schickt. Ausgehend vom Normzweck, dem AN eine Kontrollmöglichkeit zu verschaffen und den Inhalt der Abrechnung transparent und nachvollziehbar darzustellen, ist eine Übermittlung per WhatsApp mE nicht zulässig. Wenn dies dem OGH zufolge bereits für einem Schriftformgebot unterliegende Kündigungen gilt,* die meist spärliche Informationen aufweisen, so muss dies umso mehr für Lohnabrechnungen mit umfangreichen und detaillierten Inhalten gelten, deren Überprüfung wesentlich erleichtert wird, wenn die Abrechnung physisch zur Verfügung steht und nicht nur am Handy in oft unleserlichem Format.
Die Kriterien der Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit sollen gewährleisten, dass dem AN seine Ansprüche augenscheinlich gemacht werden.* Dazu zählt auch die Lesbarkeit.* Die in der Praxis üblichen edv-basierten Lohnabrechnungen werden diesen Anforderungen gerecht. Lohnabrechnungen, die fiktiv erstellt wurden und die tatsächliche Bezahlung nicht korrekt abbilden, entsprechen dem Kriterium der Nachvollziehbarkeit nicht.* Gleiches gilt bei in der Abrechnung enthaltenen, ungewidmeten Akontozahlungen, denen nicht entnommen werden kann, welche Entgeltbestandteile ausbezahlt wurden.*
Nachvollziehbarkeit bedeutet, dass sämtliche Entgelte und Aufwandsersätze als solche bezeichnet (Gehalt, Urlaubszuschuss, Prämie, Urlaubsersatzleistung, 452 Taggeld etc) und in der Abrechnung betragsmäßig inklusive der Bemessungsgrundlage dargestellt sind. Daraus folgt mE auch, dass eine Überstunden-(ÜST-)Pauschale eigens ausgewiesen sein muss, ansonsten die Widmung nicht erkennbar ist.* Nicht erforderlich ist, dass die Pauschale eigens aufgesplittet wird, wenngleich dies schon aus steuerlichen Gründen zu empfehlen ist.* Bei All-In-Vereinbarungen wird die betragliche Darstellung der Entgelte und ihre Widmung wohl nicht verlangt werden können, zumal § 2g AVRAG dafür ohnehin eine eigene Transparenzverpflichtung aufstellt. Die Vermeidung bzw Erläuterung von Abkürzungen in den Lohnabrechnungen ist mE nicht notwendig.* Ungeachtet dessen, dass zahlreiche Erläuterungen die Unübersichtlichkeit der Abrechnung fördern könnten, handelt es sich dabei oft um Kürzel, die sich aus der Anwendung des Lohnverrechnungsprogramms ergeben, und für den AN unwesentlich sind. Derartige Abkürzungen erschweren ihm die Geltendmachung seiner Ansprüche grundsätzlich nicht.*
Die Frage, wann eine Lohnabrechnung vollständig ist, wurde in der OGH-E 8 ObA 41/18i* zutreffend gelöst und ausgesprochen, dass formelle Vollständigkeit genügt. Das bedeutet, dass für den AN anhand der Lohnabrechnung erkennbar sein muss, welche Beträge inklusive ihrer Zweckwidmung abgerechnet wurden und wie sich aus diesen der Nettobetrag zusammensetzt. Der AG ist nicht verpflichtet, aus seiner Sicht nicht zustehende Ansprüche in die Lohnabrechnung mit aufzunehmen, geht doch damit die Auszahlung eines Betrags einher, der dem AN nach Meinung des AG nicht gebührt. Für daraus resultierende Auffassungsunterschiede steht in weiterer Folge das Gerichtsverfahren offen, in dem endgültig und objektiv geklärt wird, ob die Lohnabrechnung vollständig und damit inhaltlich richtig war.*
Der Gesetzgeber verfolgt mit § 2f AVRAG das Ziel, Transparenz herzustellen. Der AN soll eine nachvollziehbare Übersicht betreffend die abgerechneten Ansprüche erhalten, mit der er sich Klarheit darüber verschaffen kann, ob er ordnungsgemäß bezahlt, oder ob ihm etwas vorenthalten wurde. Die Lohnabrechnung stellt dabei mE die einzige verlässliche Grundlage zur Anspruchskontrolle dar. Erst ab dem Zeitpunkt des Erhalts derselben kann sinnvoll und seriös* beurteilt werden, ob der AN in seinen Ansprüchen verkürzt wurde und etwas nachzufordern ist. Ohne Lohnabrechnung wird dem AN die Geltendmachung von Ansprüchen erheblich erschwert. Unterstrichen und „flankiert“ wird dieser zentrale Zweck der Bestimmung durch § 78 Abs 5 EStG und meist durch eine einschlägige Verpflichtung im KollV. Im Regelfall ist der AG daher auf Basis dreier normativer Vorgaben verpflichtet, eine Lohnabrechnung auszustellen. Mit Einführung des § 2f AVRAG stellte der Gesetzgeber jedenfalls klar, dass er das Transparenzgebot in Bezug auf die Ansprüche des AN für so wichtig erachtet, dass er die Verpflichtung zur Übermittlung einer Lohnabrechnung nicht mehr nur den Kollektivvertragsparteien überlässt.
