Kenner/Florczak/Otto (Eds)Precarious Work – The Challenges for Labour Law in Europe

Edward Elgar Publishing, Cheltenham 2019, X, 288 Seiten, gebunden, € 130,–

MARTINGRUBER-RISAK (WIEN)

Die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Formen prekärer Arbeit hat sich in den letzten Jahren massiv verstärkt und nunmehr auch auf EU-Ebene einen gewissen Widerhall erfahren. Der Schwerpunkt liegt nicht mehr in erster Linie bei den atypischen Arbeitsverhältnissen als Abweichung vom Normalarbeitsverhältnis als unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das vollen Schutz vermittelt, sondern verstärkt auch bei neuen Formen der Selbständigkeit. Diese sind seit den 1990ern verstärkt im Kommen, werden teilweise in den einzelnen Staaten durch finanzielle Anreize gefördert (Erleichterungen betreffend die Steuer- und Abgabenlast) und haben durch die Plattformökonomie noch einen zusätzlichen Schub erhalten. Dabei ist einerseits das Ausmaß selbst und die Zusammensetzung dieser neuen, häufig unter sehr unsicheren (prekären) Bedingungen arbeitenden Selbständigen unklar (siehe dazu die Rezension zu Conen/Schippers, Self-Employment as Precarious Work in diesem Heft). Andererseits hat sich auch noch keine länderübergreifende Vorgangsweise herauskristallisiert, wie damit auf regulatorischer Ebene umzugehen ist. Mit dieser beschäftigt sich die vorliegende Publikation, die von Izabela Florczak und Marta Otto (Universität Lodz/Polen) sowie Jeff Kenner (Universität Nottingham/UK) herausgegeben wurde und der – wie bei derartigen internationalen Projekten üblich – wissenschaftliche Workshops in Lodz (2017) und Lund/Schweden (2018) vorangegangen sind. Sie bietet damit einen guten Überblick über den Stand der Diskussion und eine Fülle an interessanten Länderbeispielen.

Das Buch ist zu diesem Behufe in drei Teile gegliedert: Der erste beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen prekärer Arbeit und warum überhaupt auf rechtlicher Ebene Aktivitäten notwendig sind. Das erste Kapitel der Mit-Herausgeberinnen Florczak und Otto gibt eine EU-Perspektive, wobei die Realität hier den Beitrag überholt hat. Dieser berichtet noch vom Projekt der EU-RL für transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen, die am 11.7.2019 als RL (EU) 2019/1152 nach intensiven Diskussionen beschlossen wurde. Gerade der dazu führende Prozess hat wieder einmal gezeigt, dass progressiv-realistische Positionen von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament letztlich im Rat nochmals massiv verwässert werden. Die beiden folgenden, soziologisch bzw ökonomisch orientierten Beiträge sind besonders anregend und spannen den Bogen sehr weit: Der von Godlewska-Bujok/Patulinski (Universität Warschau/Polen) definiert Prekarität als durch Gewalt geprägtes Verhältnis, das Personen strukturell und ohne Begründung vom Zugang zur Arbeit als einem Grundbedürfnis ausschließt. Jener von Cammallieri (Universität Palermo/Italien) wiederum beschreibt die Flucht aus dem Arbeitsrecht als „soziale Verschmutzung“ ähnlich der Umweltverschmutzung iSe Externalisierung von Risiken. Ganz in der Logik der ökonomischen Theorie des Rechts wird vorgeschlagen, die damit verbundenen Kosten durch eine zusätzliche Besteuerung wieder zu internalisieren und so den ökonomischen Anreiz zu Formen prekärer Beschäftigung ohne Schutz zu mindern. Die dadurch aufgebrachten Mittel können dann zur Absicherung jener Personen genützt werden, die gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis ein geringes Schutzniveau aufweisen. Ein überaus interessanter Ansatz, der jedoch wegen der allerorts grassierenden Obsession mit der „Senkung der Lohnnebenkosten“ wenig Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

Im zweiten Teil werden die nationalen Erfahrungen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen, deren rechtlicher Rahmen sowie regulatorische Strategien diskutiert, wobei insb auch deren historische Entwicklung nachgezeichnet wird. Behandelt werden das Vereinigte Königreich (Mangam/Maynooth Universität), Spanien (Fabrellas/Universität Ramon Lull), Schweden (Westregård/Universität Lund), Slowenien (Pecek/Universität Maribor und Franka/Universität Ljubljana), Polen (Pisarczyk/Universität Warschau und Torbus/Universität Silesia) und die Tschechische Republik (Tomšej/Karls-Universität Prag). Gerade die Behandlung post-sozialistischer osteuropäischer Länder, die in internationalen Sammelbänden eher selten stattfindet, schließt hier eine wichtige Lücke in der Literatur. Eine 163 Vergleichbarkeit der einzelnen nationalen Rechtslagen ist nicht unbedingt leicht möglich, da die Kapitel keinem einheitlichen Aufbau folgen, was aber den Vorteil hat, dass in der jeweiligen juristischen akademischen Tradition entsprechende Narrative zur Rechtsentwicklung geboten werden und sich so die Beiträge in ihrer Unterschiedlichkeit durchaus gut lesen.

Der dritte Teil befasst sich mit einer besonderen Ausprägung prekärer Beschäftigung, nämlich der Plattformarbeit, wobei diese als der derzeit letzte Schritt hin zur Prekarisierung von Arbeit verortet wird (Cavallini und Avogaro/Universität Mailand). Dem kann im Wesentlichen durch drei Strategien begegnet werden: Weiterentwicklung des AN-Begriffes und Ausweitung des Schutzbereiches des Arbeitsrechts durch die Rsp, plattformspezifische Gesetzgebung und kollektive Vertretung und Rechtssetzung in diesem Wirtschaftssegment. Gerade im letzten Bereich wird viel an Aktivität verortet, was auch damit zu tun haben mag, dass Rsp und Gesetzgebung bekannte Bahnen nur ungern verlassen. Der folgende Beitrag von Kenner beschäftigt sich mit dem viel diskutierten englischen Urteil in der Rs Aslam und Farrar betreffend den Status von Uber-FahrerInnen als worker nach Englischem Recht. Wesentlich ist dabei, dass es sich dabei nicht um die Eigenschaft als AN (employees im Englischen Recht), sondern um eine, den arbeitnehmerInnenähnlichen Personen ähnliche Zwischenkategorie handelt. Auf diese finden jedoch Mindestlohnvorschriften, Urlaubsansprüche ebenso Anwendung wie das Arbeitszeitrecht. Dies zeigt auch das Potenzial dieses Konzeptes, vorausgesetzt freilich, dass diese Personengruppe mit substanziellen Rechten ausgestattet wird. Der letzte Beitrag (Unterschütz/Universität Gdynia, Polen) befasst sich mit der kollektiven Dimension des Arbeitsverhältnisses und stellt die Frage, wie der soziale Dialog in einer digitalisierenden Arbeitswelt weiterhin funktionieren wird können, wobei die Antworten dazu noch nicht sehr konkret sind.

Dieser Band bietet vor allem JuristInnen einen guten Einblick in das Phänomen der prekären Beschäftigung, wobei hier weniger die Empirie, sondern vielmehr der theoretische Zugang zur Regulierung dieser Beschäftigungsverhältnisse sowie konkrete Länderbeispiele betreffend die einschlägigen gesetzlichen Entwicklungen dessen Stärken darstellen. Es kann daher gerade für rechtsvergleichend und rechtspolitisch mit diesem Bereich Befasste bestens empfohlen werden.