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Mischbetrieb: Kollektivvertragsanwendung in einem Sanierungsunternehmen

MARTINACHLESTIL

Der Kl ist gelernter Maurer und war bei der Bekl vom 22.6.2015 bis (zur einvernehmlichen Beendigung am) 7.10.2015 als „Sanierungsarbeiter“ beschäftigt. Bei der Bekl handelt es sich um ein – in Österreich und weltweit tätiges – Sanierungsunternehmen, das Leistungen an Geschäfts- und Privatkunden für die rasche und effiziente Beseitigung von Schadensfolgen nach Bränden, Wasser- und Sturmschäden sowie anderen Kontaminationen erbringt.

So wird nach Brandschäden die Baustellensicherung und Brandplatzräumung übernommen, ebenso das Reinigen von kontaminierten Gebäudeoberflächen und Einrichtungsgegenständen, sowie das Zerlegen, Reinigen, Instandsetzen und wieder Montieren von Maschinen und Anlagen, allenfalls die Korrosionsentfernung. Vorwiegend werden Brandrückstände, wie zB Ruß und Teer, entfernt. Nach Wasserschäden beginnt die Arbeit nach der Baustellensicherung mit dem Auffinden und Reparieren der Schadensursache (bei Leitungswasserschäden). Danach wird das Reinigen und Desinfizieren von mit Schlamm, Fäkalwässern oä kontaminierten Gebäudeoberflächen und Einrichtungsgegenständen vorgenommen und im Anschluss die Gebäudekonstruktion mit Trocknungsgeräten ausgetrocknet. In weiterer Folge werden – wie nach Brandschäden – die Zerlegung, Reinigung, Instandsetzung und Korrosionsentfernung an Maschinen und Anlagen durchgeführt. Durch die Trocknungsarbeiten soll Schimmelbefall verhindert werden. Dies erfolgt durch die Installation von Trocknungsgeräten, die die Luftfeuchtigkeit absenken, und durch die Anwendung von Desinfektionsmitteln. Dabei werden handwerkliche Tätigkeiten wie Be- und Entlastungsbohrungen (bei Estrichtrocknungen) und die Aufstellung und Inbetriebnahme von Geräten durchgeführt.

Weiters bietet das Unternehmen nach der Beseitigung des unmittelbaren Schadens auch Wiederherstellungsarbeiten von beschädigten Gebäudeteilen und des Inventars an. Diese Tätigkeiten umfassen insb die bauliche Instandsetzung von Gebäudeteilen (Reparieren der Gebäudestruktur als allgemeine Bauleistung), Maler- und Bodenlegerarbeiten, aber auch Installationsarbeiten. Diese Leistungen stehen aber im Regelfall im Zusammenhang mit vorhergehenden Reinigungsleistungen nach Brand- oder Wasserschäden.

Für diese Tätigkeiten verfügt die Bekl über mehrere Gewerbeberechtigungen. Im Rechtsmittelverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Betrieb der Bekl ein sogenannter Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG ist. Zu klären ist aber die Frage, ob der Kl zurecht Nachzahlungen nach dem KollV für ArbeiterInnen in der Bauindustrie und im Baugewerbe (KollV Baugewerbe) begehrt oder ob er – wie die Bekl meint – zutreffend nach dem KollV für ArbeiterInnen in der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung, im sonstigen Reinigungsgewerbe und in Hausbetreuungstätigkeiten (KollV Gebäudereinigung) entlohnt worden ist.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die wirtschaftlich maßgebliche Bedeutung für die Bekl liege im Bereich der Reinigungsleistungen und es finde somit der KollV Gebäudereinigung Anwendung. Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Seiner Ansicht nach kommt im Ergebnis weder dem fachlichen Wirtschaftsbereich des KollV Gebäudereinigung noch des KollV Baugewerbe die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung im Betrieb der Bekl zu, sodass nach § 9 Abs 4 ArbVG der KollV jenes fachlichen Wirtschaftsbereichs Anwendung finde, dessen Geltungsbereich unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb die größere Anzahl von AN in Österreich erfasse. Der OGH schloss sich der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts an:

Liegt ein Mischbetrieb iSd § 9 Abs 3 ArbVG vor, dann findet jener KollV Anwendung, welcher für den fachlichen Wirtschaftsbereich gilt, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. In diesem Fall gilt also, anders als nach § 9 Abs 1 und 2 ArbVG, das Prinzip der Tarifeinheit.

Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung ist danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gibt. Dafür kommt es nach der Rsp nicht nur auf einzelne Aspekte, wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der AN oder Zusammensetzung des Kundenkreises, an. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen ist. Die Beurteilung des Zusammenspiels der einzelnen Faktoren im Rahmen der geforderten Gesamtbetrachtung hängt nach dem OGH immer von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.