Dem Wortlaut zufolge handelt es sich beim Anspruch auf Übermittlung der Lohnabrechnung um keine Holschuld. Der Gesetzgeber selbst unterscheidet in § 2f Abs 1 und 2 AVRAG bewusst zwischen „übermitteln“ und „aushändigen“.*
ME ordnet der Gesetzgeber eine Bringschuld an, und zwar sowohl für die herkömmliche als auch für die elektronische Übermittlung. Dies zeigt sich vor allem daran, dass der Anspruch auf die Lohnabrechnung mit der Fälligkeit des Entgelts verknüpft wurde und es sich bei letzterer um eine Bringschuld handelt (§ 907a ABGB). Die beiden Ansprüche sind untrennbar miteinander verbunden, da ohne Geldanspruch auch kein Anspruch auf eine dazugehörige Lohnabrechnung besteht. Der Gesetzgeber wollte offenkundig keine unterschiedlichen Fälligkeiten einführen. Dies wäre aber der Fall, würde man die gesetzliche Anordnung als Schickschuld betrachten, da in diesem Fall das Absenden der Lohnabrechnung am Fälligkeitstag ausreicht, wohingegen bei einer Bringschuld die Lohnabrechnung – wie auch das Entgelt – bei Fälligkeit beim AN eingelangt sein muss.* Aus der Qualifikation als Bringschuld ergibt sich weiters, dass sämtliche Kosten der Übermittlung der AG zu tragen hat (zB die Einschreibegebühr) und dass der AN im Fall des Verlusts der Abrechnung am Postweg oder im virtuellen Raum einen kostenlosen Anspruch auf ein Duplikat hat.
Bei elektronischer Übermittlung wird die Abrechnung meist als PDF-Datei an die dienstliche oder private Adresse des AN gemailt. Auch eine 453 Übermittlung per Fax fällt unter den elektronischen Versand. Zu beachten ist, dass § 2f AVRAG einseitig zwingend ist, dh, dass ungünstigere Vereinbarungen unzulässig sind. Fraglich ist damit, ob kollektivvertragliche Bestimmungen (zB Pkt 7 lit b des KollV für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe), die eine Holschuld anordnen, weiter anzuwenden sind. Gleiches gilt für – meist konkludente – Einzelvereinbarungen, nach denen die Abrechnungen im Betrieb zur Abholung bereitgehalten werden.
