167

Sittenwidrige Kündigung eines leitenden Angestellten iSd ArbVG?

ANDREASWELLENZOHN
§§ 36 Abs 2 Z 3, 105 Abs 3 Z 1 lit i und Z 2 ArbVG; § 879 ABGB

Der als Geschäftsführer bei dem Bekl – einem gemeinnützigen Verein – angestellte Kl war für die Anstellung und die Kündigung sämtlicher Mitarbeiter (insgesamt 38) zuständig, lediglich hinsichtlich der Abteilungsleiter und des kaufmännischen Leiters hatte er bloß ein Vorschlagsrecht. Er konnte entscheiden, ob eine Vollzeitkraft oder zwei Teilzeitkräfte (à 20 Stunden) eingestellt werden, er konnte Vertragsverhältnisse auf Honorarbasis alleine abschließen, Mitarbeiter verwarnen und Kündigungsschreiben sowie Dienstzeugnisse unterfertigen. Außerdem war er Ansprechpartner des BR in Personalangelegenheiten und führte Verhandlungen im Rahmen einer BV, die er letztlich in Abstimmung gemeinsam mit dem Vorstand unterschrieb.

Der Kl wurde gekündigt. Gegen diese Kündigung erhob er eine Feststellungsklage, gestützt auf nicht eingehaltenes betriebsverfassungsrechtliches Vorverfahren gem § 105 Abs 1 und 2 ArbVG sowie sittenwidrige Kündigung gem § 879 ABGB, in eventu Kündigungsanfechtung gem § 105 Abs 3 Z 1 lit i und Z 2 (verpönte Motivkündigung und Sozialwidrigkeit). 411

Gegen die E des OLG Wien, wonach der Kl leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG sei, er sich nicht auf den allgemeinen Kündigungsschutz des ArbVG berufen könne und die gegenständliche Kündigung auch nicht sittenwidrig sei, erhob der Kl außerordentliche Revision, welche der OGH jedoch gem § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückwies und ausführte:

Die Frage, ob ein AN als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG anzusehen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und bildet daher – abgesehen von einer groben Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Maßgeblich ist, ob der AN durch seine Position an der Seite des AG und durch Ausübung von AG-Funktionen in einen Interessengegensatz zu anderen AN geraten kann. Bei den AG-Funktionen, die die Unterstellung unter den Begriff des leitenden Angestellten rechtfertigen können, steht der Einfluss auf die Eingehung und Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Vordergrund. Wesentlich ist aber auch die Ingerenz in Gehaltsfragen, bei Vorrückungen, bei der Urlaubseinteilung, bei der Anordnung von Überstunden, bei der Ausübung des Direktionsrechts und bei der Aufrechterhaltung der Disziplin im Betrieb. Völlige Weisungsfreiheit ist hingegen nicht erforderlich und kann mit Rücksicht auf die aus der Sicht des Arbeitsvertragsrechts gegebene AN-Eigenschaft auch des leitenden Angestellten nicht verlangt werden.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kl sei als leitender Angestellter anzusehen, hält sich im Rahmen der Rsp. Daran ändert nichts, dass der Kl Entlassungen nicht alleine aussprechen konnte, er sämtliche Personalentscheidungen, die mit Mehrkosten verbunden waren, vom Vorstand genehmigen lassen musste, er bei Gehaltsverhandlungen keinen Spielraum hatte und ihm nur kostenneutrale Änderungen der Arbeitszeit möglich waren; ebenso wenig, dass Fördergeldverträge zusätzlich von zwei Vorstandsmitgliedern zu unterschreiben waren und der Kl bei Anschaffungen und Ausgaben ab € 2.500,- den kaufmännischen Leiter zuzuziehen hatte und er ab € 17.000,- pro Geschäftsfall überhaupt nicht mehr alleinverantwortlich entscheiden durfte. Weder wird für die Qualifikation als leitender Angestellter eine alleinverantwortliche weisungsunabhängige Entscheidungsbefugnis verlangt noch schadet es, dass sich der Kl bei seinen Personalentscheidungen im Rahmen eines vorgegebenen Budgets bewegen musste, zumal die finanziellen Beschränkungen hier – wie das Berufungsgericht hervorgehoben hat – in erster Linie der Tätigkeit des Bekl als gemeinnütziger Verein geschuldet waren.

Als leitender Angestellter kann sich der Kl nicht auf die Nichteinhaltung des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens nach § 105 Abs 1 und 2 ArbVG berufen.

Eine nach § 879 ABGB sittenwidrige Kündigung kann nur dann angenommen werden, wenn der AG von seinem Kündigungsrecht aus gänzlich unsachlichen und insb aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven, Gebrauch gemacht hätte. Ob eine Kündigung sittenwidrig ist, kann nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

Das Berufungsgericht hat dem Kl entgegengehalten, dass den Feststellungen nicht zu entnehmen ist, dass er ausschließlich wegen seiner Bitte um Intervention des Vorstands in seinem Konflikt mit dem Betriebsratsvorsitzenden gekündigt wurde. Vielmehr habe das Erstgericht zahlreiche andere Gründe festgestellt, die allesamt geeignet seien, die Zusammenarbeit zwischen dem Kl und dem Vorstand des Bekl zu erschüttern. Überdies sei dem AG auch zuzugestehen, einen leitenden Angestellten in einer Führungsposition zu kündigen, wenn er den Eindruck habe, dieser erfülle vor allem in puncto Konfliktmanagement nicht die in ihn gesetzten Erwartungen.

Dagegen wendet der Kl nur ein, die Kündigung resultiere aus einem sogenannten Motivbündel, es reiche, dass das verpönte Motiv zumindest mitursächlich gewesen sei. Der Kl übersieht aber, dass ihm ein Motivkündigungsschutz und damit die Beweiserleichterung nach § 105 Abs 5 ArbVG gerade nicht zukommt. Nicht einmal nach seinen eigenen Behauptungen stellte der Umstand, dass er die Einhaltung der Fürsorgepflicht gegenüber dem Bekl einforderte, das ausschlaggebende Motiv für die Kündigung dar.