Im vorliegenden Fall verfügt die Bekl über eine Mehrzahl von Gewerbeberechtigungen, durch die sie Mitglied in verschiedenen Fachgruppen der Wirtschaftskammer ist (§ 47 Abs 2 WKG), womit sie mehreren Kollektivverträgen unterworfen ist. Hiervon haben die Parteien selbst jedoch nur den KollV Baugewerbe einerseits und den KollV Gebäudereinigung andererseits als aus ihrer Sicht relevant 410 herausgegriffen. Dass einem der anderen Fachbereiche maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb der Bekl zukäme, wird nicht behauptet.

Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass Gewerbetreibende nach § 32 Abs 1 Z 1 GewO 1994 idF vor der 1. GewONov 2017 berechtigt waren, Vorarbeiten und Vollendungsarbeiten auf dem Gebiet anderer Gewerbe vorzunehmen, die dazu dienen, die Produkte, die sie erzeugen oder vertreiben sowie Dienstleistungen, die sie erbringen, absatzfähig zu machen sowie im geringen Umfang Leistungen anderer Gewerbe zu erbringen, die eigene Leistungen wirtschaftlich sinnvoll ergänzen. Mit der 1. GewONov 2017 entfiel der „geringe Umfang“ in dieser Form in Abs 1 Z 1 und wurde neu in Abs 1a leg cit geregelt. Einem Baumeister (§ 94 Z 5 GewO 1994) kommen nach § 99 Abs 2 GewO 1994 inhaltlich noch weitergehende (über einen geringen Umfang hinausgehende) Rechte zu.

Der Anlassfall zeichnet sich dadurch aus, dass die Bekl nach den Feststellungen Leistungen erbringt, die zu einem guten Teil – insb unter Berücksichtigung des § 32 Abs 1 Z 1 GewO 1994 alt sowie des § 150 GewO 1994 – durch verschiedene Gewerbeberechtigungen gedeckt sein können, die die Bekl innehat. Das Berufungsgericht hat zutreffend den „gemischten“ Charakter der Tätigkeit der Bekl hervorgehoben. Dieser führt dazu, dass sich einzelne Elemente nicht eindeutig zuordnen bzw abgrenzen lassen. Das Berufungsgericht hat etwa Fliesenlegerarbeiten genannt, die nicht nur von einem Baumeister, sondern im Rahmen des Nebenrechts zB auch von einem Heizungstechniker selbständig ausgeführt werden können.

Für die Tätigkeit der Bekl gar nicht erforderliche Gewerbeberechtigungen haben im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 9 ArbVG außer Betracht zu bleiben. In diesem Sinne vermögen aber auch (zulässigerweise) unter verschiedene Gewerbeberechtigungen subsumierbare Tätigkeiten bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Prägung des Betriebs jedenfalls nicht den Ausschlag in die eine oder andere Richtung zu geben.

Laut OGH bestehen daher keine Bedenken an der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier weder dem einen noch dem anderen Fachbereich (Reinigung versus Bau) die ausschlaggebende wirtschaftliche Bedeutung zukomme. Sie erweist sich vor allem angesichts des festgestellten Außenauftritts der Bekl als vertretbar, denn diese behauptet nicht einmal selbst, als „klassisches Reinigungsunternehmen“ wahrgenommen zu werden. Vielmehr bewirbt sie sich als „Marktführer in der integrierten Schadensanierung und der Instandsetzung aus einer Hand“. Die Feststellung, dass die Bekl von potentiellen Kunden andererseits auch nicht als „klassische Baufirma“ wahrgenommen wird, spricht wiederum ebenso wie der Zusammenhang der baulichen Instandsetzung mit vorhergehenden Reinigungsleistungen für die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass eben auch das Baumeistergewerbe nicht als für den gesamten Betrieb prägend angesehen werden kann.

Da die Parteien bislang selbst die maßgeblichen Kollektivverträge (nur) auf Gebäudereinigung und Baugewerbe eingegrenzt haben, haben die anderen Kollektivverträge mangels gleicher oder zumindest vergleichbarer wirtschaftlicher Bedeutung im weiteren Verfahren außer Betracht zu bleiben.

Welcher dieser beiden Kollektivverträge die größere Anzahl von AN in Österreich erfasst, ist eine Tatfrage. Die Behauptung der Bekl, die Anzahl sei unmöglich feststellbar, ist rein spekulativ und widerspricht auch der Vorstellung des Gesetzgebers, die Zahl der erfassten AN sei in der Praxis über die Sozialpartner, etwa im Wege eines Gutachtens der Wirtschaftskammer, gut feststellbar.

Dementsprechend war der Rekurs der Bekl zurückzuweisen.