DowideitDie Angezählten – Wenn wir von unserer Arbeit nicht mehr leben können

Campus Verlag, Frankfurt am Main 2019, 244 Seiten, kartoniert, € 18,95

FRANJOMARKOVIC

In ihrem Buch schreibt Anette Dowideit eindrucksvoll, wie sich die Arbeitswelt für den Einzelnen, aber auch für die Gesamtheit verändert hat. Nicht zum Positiven. Die Autorin hat sich mit dem deutschen Arbeitsmarkt auseinandergesetzt; die Herausforderungen können für den österreichischen Arbeitsmarkt aber fast 1:1 übernommen werden.

Viele Berufe, die einst zur Mittelschicht gehörten, sind bereits abgerutscht oder drohen abzurutschen. Betroffen macht beispielsweise die Entwicklung im öffentlichen Dienst. Man verdient vielleicht nicht so viel wie in der Privatwirtschaft, dafür hat man aber den großen Vorteil eines sicheren Arbeitsplatzes und genießt ein bestimmtes Ansehen. Das war einmal. Heute erhalten LehrerInnen etwa nur noch befristete Verträge, Verbeamtungen finden nur noch sehr selten statt. Über die Sommermonate müssen sie sich arbeitslos melden. Beschäftigte in den Universitäten erzählen von Halbzeitstellen, während sie Vollzeit arbeiten müssen. Planstellen in der Justiz werden nicht mehr nachbesetzt, was dazu führt, dass Anträge monatelang liegen bleiben. StaatsanwältInnen berichten von KollegInnen, die ins Burn-Out schlittern oder gar von Selbstmord.

Ein wunderbares Beispiel ist der Billigflieger Ryanair, der aktuell bei uns in Österreich in den Negativ-Schlagzeilen ist. Er möchte seinen Angestellten Löhne zahlen, die in Österreich unter dem Mindestsicherungssatz liegen. Dieser AG zwang vor der Corona-Krise seine PilotInnen, bei Krankmeldung nach Dublin in die Firmenzentrale zu kommen, um dort an einem „Sick Meeting“ teilzunehmen. Dabei müssen die Beschäftigten dem AG ihre Krankheit genau erklären. Nach geltendem Recht sollte das gar nicht möglich sein, zumindest, wenn deutsches Recht zur Anwendung käme. Das ist hier nicht der Fall. Die deutschen Behörden haben leider versagt und „drücken ein Auge zu“.

Eine besondere Branche ist der Gesundheitsbereich. Junge ÄrztInnen berichten von Klauseln in Arbeitsverträgen, die sie verpflichteten, freiwillig mehr zu arbeiten als sie dürfen. Das ist natürlich ein Verstoß gegen geltendes Recht. Aber sie machen es, weil sie ansonsten keine Chance haben, im Beruf voranzukommen. Niedergelassene ÄrztInnen verschulden sich, um eine Praxis zu gründen, während Honorare nicht erhöht werden. Die Pflege und Betreuung von älteren Menschen übernehmen überwiegend Frauen aus Osteuropa. Sie arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen, bei geringer Bezahlung und mangelnder sozialer Absicherung, während ihre Kinder oftmals alleine und unbeaufsichtigt zu Hause bleiben müssen.

Die Digitalisierung schreitet voran und bringt neue Probleme und Herausforderungen mit sich. In der „Gig-Economy“ hat sie dazu geführt, dass neue Jobs entstanden sind, die nichts mehr mit der herkömmlichen Arbeit, wie wir sie kennen, zu tun haben. Dienstverhältnisse, die sonst gerecht bezahlt werden und sozial abgesichert sind, werden heute von „Clickworkern“ und anderen Scheinselbständigen aus aller Welt durchgeführt. Immer mit der Angst, nicht genügend Geld zum Leben zu haben.

Das Buch macht deutlich, dass auch Hochqualifizierte nicht mehr die Sicherheit haben, von ihrer Arbeit ihr Leben ausreichend finanzieren zu können. Der Arbeitsmarkt hat eine Entwicklung genommen, die es zu stoppen zu gilt.