Conen/Schippers (Eds)Self-Employment as Precarious Work – A European Perspective

Edward Elgar Publishing, Cheltenham 2019, X, 273 Seiten, gebunden, € 127,–

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Selbständigkeit als Erwerbsform viel weiter verbreitet als heute; sie umfasste die gesamte Wirtschaft von den Bauern, über Geschäftsleute und HandwerkerInnen, bis hin zu den hochqualifizierten freien Berufen. Dann ging deren Zahl zu Gunsten der unselbständigen AN zurück – vor allem auf Grund der Industrialisierung, die kapitalintensive Großunternehmen hervorbrachte. Zu dieser Zeit wurde Selbständigkeit, anders als das lohnabhängige Arbeitsverhältnis, als etwas betrachtet, das freiwillig gewählt wurde, um – wenn sich der „unternehmerische Erfolg“ einstellte – höheres Einkommen, Autonomie und Flexibilität zu erlangen. War das nicht der Fall, so reihte man sich wieder in die industrielle Reservearmee ein. Dieser Trend und diese Sichtweise hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch verschoben: Es kam wieder zu einer Zunahme von Selbständigen und zwar insb von solchen ohne AN, den sogenannten Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) bzw Solo-Selbständigen oder „own account workers“. Diese finden sich vor allem bei den persönlichen Dienstleistungen und in der Bauwirtschaft, allesamt Branchen mit geringen Kapital erfordernissen. Außerdem wird diese Erwerbsform nicht immer freiwillig gewählt. Damit wurde die Gruppe der Selbständigen immer heterogener und es wurden auch Stimmen laut, dass Teile von ihnen ähnlich schutzbedürftig seien wie AN, weil sie einem hohen Risiko der Prekarität ausgesetzt seien. Dazu gibt es freilich wenig Empirie und hier setzt der vorliegende Band an, der aus einem seit 2013 laufenden, von der deutschen (gewerkschaftsnahen) Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt hervorgeht. Dieses wurde von einem Team an der Utrecht University School of Economics (NL) in Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Böckler-Stiftung durchgeführt und untersucht die Ursachen für und die Auswirkungen von Solo-Selbständigkeit sowie die Einstellungen dieser Selbständigen gegenüber sozialer Absicherung, insb der Alterssicherung. Damit trägt dieser Band wesentlich zu einer Versachlichung der Diskussion bei, die derzeit auf unterschiedlichen Ebenen geführt wird. Einfacher wird es dadurch, insb was die Lösungsfindung betrifft, freilich nicht.

Das Buch ist in drei große Teile gegliedert: Der erste beschäftigt sich mit der Frage, ob wir uns überhaupt Sorgen um die „neuen Selbständigen“ machen müssen. Und schon eingangs zeigt sich ein differenziertes Bild: Einerseits wächst die Selbständigkeit nicht in allen EU-Staaten gleichermaßen (während Großbritannien, Niederlande, Slowakei 2000 – 2017 ein starkes Wachstum aufweisen, ist sie in anderen Ländern wie Österreich, Deutschland, Schweden, Spanien stabil bis rückläufig) und die Art der Selbständigkeit ändert sich zudem. Gemeinsamer Nenner ist aber eine extreme Geschlechterungleicheit (durchschnittlich sind nur rund 1/3 der Selbstständigen Frauen) und das Risiko geringer Einkommen, geringer institutioneller Einbindung in sozialpartnerschaftliche Arrangements und häufig ein gegenüber Unselbständigen geringerer sozialer Schutz (so Schippers im Überblickskapitel). Der Beitrag zur sozialen Sicherung von Selbständigen auf EU-Ebene (Bennaars) ist für JuristInnen weniger ergiebig, jener zum Risiko der Altersarmut (Fachinger) hingegen schon, wenn er nicht nur auf die Möglichkeiten, sondern auch auf die Bereitschaft zur Altersvorsorge eingeht. Gerade hier zeigen sich bei Freiwilligkeit Informationsdefizite und falsche Performanceerwartungen, die stark für ein staatlich organisiertes verpflichtendes Pensionssystem auch für Selbständige sprechen.