Beim Günstigkeitsvergleich ist auf das einzelne Arbeitsverhältnis abzustellen.* Es ist davon ausgehend mE danach zu differenzieren, ob sich der AN bei Fälligkeit der Lohnabrechnung im Betrieb aufhält. Ist es ihm aufgrund dessen möglich, sich diese bspw im Personalbüro abzuholen, ist er nicht ungünstiger gestellt. Gleich günstige Regelungen sind im Rahmen des § 16 AVRAG zulässig. Anders verhält es sich bei am Fälligkeitstag abwesenden AN (Urlaub, Krankenstand,* arbeitsfreies Wochenende, wenn der Fälligkeitstag ein Sonntag ist). Hier ist der AG verpflichtet, die Lohnabrechnung so zu übermitteln, dass sie den AN bei Fälligkeit erreicht, oder sie ist vor Fälligkeit im Betrieb bereit zu halten. Gleiches gilt bei AN, die bspw in einer Filiale, im Außendienst oder auf Baustellen arbeiten und einen Umweg oder nur deshalb in den Betrieb fahren müssten, um sich die Lohnabrechnung abzuholen. Der AG ist bei abwesenden AN nicht berechtigt, seine Bringschuld nicht zu erfüllen, indem er die Abrechnung einfach so lange bereithält, bis der AN wieder im Betrieb ist, da dies der einseitig zwingenden Fälligkeitsbestimmung widerspricht und nicht jene Partei zur Beseitigung der Verzugsfolgen verpflichtet ist, die den Verzug nicht zu vertreten hat.*
Bei meist kündigungsbedingten Dienstfreistellungen kommt es häufig vor, dass dem AN der Zugang zum dienstlichen Account gesperrt wird, an den die Lohnabrechnung bisher gemailt wurde. In diesem Fall hat der AG die Lohnabrechnung ebenfalls auf andere geeignete Weise zu übermitteln (per Post oder bei Zustimmung des AN an den privaten E-Mail-Account), der AN ist nicht verpflichtet, den Betrieb aufzusuchen, um sich diese abzuholen.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Bringschuld des AG steht die Frage des Zugangs der Lohnabrechnung. Der AG hat im Streitfall – den allgemeinen Beweislastregeln folgend – sämtliche für ihn günstigen Tatsachen zu beweisen. Dazu zählt auch der Zugang der Lohnabrechnung beim AN.* Bei Übermittlung der Lohnabrechnung per Post ist dieser Nachweis durch eine eingeschriebene Sendung zu erbringen, die bloße Aufgabe der Lohnabrechnung zur Post begründet keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für den Zugang.* Bei elektronischem Versand per Email wird eine Empfangs- und Lesebestätigung überwiegend als ausreichend erachtet.* Demgegenüber ist die Faxbestätigung kein Beweis für den Zugang.* Sollte eine zulässige Vereinbarung darüber getroffen worden sein, dass die Lohnabrechnung im Betrieb zur Abholung bereitliegt, so hat der AG nachzuweisen, dass der AN darüber informiert und ihm die Abholung auch tatsächlich ermöglicht wurde,* wobei eine Empfangsbestätigung durch Unterschrift alle etwaigen Zweifel am Zugang beseitigen würde.
§ 2f AVRAG eröffnet dem AN einen zivilrechtlichen Anspruch auf Übermittlung einer Lohnabrechnung.* Dieser ist demzufolge auch vor den Arbeitsgerichten durchsetzbar. Der OGH vertritt in der E vom 28.8.2018, 8 ObA 41/18i, die Meinung, dass dieser Anspruch nicht gemeinsam mit einem Geldleistungsbegehren erhoben werden kann.*Eypeltauer* hat diese Rsp berechtigt kritisiert, da sie nicht nur wenig prozessökonomisch ist (schließlich müssten zwei getrennte Verfahren geführt werden, wenn der AG bspw den zugesprochenen Betrag zwar bezahlt, aber keine dazugehörige Lohnabrechnung übermittelt oder umgekehrt), sondern auch § 227 ZPO widerspricht, der das Erheben mehrerer 454 Leistungsbegehren ermöglicht, wenn das Prozessgericht für beide Ansprüche zuständig und dieselbe Verfahrensart zulässig ist, was hier nicht zweifelhaft sein kann. Verliert der Kl das Begehren auf die Geldleistung, wird ihm auch das Begehren auf Übermittlung einer Lohnabrechnung über diesen Betrag abgewiesen, und umgekehrt. Würde der AN hingegen nur den Geldbetrag einklagen, und gesondert die Lohnabrechnung, könnte er Gefahr laufen, dass die Kosten des zweiten Verfahrens mangels Notwendigkeit nicht ersetzt werden.*
Fraglich ist, ob auch die zugesprochenen Verzugszinsen (§ 49a ASGG) zwingend in die Lohnabrechnung aufzunehmen sind. Dies wird mE zu bejahen sein, da es sich beim Zinszuspruch ebenfalls um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis handelt, dessen Abrechnung der AG transparent und nachvollziehbar zu gestalten hat. Der AN wird die Zinsen – speziell der Höhe nach – erst überprüfen können, wenn ihm das vom AG errechnete Ergebnis durch die Lohnabrechnung offengelegt wurde. Nicht zu vergessen ist, dass die Verzugszinsen der Lohnsteuerpflicht unterliegen.*
Begehrt die klagende Partei daher bspw € 1.000,- brutto an anteiligen Sonderzahlungen, so lautet das Klagebegehren nach der hier vertretenen Ansicht 1. auf Zahlung der € 1.000,- brutto samt Zinsen und 2. auf Übermittlung einer Lohnabrechnung über den Betrag von € 1.000,- brutto an anteiligen Sonderzahlungen samt Zinsen. Werden in der Folge € 750,- brutto zugesprochen, ist der Urteilsspruch zu Pkt 2. entsprechend anzupassen. Darin liegt kein Verstoß gegen § 405 ZPO, da die Gerichte stets berechtigt sind, ein Minus zuzusprechen. Sollte der AN zwar einen Geldbetrag (bspw € 1.000,- netto), aber keine Abrechnung erhalten haben, und ist für ihn nicht feststellbar, welche Einzelleistungen in der ausbezahlten Summe enthalten sind, ist das Klagebegehren auch dann ausreichend bestimmt, wenn eine Lohnabrechnung über den bezahlten Betrag von € 1.000,- netto begehrt wird.
Von § 227 ZPO gedeckt ist mE auch ein über das Geldleistungsbegehren hinausgehendes Abrechnungsbegehren. Erhält der AN bspw bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar seinen Lohn, aber keine Abrechnung und keine Weihnachtsremuneration (WR), lautet das Klagebegehren 1. auf Zahlung der WR in Höhe von EUR 1.200 brutto samt Zinsen und 2. auf Übermittlung einer Lohnabrechnung über den bezahlten Lohn von – bspw – EUR 1.000 netto und der WR in Höhe von EUR 1.200 brutto samt Zinsen. Gebührt die WR dem AN nicht und gewinnt er daher nur das Begehren auf die Abrechnung über den bezahlten Lohn, hat das Gericht bei Ermittlung der Obsiegensquote die einzelnen Begehren zueinander abzuwägen.*
Zur Bewertung des Klagebegehrens ist – bei alleiniger Geltendmachung der Lohnabrechnung – auf § 56 Abs 2 JN zu verweisen, wonach ein nicht in Geld ausgedrücktes Klagebegehren von der klagenden Partei frei zu bewerten ist. Sollte der OGH beide Begehren in einer Klage zulassen, so sind in Anlehnung an die Rsp zum Dienstzeugnis die Streitwerte nicht zusammenzurechnen.*
Stellt der AG trotz rechtskräftiger Verpflichtung keine Lohnabrechnung aus, ist der AN auf das Exekutionsverfahren verwiesen. Wie beim Dienstzeugnis* ist ein Antrag auf Bewilligung der Exekution gem § 354 EO zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung zu stellen, zuständig ist nach § 18 Z 4 zweiter Fall iVm § 17 EO jenes Bezirksgericht, in dessen Sprengel die erste Exekutionshandlung – die Zustellung der Exekutionsbewilligung – tatsächlich vorzunehmen ist.* Die Zustellung erfolgt an die Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustG, dh bei juristischen Personen im Regelfall an deren Sitz bzw bei natürlichen Personen an deren Wohnsitz.*
Durch eine Insolvenzeröffnung geht mE die Verpflichtung des AG zur Übermittlung einer Lohnabrechnung auf den Masseverwalter über, und zwar unabhängig davon, ob das betroffene Dienstverhältnis aufrecht ist, oder beendet.* Es handelt sich um keine höchstpersönliche Leistung des Gemeinschuldners iSv § 6 Abs 3 IO. Wenn zudem – entgegen der Ansicht des OGH – beide Begehren (Geldleistung und Ausstellung einer Lohnabrechnung) in einer Leistungsklage zulässig sind und der AG während des Prozesses insolvent wird, sind bei Bestreitung beide Begehren auf den Masseverwalter umzustellen, da zwischen diesen ein so enger Sachzusammenhang besteht, dass eine Teilunterbrechung nicht in Betracht kommt. 455