Der zweite Teil ist sozusagen das Herz des Buches, er enthält Länderstudien zu Prekarität und Selbständigkeit betreffend das Vereinigte Königreich (Meager), Österreich (Bögenhold/Klinglmair/Parastuty/Kandutsch), Deutschland und die Niederlande (Coen/Debets), Italien (Borgi/Murgia) und Schweden (Anxo/Ericson). Bei der Auswahl hat man sich an der Kategorisierung von Wohlfahrtsstaaten nach Esping-Anderson orientiert und bewusst post-sozialistische Regime ausgeschieden, da diese eine grundlegend andere Entwicklung aufweisen. Außerdem wird noch die Situation besonderer Gruppen, in concreto älterer Selbständiger in der EU (Conen) und der von migrantischen Selbständigen in Deutschland (Berwig/Isaak/Leicht) behandelt. Sie zeigen allesamt die große Diversität sowohl des Anteils selbständiger Arbeit, deren Zusammensetzung und auch deren Wachstum in den einzelnen Staaten. Zu Österreich wird der vergleichsweise große Anteil der EPUs bei den Selbständigen hervorgehoben (rund 50 % aller Unternehmen) und es wird auf Basis der Befragung von 626 Unternehmen in Kärnten versucht, Aufschlüsse über die Gründe für die Selbständigkeit und über deren Lebenssituation zu bekommen. Wesentliche Aussage ist hier, dass eine relevante Gruppe (rund 25 % der Befragten) diese Erwerbsform als Alternative zur Arbeitslosigkeit praktiziert (sogenannte unfreiwillig Selbständige). Im Vergleich zu denen, die die Selbständigkeit bewusst und freiwillig gewählt haben, erzielen erstere niedrigere Einkünfte, sind mit ihrer beruflichen Situation weniger zufrieden und auch weniger optimistisch ihre berufliche Zukunft betreffend. Zudem ist diese Personengruppe auch signifikant älter (> 45 Jahre). Es zeigt sich somit auch hier, dass das tradierte Narrativ der sich selbst verwirklichenden Selbständigen jedenfalls derzeit für wesentliche Teile gerade der EPUs nicht mehr zutrifft. Dieser, wie auch die anderen Länderbeiträge sind informativ und hilfreich, überkommene Annahmen und Mythen zu widerlegen, lassen einen aber dann doch ein wenig ratlos zurück, wie denn nun die Situation von Prekarität bedrohter Kleinstselbständiger verbessert werden kann.

Dies sollte dann eigentlich im dritten Teil stattfinden, wobei auch hier JuristInnen konkrete Antworten vermissen, sondern vielmehr – wie eben bei SozialwissenschafterInnen so üblich – Kategorisierungen vorge- 162 nommen und Zusammenhänge aufgefunden werden, für die dann Erklärungsversuche unternommen werden. Hier zeigt sich aus niederländischen Daten, dass prekäre neue Selbständige eher bereit wären, Gewerkschaften beizutreten und überhaupt für kollektive Lösungen am ehesten empfänglich sind (Jansen/Sluiter). Soziale Absicherung für alle Erwerbstätigen, unabhängig von ihrem Status, wird als vordringlich angesehen (Schulze Buschoff), wobei Österreich – sowohl was die soziale Absicherung aller Erwerbstätigen als auch die Einbeziehung der Selbständigen in die „Abfertigung neu“, die hier der zweiten Säule zugerechnet wird – als Vorbild angesehen wird. Im abschließenden Kapitel (Schippers/Conen) wird erneut das der Selbständigkeit innewohnende Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Unsicherheit aufgegriffen. Hier wird zu Recht auf die Bedeutung innerer Einstellungen hingewiesen, wie insb die teilweise bestehende Ablehnung der Selbständigen betreffend staatlicher Interventionen, was insb Mindestentgelte oder Sozialversicherungspflichten betrifft. Daran schließt dann eine lange Liste an Forschungsfragen an, die interessant wären und die ein noch weiter differenziertes Bild der Kleinstselbständigen, ihrer Lebenssituationen und ihrer Einstellungen schaffen würde. Letztlich ist es aber eine politische Frage, ob überhaupt und in welchem Ausmaß eine soziale Absicherung von Selbständigen erfolgt – Bücher wie dieses zeigen auf, dass dies der Fall sein sollte und leisten einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion, die wohl noch lange Jahre anhalten wird. Sie zeigen auch, dass, wenngleich die Situation in Österreich wegen der in den 1990ern erfolgten Einbeziehung aller Erwerbseinkommen in die Sozialversicherungspflicht im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht ist, weiterhin noch Schutzdefizite bestehen.